Die besten Gerichtsfilme und Justizthriller der 90er Jahre

Einen kleinen Thrillernachschlag haben wir noch…  auch wenn das meiste hier ein bisschen weiter geht. Gute Gerichtsfilme vermögen es nämlich weitaus mehr zu sein als übliche Crime-Kost. In der stickigen und klaustrophobischen Atmosphäre von Gerichtssälen können sich große menschliche Dramen abspielen, spannende Krimis und sogar – wie zumindest einer unserer Filme unter Beweis stellt – höchst amüsante Komödien. Das Gericht wird mit seinen eigenen Spielregeln und sozialen Schranken zum Schauplatz von Universellem, Speziellen, von Zwischenmenschlichem, von Würde, Kampf aber auch von Abgründen… Anyway, in all den hier genannten hervorragenden Filmen steht Justizia im Mittelpunkt, mal blind, mal sehend, mal abwägend, mal der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfend. Großartige Kammerspiele unter den Händen des Gesetzes. Nach dem Klick…

Aus Mangel an Beweisen [Alan J. Pakula]

(USA 1990)

Aus Mangel an Beweisen kombiniert auf grandiose Weise Elemente des Psychothrillers, Ermittlunsgkrimis und Anwaltsdramas und generiert daraus einen komplexen, in sich schlüssigen und vor allem detaillverliebten Justizthriller. Im Mittelpunkt steht Harris Ford als ermittelnder Staatsanwalt, der zuerst mit seiner eigenen Verwicklung in einen Fall hardern muss und sich schließlich, plötzlich selbst auf der Anklagebank wiederfindet. Dazwischen etabliert Alan J. Pakula einen präzisen Blick auf das amerikanische Justizsystem und auf die politischen Ränkespiele, die im Schatten Justizias stattfinden. Ein gelungener Balanceakt zwischen klassischem 90er Jahre Thriller und klaustrophobischem Gerichtsdrama, der geschickt mit seinen moralischen Disposition spielt und so manche Finten und überraschenden Plot-Twists bereit hält.

Eine Frage der Ehre [Rob Reiner]

(USA 1992)

Die filmische Umsetzung von Aaron Sorkins Bühnenstück „A few good Men“ ist ein exzellenter, perfekt komponierter Militär- und Gerichtsthriller, der sich geschickt zwischen Drama und Krimi bewegt. Immer am Rande der militärischen Glorifizierung balancierend packt Rob Reiner (Harry und Sally, Misery) doch genug Kritik an den innermilitärischen Zuständen in sein hochspannendes und kühles Kammerspiel, um nie allzu sehr der Faszination von Prunk und Gloria zu verfallen. Getragen wird „Eine Frage der Ehre“ dabei vor allem vom hervorragenden Cast, von den Kontrahenten Jack Nicholson und Tom Cruise, über die Supporting Acts (Demi Moore darf beweisen, dass sie was kann und hätte hier durchaus mehr Leinwandzeit verdient, ebenso wie Kevin Pollack) bis hin zu den kleinsten Nebenrollen. Ein packender und edler Militärthriller, der auch nach 20 Jahren nichts an Brisanz und Aktualität eingebüßt hat.

Der Regenmacher [Francis Ford Coppola]

(USA 1997)

Jaja… John Grisham und so… Die 90er Jahre waren überflutet von filmischen Umsetzungen der Thrillerromane des populären Autoren. Und Hand aufs Herz, die meisten davon waren ziemlich durchschnittlich, einige sogar richtig mies, und Lichtblicke gab es so gut wie kaum. Der Regenmacher stellt einen jener Lichtblicke dar. Immerhin wurde der spannende Thriller um einen jungen Anwalt und zwielichtige Versicherungsgeschäfte von Francios Ford Coppola inszeniert. Dieser strickt seinen Film zwar nach klassischen Grisham-Krimimustern, versteht es aber die unoriginellen Einzelfäden zu einem dichten, mitreißenden und vor allem sehr edlen großen Ganzen zusammen zu weben. Unterstützt wird er dabei vom herausragend agierenden Cast: Matt Damon, Danny DeVito, Claire Danes, John Voight… jeder leistet seinen wesentlichen Teil, um den Regenmacher aus der Masse der langweiligen Grisham-Verfilmungen herauszuheben. Vielleicht kein bedingungsloses Meisterwerk, aber ein grundsolider, spannender und anständiger Justizthriller, der allein dank seiner eleganten Inszenierung zweifellos in diesen Kanon gehört.

Mein Vetter Winnie [Jonathan Flynn]

(USA 1992)

Während die meisten Gerichtsfilme die klaustrophobische Spannung und Dramatik der Verhandlung nutzen, um düstere und packende Geschichten zu erzählen, geht „Mein Vetter Winnie“ einen anderen Weg… Im Gepäck hat er eine große Portion Inkompetenz, Respektlosigkeit und Irrsinn, zusammengebracht in der Person des schrägen und unerfahrenen Anwalts Winnies, der seinen des Mordes verdächtigen Cousin und dessen Freund vor Gericht verteidigen muss. Justizia als Komödienvorlage? Die Verpflanzung des Screwballs und Slapstick in den Gerichtssaal funktioniert erstaunlich gut. „Mein Vetter Winnie“ ist eine rasante, teilweise alberne und infantile,  Satire, die auch gerne Mal in Richtung Farce abdriftet, dreist mit unzähligen Klischees spielt und nebenbei dennoch genug Zeit hat, einen spannenden Ermittlungskrimi zu erzählen.

Larry Flynt – Die nackte Wahrheit [Miloš Forman]

(USA 1996)

Ein reinrassiger Gerichtsfilm ist „Larry Flynt – Die nackte Wahrheit“ nicht. Mit epischen Ambitionen erzählt Miloš Forman (Mozart) die Lebensgeschichte des Hustler-Verlegers Larry Flynt, die immer zwischen tragischen und komischen Momenten pendelt. Und doch nehmen die Gerichtsverhandlungen, in denen es meist um die Legalität der Pornographie geht, nicht nur eine zentrale Position innerhalb dieses Biopics ein, sondern gehören auch zu den besten filmischen Justizmomenten des Jahrzehnts: Prüderie und Liberalität bis zum Anarchischen prallen aufeinander, werden mit geschliffenem Wortwitz und viel Engagement gegeneinander ausgespielt. Die Rededuelle des Verlegers Flynt mit dem Staat, der Religion und Justizia entwickeln einen ungemeinen Drive, besitzen viel Verve, sind sowohl unterhaltsam als auch spannend gestrickt. Larry Flynt ist ein durch und durch sehenswerter Film, wird aber erst durch die „Courtroom-Action“ in die Königsklasse gehoben.

Schuldig bei Verdacht [Irwin Winkler]

(USA 1991)

Die McCarthy-Ära gehört zu den dunkelsten Kapiteln der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Autoren, Schauspieler, Regisseure sahen sich in den 50er Jahren plötzlich mit dem Generalverdacht konfrontiert. Jeder Künstler schien per se verdächtig ein Kommunist zu sein und wurde im schlimmsten Fall vor das Komitee für unamerikanische Umtriebe gezerrt. „Schuldig bei Verdacht“ erzählt die fast schon prototypische Geschichte eines dieser Schicksale. Ohne großen Pathos, mit viel Gespür für die leisen, unaufgeregten Momente widmet sich Irwin Winklers Drama vor allem den psychologischen Hintergründen der Angeklagten, großartig umgesetzt vom herausragenden Spiel Robert De Niro. So leistet „Schuldig bei Verdacht“ nicht einfach nur Geschichstaufarbeitung, sondern parabolisiert die Problematik der ungerechtfertigten Anaschuldigung und findet zudem Platz für universelle Themen wie Treue, Integrität und Widerstandsbereitschaft.

Zwielicht [Gregory Hoblit]

(USA 1996)

Gleich eine ganze Reihe packender Motive hat der Psychothriller/Gerichtsfilm-Hybrid Zwielicht von 1996 anzubieten. Neben dem Haupthandlungsstrang, der Gerichtsverhandlung um einen psychisch labilen, des Mordes angeklagten, Messdieners arbeitet er noch mit Versatzstücken des klassischen Justizthrillers, bringt ein wenig politisches Vexierspiel in seine Handlung, und findet nebenbei sogar noch Zeit, sich um die persönlichen Belange seiner Protagonisten zu kümmern. Das läuft dann ab und zu zwar Gefahr zu viel des Guten zu werden, lebt aber trotz gewisser Überfrachtung durch das großartige Spiel seiner Darsteller und die geschickte Verknüpfung von Eitelkeit, Schein und Sein sowie wahrhaftigem Engagement. Richard Gere scheint die Rolle des schmierigen Anwalts auf den Leib geschrieben, ein noch junger Edward Norton (Fight Club) darf einen Vorgeschmack seines großen Talents geben und dazwischen plottwistet es an allen Ecken und Enden. Heraus kommt ein packender, epischer und vielschichtiger Gerichtsthriller, dessen thematische Komplexität von der Oberflächenwucht mitunter verdeckt wird. Zwielicht ist aber nicht nur sau spannend, sondern tatsächlich um einiges komplexer als auf den ersten Blick ersichtlich… und das bestimmt nicht wegen seiner oberflächigen Psychologisierung, sondern wegen seines herausragenden Gegenüberstellens unterschiedlicher Charaktere (vom Psychopathen über den karrieresüchtigen Anwalt bis hin zu geächteten Kleinkriminellen und staatlich akzeptierten Großkriminellen), die mehr gemein haben, als man auf den ersten Blick vermutet.

Sleepers [Barry Levinson]

(USA 1996)

Zum Abschluss ein weiterer Film, der über das reinrassige Courtroom-Drama weit hinaus geht. Sleepers vermengt Motive des Biopics, des  Gerichtsfilms, Dramas und Rachethrillers zu einem heterogenen, moralisch ambivalenten und kontroversen Epos, in dem verschiedene Motive und Narrationen zusammen- und auseinanderlaufen. Die Handlung von in den 60ern missbrauchten Kindern, die in der Gegenwart Rache an ihren Peinigern nehmen, ist groß angelegt, geizt nicht mit Pathos und entwirft dabei ein gewaltiges – herausragend gespieltes – Panorama zwischen Überlebenswillen, verlorener Unschuld, Kompromisslosigkeit und Zusammenhalt. Ja, das ist ethisch zwiespältig und inhaltlich überfrachtet, aber gerade deswegen ungemein mitreißend und beklemmend. Vor allem wenn verschiedene Fäden, Entwicklungen und Motivationen in den (relativ rar gesäten) Gerichtsverhandlungen zusammenlaufen und auf engstem Raum ein ganzes Leben – und damit auch die Filmhandlung – in ein neues Licht gerückt wird. Ein großer, auch überambitionierter Film, der sein Geschehen aber packend genug inszeniert, um seine epische Selbstverliebtheit verschmerzbar zu machen.

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Erstveröffentlichung: 2011