Die besten Filme der 90er Jahre: Independence Day? No way!

Mit Forrest Gump, American Beauty, Stephen Kings ES und Basic Instinct haben wir hier ja schon (mal mehr, mal weniger) heilige Kühe geschlachtet. Es ist mir aber ein besonderes Vergnügen, mich jetzt auf Independence Day (1996) zu stürzen… genau, Roland Emmerichs Krieg-der-Welten-Version, in der der Untergang unseres Planeten von Aliens in die Wege geleitet und von der tapferen Menschheit unter Führung des US-Präsidenten, von einem coolen Kampfflieger mit der Hilfe eines Fernsehtechnikers verhindert wird. Dieser verdammte Film, wird immer wieder gerne mal als Musterbeispiel großen Actionkinos herangezogen, gilt als Prototyp eines Films, der einfache aber effektive, sinnfreie Unterhaltung bietet. Warum?

Ich kann ja verstehen, wenn jemand sagt, er fände es toll, im Kino einfach mal das Hirn auszuschalten und vollkommene überzogene Action zu genießen… es gibt mehr als genug Filme, die dies problemlos erlauben und wirklich, wirklich gut dabei zu unterhalten wissen. Aber Roland Emmerichs Krieg der Welten Epos ist dafür die denkbar ungeeignetste Referenz. Das liegt in erster Linie an der Struktur der Geschichte an und für sich: Anstatt seinem Zuschauer ein Actionfeuerwerk um die Ohren zu hauen, werden erst einmal vollkommen überreizt und überlang die Charaktere etabliert. Dann gibt es tatsächlich die lang erwartete, allerdings auch – wie in Emmerichs Filmen immer- im Trailer schon verheizte Zerstörung der Welt zu bestaunen. Dann folgt langsamer, gemütlicher Pathos. Eine kurze, rasante Top-Gun-Sequenz… wieder Pathos. Eine düstere Alienoperation…. Pathos. Pathos. Schließlich das große Finale, gefolgt von… richtig, Pathos. Die Struktur, die gesamte Narration des Films verhindert schlichtweg eine packende Achterbahnfahrt, weil Emmerich zwischendurch immer wieder glaubt ein Charakterdrama, schlimmer einen Ensemblefilm, zu inszenieren. Wäre ja auch gar nicht so verkehrt, wenn nicht die einzelnen Teile dieses überlangen Schinkens in sich selbst ebenfalls eklatante Schwächen aufweisen würden:

Das beginnt bereits mit der Charakterdisposition. Ensemblefilme, die das Spiel mit vielen Charakteren betreiben, besitzen unzählige Fallstricke, die ihren Fluss zerstören können. Roland Emmerich stolpert über fast jeden einzelnen dieser Stricke. Während Filmemacher wie Paul Thomas Anderson (Magnolia, Boogie Nights) geschickt montieren, um einen großen Charakteren-Kosmos zu etablieren, wählt Emmerich den denkbar dümmsten Weg. Mittels gleißender Blitze wird in den ersten zehn (zwanzig? hundert?) Minuten von einem Schauplatz zum nächsten gewechselt. Wir werden geradezu erschlagen von unzähligen Charakteren, von denen wir manche nie wieder sehen werden, von denen andere eine tragende Rolle spielen sollen und der Rest den ganzen Film über Staffage bleibt. Keine große Montage, keine geschickten Verknüpfungen, schlicht und ergreifend Abfrühstücken, bis uns wirklich alle Protagonisten – selbst Will Smith und Jeff Goldblum, die von Beginn an als klassische Helden inszeniert werden – vollkommen egal sind. Diese Achterbahnfahrt durch das Ensemble wäre nicht ganz so fatal, wenn die Charaktere nicht so unglaublich eindimensional wären: Wir haben den engagierten, jungen Präsidenten, der sich erst noch beweisen muss, den paranoiden Redneck, irgendwo zwischen lustigem Sidekick und Save-the-day-Typ, wir haben schwule Stereotypen, jüdische Stereotypen, best-friend-Stereotypen und so weiter und so fort.

Aber selbst die anschließende erste Angriffswelle der Aliens besitzt nicht den geringsten Drive, den man sich von ihr erhoffen könnte. Klar, wir sehen ordentlich Feuer, massig Explosionen und so weiter, wohnen diesen aber fast nur aus der Ferne bei. Independence Day erzählt seine Zerstörungsorgie erschreckend distanziert und unbeteiligt. Irgendwie scheint der Film unentschlossen zwischen Zerstörungsbegeisterung und versuchtem Spannungsaufbau zu schlingern, ohne auch nur eines der beiden atmosphärisch herstellen zu können. Ohnehin, die Actionszenen: Die Luftschlacht gegen das Ufo? Ein lahmes Top Gun Rip-Off, bei dem zu allem Übel vollkommen vorhersehbar der beste Freund stirbt. Die Alien-Obduktion? Joa, Alien halt. Das Finale? Ähmm, ähh, ziemlich tempolos. Jeff Goldblum und Will Smith sitzen die meiste Zeit über im gekaperten Ufo herum, während auf der Erde die Top-Gun-Sequenz vom Anfang wiederholt wird. Und dann gibt es da natürlich noch diesen ungeheuren, patriotischen Pathos, den der deutsche Emmerich besser beherrscht als jeder Amerikaner: Wehende US-Flaggen, eine untergegangene Freiheitsstatue, große Unabhängigkeitsreden… natürlich retten die Amerikaner die Welt, koordinieren den menschlichen Rückschlag, entdecken die Sicherheitslücke der Aliens, haben den passenden Kamikazeflieger im Boot, der den Tag retten darf (ahja, dafür war der Redneck vom Anfang gut) und dürfen schließlich als Angriffsdatum ihren hauseigenen Feiertag verwenden.

Auch sonst geizt der Film nicht mit großen Gefühlen. Die Frau des Präsidenten stirbt… schrecklich… immerhin hatte sie davor ungefähr zehn Minuten Leinwandzeit. Da muss man natürlich mit ihm und seiner kleinen Tochter mitfühlen. Jeff Goldblum darf sich zwischendurch betrinken und im besoffenen Zustand eine ökologische Botschaft zum Besten geben (patriotische Botschaften dürfen nur nüchtern geschehen), Will Smith darf sein Mädchen retten (und dabei echt cool aussehen), Jeff Goldblum darf sein Mädchen zurückerobern (und dabei wie Jeff Goldblum aussehen), Bill Pullman darf als Präsident sein Mädchen betrauern (und dabei wie ein verhinderter Hamlet-Darsteller aussehen)… und Brent Spiner… verdammt, was hat Data in diesem Schrott verloren? Ist ja auch eigentlich egal. Independence Day ist ein Ausfall, ein Totaldesaster – Wäre gerne ein Actionfilm, besteht aber nur aus drei großen Actionsequenzen, die für sich genommen alle nicht so prall sind. Wäre gerne ein Ensemblestück, bleibt aber eine oberflächliche Varieté-Show. Wäre gerne spannungsgeladen, ergreifend, ist aber nur ungemein pathetisch, ärgerlich auf seinen Patriotismus reduziert. Klar, kann man da die Nostalgiebrille aufsetzen. Mit 14, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, fand ich ihn auch ziemlich „geil“. Aber ich fand auch mal E-Rotic cool… Heute ist nicht viel übrig von der damaligen Begeisterung. Und wenn es um bloße, Hirnausschalt-Actionfilme geht… da haben die 90er weitaus Besseres zu bieten.

Ähnliche Artikel

Erstveröffentlichung: 2011