Die besten Science Fiction Filme der 90er Jahre I

Viel Sehenswertes ist im Weltraum der 90er Jahre nicht geschehen. Dafür wie schon bei den besten Science Fiction Filmen der 00er umso mehr auf einer (potentiell) zukünftigen Erde. Das mag vor allem mit einem erneuten Endzeit- und Dystopienhype des ausgehenden 20. Jahrhunderts zusammenhängen (übrigens ganz ähnlich dem des ausgehenden 19. Jahrhunderts). Jedenfalls war der Blick in die Zukunft, den viele Filmmacher in den 90ern wagten, oft ein kritischer, skeptischer, einer, der relevante Themen der 90er aufgriff und in ein mögliches – von düsteres bis buntes – 21. Jahrhundert transformierte. Jedenfalls waren die gelungenen Prophezeiungen zahlreich genug vertreten, dass das Science Fiction Genre zwei Artikel spendiert bekommt… Den ersten Teil gibt es direkt hier…

Die Geschichte der Dienerin [Volker Schlöndorff]

(Deutschland, USA 1990)

Arthaus meets Science Fiction. Diese Mischung kann in die Hose gehen, kann aber auch bahnbrechende Meisterwerke hervorbringen. Wenn es nach den meisten Kritikern geht, trifft auf Schlöndorffs spröde Dystopie „Die Geschichte der Dienerin“ eher ersteres zu. Vielleicht waren die beginnenden 90er aber auch einfach die falsche Zeit, um mit einer trockenen, düsteren und auf mehreren Ebenen erzählenden und analysierenden Dystopie durchzustarten… Denn „Die Geschichte der Dienerin“, die von Unfreiheit und (sexueller) Versklavung in einer von Kriegen überzogenen, sterbenden Welt handelt, ist eine makabere, tiefdeprimierende Odyssee in das dunkle Herz der menschlichen Gesellschaft. Voller Bezüge auf zeitgenössische Konfliktherde, nachdenklich und zugleich obszön, schwer zu ertragen, schwer zu fassen und dennoch infam direkt und offenbarend… Der „Children of men“ der 90er Jahre und kaum verwunderlich, dass sich eine Serie der 2010er dem selben Stoff wieder angenommen hat.

Das fünfte Element [Luc Besson]

(Frankreich 1997)

Ganz anders funktioniert da schon Luc Bessons Blockbuster „Das fünfte Element“. Der ironisch gebrochene, pathetische actionreiche und quietschbunte Science Fiction Streifen ist nämlich Popcorn-Kino in Reinform. Schamlos mischt Besson hier Fantasyklischees mit klassischen Science Fiction Elementen, mit irrwitzigen Utopien und generiert daraus eine epische, bombastische und farbenfrohe Science Fiction Oper, die sich voll und ganz der Unterhaltung ihres Publikums verschreibt… Und wie ihr das gelingt! Die Geschichte von Elementen, einem (ungemein attraktiven) außerirdischen Klon, dem universellen Kampf gegen Gut und Böse, dem Ende der Welt und einem Taxifahrer, der irgendwie in das Geschehen reinstolpert, ist dreist, derb, überladen, vollkommen Over The Top und dabei so mitreißend wie nur wenige Science Fiction Werke dieser Dekade. Ein himmlisches, höllisches Cinemascope-Vergnügen.

Alien 3 [David Fincher]

(USA 1992)

Verdammt nochmal, das muss jetzt einfach hier gesagt werden, egal wieviele Filmhistoriker und Kritikerpäpste widersprechen. Alien 3 ist vielleicht der beste Teil, der gesamten Alien-Franchise. Ja, verdammt: Besser als das Actiondauerfeuerwerk von Teil zwei, und atmosphärisch zumindest auf einer Ebene mit dem grandiosen Weltraumhorror des ersten Aliens. David Fincher trumpht hier virtuos auf, nutzt die Alien-Geschichte um ein düsteres, kakophones Endzeitszenario im Mikrokosmos eines interstellaren Gefängnisses zu generieren. Sigourney Weaver ist grandios wie eh und je, und vor allem verbucht das verstörende, pessimistische Science Fiction Horror Mär gleich mehrere Subtexte auf seiner Seite, die vor allem dem zweiten Teil „Aliens“ abgehen: Überleben und Sterben, Sinnsuche und Sinnverlust, Angst vor dem Fremden, dem Leben, der eigenen Zerbrechlichkeit… menschliche Gier und Korrumpierbarkeit, gegipfelt in einem nervenzerfetzenden Finale, inklusive düsterer – im vierten Teil leider komplett gebrochener – Schlussbotschaft. Eine der besten Fortsetzungen überhaupt und ein absolut würdiger dritter Teil der 80er Horror Sci Fi Kammerspiele.

Bis ans Ende der Welt [Wim Wenders]

(Deutschland, Frankreich, Australien)

Größenwahn auf die Leinwand gebannt… Ausgerechnet vom spröden, trockenen – mitunter der Langeweile verfallenden – deutschen Regisseur Wim Wenders. Aber der Meister beherrscht eben auch das Große, Gewaltige und Überambitionierte: 279 Minuten, fünf Kontinente, ein Genrerausch zwischen Dystopie, Comedy, Film Noir, Krimisatire, Musical und natürlich Science Fiction… quer über die ganze Welt des Jahres 1999 und schließlich ganz tief hinein in den menschlichen Geist. „Bis ans Ende der Welt“ ist ein Mammutwerk über die Schönheit des Planeten Erde, über die Vielfältigkeit der Kulturen, der Menschen und Träume, die sich doch in den immer gleichen Topoi wiederfinden. Ein überambitionierter Welten-Science-Fiction-Film: manchmal verquast, manchmal zäh, oft zu lang, aber schließlich zu sich selbst findend, sich selbst umgarnend und umtanzend und dabei schlicht und ergreifend brillante Bilder erzeugend. Ein ebenso spröder wie gigantomanischer Trip in eine Welt… achwas, in DIE Welt.

Gattaca [Andrew Niccol]

(USA 1997)

Gegen Ende der 90er Jahre – bis weit in die 200er hinein – gab es einen regelrechten Trend an clean und steril gestalteten, unglaublich schicken und zugleich kalten Science Fiction Dystopien. Gattaca ist einer der Designvorreiter dieses „Reduce to the White“-Trends, und wenn man die wunderschönen, verstörenden Bilder sieht, die er dadurch hervorzaubert, ist es auch kein Wunder, dass er so viele Nachahmer gefunden hat. Gattaca ist im wahrsten Sinne des Wortes sauber: Die Geschichte von einer Welt, in der natürlich geborene Menschen mit Klonen und ihrer eigenen Unperfektheit konfrontiert werden, ist eine stilsichere – und gerade deswegen ungemein beängstigende – Parabel auf Ideale und Sehnsüchte. Getaucht in leere, ästhetizistische Bilder, mit seiner eigenen Schönheit hadernd, entsteht ein packender, Science Fiction Thriller, ein spannendes humanistisches Drama, dass seine eigene Schönheit reflektiert und immer in den Kontrast zum Menschen setzt, der hier letzten Endes doch ganz und gar im Mittelpunkt steht.

Cube [Vincenzo Natali]

(Kanada 1997)

Ein ungewöhnliches Kammerspiel bietet der Low Budget Science Fiction Mysterythriller Bastard Cube:  Mehrere Menschen, die in einem teuflischen Spiel, einer Reihung von Würfelräumen gefangen sind, ohne zu wissen wieso, ohne zu wissen wie sie herauskommen und was dort draußen auf sie wartet. Natali nutzt diese simple Disposition, um einen spannenden Hybriden aus High Tech Horror und menschlichem Drama zu entwerfen; irgendwo zwischen Sartres „Geschlossener Gesellschaft“, einer kafkaesken Parabel und Torture Horror im Universum eines Philip K. Dick funktioniert Cube ebenso als surreale, metaphorische Groteske wie als knallharter Mysteryschocker mit Science Fiction Komponente. Intelligent, nervenzerfetzend, sezierend (auf die eine oder andere Weise) und großartige unheimliche Sci-Fi-Unterhaltung.

Starship Troopers [Paul Verhoeven]

(USA 1997)

Wie war das nochmal? Satire darf alles? Auch Spaß machen? Genau das macht nämlich Paul Verhoevens vollkommen überdrehter Science Fiction Actioneer „Starship Troopers“. Anhand der denkbar simpelsten Ausgangssituation, dem intergalaktischen Kampf Mensch vs. Insekt, entwirft Verhoeven ein buntes, lautes, brutales und dreckiges Spektakel zwischen Kriegsfilm, Actionreißer und Science Fiction Splatter und hat einen Mordsspaß bei der Zerlegung des Genres und des zur Verfügung stehenden Menschenmaterials. Und ja, Starship Troopers ist (im Gegensatz zur Vorlage) in erster Linie ein großes Vergnügen, ein Actiongeballer, ein Gemetzel… aber ja, der Subtext ist da, plakativ, sarkastisch, mit dem Holzhammer aber auf Metaebene 3 oder 4 dann doch sogar irgendwie subtil. Das Spiel mit faschistoider Symbolik, Kriegstreiberei und so weiter ist nämlich herrlich konsequent in seinen Bildern: Derb, militant, mit einem blauen Auge, das zwinkert und gleich darauf noch eins auf die Fresse kriegt… oder so ähnlich. Eine bissige Antiantianti-Satire, und vollkommen unabhängig davon auch tatsächlich nur ein herrliches Exploitation- und Splatterspektakel, das in erster Linie – und das sollte nicht vergessen werden – in seiner eigenen Verderbtheit höllisch Spaß macht.

Godzilla vs. Destoroyah [Takao Okawara]

(Japan 1995)

Spaß machen die ganzen japanischen Godzilla-Filme auch. Das steht außer Frage. Das sie meistens billiger Trash sind ebenso wenig. Und so einer soll zu den besten Science Fiction Filmen der 90er gehören? Klar, wer mit der Godzilla-Franchise nichts anfangen kann, wird auch hier seine Probleme haben. Wie alle anderen Filme der Reihe hat „Godzilla gegen Destoroyah“ einen nicht zu leugnenden B-Movie-Faktor: Eine krude Geschichte um atomare Strahlung, mutierende Organismen und Godzilla als Retter des Tages, viel Kitsch und Pathos, herrlich simple Actionszenen… aber der letzte Teil der Heisei-Reihe (Godzillafilme der 80er und 90er) hat noch mehr zu bieten. Eine authentisch tragische Komponente, die Metapher vom sterbenden Giganten, den Kampf Mensch gegen Monster und zugleich Mensch mit dem Monster, die Ahnung einer Wachablösung und die Verschmelzung von Tradition und Erneuerung. All das macht „Godzilla vs. Destoroyah“ zu einem bemerkenswerten Science Fiction Spektakel und einem gewitzten – und zugleich epischen – Abgesang auf die letzten großen japanischen Monsterfilme.

Total Recall – Die totale Erinnerung [Paul Verhoeven]

(USA 1990)

Jepp! Der brutale, unter Adrenalin (und Testosteron) stehende Science Fiction Actioneer „Total Recall“ könnte ebenso gut bei den besten Actionfilmen der 90er Jahre auftauchen. Nicht nur weil Arnold Schwarzenegger mitspielt, sondern auch weil er tatsächlich verdammt viel Action zu bieten hat. Paul Verhoevens düstere Mars-Saga hat aber auch weitaus mehr zu bieten. Das liegt vor allem an dem intelligenten Plot um falsche Erinnerungen, die Suche nach sich selbst und die wenig subtil dargestellte Unterdrückung eines ganzen Volkes aus ökonomischen Erwägungen. Nach einer Vorlage von Science Fiction Mastermind Philip K. Dick (Blade Runner) zelebriert er diese Themen genüsslich durch, ohne dabei den Unterhaltungsfaktor zu vernachlässigen. Nebenbei schüttelt er dann noch den ein oder anderen grandiosen Mindfuck-Moment aus dem Ärmel, spart nicht an skurrilen, morbiden bis düsteren Bildern und gibt sich schamlos großem epischen Pathos hin. Ein perfekt bebilderter Bastard aus Science Fiction, Mystery und Big Budget Action: laut, spannend, bombastisch und zugleich raffiniert und intelligent. Einer der besten Arnie-Actioneers überhaupt.

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Erstveröffentlichung: 2011