Blade Runner 2049 (2017) – Reminiszenz und Neuorientierung

Blade Runner (1982) gehört nicht zu den Filmen, von denen – über 30 Jahre nach Veröffentlichung – unbedingt eine Fortsetzung zu erwarten war. Ridley Scotts Film nach einem Roman von Philip K. Dick war zwar seit jeher Feuilletonliebling und war auch zu seinem Release durchaus erfolgreich, er war aber nie Megablockbuster oder Publikumsmagnet. Dafür war sein Stoff zu mainstreamuntauglich, seine Inszenierung zu düster und tragisch, sein Setting zu dystopisch und seine narrative Grundhaltung zu abstrakt, philosophisch und symbolisch. So sehr dieser Umstand eine Fortsetzung unwahrscheinlich machte, so sehr befreit es genau diese, Blade Runner 2049 (2017), von all jenem Ballast, den die Remakes/Reboots/Fortsetzungen der letzten Jahre mit sich herumtragen mussten. Blade Runner 2049 muss sich nicht an ein Mainstreampublikum anbiedern, da dieses ohnehin kein großes Interesse an seinem Stoff hat; Blade Runner 2049 muss nicht die zähnefletschenden Nostalgiker und Nerds im Auge haben, da diese in der Regel an anderen Franchises dranhängen; und Blade Runner 2049 muss nicht familienfreundlich sein, da er wohl kaum als Vorlage für coole Actionfiguren und Kinderspielzeug herhalten kann. Unabhängig davon wurde Blade Runner 2049 – auch wenn es schmerzt das zu sagen – von noch einem zusätzlichen Ballast befreit: Ridley Scott. Der zweifellos legendäre Regisseur hatte in den letzten Jahren wohl einmal zu oft kein gutes Händchen bei seinen Inszenierungen und hat mit Prometheues und Alien bewiesen, dass er mehr als jeder Jungspund in der Lage ist, seine eigenen Stoffe mit kruden Prequels zu verhunzen. In Blade Runner tritt er auf den Executive-Producer-Platz zurück und überlässt Denis Villeneuve das Regiezepter, der mit Arrival (2016) auch schon einen philosophischen Science Fictioneer in seinem Portfolio aufweisen kann. Und Villeneuve versucht dann auch beides zu schaffen, dem Original treu zu sein und etwas wirklich Eigenständiges zu schaffen. Reminiszenz und Neuorientierung. Beides findet sich im neuen Blade Runner, im Guten wie im Schlechten.

Neuorientierung: Blade Runner 2049 spielt 30 Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils. Seine Prämisse bezieht sich dabei nicht nur auf Ridley Scotts Epos sondern auch auf spätere Ereignisse, die in den drei Kurzfilmen Black Out 2022, 2036: Nexus Dawn und 2048: Nowhere to Run (alle 2017) erzählt wurden. Mit so viel narrativer Kadrage fällt es ihm nicht schwer, sich erzählerisch deutlich vom Original abzuheben. Im Mittelpunkt steht der Replikantenjäger K. (Ryan Gosling), der wie die von ihm Gejagten selbst ein künstlicher Mensch ist. Im Gegensatz zu den alten Modellen, die ausgeschaltet werden sollen, ist K. aber deutlich folgsamer und genügsamer und erledigt die Mordaufträge seines Lieutenant (Robin Wright) mit einem melancholischen Stoizismus. Dieser K. ist anders als Rick Deckard (Harrison Ford), der Protagonist des ersten Teils, der in diesem Film auch wieder auftauchen wird. Deckard war ein zynischer Privatermittler, der kein Mitleid mit seinen Opfern kannte. Deckard war auch eine schwer zu durchschauende Figur (wohl ein Grund, warum er im Original noch einen Voice Over spendiert bekam); der Typ von Detektiv, der seine Gefühle immer so weit zurückhielt, dass selbst das Publikum sich keinen so rechten Reim aus ihm machen konnte. Er war nicht unsympathisch, aber auch nie ein echter Sympathieträger. Dazu war er einfach zu kalt, zu professionell und zu ich-bezogen. Ganz anders K., der trotz seiner Künstlichkeit von Beginn an weitaus menschlicher wirkt als sein Ahne. Auch K. ist professionell, aber trotz seiner Effizienz beim Töten der künstlichen Artgenossen, schwenken in seinem fragenden, traurigen Blick auch immer Skrupel mit. K. will von Anfang an mehr sein als bloß eine ausführende Maschine. In seinem gemütlichen zu Hause hat er sich eine Hologrammfreundin namens Joi (Ana de Armas) installiert, mit der er eine Art virtueller Ehe zelebriert; inklusive kleinerer und größerer Annehmlichkeiten, mit der er sie versorgt.

Reminiszenz: Das Los Angeles, in dem K. lebt ist der selbe Moloch wie das Los Angeles des Films Blade Runner. Die einzigen Farbtupfer in den engen, dunklen Gassen liefern die überdimensionalen Leuchtreklamen, die Straßen und Himmel erleuchten. Denis Villeneuve gelingt es, dieses Los Angeles, 30 Jahre nach dem dystopischen L.A. des ersten Teils, plausibel und einfühlbar zu gestalten. Das ist alles andere als einfach. Was 1982 eine kühne Zukunftsvision war, geht heute nur noch als Retro-Science-Fiction durch. Und genau dort setzt Villeneuve auch an. Er versucht gar nicht erst, das Zukünftige des damaligen Szenarios mit den tatsächlichen Entwicklungen unserer Zeit zu versöhnen, sondern entwirft eine Zukunft, die eine logische Fortführung der damaligen Zukunft ist. Damit wird die Welt Blade Runners vollends zur Parallelwelt: Nicht zur Parabel, nicht zum Spiegel unserer Zeit, sondern zur fantastischen Fortführung einer surrealen Zukunftsvision. Sowohl ästhetisch als auch narrativ ist Blade Runner 2049 eine konsequente Weiterentwicklung seines Vorgängers: Das Pacing erinnert sowohl in den detektivischen als auch in den actionreichen Szenen frappierend an das Original; inklusive viele Ruhemomente, inklusive traumhafter Einschübe und alptraumhafter Fragestellungen. Blade Runner 2049 versucht nicht SciFi-Blockbuster zu sein, sondern bewegt sich konsequent in den arthausigen Gefilden von Ridley Scotts poetischem Zukunftstrip und negiert dabei auch die sozialen und technischen Entwicklungen unserer Welt des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Blade Runners Zukunftsblick ist auch immer ein Blick zurück, ein Griff zu dem, was die Vorlage ihm aufdeckt.

Neuorientierung: Das betrifft jedoch nicht das Genre, in dem der Film sich einnistet. Im Gegensatz zum 82er Blade Runner ist der 2019er Wurf kein Neo Noir Thriller. Während Blade Runner sich im urbanen Raum abspielte und mit seinen zahllosen Schatten und Lichtspielen immer auch ein Detektivfilm der alten schwarzen Schule war, bricht Blade Runner 2049 aus dem städtischen Raum aus. Bei einem seiner Aufträge entdeckt K. auf einer einsamen Farm die längst verrottete Leiche einer Replikantin. Diese Leiche offenbart etwas unfassbares: Die Replikantin war schwanger, der künstliche Mensch hat sich fortgepflanzt und damit jeden Unterschied zu den realen Menschen eingeebnet. K. soll das so geborene Kind finden und – wenn es nach seinem Lieutenant geht – wie einen Replikanten ausschalten. Diese Suche findet aber nicht im schattigen Los Angeles statt, sondern führt nach draußen in die weite Welt. Wir sehen Farmen, auf denen Millionen Käfer für den Proteinnachschub der Städte gezüchtet werden. Wir sehen riesige Müllkippen außerhalb der Metropole, wir sehen Labore, in denen farbenfrohe Erinnerungen für die Replikanten geschaffen werden, und schließlich sehen wir ein radioaktiv verseuchtes, apokalyptisches Speergebiet, das einst Las Vegas war. Wo Blade Runner den Blick auf die detektivischen Ermittlungen in der verdorbenen Stadt verengte, wird der Nachfolger zur epischen Erzählung des Außerhalb. Blade Runner 2049 hat eine Menge Welt zu erzählen, gerade die Welt, die als offene weiße Stelle im Original unerzählt geblieben ist.

Reminiszenz: Und davon gibt es viel. Gerade in seiner zweiten Hälfte ist Blade Runner 2049 äußerst eifrig darin, offene Fragen des Originals aufzugreifen, zu beantworten oder wenigstens erneut zu stellen. Leider wird der Film jedoch immer dann am schwächsten, wenn er sich nicht traut, als eigenständiges philosophisches Science Fiction Werk dazustehen, sondern Referenz- und Reminiszenzraum für seinen Vorgänger sein will. Er nimmt dann seine offene Fäden und bemüht sich viel zu sehr, diese mit den offenen Fäden von Scotts Werk zu verbinden. Manche der daraus entstehenden Knoten wirken derart forciert, dass es fast scheint, als hätte der Executive Producer den Regisseur gezwungen, mehr zu knüpfen, mehr zu stricken, mehr zu nähen und mehr zu verknüpfen. Selbst die Referenzen, die bewusst lose gehalten werden, wirken dann forciert, selbst die offenen Fragen, deren Beantwortung sich 2049 radikal entzieht, werden wieder aufgebreitet und selbst ihr Nichtbeantworten wird zelebriert. Sobald Blade Runner 2049 sich um Tradition bemüht, kommt er nicht traditionell sondern viel mehr regressiv daher. Das betrifft nicht nur seine Struktur, sondern auch sein Gesellschafts- und insbesondere sein Frauenbild: Im Grunde genommen kann man ihm daraus keinen Vorwurf machen, arbeitet er doch mit genau jenen Topoi, Tropes und Klischees, die sich bereits in der 1982er Version finden. Frauen finden bei Blade Runner 2049 kaum als handelnde Protagonistinnen statt und viel mehr als passive Besitztümer, Prostituierte, himmlische Projektionen oder im besten Fall ausführende Assistentinnen. Mit der von Robin Wright verkörperten Joshi gibt es zwar eine starke, aktiv handelnde Protagonistin, aber diese bleibt die gesamte Laufzeit verkürzt auf ihren knappen, scharfen Befehlston und ihren unbedingten Willen die tradierte Ordnung zu wahren.

Auch in der Darstellung dieser tradierten Ordnung, in seinem generellen Gesellschaftsbild orientiert er sich an der Vorlage, schafft es aber nur dessen kleinen gemeinsamsten populistischen Nenner ins 21. Jahrhundert zu retten: Die einfachen Menschen (und Replikanten), die im urbanen Moloch oder der peripheren Einöde dahinvegetieren müssen, werden der (natürlich) durchtriebenen, machtverwöhnten Elite gegenübergestellt. Das Gesellschaftsbild von Blade Runner 2049 ist ein unterkomplexes Zerrbild sozialer Fragestellungen. Dass die oben – ganz gleich ob politische oder ökonomische Elite – eine Bedrohung darstellen, ist ausgemachte Sache, dass das System von individuellen Monstern am Leben gehalten wird eine Selbstverständlichkeit. Die Kontrolle haben abwechselnd der machtbesessene Konzernchef Wallace, verkörpert von Jared Leto, und die opportunistische Staatsgewalt verkörpert durch Robin Wright. Grautöne dazwischen gibt es kaum welche. Ungerechtigkeiten und soziale Schieflagen werden radikal personalisiert, wenn der Böse stirbt, stirbt mit ihm auch das Böse. Für eine komplexe Gesellschaftsdystopie kommt dieser Blade Runner erschreckend eindimensional und unterkomplex daher.

Neuorientierung: Was jedoch im Gesellschaftsbild misslingt, gelingt ihm dafür famos im Bild des Individuellen, ganz gleich ob Mensch oder Replikant. Von seiner oberflächlichen Sozialkritik weg schwebt Blade Runner 2049 zur Introspektion und vollführt dabei einen kraftvollen Perspektivwechsel. War es im Original noch die Fragen Bin ich Mensch oder Maschine? Was unterscheidet die Maschinen überhaupt von mir?, wagt sich das Sequel in das Innere der Künstlichkeit vor. In seinem Kern und in seinen besten Momenten ist Villeneuves Film die Innenschau eines Replikanten. Im Laufe der Geschichte beginnt K. sein eigenes Sein infrage zu stellen, nicht jedoch unter der pessimistischen Prämisse des Deckards aus Teil 1, sondern als hoffnungsvolle Neuorientierung unter dem Gesichtspunkt: Wie viel Mensch steckt in mir, der ich doch durch und durch künstlich bin?. Die Antworten, die darauf gegeben werden sind ebenso gewagt wie ambivalent. So konservativ und eindimensional Blade Runner 2049 in seinem gesellschaftlichen Blick ist, so virtuos und subversiv ist er in seiner Personenschau. Natürlich wird, so wie die Echtheit Deckards im Laufe des Films auch die Künstlichkeit K.s in Frage gestellt. Im Mittelpunkt steht allerdings zu keinem Zeitpunkt die Frage des Ob sondern viel mehr die Frage des Wie. Ob K. nun Replikant, Mensch oder irgendetwas dazwischen ist, ist zweitrangig. Die Grenzen wurden längst verschoben oder gar ganz nivelliert. Künstlichkeit und Echtheit wird in Blade Runner immer als Spektrum dargestellt. Konsequenterweise gibt es kaum noch physische Hinweise auf die Beschaffenheit der Replikanten als Replikanten, und wenn diese auftauchen zeugen sie von menschlicher Grausamkeit, wie die Seriennummern, die wie KZ-Analogien den Replikanten von ihren Herrschern eingebrannt wurden. Künstlichkeit ist in Blade Runner 2049 kein finaler Zustand, die Frage nach Authentizität keine, die in ein binäres Schema gepresst werden kann. In Villeneuves Zukunftsvision haben sich die künstlich Erschaffenen von ihren Schöpfern emanzipiert, indem sie selbst zu Schöpfern geworden sind. Spätestens im finalen Plottwist wird deutlich, wie ambivalent Blade Runner 2049 die individuelle Seinsfrage seines Vorgängers beantwortet, wie radikal er sich gesetzten Kategorisierungen entzieht.

Neuorientierung und Reminiszenz. Im Guten wie im Schlechten. Blade Runner 2049 ist ein Film mit einigen Schwächen, mit einigen Stolperern und mit einigen Fehltritten. Aber er ist ein großer Film, mit vielen Schauwerten, einem unfassbar dichten Szenario und individuell philosophischen Fragestellungen, die ihm eine gehörige Tiefe geben und die Oberflächlichkeit seines gesellschaftlichen Entwurfs ohne Zweifel ausgleichen. Ein herausragender eigenständiger Film, der oft ins Schlingern kommt, wenn er zu sehr Fortsetzung sein will. Eine würdevolle Fortsetzung, gerade an den Punkten, an denen sie sich mutig vom Original abhebt.

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