Die besten Detektivkrimis und Noir-Thriller der 70er Jahre
Nachdem wir uns in den letzten beiden Retrospektiven mit den offiziellen, staatlich legitimierten Ermittlern und Verbrechensbekämpfern im Kino der 70er Jahre auseinandergesetzt haben, kommen wir in dieser Bestenliste zu den Privatermittlern. Tatsächlich haben privat ermittelnde Detektive deutlich mehr Filmgeschichte auf dem Buckel als Polizisten, waren sie doch vor allem im Film Noir der 30er, 40er und 50er Jahre DIE beliebten Thriller- und Krimihelden schlechthin. Natürlich lässt sich zweifellos an dieser Stelle argumentieren, dass nicht jeder Detektivfilm automatisch ein Streifen der schwarzen Serie ist; und ebenso müssen Noir Thriller nicht grundsätzlich Detektivgeschichten sein. Beliebten Themen und Motiven des Noir-Films werden wir auch in Thrillern auf den kommenden Bestenlisten antreffen, und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sich der ein oder andere Ermittlerkrimi, der eigentlich hier stehen könnte, in eine andere Liste verirrt hat. In diesem Sinne, mit der Brüchigkeit und Unvollständigkeit, die eine Kategorisierung wie Film Noir mit sich bringt, folgen die besten Detektivkrimis und Noir-Thriller der 70er Jahre. In Der Tod kennt keine Wiederkehr zerstört Robert Altman den klassischsten aller Noir-Detektive Philip Marlowe, während Dick Richards ihm in Fahr zur Hölle, Liebling ordentlich Tribut zollt. The Late Show spinnt aus den schwarzen Zutaten einen überraschend vergnüglichen Seniorenkrimi und Die heiße Spur geht psychologisch äußerst feinfühlig dabei vor, das stereotype Bild des einsamen Wolfes als Ermittler neu zu justieren. Etwas klassischer, düsterer und zynischer kommt da schon Chinatown daher. Dieser radikalisiert aber mit Mitteln des New Hollywood die Konzepte der schwarzen Serie, dass er auch mehr als bitterer Abgesang denn traditioneller Krimi daherkommt. Bringen wir es auf den Punkt: Die besten Noir Filme der 70er Jahre haben das Genre destruiert, dekonstruiert und auf komplett neue Pfade gelenkt. Ohne Übertreibung kann die Dekade auch als die Geburtsstunde des Neo Noir bezeichnet werden, der in den darauffolgenden Jahrzehnten noch einige große Thriller zustande bringen sollte.
Der Tod kennt keine Wiederkehr [Robert Altman]
(USA 1973)
Es gibt wohl kaum einen bekannteren Noir-Detektiv als den von Raymond Chandler in sieben Romanen und zahllosen Kurzgeschichten porträtierte Philip Marlowe. Ein teilweise heruntergekommener, aber immer durchsetzungsstarker Privatdetektiv, der es in einer verkommenen, korrupten Welt mit Recht und Gesetz auch nicht so genau nimmt, während er sich mit Killern, Betrügern und Femmes Fatales herumschlägt. Humphrey Bogart, Robert Mitchum, James Garner… die Ehrenliste an hochrangigen Schauspielern, die den ruppigen amoralischen Ermittler verkörpert haben, ist lang und beeindruckend. Etwas aus der Reihe tanzt in dieser Riege Elliott Gould, der den Marlowe 1973 in Robert Altmans The Long Goodbye (so der Originaltitel von Der Tod kennt keine Wiederkehr) verkörpern durfte. Der trotz aller Abgefucktheit immer gerissene, meistens überlegene Detektiv bekommt ihr eine absurde Frischzellenkur verpasst. Gold spielt ihn als tollpatschigen, manchmal ziemlich dummen, manchmal ziemlich larmoyanten, manchmal ziemlich schmierigen Ermittler, der mitunter in seinem Job und in der zynischen Welt, in der er lebt, komplett fehl am Platze wirkt. The Long Goodbye ist Heldenzertrümmerung par Excellence: Respektlos, gehässig, spöttelnd. Aber er ist eben auch ein markiger, knochiger Thriller, dem es äußerst gut gelingt seine fast satirische Herangehensweise an den Protagonisten mit ziemlich vielen klassischen Noir-Momenten zu kreuzen: Die Bösartigkeit ist da, der Pessimismus ist da, die Gewalt und der Zynismus sind da. Das hat nachvollziehbarerweise viele Genreliebhaber zutiefst irritiert, teilweise sogar erbost, und bis heute wird der Film von der Kritik mit Ratlosigkeit und Kopfschütteln betrachtet. Dabei ist er so etwas wie ein Zerrbild des glorifizierenden Marlowe-Pulp-Filmchens, ein Destillat der unschönen Seiten des Detektivs, eine Reduktion der Ikone auf ihre Unvollkommenheit. Und das Ganze auch noch gekreuzt mit einem wirklich soliden, deftigen Krimiplot. Der Tod kennt keine Wiederkehr ist ein Klassiker des Neo Noir, ein Film der wie sein Held deutlich mehr Liebe verdient, als er in den letzten 50 Jahren erhalten hat.
Fahr zur Hölle, Liebling [Dick Richards]
(USA 1975)
Als wolle er Robert Altman zeigen, wie man dem klassischen Detektiv Philip Marlowe Tribut zollt, inszenierte Dick Richards mit Farewell, My Lovely zwei Jahre nach der Altmann’schen Genredekonstruktion einen Noir Thriller mit Marlowe (gespielt von Robert Mitchum), der wirklich alle Ingredienzen aufweist, die zum Genre der Schwarzen Serie gehören: Ein raubeiniger Detektiv, der es mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt, eine verkommene Gangster- und Ganovenwelt in den 40er Jahren, Femmes Fatales, Lügner und Betrüger und sogar trockene innere Monologe gibt es in diesem Film zu finden, der sich so eng an die Marlowe-Filme der 30er und 40er Jahre anlehnt wie kein anderer Film des Jahrzehnts. Indem er auf jede Form der Dekonstruktion oder Destruktion verzichtet, hat Fahr zur Hölle, Liebling (der deutsche Titel hätte schlimmer aber auch besser ausfallen können) eine Menge Zeit und Energie, die schwarze Serie nicht nur zu feiern, sondern auch zu perfektionieren. Mit seiner hervorragend arrangierten Geschichte, seinen schwülstigen Bildern und zu einem stilsicheren Marlowe gehört er zu den rundesten und glänzendsten traditionellen Noir-Streifen, nicht nur was die 70er Jahre sondern auch alle Dekaden zuvor betrifft. Farewell, My Lovely ist die beste Werbung für das Genre, ist Hommage und Verbeugung, aber auch ästhetischer Fingerzeig und mitreißender Crime Pulp Film. Traditionspflege in Vormvollendung und dennoch ein verflucht guter dreckiger Krimibastard.
Die heiße Spur [Arthur Penn]
(USA 1975)
Regisseur Arthur Penn zählt Dank seines Meisterwerks Bonnie und Clyde (1967) zu den Gründervätern und Ikonen des New Hollywood. Einer der Regisseure, die dem Medium gegen Ende der 60er und in den frühen 70ern einen ordentlichen und notwendigen Arschtritt verpassten und Filme schufen, die bis heute zum besten zählen, was das amerikanische Kino vorzuweisen hat. Umso überraschender, dass er sich mit Night Moves einem durch und durch klassischen Hollywoodgenre annimmt. Und noch überraschender, hat auch er, wie Dick Richards, eine Menge Respekt für das Film Noir Genre. Hier gibt es alles, was schon dreißig Jahre zuvor schwarze Thriller ausgezeichnet hat: Ein verworrenes, aber perfekt gelegtes Puzzle, das zusammengesetzt große Storytelling-Kunst erkennen lässt, einige wirklich düstere, halsbrecherische Plottwists und einen ebenso sympathischen wie ambivalenten Detektiven, verkörpert von einem gut aufgelegten Gene Hackman. Dieser wird nicht als tougher, hartherziger Ermittler inszeniert sondern als realer Mensch, mit Schwächen und privaten Problemen, die im Gegensatz zu den Genrebrüdern nicht konstruiert und forciert wirken, sondern stets glaubhaft und authentisch daherkommen. Dadurch gelingt ihm etwas, was viele Noir und Neo Noir Krimis vermissen lassen: Er weckt wirklich Sympathie für seinen Protagonisten, der weder Held noch Antiheld sondern einfach nur Mensch ist. Auch die anderen Charaktere bekommen sichtlich mehr Ambivalenz, als man von dem Genre gewohnt ist. Garniert werden die Psychospielchen mit vielen klassischen Murder Mystery Anleihen, kauzigem Humor und sachte eingeflossenen Actionsequenzen. Die heiße Spur ist zwar kein radikaler Genreerneuerer, aber ein Film, der sich innerhalb der Grenzen des Genres perfekt entfaltet, und nicht nur eine spannende sondern auch immersive, emotional bewegende Geschichte erzählt.
Die Katze kennt den Mörder [Robert Benton]
(USA 1977)
Argh, was hat es nur mit all diesen merkwürdigen Titel-Eindeutschungen auf sich? Offensichtlich trauen sich Noir Filme nicht ihre Originaltitel beizubehalten und versuchen stattdessen möglichst originelle neue Titel für die Kinoauswertung hierzulande zu finden. Die Katze kennt den Mörder schießt dabei wirklich den Vogel ab. Umso unverständlicher, weil der Originaltitel The Late Show perfekt zum Main Gimmick dieser Murder Mystery Detektivkomödie passt. Für den Ermittler Ira (gespielt von Art Carney) handelt es sich nämlich tatsächlich um eine Late Show, um den vermeintlich letzten Fall eines alten Kerls, der seine beste Zeit längst hinter sich hat. The Late Show inszeniert dieses Abschiedskonzert aber nicht mit Verbitterung, Melancholie oder Zynismus, sondern mit purer Lebens- und Ermittlerfreude. Das liegt nicht zuletzt an der fantastischen Lily Tomlin, die als Partnerin und zugleich auch irgendwie Widersacherin des Protagonisten für wundervolle Momente sorgt. Nicht nur, dass die Chemie zwischen ihr und Carney perfekt ist, mit ihrer kauzigen, schrägen Art sorgt sie auch für zahllose Screwball-Momente, die die spannende Krimihandlung immer wieder in komödiantische Fahrwasser lenken. So wird Die Katze kennt den Mörder zum spaßigen Seniorenkrimi, der in seinen ärgsten Momenten fast wie eine Parodie auf Topoi des Genres wirkt. Er nimmt sich nie zu ernst, dabei aber immer ernst genug, um einen tollen, raffinierten und superb unterhaltsamen Noir-Krimi der etwas herzlicheren Art abzugeben.
Chinatown [Roman Polański]
(USA 1974)
Wenn von den besten Detektivfilmen der 70er Jahre geredet wird, dauert es meist nicht lange, bis Roman Polańskis Chinatown erwähnt wird. Kein Wunder, gelingt es doch keinem anderen Noir Streifen der Dekade so gut, Traditionalismus mit Progress zu kreuzen: Vordergründig ist Chinatown ein Noir Film der alten Schule: Nicht nur die nostalgischen Credits verweisen auf die Genre-Ursprünge, sondern auch die wesentlichen Plotpoints: Das Hineinstraucheln des Protagonisten (gespielt von einem fantastischen, jungen Jack Nicholson) in einen düsteren Komplott, Betrug, Mord, eine Femme Fatale und jede Menge moralisch fragwürdiger Charaktere. Und dann fängt Chinatown plötzlich an, aus der Reihe zu tanzen. Die Femme Fatale wird nicht als Archetypus inszeniert sondern erhält eine ganz eigene, dramatische Geschichte mit nachvollziehbaren Motiven; die Welt, in der unser Ermittler hinabtaucht ist keine Welt der Verbrecher und verrauchten Hinterzimmer, sondern eine Welt der Gerichtssäle, der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Die Verschwörungen und Betrügereien, die hier geschehen, sind keine am Rande der Gesellschaft stattfindenden Räuberpistolen, sondern sind der Gesellschaft immanente Missstände. Und am Ende geht es dann eben doch weniger um die Lösung eines mysteriösen Rätsels als um die Frage, wie man in einem solchen System, in einer solchen Welt überleben kann. Chinatown ist ein massiver, politischer, düsterer und gehässiger Film, der an den wichtigen, richtigen Punkten aber auch Dramatik und Emotionen findet und in seiner Gesamtheit wohl als der epischste Noir-Film und der wichtigste Wegbereiter des Neo Noir ein essentieller Bestandteil der Filmgeschichte ist.