Die besten Filme 2017: Der Mysterythriller Personal Shopper

Es ist, wie es ist: Wenn du als Schauspieler oder Schauspielerin im falschen Kontext berühmt wirst, hast du es verdammt schwer, dich von diesem zu befreien. Letztes Opfer dieser brutalen Hollywoodweisheit war Kristen Stewart, die durch die Twilight-Saga all die Popularität erlangte, die man als Schauspieler – dem das Fach am Herzen liegt – nun wirklich nicht erlangen will. Fortan war sie verschrien als schauspielunfähige Damsel in Distress, die nicht zu viel mehr in der Lage ist als zu starren, auf ihre Lippen zu beißen und hin und wieder zu blinzeln. Dabei hat sie es versucht… oh ja, … und wie sie es versucht hat. Spielte in Folge des Twilight-Erfolges in vielen kleinen Indie-Filmen mit, hatte keine Scham davor, abgefuckt, wild und auch mal im komplettesten Sinne des Wortes nackt zu sein. Nur gebracht hat es ihr lange nichts. Anstatt, wie sie es gottverdammt nochmal verdient hätte, als spannendste Schauspielerin ihrer Generation gefeiert zu werden, musste sie stattdessen für allerlei dumme Memes herhalten oder in „Worst Performance“-Hitlisten auftauchen. Jetzt mal ehrlich, das ist doch scheiße: Kristen Stewart ist nämlich eine großartige Schauspielerin, ich wage es sogar, mich so weit aus dem Fenster zu lehnen und zu sagen, vielleicht die beste Schauspielerin ihrer Altersklasse derzeit; mindestens aber in den Top 10. Sie beherrscht das Spiel mit ihrer inneren Spannung, wie kaum eine zweite; und wer ihr dabei Underacting vorwirft, versteht einfach nicht, wie viel Talent es braucht, nicht zu spielen und dennoch alles zu verkörpern, was die Rolle benötigt. Langsam, ganz allmählich, scheint bei Cineasten durchzusickern, dass Frau Stewart verdammt viel auf dem Kasten hat; und langsam, ganz allmählich, erhält sie in Filmkreisen die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Es ist aber noch ein langer, viel zu langer Weg. Next Step: Personal Shopper (2016) von Cannes-Liebling Olivier Assayas. Und der sollte gleich mal ein paar Dankeszeilen an Kristen aufsetzen. Denn ohne sie wäre dieser Film doch ziemlich aufgeschmissen.

Kristen Stewart verkörpert hier Maureen, und man weiß nie, ob diese Maureen nun elfenhaftes Wesen, unberechenbarer Punk oder berechnende Glücksritterin ist. Vielleicht von allem ein bisschen. Maureen selbst scheint es auch nicht so recht zu wissen. So wie der Film durch seinen undichten, fragmentierten Plot mäandert, fährt Maureen scheinbar ziellos auf ihrem Motoroller durch Paris. Manchmal hat sie tatsächlich ein Ziel, manchmal scheint sie nur um des Fahrens Willen zu fahren. Maureen ist Personal Shopper, sprich, sie ist persönlich für die Einkäufe des Supermodels Kyra verantwortlich. Aber eigentlich hat sie natürlich andere Pläne: Kontakt mit den Toten aufnehmen, vor allem mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder. Zumindest ein kleines Zeichen erhofft sie von ihm Dank ihrer übernatürlichen Begabung erhalten. Oder weiß sie insgeheim vielleicht doch, dass sie nur eine Scharlatanin ist, oder noch schlimmer, eine Närrin? Kristen Stewart gelingt es, ihrer Figur all dies mit auf den Weg zu geben, ohne es jemals auszureizen. Es ist weniger ihr Spiel als viel mehr ihre Präsenz, die diese Maureen so faszinierend macht. Jede noch so kleine Geste, jede noch so kleine mimische Veränderung scheint ein so viel Mehr an Subtext in sich zu tragen. Mal irrt die Protagonistin desorientiert durch ein kaleidoskopisches Paris, mal trägt sie mit unfassbarem Selbstbewusstsein Konflikte mit der Geisterwelt aus. Oft scheint sie nur Getriebene zu sein, die zwischen weltlichen und jenseitigen Kräften hin und her geworfen wird. Dann wieder übernimmt sie die Handlungsmacht und führt Film und Publikum an Orte, mit denen nicht zu rechnen war. Es steckt – obwohl wir ihr auf Schritt und Tritt folgen – immer etwas Geheimnisvolles, Unnahbares in dieser Maureen, verborgen unter ihren übermüdeten und zugleich hellwachen Augen, überspielt von ihren nervösen Ticks und ihrer sozialen Unsicherheit.

In dem Paris, dass die Protagonistin durchschreitet, ist nicht die Geisterwelt das Bedrohliche. Eher im Gegenteil. Es scheint fast so, als wolle sie, als wolle der Film mit Hilfe der Geisterwelt die Wirklichkeit austreiben. Als sei diese groteske Gossip-Welt zwischen Schein und Sein, zwischen Betrug und Konsum, zwischen Berechnung und Irrsinn der eigentliche Dämon, der eigentliche Fremdkörper. Maureen ist eine Wandlerin zwischen den Welten und muss weitaus stärker im Hier und Jetzt verankert, als sie eigentlich möchte. Die seltsamen digitalen Nachrichten, die sie auf ihr Handy erhält; vielleicht ein Schatten des Jenseits‘, vielleicht ein Hoffnungsschimmer aus dem Traum auszubrechen, vielleicht aber nur ein brutales Störfeuer der Gegenwart. Irgendwann geschieht auch ein Mord, aber auch dieser ist nur ein beiläufiger Moment in dieser Geschichte. Man könnte vermuten, Maureen würde jetzt zur Detektivin oder zu Gejagten, aber sie wird einfach weiter durch die Nacht getrieben, so wie Personal Shopper in seiner ziellosen Handlung weiter durch die Nacht getrieben wird.

Mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem wirklichen Drama erinnert Personal Shopper nicht selten an Michelangelo Antonionis Blow Up (1966). Was in diesem Klassiker die Fotografie war, als fantastische, irreale und zugleich realere Widerspiegelung der Wirklichkeit ist in Personal Shopper die Seance. Das Jenseits soll die Antworten geben, die die uns die Realität vorenthält. Für klare Antworten ist die Großstadt, in der sich Maureen bewegt, zu verloren, zu konfus und zu entglitten. Die Kamera schwebt ebenso wie die Handlung orientierungslos durch den Raum, versucht Wahrheit einzufangen und scheitert immer wieder daran. Die exzellente Arbeit von Kameramann Yorick Le Saux reflektiert ihre eigene Ohnmacht gegenüber klaren Aussagen. Spätestens, wenn sie in den Seancen – oder eher Seance-Versuchen – ganz nah heran rückt an Kristen Stewart, begreifen wir, dass sie viel mehr weiß, viel mehr sieht, als wir sehen könnten. Der Film als eine Widerspiegelungsform der Realität gesteht ganz offen seine Unfähigkeit eine andere Widerspiegelungsform der Realität abzubilden. Was bleibt, sind Bilder, die selbst von der Filmhandlung entfremdet sind. Antworten dürfen wir nicht erwarten.

Die einzige Antwort bleibt die Präsenz und Performanz von Maureen; in all ihrer Ambiguität. Ja, in diesem Jenseits existieren Antworten, und wir dürfen sie auch mit ihr wahrnehmen, einen Blick darauf erhaschen, was ihre Perspektive auszeichnet. Personal Shopper ist ein Film, der sein spirituelles Moment tief umarmt, er will sich darin nicht nur als gläubig sondern auch als allwissend offenbaren, und begegnet in dieser Attitüde seinem Publikum mit einer gehörigen Portion Arroganz. Tatsächlich wäre dieser Geisterfilm – der kein Geisterfilm sein will sondern viel lieber Geistfilm – damit zum Scheitern verurteilt, würde ihn Kristen Stewart nicht mit ihrer unprätentiösen Präsenz retten. Was sie sieht, lässt sie nie zu einer Aufgeklärten oder Erleuchteten werden. In ihrem Blick, in ihrem Handeln bleibt immer ein Fragezeichen, derart radikal, dass sie das Geschehen gar mit einer Frage beenden darf. Auch wenn der Film uns so verzweifelt versucht deutlich zu machen, dass er mehr weiß, siegt seine unsichere Protagonistin über seine arrogante Sicherheit. Die Figur der Maureen rettet den Film nicht nur, sie liegt auch in einem ständigen Clinch mit ihm. Ihr bewusstes Nichtwissen siegt über das vermeintliche Wissen des Geschehens. Niemand anderes als Stewart könnte diese Spannung, diesen Zwist derart gekonnt in Szene setzen. Selbst als sie vom Erzähler am Ende umarmt wird, sträubt sie sich mit ihrem letzten Blick gegen diese Umarmung. Das Fragezeichen ist stärker als das finale Klopfen, und diese Kristen Stewart – damit es jetzt auch wirklich die letzten begriffen haben – eine kleine, große Sensation.

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