Eine kleine M. Night Shyamalan Retrospektive: Oder, warum Filmemacher manchmal am besten sind, wenn sie in Fesseln liegen

Im Jahr 1995 präsentierten die Regisseure Lars von Trier und Thomas Vinterberg auf einer Konferenz anlässlich des 100. Geburtstags des Films unter großem Aufsehen der Filmwelt und kulturellen Öffentlichkeit ihr Dogma 95 Manifest. Inhalt waren zehn Gebote, die als Keuschheitsgelübde allen Filmen dieses Labels ein strenges inszenatorisches Korsett anlegten. Sowohl im Ansatz als auch in seiner Ausführung war Dogma 95 ein krasser Bruch mit filmemacherischen Freiheiten und setzte auch im Vergleich zu anderen cineastischen Bewegungen wie der Nouvelle Vague nicht auf einen offenen Rahmen sondern auf knallharte Regeln, die das Heil des neuen Films nicht in der Freiheit sondern in einer selbst auferlegten Gefangenschaft des Filmemachers sahen. Die Filme, die im folgenden nach diesen strengen Richtlinien entstanden, waren zwar keine große Kinorevolution, brachten aber tatsächlich erstaunlich gut funktionierende Meisterwerke hervor, die nicht trotz sondern wegen ihres engen Rahmens in den besten Fällen das Medium komplett neu dachten. Sowohl Von Triers Idioten (1998) als auch Vinterbergs Das Fest (1998) gehören zu den aufregendsten Filmdramen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Im Jahr 1999 – ein Jahr nach der Präsentation des Dogma 95 Manifests – inszenierte der Regisseur und Drehbuchautor M. Night Shyamalan mit The Sixth Sense seine zweite Regiearbeit und feierte damit einen massiven Erfolg. Es ist heute kaum noch vorstellbar von welchem Hype der übernatürliche Mysterythriller begleitet wurde. Mit über 600 Millionen Dollar weltweit spielte er deutlich mehr als das zehnfache seiner Produktionskosten ein und ist quasi im Alleingang für eine Renaissance des Mysterygenres im Mainstreamkino verantwortlich. Aber es ist nicht nur der monetäre Erfolg, der The Sixth Sense so berühmt machte. Dieser Erfolg war nämlich eng geknüpft an eine ungewöhnlich erfolgreiche Mund-zu-Mund-Propaganda, die sich ganz und gar dem Gimmick dieses Films verschrieben hatte: Seinem ungehörigen Plot-Twist (Es folgen Spoiler für alle M. Night Shyamalan-Filme außer Glass (2019)). Jeder wusste darum, dass es zum Ende des Films eine große, unfassbar überraschende Auflösung geben sollte. Und jeder, der mit diesem Wissen in Kontakt gekommen war, tat alles dafür, den Film im Kino zu sehen, bevor ihm dieses Ende verdorben wurde. Tatsächlich ist The Sixth Sense auch so etwas wie die Initialzündung für die im cineastischen 21. Jahrhundert weit verbreitete Spoilerangst. Mittlerweile ist es so, dass selbst bei an Twists armen Filmen (wie denen des Marvel Universums) sowohl vom Publikum als auch von Kritikern sehr penibel darauf geachtet wird, nichts – aber auch wirklich so gut wie gar nichts – zu verraten, was den Sehgenuss trüben könnte. Spoiler zu aktuellen Filmen gelten als Tabu im Diskurs der Filmwelt, wer Spoiler verbreitet kann sich schnell unbeliebt machen und bei vielen Zuschauern existiert geradezu eine schiere Panik davor, zu viel über einen Film zu erfahren, bevor sie die Chance hatten ihn selbst zu sehen. In den 90ern war das noch keineswegs so; und zusammen mit Matrix und Fight Club dürfte The Sixth Sense wohl der Blockbuster sein, der am stärksten diesen Trend in Gang gesetzt hat.

Wir werden auf dieses Gimmick gleich wieder zurückkommen, wollen uns aber erst einmal anschauen, wie es nach dem Überraschungshit mit Shyamalans Karriere und Reputation weiterging. Für kurze – äußerst kurze – Zeit war M. Night Shyamalan die Nachwuchshoffnung des fantastischen Kinos. Nach The Sixth Sense folgte das Superhelden-Antimärchen Unbreakable (2000), das in einer Zeit, in der Superheldenfilme eine miserablen Ruf hatten (Wer sich an zum Beispiel Batman & Robin (1997) erinnert, weiß auch warum) den Superheldenfilm komplett neu dachte und als grimmiges, depressives Drama inszenierte. Auch wenn Unbreakable nicht die Wellen schlug wie sein Vorgänger, so befriedigte er doch die Bedürfnisse der Shyamalan-Jünger; die Bedürfnisse nach mehr Mysterien, nach mehr ruhigem Drama und natürlich nach mehr überraschenden Plot-Twists. Im Jahr 2002 folgte das Ufo-Drama Signs und die Liebe zu Shyamalan ließ schon merklich nach. Viele Fans des Regisseurs feierten auch diesen Hybrid aus Familienporträt, SciFi-Horror und übersinnlichem Märchen, gerade im kritischen Rückblick mag aber dies vor allem der blinden Liebe geschuldet sein, die dem vermutlichen Wunderkind damals entgegengebracht wurde. Von da an jedenfalls ging es steil bergab. Selten zuvor hat sich ein Künstler derart schnell vom Wunderkind und der Nachwuchshoffnung zu einer verlachten und verhöhnten Persona non Grata im Kulturbetrieb entwickelt. Während The Village (2004) noch versuchte das Konzept „Horror mit überraschenden Wende“ ein letztes Mal durchzuexerzieren begab sich Shyamalan im Folgenden auf Pfade, auf denen ihm weder Kritiker noch wohlmeinende Fans folgen wollten. Bezeichnenderweise legte er sich im Märchendrama Das Mädchen aus dem Wasser (2006) auch gleich energisch mit Ersteren an, schaffte es damit aber nur Zweitere massiv zu irritieren. 36% Approval bei Metacritic bzw. 25% bei Rotten Tomatoes dürften hier eine deutliche Sprache sprechen (auch wenn ich Lady in the Water nach wie vor für eine kleine, unterschätzte Perle halte).

Und es geht auch immer noch eine Nummer schlimmer: Die folgenden Filme The Happening (2008), die Auftragsarbeit The Last Airbender (2010) und das Will Smith Desaster After Earth (2013) besiegelten M. Night Shyamalans Ruf einer der – nicht im positiven Sinne – merkwürdigsten Regisseure Hollywoods zu sein. Der Kritiker liebstes Hassobjekt, Kassengift und zudem immer für eine Mischung aus Häme, Spott und manchmal sogar Empörung gut. Vor allem gespottet wurde viel: Über seine grauenhaften Dialoge, über die merkwürdige Schauspielregie, die aus den jeweiligen Akteuren immer nur das schlechteste herauszuholen schien, über den Hang zum esoterischen Kitsch und zu Geschichten, die keiner vernünftigen Struktur folgen. Man kann es nicht anders sagen: Shyamalan war ein Verbrannter, ein Verbannter, dem in der Filmindustrie niemand mehr große Summen für große Projekte zur Verfügung stellen wollte. Hinzu kamen diverse Ausrutscher auf dem ökonomischen (Die impulsive Trennung von Disney im Zuge von Lady in the Water), dem schöpferischen (Die Plagiatsvorwürfe gegen Signs und The Village) sowie dem juristischen Parkett (Der Rechtsstreit mit David Cameron um den Titel „Avatar“ für die Anime-Verfilmung). Tatsächlich war diese Zeit allerdings im Nachhinein betrachtet zumindest nach Box Office Gesichtspunkten keine komplette Katastrophe. The Happening hatte allemal passable Einspielergebnisse, die Legende von Aang war sogar Shyamalans dritterfolgreichster Film. Der Spott der Kritiker, die Ratlosigkeit der Zuschauer und zahllose Negativpreise wie die goldene Himbeere legen allerdings einen düsteren Schatten über diesen Ausschnitt von Shyamalans Karriere.

Umso erstaunlicher, dass ihm vor einigen Jahren ein Comeback gelingen sollte, mit dem in dieser Form niemand gerechnet hatte. The Visit (2015) war ein kleiner, gehässiger Low Budget Found Footage Thriller, der sowohl Zuschauer als auch Kritiker begeistern konnte. Neben der ebenfalls erfolgreichen Serie Wayward Pines (2015) durfte plötzlich wieder Hoffnung bestehen, dass Shyamalan sich wieder fangen und ihm der Weg zurück zu Publikum und Kritikern gelingen könnte. Tatsächlich schaffte er mehr. Split (2016) wurde zum Überraschungserfolg; von Kritikern wohlwollend aufgenommen, vom Publikum geliebt, mit einem deutlich höheren Einspielergebnis als erwartet… und vor allem schlug er einen Bogen zu Shyamalans Frühwerk. Im Schlusstwist offenbarte sich nämlich, dass Split im selben Universum zu Hause ist wie Unbreakable, indem dessen Protagonist (Bruce Willis) einen kurzen Cameoauftritt hinlegte und somit Hoffnung auf ein größeres Shyamalan-Universe wecken durfte, das nun tatsächlich mit Glass seinen mindestens dritten Film spendiert bekommt. Das ist bemerkenswert, insbesondere, da ausgerechnet DER Superheldenfilm Shyamalans – eben Unbreakable – in einer Zeit entstanden ist, als Superheldenfilme und Comicverfilmungen bei weitem nicht den Ruf genossen, den sie Dank des Marvel Universums heute haben. Unbreakable war ein Superheldenfilm in einer Zeit, in der das Superheldenkino am Boden lag: Vor Raimis Spiderman-Reboot, vor Iron Man und Nolans Batman-Wiederbelebung, in einer Zeit der Spawns und Schumacher-Batman-Filme. Und ausgerechnet dieser mutige Anti-Superheldenfilm aus einer Zeit, in der niemand was von Superheldenfilmen wissen wollte, schlägt nun mit der Eröffnung eines Universums einen Bogen über die letzten zwei Filmdekaden, in denen das Blockbuster-Genrekino praktisch von Superheldenfilmen dominiert wird.

Was hat es also auf sich mit diesem M. Night Shyamalan? Warum konnte er in seinem gut zwanzigjährigen Œuvre derart unterschiedliche Reaktionen auf seine Filme verzeichnen? Was macht einen schlechten, beziehungsweise, was macht einen guten Shyamalan-Film aus? Was ist das Geheimnis seines Erfolges und seiner Niederlagen? Ich glaube ich kann diese Frage beantworten; wohlgemerkt, nur für mich, beziehungsweise für all diejenigen, die ähnliche Shyamalan-Filme wie ich favorisieren. Das ist natürlich die Crux an dieser Lebenswerksanalyse. Wenn man zehn Kinogänger fragt, welche Filme des Regisseurs sie mögen und welche sie verabscheuen, erhält man zumindest leicht divergierende Meinungen. Es gibt zwar so etwas wie einen Kritikerkonsens, der The Sixth Sense an die Spitze und The Happening ganz nach unten setzt, aber aus diesem scheren sowohl Kritiker als auch Zuschauer in der Regel aus. Und auch ich mag Shyamalan-Filme, die viele andere Cineasten hassen; und ich bin abgetörnt von einigen seiner Filme, die viele andere Zuschauer lieben. Daher, als eine Art Disclaimer, wenn ich eine „Worst to Best“-Liste der letzten Shyamalan-Filme erstellen müsste, würde die ungefähr so aussehen:

The Last Airbender < The Happening < After Earth < Signs < Split < The Village < The Visit < Unbreakable < The Lady in the Water < The Sixth Sense

…Wobei alles links von Split für mich absolute filmische Katastrophen sind, während Split immer noch unterdurchschnittlich – aber sehbar – ist; und alles ab The Village schon über dem Durchschnitt liegt. Als wirkliches Meisterwerk würde ich nur The Sixth Sense bezeichnen. Aber damit genug der einleitenden Worte. Warum sind The Village, Unbreakable und The Visit und vor allem The Sixth Sense gute Filme (Das Mädchen aus dem Wasser ignoriere ich der Einfachheit halber fürs erste)? Und warum sind The Happening und The Last Airbender solche Katastrophen? Die Antwort liegt nicht in der Zeit ihres Entstehens, auch eine krude Numerologie, wie gerne im Star Trek Filmuniversum bemüht (die sollte übrigens bei Gelegenheit auch mal debunked werden), ist nicht verantwortlich. Und auch die Genre- oder Stoffwahl ist nicht verantwortlich. Die Antwort auf die Frage, was einen guten Shyamalan-Film ausmacht, liegt in einem Wort: Fesseln. The Sixth Sense ist so gut, weil der Regisseur in Fesseln liegt, die Legende von Aang und The Happening sind so schlecht, weil er sämtliche Fesseln abgeworfen hat.

The Sixth Sense ist – und bei all dem Hype um ihn, das war er immer – ein Gimmickmovie: Ein Film der sich ganz und gar seinem Gimmick verschrieben hat, das in dem Fall in dem kongenialen Plottwist liegt. Alles, was in dem Film geschieht, hat sich dem Twist, der ultimativen Storyauflösung, dem epiphanischen Ende unterzuordnen. Dr. Malcolm Crowe ist tot, er ist ein umherirrender Geist, der einzig zu Cole Kontakt aufnehmen kann, da dieser in der Lage ist tote Menschen zu sehen. Dementsprechend sind alle Szenen, in den Crowe auftritt, extrem limitiert in ihren Möglichkeiten. Interaktionen mit anderen Protagonisten und Protagonistinnen dürfen nicht stattfinden, und zugleich darf dies dem Zuschauer auf keinen Fall auffallen, damit er weiterhin von dem großen Plottwist überrascht werden kann. Hier kann M. Night seine ganze Stärke ausspielen, die im Grunde genommen seine Schwäche ist: Dialoge die immer etwas daneben, unorganisch, mitunter geradezu seelenlos, zumindest aber tot wirken. Hier sind sie es im wahrsten Sinne des Wortes. Crowe spricht mit seiner Frau und erhält keine sinnvolle Antwort; er sitzt unangenehm schweigend Coles Mutter gegenüber, bis ihn der Junge endlich aus der Situation erlöst. Jede Interaktion zwischen Crowe und anderen Menschen ist weird, arkward, peinlich und anstrengend; der Zuschauer erhält am Ende des Films allerdings eine absolut plausible Erklärung für dieses komische Schauspiel und damit auch eine Katharsis für viele vorher einfach nur bizarr oder gar unpassend scheinende Szenen. Das wirklich traurige daran ist, retrospektiv muss man attestieren, dass Shyamalan Dialoge gar nicht anders inszenieren kann als nach diesem Schema. Gerade in The Happening aber auch Signs funktionieren die Interaktionen zwischen den Protagonisten genau so wie in The Sixth Sense. Menschen reden aneinander vorbei, schweigen sich unangenehm an, liefern keine plausiblen Reaktionen auf das zuvor Gesagte, wirken immer etwas daneben: Mit dem Wissen um den Sixth Sense Plottwist könnte man praktisch in jedem anderen Shyamalan-Film vermuten, dass die Protagonisten ebenfalls in Wirklichkeit bereits tot – oder zumindest außerhalb der Realität mäandernd – sind. The Sixth Sense ist der einzige Film, in dem diese Art der Dialogregie funktioniert, eben weil sie genau da Platz findet, wo die Fesseln der Geschichte eng am Körper des Films liegen.

Auch in Unbreakable liegt Shyamalan in Fesseln, dieses Mal weniger durch ein Gimmick verursacht, als viel mehr durch sein eigenes Inszenierungskonzept. Unbreakable ist eine tiefe Verbeugung vor dem Comicmedium und absolut passenderweise gerade kameratechnisch extrem nah dran am Look and Feel eines klassischen Comicpanels. So wählt Kameramann Eduardo Serra in vielen Szenen eine statische Kamera, die oft so platziert ist, dass sie traditionelle Comicperspektiven aufgreift: In vielen Momenten ist das Auge des Zuschauers somit in einer extremen Position verortet, eine Position, die vieles verbirgt was geschieht, gerne mit einer radikalen Perspektivierung spielt und damit den Erfahrungsraum und somit auch den Erfahrungshorizont extrem verknappt. Die Kamera ist distanziert, von oben herab und lässt das Geschehen oft unnahbar, kalt und weit entfernt wirken. Dies mag nur ein Nebenprodukt der Comicinszenierung sein, die sich bei dem bedient, was sie im Inspirationsmedium findet (und vielleicht nicht bemerkt, dass bei einer strengen filmischen Umsetzung dieser Ästhetik jede Dynamik, die einen Comic nunmal auch auszeichnet, verloren geht), sie gibt dem Film aber genau jene vage, unsichere Note, die er braucht. Wie schon bei The Sixth Sense gibt es die Ironie, dass Shyamalan danach oft genug bewiesen hat, dass er gar nicht anders kann als optisch distanziert, kalt und auch orientierungslos zu sein. In Unbreakable funktioniert diese Enge, weil sie das gesamte Geschehen in das düstere Zerrbild eines Comics steckt und dieses artifizielle Moment perfekt zu der artifiziellen Geschichte zwischen Fantasy-Dekonstruktion und Thrillerdrama passt. Und wieder gilt, wie absurd wirkt dieses Stilmittel in Signs, in The Happening oder der Legende von Aang, wo der Raum eigentlich eröffnet werden müsste anstatt geschlossen zu werden.

The Visit ist ein No Brainer: Immerhin wird hier konsequent auf einen Found Footage Stil gesetzt und Shyamalan ist praktisch gezwungen, sich diesem zu beugen. Im Grunde genommen ist The Visit Shyamalans Dogma95-Film und als dieser darf er auch glänzen. Hinzu kommt wieder eine Fessel für die Dialogregie: Wenn 50% der Protagonisten Kinder sind – die nunmal einfach oft blödes Zeug reden – und 50% wahnsinnige Mörder, dann erscheinen auch groteske Verhaltensweisen und Dialoge gar nicht mehr so unpassend. The Village ist wieder so ein Film, der von seinem – viel zu leicht zu erratenden – Gimmick lebt, dem sich die Regie unterordnen muss. Er ist wohl der schwächste von Shyamalans guten Filmen, einfach, weil er das Gimmick die meiste Spielzeit ignorieren kann. Aber zumindest das Setting legt ihn in gewisse Fesseln, findet der ganze Film doch in einer extrem abgeschlossenen Gemeinschaft mit ganz eigenen Ritualen und gesellschaftlichen Bräuchen, streng isoliert von der Außenwelt statt. Auch hier kann jede Bizarrerie mit einem ethnologischen Blick erklärt werden, umso mehr, wenn man um die finale Auflösung weiß. Aber was ist mit den schlechten Filmen? Nun, vor allem The Last Airbender ist so katastrophal, weil er überhaupt keine Enge, überhaupt keine Fesseln kennt. Die Legende von Aang ist im Prinzip Shyamalans Herr der Ringe: Ein überborderndes Fantasyepos voller verschiedener Völker, Rituale, magischer Momente, fantastischer Wesen, langer Reisen. Bei einer solchen Prämisse kann sich jeder Regisseur nach Herzenslust austoben und bei Shyamalan bedeutet das leider: Seltsame Cast-Entscheidungen, grauenhafte Dialoge, miese CGI, unplausible Handlungen, unvollständig erzählte Motivationen und, und und… Ähnlich desaströs episch ist The Happening. Immerhin wird hier das Ende der Welt, inklusive Massensuizid und Flucht ins Ungewisse erzählt. Da wird nicht gekleckert. Auf dem Weg zur Rettung können große menschliche Schicksale ausgehandelt, Beziehungskrisen gelöst und familiäre Dramen geklärt werden. So viel Raum für Dialog, so viel Raum für menschliches Drama, so viel Raum für einen Drehbuchautor, dem es einfach nicht gelingt menschliches Verhalten in Dialogform zu gießen.

Ich halte Split nun wirklich nicht für einen guten Film, aber ich sehe, warum viele Menschen ihn mögen. Auch dieser Film ist in enge inszenatorische Ketten gelegt, ist er doch fast die gesamte Laufzeit über ein klaustrophobisches Kammerspiel, liegt die Hauptlast des Films doch auf einem Protagonisten, der gleich ein dutzend Rollen zu verkörpern hat. The Lady in the Water wiederum halte ich für ein unterschätztes, ganz und gar fantastisches, schräges Antimärchen, das zum Kitschmärchen wird und sich dabei fast schon zu penibel selbst reflektiert. Aber ich sehe auch, warum dieser Film derart bei der Kritik durchfallen musste. Auch hier ist Shyamalan wieder grenzenlos, schöpft aus dem Vollen, was mythologische Stoffe, surreale Momente und epische Fantastik betrifft. Auch hier gibt es zu wenige Fesseln, auch hier ist die Entfesselung des Meisters eher eine Entfesselung des Monsters… aber für mich funktioniert es; vielleicht weil dieses irre Setup mit dieser irren Geschichte derart naiv und over the top ist, dass ich sie trotz aller Defizite einfach nur lieb haben kann. Der Rest ist Unterdurchschnitt: Signs, weil er viel zu sehr zwischen Familiendrama und großem Invasion-SciFi-Horror oszilliert (Auch diesem Film hätten Fesseln gutgetan, z.B. wenn er nur im Haus der Familie Hess gespielt hätte), After Earth ist einfach nur großer Bullshit, in dem wieder Familiendrama, SciFi, Survivalthriller, Fantasy und Action eine merkwürdige, überladene Melange abgeben und keines seiner Teile eigenständig zu überzeugen weiß. Auch diesem obskuren Film hätten wahrscheinlich einfach ein paar konservative Genrefesseln gut getan.

M. Night Shyamalan ist ein Regisseur der Fesseln braucht: Sei es durch ein Gimmick wie der Plottwist in The Sixth Sense, sei es durch ein ästhetisches Grundgerüst wie in Unbreakable oder durch ein inszenatorisches Gesamtkonzept wie in The Visit. Seine Filme glänzen, wenn sie etwas haben, das seiner merkwürdigen Art Dialoge zu schreiben und zu inszenieren, seinen ungewöhnlichen – mitunter unangenehmen – Bildvisionen und seinem Hang zu absurdem Verhalten Sinn und Plausibilität gibt. Dann ist er tatsächlich für ungewöhnliche, spannende Genrebeiträge die mit ihren Konventionen spielen und diese – bewusst oder unbewusst – brechen, gut. Je weniger er eingeschränkt ist, um so mehr treten seine Absonderlichkeiten, seine Schwächen und Ticks zum Vorschein. Was bedeutet dies jetzt für Glass? Eine ziemliche Ambivalenz. Immerhin spielt der Film in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung und wird von Personen bevölkert, die sich für auserwählt halten. Also ein schöner enger Rahmen, der viel Irrsinn erlaubt. Gleichzeitig ist Glass aber auch die Öffnung eines Universums. Die subtile Superheldendekonstruktion Unbreakable und das intime Kammerspiel Split werden plötzlich zum Prequel für etwas Größeres, Universelleres degradiert. Viel Potential für einen Film wieder zu ambitioniert, zu episch und einfach mal zu frei zu werden, und dabei seine Vorgänger gar mit in den Abgrund zu reißen. Die ersten Kritiken lassen nichts gutes erahnen. Andererseits bei all seiner Eigenartigkeit, Eigenheit und Versponnenheit ist Shyamalan doch ein Gewinn für das cineastische 21. Jahrhundert. Vielleicht auch, weil er uns daran erinnert, dass man auch in Würde scheitern kann, dass es eben fünf schlechte Filme braucht, um dazwischen doch ein Meisterwerk zu platzieren, das Fesseln zwar für solide Filme notwendig sind, aber das auch gerade diese Zerrissenheit eines Schöpfers zwischen Glanz und Schund für ein irgendwie großes Gesamtwerk stehen kann. Denn bei all dem Obskuren, Verkorksten und Überladenen was er in seiner Vita produziert hat, hat er eines geschafft: Egal wie oft er daneben greift, man freut sich immer wieder auf sein neuestes Werk und wünscht ihm geradezu, dass es wieder ein großer Griff oder zumindest ein sehbarer Film wird. Insofern ist Shyamalan auch irgendwie der sympathischste unter all den gefallenen Regisseuren. Ein Künstler, der seine Visionen durchsetzt, dabei oft daneben langt aber selbst in seinen dunkelsten Momenten auf eine abstruse Weise zu faszinieren weiß. Ja, ich wünsche seinem neuen Film wieder eine gefesselte Stärke, insgeheim kann ich mich aber auch zugleich mit dem Gedanken an einen neuen entfesselten Fehlgriff anfreunden. Denn auch im künstlerischen Scheitern kann eine Menge Magie stecken.

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