Alles auf Ende – Rezension zu Avengers: Endgame

Nach 21 Filmen kann man ohne Zweifel konstatieren: Das MCU ist wahrscheinlich das größte cineastische Universum, das je existierte. Da kann auch Star Wars mit seinen läppischen, gerade mal 11 Filmen nicht mithalten. Auch James Bond überflügelt quantitativ vielleicht die Saga, hat es aber über seine 24 Filme nie geschafft ein so konstantes, in sich geschlossenes Universum zu erzählen wie die Marvel-Comicadaptionen. Und auch wenn den Filmen rund um Captain America, Iron Man und Konsorten von den Kritikern schon früh (und oft zurecht) Flachheit, Idiotie und Style over Substance vorgeworfen wurde, so lässt sich doch sagen, seit es die Marvel-Filme gibt, gibt es auch wieder konstant qualitativ hochwertige Blockbuster, Popcornkino das tatsächlich Spaß macht. Zuletzt immer seltener mit leichten Ausfällen Richtung Mittelmaß ist es Marvel fast immer gelungen gute Qualität abzuliefern und dennoch abwechslungsreich und überraschend zu bleiben. Während zum Beispiel die DC-Filme ernst und mit großer düsterer Gestik daherkamen, hatte Marvel für seine Zuschauer gerne auch mal ein Augenzwinkern übrig, überraschte auch mal mit einer astreinen Komödie (Thor: Ragnarok), überraschte aber ebenso mit einem für das Genre unerwartet politischen Film (The Black Panther) oder gar einem Selbstfindungsdrama, in dem 80% des Filmes kein Superheld zu sehen war (Okay, das ist übertrieben, aber seht euch noch mal in Ruhe Iron Man 3 an und stoppt die Leinwandzeit, die das ikonische metallen glänzende Outfit dort erhält).

Zuletzt mit Avengers Infinity War (2018), dem direkten Vorgänger von Endgame – hat Marvel dann sogar bewiesen, dass sie auch fiese Cliffhanger können, den Mut dazu haben, einen Film einfach mal verdammt offen und verdammt deprimierend enden zu lassen. Natürlich dürfte bei dieser künstlerischen Entscheidung auch der monetäre Blick eine nicht unmaßgebliche Rolle gespielt haben. Denn immerhin ging es darum DEN Abschluss der ersten großen Avenger-Reihe vorzubereiten. Und da kann man auch gerne mal etwas mehr Hype produzieren (auch wenn Marvel-Filme diesen eigentlich, wie dieses Jahr bereits Captain Marvel (2019) unter Beweis stellte, nicht nötig haben). Und hier haben wir ihn dann also: Die Lösung der noch offenen Probleme, die Klärung der noch vorhandenen Fragen, eine letzte Verbeugung vor den liebgewonnenen Helden, das Grande Finale der Avengers-Reihe… eine Menge Ballast für einen einfachen Superheldenfilm, der seinen Ambitionen entsprechend marvel-untypisch auf satte 180 Minuten Überlänge aufgeblasen wurde. Aber kann er inhaltlich auch liefern?

Avengers Endgame setzt wenige Minuten nach Infinity War ein. Die Erde ist ein Schlachtfeld, Thanos (Josh Brolin) hat gesiegt und mit Hilfe der Infinity Stones und einem Fingerschnipp 50% der Weltraumpopulation ausgelöscht, darunter auch Peter Spiderman Parker, Nick Fury, Doctor Strange und die gesamte Familie von Clint Barton alias Hawkeye (Jeremy Renner). Die überlebenden Avengers wollen sich mit dieser Niederlage natürlich nicht zufrieden geben, und so machen sich unter anderem Tony Stark / Iron Man (Robert Downey Jr), Captain America (Chris Evans) mit Hilfe von der zur Truppe gestoßenen Carol Danvers / Captain Marvel (Brie Larson) auf den Weg, Thanos die Infinity Stones abzujagen und mit deren Kraft die große Auslöschung rückgängig zu machen. Dies ist jedoch unmöglich, da Thanos in weiser Voraussicht die Steine zerstört hat und seinem eigenen Ende entgegensieht. Und so müssen sich die Überlebenden mit der neuen harten Realität und unzähligen Verlusten arrangieren. Dies geschieht in den nächsten fünf Jahren mal mehr mal weniger gut: Tony Stark zieht sich mit seiner neu gegründeten Familie aufs Land zurück, Captain America versucht den Menschen in Selbsthilfegruppen wieder Mut zu geben und Natasha Romanoff aka Black Widow (Scarlett Johansson) versucht als letzte aktive Avenger-Vertreterin zu verhindern, dass die Welt weiter ins Chaos stürzt. Erst die Wiederkehr des lange verschollenen Scott Ant-Man Lang (Paul Rudd) gibt den Überlebenden wieder Hoffnung. Dieser war die letzten fünf Jahre im Quantum Realm gefangen, einer potentiellen Zeitmaschine, die die Möglichkeit birgt, wieder an die Infinity Stones zu gelangen und das Schicksal des Kosmos‘ doch noch zu Gunsten des Lebens zu lenken.

Und für all das nehmen sich die Regisseure Anthony und Joe Russo (die sich bereits für die beiden Captain America Fortsetzungen und Infinity War verantwortlich zeichnen) eine Menge Zeit. 180 Minuten sind auch für einen Avengers-Film ein ganz schönes Brett, landeten die Vorgänger doch eher nach 150 Minuten auf der Ziellinie, während die anderen Filme des MCUs sich auch gerne mit 120 Minuten begnügen. Folgerichtig ist Endgame auch der expositionslastigste Film der Reihe. Fast eine ganze Stunde beansprucht die Einführung des relativ streng dreigliedrigen Films. Seit dem ersten The Avengers (2012) hat man im Marvel Cinematic Universe nicht mehr so viel Dialog, so viel Charakterzeichnung ohne große Action und Fantastereien gesehen. Die ausufernde Exposition funktioniert aber erstaunlich gut und ist im Grunde genommen der beste Teil des gesamten Films. Hier wagen sich die Macher an eine erlauchte Mischung aus apokalyptischer DC-Düsternis, einigen geschickt eingestreuten Schmunzlern und vor allem viel emotionaler Tiefe, wenn es darum geht, die Folgen von Niederlage und Verlust zu erzählen. Natürlich ist das immer noch ein Marvel-Film und kein Charakterdrama, aber die Russos verstehen sich ausgezeichnet darin, jedem der bekannten Charaktere eine ganz individuelle Auseinandersetzung mit der Apokalypse zu spendieren: Der Captain trauert, Thor (Chris Hemsworth) lässt sich – auf verdammt witzige Weise – gehen, Tony Stark versucht ein neues Leben aufzubauen und Bruce Banner (Mark Ruffalo) darf endlich Frieden mit seinem Alter Ego Hulk schließen (und wird darin zur sympathischsten Figur des gesamten Films).

Die Probleme von Endgame beginnen eher im Mittelteil, in dem es darum geht, das Geschehene rückgängig zu machen. So nachvollziehbar die Entscheidung auch ist, im Gegensatz zum Vorgänger den Fokus wieder auf das Avengers-Ur-Kernteam zu lenken, so enttäuschend dürfte dies für viele Zuschauer sein. Ja, in Endgame geht es darum von den Charakteren Abschied zu nehmen, die uns in Phase One des Universums – von Iron Man (2008) bis The Avengers (2012) – ans Herz gewachsen sind. Aber das MCU hatte seitdem so viel mehr zu bieten, was hier ein wenig unter den Tisch fällt. Marvel geht hier sehr konservativ vor und begnügt sich mit den ursprünglichsten Charakteren und leider auch ursprünglichen Szenarios. Das soll nicht heißen, dass der Mittelteil nicht auch Spaß machen kann. Der Nostalgiefaktor wird hier groß geschrieben und natürlich ist es schön für Hardcorefans dieser Figuren, dass diese in der Reise durch Raum und Zeit auch noch mal an ihre Ursprünge und vorherigen Abenteuer erinnert werden. Allerdings nutzt Endgame an dieser Stelle nicht ganz das Potential, dessen er sich wohl bewusst ist. Allzu oft verkommt das selbstreferenzielle Abenteuer zum bloßen Referenzenrausch, der gerade für Zuschauer, denen die vorherigen 20 Filme nicht mehr ganz so präsent sind, schnell zum anstrengenden Rätselraten wird. Wo sind sie noch mal? Was war da noch mal los? Was sollte da noch mal gleich passieren? sind zwangsläufig Fragen, die aufkommen, wenn man zuvor nicht die 20 anderen Filme des Universums binge-gewatcht hat. Trotzdem gewinnt der Mittelteil nach der langsamen Einführung in den Film schnell wieder das Tempo und den Drive vorheriger Marvel-Meisterwerke. Hier gibt es im Grunde alles zu sehen, was das MCU-Fanherz begehrt: Spannende Kämpfe, launige Sprüche, wundervolle und überraschende Bündnisse und eine herrliche Interaktion zwischen den Charakteren. Und so meint man auch fast, dem Film seine Schwächen und seine Reduktion auf die Nostalgie verzeihen zu können… wäre da nicht das letzte Drittel.

Dass es hier zu einem epischen finalen Kampf kommen muss… natürlich, Ehrensache! Wie sollte es auch anders sein. Dieser Kampf gehört in seiner Ausführung jedoch zum enttäuschendsten Moment des ganzen Films. Marvel schielt an dieser Stelle nämlich nicht nur einmal auf das Blockbusterkino vergangener Jahrzehnte. Und das ist mehr als überflüssig. Nicht nur dass das MCU das überhaupt nicht nötig hat, war es doch quasi im Alleingang dafür verantwortlich aus den Klischees des Blockbusterkinos der 90er und 00er Jahre auszubrechen und neue Wege der packenden, epischen Action aufzuzeigen. Nicht nur, dass diese Art der finalen Schlacht fast schon anachronistisch wirkt. Sie passt auch darüber hinaus einfach nicht in das Marvel Universum. Epische Schlachten, kriegerische Gemälde machen in Mittelerde, Westeros und meinetwegen auch rund um Hogwarts total Sinn, im Universum der Marvel-Recken, wo man pfiffige Kämpfe Held gegen Bösewicht, Heldin gegen Monster erwartet, wirken sie mehr als deplatziert. Zumal die Regie hier kein wirkliches Gespür dafür hat, wie man eine packende Schlacht inszenieren könnte. So stolpert die Kamera schnitthungrig durch das Szenario, bis man sich fast in einem Transformers-Verschnitt wähnt, während der pathetische Score wie ein drückender Soundteppich das ganze Geschehen unter sich erstickt. Zudem wird an dieser Stelle der marveltypische Mangel an Blut und Gewalt zum weitaus größeren Problem als beim sonst präferierten Mensch gegen Mensch gegen Mensch gegen Maschine gegen Monster Konzept. Natürlich wäre es komplett dämlich, die Avengers plötzlich als brutales Schlachtengemälde zu malen. Aber ganz ohne kriegerischen Schrecken wirkt eine Schlacht nunmal einfach zahm und wenig mitreißend. Schlimmer noch: Die ganze Schlacht in Endgame wirkt so virtuell wie der letzte Kampf aus Spielbergs Ready Player One (2018) – wo die Virtualität allerdings wenigstens Sinn machte, weil die ganze Schlacht, nunja ,im virtuellen Raum ausgetragen wurde. In dem realen Szenario der Avengers, wo es wirklich um Tod und Leben geht, wirkt das Gezeigte dagegen einfach blutleer und fast schon ärgerlich nichtssagend, Immersion Null.

Auch darüber hinaus bekleckert das Finale sich und die gesamte Franchise wenig mit Ruhm. Denn auch über den letzten Kampf hinaus macht Endgame ordentlich einen auf Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs (2003). Wie schon bei der Entscheidung zur Reduktion auf die Urtruppe macht das natürlich Sinn. Immerhin wird hier der Abschied einer Ära gefeiert und so gehört es sich dann auch, dass sich jeder Held, jede Heldin noch einmal verbeugen darf, dass Opfer gebracht, Familien versöhnt, tapfere Kämpfer und Kämpferinnen verabschiedet werden. Aber wieder gilt: Irgendwie scheint dieses Mehr an Pathos nicht in das Marvel Universum zu passen. Auch wenn die vorherigen Filme oft mit Pathos glänzten (oder auch mitunter nervten), hatten sie doch auch immer ein Augenzwinkern mit an Bord, eine gewisse Lässigkeit und viel Charme. Auf den wird hier so ziemlich komplett verzichtet. Stattdessen gibt es Abschied um Abschied, einer pathetischer und forciert emotionaler als der andere; und obwohl man die verabschiedeten Charaktere doch lieb gewonnen hat, lässt es einen viel zu oft erstaunlich kalt. Dafür passiert hier einfach zu viel: Zu viele Tränen, zu viele Weisheiten, zu viel Pathos. So zurückhaltend – und zugleich erhaben düster – das apokalyptische Szenario im Prolog war, so enervierend, zäh und überambitioniert ist es im Epilog; leider Gottes das, was von dem Film am stärksten in Erinnerung bleibt.

Ist Avengers Endgame also ein wirklich mieser Film? Nein, dafür macht er dann doch auch wieder zu vieles richtig. Auch wenn Marvel versagt, so richtig failen können sie dann doch nicht. Wie schon in den Filmen zuvor gibt es hier wieder eine Menge toller Momente zu bestaunen. Der unglaubliche, in sich ruhende, selbstzufriedene Hulk, der herrlich bräsige Thor, der mutigerweise bis zum Schluss seine Dude-Attitüde behalten darf, ein unfassbar gutes, emotionales und düsteres Duell ausgerechnet zwischen Hawkeye und Black Widow, die bombastische Dunkelheit mit der Thanos‘ Erbe erzählt wird… und natürlich eine Menge „Heh, schön dass du es auch geschafft hast“-Cameos, die alle aufzuzählen den Rahmen dieser Rezension sprengen würde. Und ja, natürlich ist der Pathos am Ende auch irgendwie angebracht; immerhin ging es um viel und geht es um viel. Nicht nur um das Ende der Welt, sondern auch um zehn Jahre epische Kinogeschichte; auch um die Rettung des Blockbusters aus seiner selbst verschuldeten Langeweile; vielleicht nicht unbedingt die Rettung, aber zumindest die Adelung des Superheldenkinos; und um die Perfektionierung des Konzepts Comicverfilmung an und für sich.

Trotzdem muss leider festgehalten werden, dass der letzte Avenger-Film auch der schwächste und auch einer der schwächsten Filme des Marvel Cinematic Universes ist. Sehenswert ist er dennoch; und natürlich ein Must-see für alle Fans der Reihe. Und die letzten Filme von Marvel haben ja auch bewiesen, dass die immer noch mit Ideen und Bildern begeistern können, auch in der x-ten Comicfilmvariation. So gesehen war hier der Druck etwas wirklich Gewaltiges zu schaffen vielleicht einfach zu hoch, die Ambitionen zu groß, und es konnte nur zu einer kleinen Enttäuschung kommen. Ich freue mich auf jeden Fall auf den kommenden Spider-Man und Shang-Chi, wo endlich wieder etwas tiefer gestapelt werden kann.

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