Netflix-Filmempfehlung: See you yesterday (2019)

Das tolle an den Netflix-Filmproduktionen ist: Egal ob sie mal mehr oder mal weniger gut gelingen, zeigt sich an ihnen doch immer wieder, dass die an den Streamingdienst angegliederte Produktionsschmiede bereit ist, jungen Filmemachern eine Chance zu geben, wirklich ihr eigenes Ding durchzuziehen und auch mal gegen den Strich zu inszenieren. Und so findet man neben sehr konventionellen Genrebeiträgen mit Hitgarantie wie dem Horrorfilm Bird Box auch immer wieder kleine ungewöhnliche Perlen mit Mut zum Risiko, wie zuletzt den Giallo/Satire-Bastard Velvet Buzzsaw. Der Teen Science Fictioneer See you yesterday (2019) gehört mit Sicherheit in die zweite Kategorie und dürfte eine der kleinen Genreüberraschungen des Jahres sein. Inszeniert wurde der Flick von Stefon Bristol, der bei BlacKkKlansman für die Regieassistenz von Spike Lee verantwortlich war (der diesen Film hier wiederum produzierte). Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum Lee Bristol bei seiner ersten echten, großen Regiearbeit so viel Vertrauen schenkt, denn See you yesterday ist durchflutet von Ideen des New Black Cinema und Inszenierungstechniken der großen Regieikone. So unbekannt der Regisseur ist, so unbekannt sind auch die Namen fast aller beteiligter SchauspielerInnen. Der einzige wirklich bekannte dürfte Brian Vaughn Bradley, Jr. alias Rapper Astro sein. Und der größte an der Produktion beteiligte Schauspieler – Michael J. Fox – darf gleich in den ersten fünf Minuten – und nur dort – einen wunderbar schusseligen Cameoauftritt hinlegen, und dabei passend zur augenzwinkernden Back to the Future Referenz ein „Great Scott“ raushauen. Denn genau das ist See you yesterday: Eine kleine, liebevolle Zeitreise-Tragikomödie, die aber im Gegensatz zum Klassiker Zurück in die Zukunft (1985) ihre ethischen und politischen Implikationen überraschend ernst nimmt.

Brooklyn, 2019: Die High School Schülerin CJ (Eden Duncan-Smith) ist in ihrer Freizeit eine brillante Wissenschaftlerin und hat es mit Hilfe ihres besten Freundes Sebastian (Dante Crichlow) geschafft, eine tatsächlich funktionierende Zeitmaschine zu bauen. Das Ergebnis wollen die beiden auf einem großen Wissenschaftskongress vorstellen und damit ihre Fahrkarte raus aus dem Ghetto und rein in eine Eliteuniversität gewinnen. Doch bevor sie ihr Projekt öffentlich machen können, passiert ein großes Unglück. CJs älterer Bruder Calvin (Astro) wird bei einer Polizeikontrolle von einem Polizisten erschossen. Während in ganz Brooklyn daraufhin Proteste der Black Lives Matter ihren Lauf nehmen, beschließt CJ den Verlust ihres geliebten Bruders nicht einfach hinzunehmen. Gemeinsam mit Sebastian will sie in die Vergangenheit reisen und den Mord verhindern. Das Problem: Sie haben nur eine begrenzte Anzahl an Zeitreisen und das Zeitfenster bei jeder einzelnen Reise beträgt gerade mal 15 Minuten. Außerdem müssen sie bald feststellen, wer versucht den Lauf der Zeit zu manipulieren, spielt mit dem Feuer und kann sich dabei auch verbrennen.

Politik meets Science Fiction, Young Adult Fiction meets new New Black Cinema. Klingt erst einmal relativ konventionell, gerade weil Filme wie Black Panther (2018) oder Get Out (2017) ziemlich erfolgreich – sowohl bei den Kritikern als auch an den Kinokassen – schwarze politische Themen ins Genrekino transferiert haben. See you yesterday will aber gerade kein großer Blockbuster sein. Dafür spricht nicht nur seine schlanke Länge von gerade mal 80 Minuten, sondern auch seine sehr zurückgelehnte, dynamische Inszenierung, die gar nicht erst versucht, das Geschehen zu einem großen Epos aufzublasen. Dadurch bleibt er stets eine wundervoll zurückhaltende, bescheidene Mischung aus Politik und Fiction, aus ernstem Überbau und launiger Inszenierung. Auffällig ist vor allem wie mutig, jung und unkonventionell eher dabei in seiner Erzählperspektive daher kommt. Das betrifft vor allem das für einen Genrefilm äußerst überraschende, alles andere als gewöhnliche Ende, aber auch so manches dramaturgische und narrative Moment: Allein schon die Entscheidung, gleich mehrere zentrale Plot Points vollkommen im Off geschehen zu lassen, ist für einen definitiv ans jüngere Publikum ausgerichteten Fantasystreifen verdammt mutig. Gleichzeitig passt diese inszenatorische Chupze, die immer ein gewisses Gefühl der Ohnmacht evoziert, aber auch zum übergreifenden Thema „Polizeigewalt gegen Schwarze“ wie Arsch auf Eimer. Das wird übrigens nie zu penetrant in den Film hinein gehämmert. Stattdessen versteht sich Bristol hervorragend darin, die Politik en passant geschehen zu lassen, ebenso wie die moralischen Nadelstiche und die – etwas unterrepräsentierten – philosophischen Spitzen.

Der Rest passt einfach. Die Charaktere und ihre Akteure sind nicht nur unglaublich sympathisch, sondern schaffen es auch, im richtigen Moment größere Emotionen zu wecken, Emotionen die definitiv größer sind, als das, was man von einem solch kleinkalibrigen Film erwarten würde. Die Zeitreisethematik kämpft, wie fast alle Filme des Genres, auch hier mit so manchen Plot- und Logiklöchern und natürlich ist die Grundidee, das ein Teenager in der Garage mit geklautem Schulequipment eine Zeitmaschine baut, total gaga. Das sei an dieser Stelle aber geschenkt, weil See you yesterday einfach so liebenswert, fantastisch, spaßig und auch emotional ist, dass jede Frage nach der physikalischen Logik wie alberne Pedanterie wirkt. Jepp, ein bisschen ist Bristols Debüt die Science Fiction Young Adult Antwort auf Get Out, verzichtet vollkommen auf dessen Brutalität, satirische Härte und Düsternis und schafft es dennoch emotional mindestens genau so bewegend zu sein. Eine wirklich schöne Verschwisterung von New Black Cinema und Genrekino, eine superbe Verbeugung sowohl vor der afroamerikanischen als auch der Nerdkultur und ganz abgesehen davon ein hochintelligentes Science Fiction Vergnügen, das sich nie zu groß macht… und weitaus größer ist, als es auf den ersten Blick scheint.

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