Rezension zum 2019er Oscar Bait Successor Green Book

Direkt ins Deutsche übersetzt bedeutet to bait so viel wie ködern. Ein Oscar Bait Movie ist ein Film, der – unabhängig von seiner Qualität – weniger ein Film als viel mehr ein Köder ist, der ausgeworfen wird in der Hoffnung, dass die Academy zubeißt. Oscar Bait ist mehr als nur ein eigenes Genre, es ist eine Herausforderung, vielleicht sogar eine Art Religion für viele Regisseure und Produktionsstudios. Dabei muss man den Academy Awards der 2010er durchaus zu Gute halten, dass ihre Jurys nicht immer bei diesen Bait Movies anbeißen, gerne auch mal die filmischen Köder ignorieren (ohnehin waren die Oscars in den letzten Jahren weitaus besser als ihr ruf): 2015 zum Beispiel gewann eben nicht das epische Drama Whiplash den Award für Best Picture, sondern der deutlich grimmigere, surreale Birdman. 2017 konnte sich der zurückhaltende Moonlight gegen das pompöse Hollywood-Märchen/Musical La La Land durchsetzen, und 2018 – ein unfassbar starkes Jahr, wenn man sich die Nominierten ansieht – siegte The Shape of Water gegen Chris Nolans oscarreifes Weltkriegsepos Dunkirk. Heuer war – abgesehen von Blackkklansman – ein Jahr mit eher schwacher Konkurrenz und so durfte (endlich mal wieder?) der wohl oscarbaitigste Film des Vorjahres Green Book (2018) gleich mehrere Preise, inklusive bester Film, abräumen. Aber hat er die Auszeichnung, der beste Film des Jahres 2018 zu sein, auch verdient?

New York, 1962: Der italienischstämmige Türsteher und Ausputzer Frank „Tony Lip“ Vallelonga (Viggo Mortensen) ist ein Raubein, wie er im Buche steht. Mit Gelegenheitsjobs in diversen Bars und Clubs hält er nicht nur sich selbst über Wasser, sondern bemüht sich auch seiner Frau und seinen beiden Kindern ein einigermaßen sorgenfreies Leben in der Großstadt zu ermöglichen. Als sein Hauptarbeitgeber, der Club Copacabana, für längere Zeit schließt, braucht er dringend einen Job, um die Wintermonate zu überbrücken. Da kommt ihm der schwarze Komponist und Pianist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) gerade recht. Dieser plant nämlich mit seinem Klassiktrio eine Tour durch den amerikanischen Süden und braucht dafür einen Fahrer, der sich darin versteht, überraschend aufkommende Probleme zu lösen. Und davon sind in den Rassismus getränkten Südstaaten der frühen 60er einige zu erwarten. Ausgestattet mit dem The Negro Motorist Green Book (1936 – 1966), in dem festgehalten ist, in welchen Restaurants und Hotel Schwarze ein- und auskehren dürfen, macht sich das ungleiche Duo auf den Weg. Auch wenn Don von der ungehobelten Art seines Fahrers und Tony von der snobistischen, distanzierten Art seines Fahrgastes zuerst abgestoßen ist, stellen sie bald fest, dass sie viel voneinander lernen können, und es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft.

Beruht auf wahren Begebenheiten? Check! Spielt in einer nicht ganz so fernen, aber nicht mehr ganz so nahen Vergangenheit? Check! Thematisiert darin auch aktuelle politische und soziale Probleme, insbesondere Rassismus und Vorurteile? Check! Ist mit großen Schauspielern besetzt, die einen ausgezeichneten Ruf haben? Check! Kann ebenso humorvoll wie ernst und dramatisch sein? Check! Ist sehr menschlich, gerne auch mal moralisierend, vor allem aber optimistisch und light hearted? Check, check und nochmal check! Green Book kann einfach nur als Oscar Bait bezeichnet werden, daran führt kein Weg vorbei. Dabei ist erst einmal nichts verkehrt an diesem Status: Klar, man kann sich über die Formel und auch das Formelhafte ärgern, aber im Grunde genommen sind Oscar Bait Filme ja auch meistens Emotion Bait Filme, die eben nicht nur bei der Academy sondern auch beim gemeinen Publikum funktionieren. So auch Green Book: Das Zusammenspiel zwischen Mortensen und Ali (der vollkommen zurecht einen Oscar für seine Darstellung des Musikers erhalten hat) ist superb. Ähnliche Buddy Movie Konstellationen waren zwar schon öfter im Kino zu sehen, Ali und Mortensen gelingt es aber sie mit sehr viel Herzenswärme, Glaubwürdigkeit und oft genug schlicht Spaß zu füllen. Spaß wird in dem ganzen Film dann auch größer geschrieben, als die Prämisse vermuten lassen würde. Green Book ist weitaus mehr Komödie als Drama, mitunter so extrem, dass man ihm sogar die Kategorisierung als Tragikomödie absprechen möchte. Ernste und düstere Momente sind nie zu ernst, nie zu düster, dafür sind die – relativ ausführlichen – Auflockerungen umso lustiger und unterhaltsamer.

Darin mag auch eine der größten Schwächen des Films begraben liegen… Er ist einfach zu brav. Man spürt die Intention Peter Farrellys (der schon immer mehr ein Mann der Komik denn der Tragik war), das Leichtfüßige in den Vordergrund zu stellen, er beraubt damit das Thema aber seiner Dichte und Tiefe. Green Book will – ähnlich wie einer seiner Protagonisten – nicht allzu sehr anecken, nicht allzu sehr weh tun und ist dadurch weitaus mehr Feel Good Movie, als ihm und seinem wichtigen Thema guttut. Die zweite große Schwäche ist seine Struktur. Green Book gelangt nie über das Episodische hinaus. So gelungen sich die Freundschaft zwischen den beiden Protagonisten auch entwickelt, so wenig passiert außen herum. Episode wird an Episode gereiht und bleibt meistens folgenlos. Der zusammenhaltende Rahmen ist die Entwicklung der beiden Hauptcharaktere, und ja, diese findet auch statt, im Grunde jedoch nur als intrinsisch motiviert: Der rote Faden findet innerhalb des Wagens, innerhalb der Dynamik zwischen Ali und Mortensen statt. Extrinsisch dagegen geschieht so gut wie gar nichts. Das ist ziemlich verwirrend, werden doch zahllose Themen angeschnitten, zahllose unschöne Ereignisse von außen an das Duo herangetragen: Rassismus gegen Schwarze, Herablassung gegenüber italienischstämmigen Amerikanern, polizeiliche Willkür, kulturelle Vorurteile, die nach wie vor bestehende Apartheid im Süden der USA, die Konfrontation von Tradition und Moderne, Kopf- versus Bauchgefühl, unterschiedliche Lebensmodelle und so weiter und so fort. Diese werden aber auch nur angeschnitten und bleiben folgenlos. Ist die Episode vorbei, ist auch ihr Thema abgehakt und wird nicht weiter reflektiert, allemal später noch mal in der nächsten Episode hervorgekramt. Dadurch scheint der Film immer an der Oberfläche zu verharren, nie wirklich tief in sein Sujet einzutauchen.

Und ja, natürlich weiß der Film an der Oberfläche zu überzeugen und sogar zu verführen. Die Schnitte sind perfekt pointiert und sorgen für so manche Lacher (auch hier kommt die Comedyerfahrung von Peter Farrelly dem Film sehr zu Gute), die menschelnden Momente sind emotional überzeugend, das Freundschaftsmotiv ist einfach zeitlos und auch in diesem Fall tadellos umgesetzt… und das reicht dann offensichtlich, nicht nur perfekt für 120 Minuten zu unterhalten, sondern auch um einen Oscar abzuräumen. Und an dieser Stelle kommt eben leider (zumindest bei mir) die Wut ins Spiel, dass das reicht. Allein schon, wenn man den viel mutigeren Konkurrenten Blackkklansman dagegen hält: Im Gegensatz zu diesem ist Greenbook weitaus braver, weitaus weniger radikal und beißfreudig. Hinzu kommt, dass hier leider wieder einmal ein Stück amerikanischer PoC-Geschichte aus ausschließlich weißer Perspektive erzählt wird. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Nachkommen des realen Shirleys äußerst unzufrieden mit seiner Darstellung in dem Film waren. Hinzu kommt, dass wohl auch Shirley selbst nie wirklich Lust hatte, verfilmt zu werden, ja sogar noch in den 80ern prognostizierte, dass seine Perspektive in einem solchen Film ignoriert werden würde.

Greenbook ist ein unterhaltsamer, funktionierender Film, der als Oscar Bait, oberflächliche Buddy (Tragik-)Komödie, episodische Erzählung und in seiner Ignoranz gegenüber der schwarzen Perspektive jedoch einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Kann als nette Unterhaltung genossen werden, hat aber den Oscar als bester Film nicht im Geringsten verdient und bleibt daher leider auch eher als Oscar Bait Successor denn als wirklich herausragender Film in Erinnerung.

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