Smallfoot (2018) – Ein eisigartiges Abenteuer (…und ein kleiner Rohdiamant)

Die Demokratisierung des Animationsfilms hat wenig damit zu tun, dass die Konkurrenz zu den jahrelangen Monopolisten – Pixar und Dreamworks – im Laufe der 2010er Jahre besser geworden wäre. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die großen Studios sind immer belangloser geworden, während sie gleichzeitig mit einer Masse an durchschnittlichen Konkurrenzprodukten überschwemmt wurden. Erinnern wir uns kurz an die Frühzeit des CGI-Animationsfilms zurück. In den glorreichen Tagen Ende der 90er und Anfang bis Mitte der 2000er Jahre war jeder neue Animationsfilm für die ganze Familie noch ein richtiges Ereignis. Und das auch zurecht: Filme wie Toy Story (1995), Die Monster AG (2001) oder Findet Nemo (2003) auf der Pixar-Seite und Filme wie Antz (1998) oder Shrek (2001) auf der Dreamworks-Seite waren Hit-Garanten und Publikumslieblinge. Man freute sich auf sie, fieberte ihnen entgegen und durfte sich sicher sein, in den meisten Fällen nicht enttäuscht zu werden. In einer Zeit, in der die großen Sommerblockbuster schwächelten (und meistens nicht mehr als langweilige Desasterflicks waren) hielt der animierte Familienfilm das Popcornkino am Leben.

Es ist gar nicht so leicht zu sagen, wann sich das änderte. Es war auf jeden Fall eher ein Prozess als ein plötzlicher Umschwung, und vermutlich waren dann doch auch mehrere Faktoren verantwortlich. In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts lieferte Pixar weiter solide ab, Dreamworks indes ließ nach dem Shrek-Erfolg deutlich nach. Sie waren es dann auch, die ihr Portfolio mehr und mehr mit uninspirierten Fortsetzungen auffüllten: Die Shrek- und Madagascar-Fortsetzungen waren die Vorboten eines Trends, der in den 2010er Jahren überhand gewinnen sollte: Immer weniger Verlass auf spannende neue Geschichten und immer mehr Setzen auf das Altbewährte. Auch Pixar wurde von diesem Trend nicht verschont: Die Monster Uni, Findet Dorie, Cars 2 und 3, sowie das Spin-off Planes… Klar auch in dieser Zeit gab es Ausnahmeerscheinungen wie Alles steht Kopf (2015), aber neben dem offensichtlichen Konservatismus wurden auch die Neuerfindungen immer generischer und langweiliger. Hinzu kam, dass das familiengerechte Blockbusterkino von Harry Potter, Fluch der Karibik in den 2000ern wegdominiert wurde und so auch der Bedarf an großen Animationsblockbustern sank. Ein neuer Pixar- oder Dreamworks-Film war einfach kein herbeigesehntes Ereignis mehr, sondern eben einfach nur ein weiterer Animationsfilm unter vielen. Und damit kommen die neuen Mitbewerber ins Spiel: Die Disney Animation Studios wandten sich vom Zeichentrick ab und produzierten in den 00er Jahren viele durchschnittliche CGI-Filme, um dann mit Frozen (2013) einen enormen Hit zu landen, Sony Picture Animations schienen mit Filmen wie Die Schlümpfe (2011) und The Emoji Movie (2017) ebenfalls nicht unbedingt die potentiellen Retter des angeknacksten Genres zu sein. Hinzu kamen kleine bis mittelgroße Studios wie Vanguard Animation, Illumination, die den Markt mit meist durchschnittlichen Animationsfilmen überfluteten und so weiter zum Ende des Genrezaubers beitrugen.

Eines der in dieser Zeit aus der Taufe gehobenen Studios war die Warner Animation Group, die im Gegensatz zur Konkurrenz nie mit Masse auf sich aufmerksam machte. Mit The LEGO Movie (2014) konnten die Animatoren des Warner Bros Giganten gar einen beachtlichen, qualitativ überzeugenden Überraschungshit landen, und dessen Erfolg mit diversen Fortsetzungen und Spin-offs in der Folgezeit ordentlich ausschlachten. Kein Wunder, dass ihr im Schatten dieses Großprojektes entstandener Film Smallfoot (2018) deutlich weniger Aufmerksamkeit erhielt, auch wenn er mit einem 240 Millionen Dollar Box Office Umsatz alles andere als ein Flop war. Nur hat er eben, wie so viele andere Animationsfilme der Dekade, keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, wird weder Fortsetzung noch Merchandiseerfolg nach sich ziehen. Zu Unrecht. Denn auch wenn der „kleine“ Warner Bros Animationsstreifen wie so viele andere Animationsfilme dieser Ära weder animations- noch soundtechnisch Top Notch ist, so gleicht er das mit einer Geschichte aus, die auch so manchen Disney/Pixar/Dreamworks-Klassiker in den Schatten stellt.

Hoch oben über den Wolken auf dem Gipfel eines Berges des Himalayas liegt eine kleine aber perfekt durchorganisierte Yeti-Zivilisation. Die riesigen Schneemonstren haben sich dort – gut geschützt vom menschlichen Einfluss – eine Kultur aufgebaut, die genauen Regeln folgt, die in Stein gemeißelt sind und vom Steinhüter, dem Anführer und Ältesten des Dorfes, bewahrt und getragen werden: So wissen die Yetis Dank der Steine, dass ihr Berggipfel von riesigen Mammuts getragen wird, die sie täglich mit Eis füttern müssen. Sie wissen, dass sich unter den Mammuts ein schwindelerregendes Nichts befindet (weswegen sie den Berg nie verlassen dürfen), und dass der ominöse Smallfoot, ein kleines fellloses Wesen, nicht existiert und nie existiert hat. Einer der Yetis dieser unbeschwerten Zivilisation ist der junge Migo (Channing Tatum), der bald die verantwortunsgvolle Aufgabe des morgendlichen Gongschlagens übernehmen soll, um jeden Tag die goldene Himmelsschnecke zu wecken. Bei einem Probeflug zum Gong (dieser wird traditionell mittels Kopfflug nach vorne zum Erklingen gebracht) schießt Migo über das Ziel hinaus und landet weit außerhalb des Dorfes. Dort wird er Zeuge eines Flugzeugabsturzes, und an einem Fallschirm hängend rausgeschleudert aus dem Flugzeug wird tatsächlich ein Smallfoot. Bevor Migo mit dem merkwürdigen Geschöpf Kontakt aufnehmen kann, wird dieses jedoch vom Berg heruntergeweht. Niemand glaubt Migo die ungewöhnliche Sichtung und der junge Yeti wird, weil seine Behauptung einen Smallfoot gesehen zu haben gegen die Wahrheit der Steine verstößt, aus dem Dorf verbannt. Unterdessen ist der Smallfoot – natürlich ein menschlicher Pilot – mit seinem Fallschirm sicher im Tal gelandet und berichtet aufgeregt dem Naturfilmer Percy (James Corden) von seiner Yeti-Sichtung. Percy, der schon länger unter schlechten Einschaltquoten leidet, beschließt den Yeti-Hype zu nutzen, um seinem Publikum endlich etwas Action bieten zu können. Weder Migo noch Percy ahnen, dass sich ihre Wege bald auf schicksalshafte Weise kreuzen werden.

Da vorhin schon auf den Lego Film hingewiesen wurde, Smallfoot ist seinem großen Boxoffice-Bruder gar nicht so unähnlich, was Struktur und Narration betrifft. Auch in diesem Fall wird zu Beginn so etwas wie eine beschwingte Dystopie einer totalitären aber glücklichen Gesellschaft erzählt. Die Yetis haben es sich in ihrer Unwissenheit über die tatsächliche Beschaffenheit der Welt gemütlich gemacht: Die Existenz von Menschen wird ebenso geleugnet wie die Existenz einer Welt unterhalb des eisigen Berggipfels. Wie im Lego Film wird streng über die gepflegte Gesellschaftsordnung gewacht, und wie im Lego Film sind alle Protagonisten und Protagonistinnen – abgesehen von ein paar Außenseitern – sehr glücklich in ihrer engen, unbedarften kleinen Welt. Ebenfalls wie im Lego Film wird dies in beschwingten Musicalnummern und mit opulenten von Details strotzenden Totalen erzählt. Genau in diesen Momenten fällt allerdings doch sehr ins Gewicht, dass Smallfoot bei weitem nicht die Produktionswerte seines Bruders aus dem gleichen Haus besitzt. Da ist zum einen die Animationstechnik, die sich gut zwei Klassen unter vergleichbaren Blockbustern bewegt. Natürlich ist es schwer aus einem Szenario, das größtenteils aus Schnee, Steinen, Eis und noch mehr Schnee besteht, visuell etwas herauszukitzeln: Filmen wie Frozen oder Findet Nemo ist aber ein vergleichbar karges Szenario in der visuellen Umsetzung deutlich besser geglückt. Dabei mangelt es Smallfoot keineswegs an Detailfreude. Es gibt einige wundervolle Einfälle, was die steinernen schweren Maschinen, Gebäude und Artefakte der Yetis betrifft. Nur werden diese leider auf dem Niveau einer soliden TV-Animationsserie auf die Leinwand gebracht. Sowohl Kamera als auch Ausstattung erinnern viel zu oft eher an eine moderne Nickeloden- oder Netflixserie, denn an einen ausgewachsenen Kinofilm.

Ähnlich unspektakulär verhält es sich auf der musikalischen Ebene. Smallfoot hat eine Menge Songs im Gepäck, aber nicht ein einziger erreicht auch nur annähernd die Qualität der Pixar-, Dreamworks- oder Disney-Hits. Dafür sind die Stücke viel zu generisch, irgendwo zwischen langweiligem Powerpop und 08/15-World-Building-Songs. Noch ärgerlicher fällt der allgemeine Score aus. Mitunter unterlegen geradezu unpassend, launische Revuenummern anderweitig ziemlich spannenden Szenen und zerstören dadurch eine Menge atmosphärisches Potential. Nie gelingt es Smallfoot auditiv oder visuell wie ein großes Leinwandepos zu wirken; richtig billig wirkt er Dank seiner Details und liebevoll animierten Charaktere nie, aber TV-Niveau ist einfach zu wenig für einen Animationsfilm eines solchen Kalibers.

Diese technischen und ästhetischen Defizite sollen an der Stelle nicht ungenannt bleiben, weil Smallfoot in anderen Bereichen oft phänomenal richtig liegt. Da wäre zum einen das Pacing: Die Durchschnittlichkeit vieler aktueller Animationsfilme kommt nicht selten daher, dass es ihnen einfach nicht gelingt, Komik, Action, Spannung und Dramatik unter einen Hut zu bringen. Smallfoot ist in diesem Bereich überraschend stark aufgestellt. Ohne Atempause wechselt er zwischen albernem Slapstickhumor (der wunderbar auf die klassische Trickfilmzeit der Silly Symphonies und Merry Melodies referiert), spannender Action und nachdenklichen bis dramatischen Momenten. Obwohl er mitunter im Sekundentakt zwischen diesen Extremen wechselt, hat man als Zuschauer nie das Gefühl, dass der eine Moment von dem folgenden sabotiert wird. Alles fügt sich harmonisch zusammen zu einem wirklich beeindruckenden Cocktail für die ganze Familie: Großartige Situationskomik für die ganz kleinen (und klein gebliebenen), magischer Zauber für die Mittelgroßen und eine ungewöhnlich tiefgehende Story für die Großen. Diese sei an der Stelle noch einmal besonders hervorgehoben: Smallfoot besitzt eine der reifsten, ambivalentesten und am besten strukturierten Geschichten, die je im Animationsfilm zu sehen waren. Keine Übertreibung: Wie hier sukzessive offenbart wird, warum die Yeti-Gesellschaft ist, wie sie ist, warum verschiedene Protagonisten und Protagonistinnen handeln, wie sie handeln, ist deutlich tiefgründiger, als man es in dem Genre gewohnt ist. Selbst die für einen Bösewichtstatus prädestinierten Charaktere verhalten sich stets nachvollziehbar, Empathie weckend und werden nie zum bloßen Antagonismus degradiert. Gerade in seiner ausgeklügelten Geschichte steckt in Smallfoot dann auch eine wahnsinnig überzeugende Auseinandersetzung mit Themen wie Tradition, Religion, sozialem Zusammenhalt und dem Konflikt zwischen Ich und Gesellschaft. So wie die Technik weniger ist, als man von einem cineastischen Animationsfilm erwarten würde, so ist der Subtext deutlich mehr: Eine wirklich ambivalente Auseinandersetzung mit diversen Topoi, ein Verzicht auf einfache Fragen und einfache Antworten, und dennoch zu einer überzeugenden, optimistischen Konklusion findend. Das mag merkwürdig klingen, weil wir ja trotz allem über einen Film mit skurrilen Yetis, heiterem Slapstickhumor und Möchtegern-Disney-Songs reden; aber was politische, ökologische Fragestellung und das Einflechten dieser in eine kohärente Handlung betrifft, könnte sich selbst so manches oscarprämierte Drama eine Scheibe bei Smallfoot abschneiden.

Obwohl der Film wirklich was zu erzählen und zu sagen hat, verkommt er nie zur Predigt. Er ist einfach zu gut darin seine akademischen Gedanken und seine Botschaften in unterhaltsames Popcornkino zu quetschen: Die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Mensch und Yeti werden grandios – und urkomisch – auf die Leinwand gebracht, ein entscheidender Plottwist wird in einem düsteren Popsong erzählt, in dem sich ein vermeintlicher Schurke als fürsorglicher Unterdrücker entpuppt, und nachdem der Film eigentlich vermeintlich alles erzählt hat, gelingt ihm doch noch ein unerwarteter letzter Kurvenschlag zu großem Pathos, der die zuvor aufgeworfenen Ambivalenzen zwar ein wenig gefährdet, dafür aber einmal überzeugend Disney sein darf, inklusive philanthropischem Optimismus, viel Feenstaub und Tränen in den Augen. Das ist dann auch der Moment, an dem die technischen Schwächen vergessen sind, die Kinderaugen leuchten und die Erwachsenen sich anerkennend zunicken. Smallfoot macht das, was er richtig macht, so überwältigend und überzeugend richtig, dass man bereit ist, viele seiner Defizite zu verzeihen. Er ist ein kleiner Rohdiamant in einer Filmgattung, die sich in den letzten Jahren viel zu sehr auf Durchschnitt und Konservatismus verlassen hat. Klar, er macht vieles falsch, klar, er hängt technisch und ästhetisch hinterher. Aber so viel narrativer und dramaturgischer Mut gehört belohnt, zumal er den Film trotz aller Defizite durch und durch sehenswert macht.

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