Die besten Zeichentrickfilme der 80er Jahre IV

Die etwas obskureren, etwas erwachseneren, vielleicht auch etwas unterbewerteten Filme habe ich mir für den vorletzten Artikel der 80er Zeichentrickretrospektive aufgespart. So richtiges Familienkino bietet keiner der hier gelisteten Filme. Stattdessen viel musicaleske Weirdness (Rock & Rule), opulente Fantasy (Fire and Ice), tragische Kriegsverarbeitungen (Die letzten Glühwürmchen), und außergewöhnlichen surrealen Symbolismus (Gwen et le livre de sable). Die Familie muss heute zu Hause bleiben.

Feuer und Eis (Ralph Bakshi)

(USA 1983)

Über den Barbarenfilm der 80er Jahre habe ich mich ja schon ein bisschen ausgelassen. Streng genommen gehört auch der rotoskopische Zeichentrickfilm Fire and Ice in diese Kategorie und ist dann doch weitaus mehr als eine bloße Randnotiz des damals äußerst beliebten Fantasy-Subgenres. Unter der Federführung von Ralph Bakshi (Fritz the Cat) entsteht hier nämlich ein monumentales Epos, das sich mit seinen mal roughen, mal realistischen, mal comic-ästhetischen Bildern nicht vor dem Fantasy-Trickfilmklassiker „Lord of the Rings“ verstecken muss. Ähnlich wie der große Bruder aus den 70ern gelingt es auch diesem Urzeitepos geschickt klamme, düstere Realfilmanimationen mit epischen Zeichentricklandschaften, mit eskapistischen Heldenzeichnungen zu kreuzen und dabei auf der Pinselfront extrem gut aufgestellt zu sein.

Die Story, von der das Ganze flankiert wird? Eher vernachlässigenswert, aber dennoch weitaus weniger prollig als viele andere Barbarenfilme der damaligen Zeit. Ist im Grunde aber auch egal. Die Bilder von Bakshi und Frank Frazetta sind derart schön, dass sie allein es rechtfertigen, diese vergessene Trickfilmperle nachzuholen.

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Rock & Rule (Clive A. Smith)

(Kanada, USA 1983)

Ohja… das ist ebenfalls so ein Kuriosum des 80er Jahre Trickfilms. Rock & Rule ist die zeichentrickfilmische Entsprechung des Glam und Symphonic Rock der späten 70er und frühen 80er Jahre. Vor dem Setting einer postapokalyptischen, mutierten Welt und flankiert von Songs von Earth Wind & Fire, Iggy Pop, Blondie, Lou Reed und Cheap Trick ist dieses Science Fiction Epos in erster Linie ein überbordendes, überambitioniertes Rock-Musical, wie es wohl nur zur damaligen Zeit entstehen konnte. Dementsprechend opulent geht es in Rock & Rule auch zu… und albern… und kitschig. Der 80er Cheesy-Faktor ist hier weitaus höher als in den anderen aufgelisteten Produktionen. Und doch macht Rock & Rule mehr als genug richtig, um nicht zum bloßen bizarren Kind seiner Zeit abgestempelt zu werden.

Die Animationen sind sehr gut, mitunter sogar großartig artifiziell. Die Geschichte ist wild, mitunter etwas konfus und – wie der Rest ja auch – reichlich überambitioniert. Und nebenbei gibt es eine Menge trippige 80er Jahre LSD-Romantik, ein büsschen Sex und ne Menge Dirty Adult Stuff. Das ist dann zwar bei weitem nicht so provokant wie in den 70ern Meisterwerken wie „Fritz the Cat“, reichte damals aber allemal, dem Film eine kontroverse Rezeption und böse Schnitte einzubringen. Hier lohnt es sich durchaus, auch mal einen Blick auf die verschiedenen Fassungen (amerikanisch, kanadisch, TV, VHS) zu werfen. Eine interessante Geschichtsstunde dafür, wie die Filmpublisher der damaligen Zeit tickten.

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Gwen et le Livre de Sable (Jean-François Laguionie)

(Frankreich 1985)

Eine scheinbar postapokalyptische Wüstenlandschaft. Einsame Nomaden ohne Erinnerung an ein anderes Leben. Plötzlich auftauchende Gegenstände unseres Alltags, mal riesengroß, mal winzig… und eine obskure Sekte, zwischen Konsumismus und Erlöserphantasien. Le Livre de Sable als artifiziell zu bezeichnen, wäre untertrieben. Fernab aller gängigen Zeichentrickkonventionen entwirft Jean-François Laguionie in diesem surrealen Wüstenepos ein monotones und zugleich ergreifendes Gemälde, irgendwo zwischen der Bildsprache eines Giorgio de Chirico und der Filmsprache eines Werner Herzog oder Alejandro Jodorowsky.

Dabei mag der poetische, weniger animierte und viel mehr skizzierte, Märchentrip mitunter etwas prätentiös und verkopft daher kommen, Laguionie weiß aber ähnlich wie Tarkowskij seinen Spiritualismus immer im richtigen Moment abzufangen und mit symbolischer Traumtänzerei zu zerreißen. Das Ergebnis ist ein ganz und gar ungewöhnlicher Fantasyfilm und ein letztes Lebenszeichen eines in den 80er Jahren leider langsam aussterbenden Genres. Eskapistisches Essaykino in seiner schönsten Form!

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Die letzten Glühwürmchen (Isao Takahata)

(Japan 1988)

Dass die Auseinandersetzung mit Krieg durchaus auch in Zeichentrickform problemlos möglich ist, durfte in einem vorangegangenen Artikel das britische Melodram Wenn der Wind weht bereits unter Beweis stellen. Die letzten Glühwürmchen, der die Erlebnisse zweier Kinder im Japan der Spätzeit des Zweiten Weltkriegs erzählt ist nicht weniger tragisch als sein europäischer Bruder. Mehr noch: Versteckt in herausragenden, poetischen Zeichnungen der Ghibli-Schule schlummert hier vielleicht der traurigste Film der 80er Jahre überhaupt. Hoffnung ist jedenfalls nicht das Motto dieses zutiefst deprimierenden Meisterwerks. Denn auch wenn es immer wieder kleine Lichter der Menschlichkeit am Horizont zu sehen gibt, so ist diese Comicverfilmung doch gnadenlos, wenn es um die Darstellung von Krieg, Armut und Hunger geht. So verliert sich Takashatas Meisterwerk nie in Rührseligkeit oder Sentimentalität, verknüpft gekonnt den Ernst der Zeit mit der naiven, kindlichen Perspektive und wird so zum kraftvollen, menschlichen Drama, das weitaus erwachsener ist als viele seiner Realfilm-Kollegen.

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Erstveröffentlichung: 2015