Die kontroversen, extremen und polarisierenden Filme der 80er Jahre

Wie immer gilt für diese spezielle Liste: Prämiert werden nicht die besten kontroversen und polarisierenden Filme des Jahrzehnts, sondern die, die am extremsten waren, die am meisten polarisieren konnten, die am kontroversesten aufgefasst wurden und werden. Wirklich erstklassiges filmisches Material gibt es in diesem speziellen Fall, dann auch tatsächlich kaum zu finden. Abgesehen von Die letzte Versuchung Christi (der die Kontroverse auch nicht wirklich suchte, sondern dem sie viel mehr aufgezwungen wurde), sind die restlichen Vertreter im besten Fall Durchschnittsware, im schlimmsten Fall kompletter Schund, der einzig durch seinen Shock Value einen Platz in der Filmgeschichte gefunden hat. Das war bei den kontroversen Filmen der 90er und 2000er Jahre durchaus anders. Und noch eine Premiere, je weiter wir uns in die Vergangenheit bewegen aber umso folgerichtiger: Mit den Rape Culture Teeniestreifen hat es nicht nur ein Film, sondern gleich eine ganze Filmreihe (wenn nicht sogar ein ganzes Genre) hierhin geschafft, dessen kontroverse Natur vor allem durch den retrospektiven Blick entsteht; Filme, die damals nur ein mildes Lächeln ernteten, heute aber als filmische Sinnbilder für eine Kinoära stehen, in der auch Belästiger und Vergewaltiger Sympathieträger sein durften, deren Verbrechen gar verharmlost wurden oder im schlimmsten Fall zur Erheiterung des Publikums dienten. Ansonsten, auch 80er typisch, viel Zeug aus der Gore- und Splatterecke, immerhin ein genuin deutscher Blasphemiefall und ein wenig mehr der Vollständigkeit halber ein absolut sehenswertes Werk aus dem experimentellen New Yorker Untergrund.

Die letzte Versuchung Christi [Martin Scorsese]

(USA 1988)

Blasphemiestreit, die erste: Der an anderer Stelle bereits den besten Epen und Historienfilmen der 80er Jahre zugeordnete Last Temptation of Christ gibt der Figur Jesus Christus nicht nur ein Stück Menschlichkeit, der im kirchlichen Kanon fehlt, sondern zum Entsetzen zahlloser Christen damals auch so etwas wie Sexualität, Romantik und sogar den Wunsch nach einem Leben außerhalb des Märtyrertums. Kein Wunder, dass die Reaktionen heftig waren: Proteste, Verbote, Beschlagnahmungen und als trauriger Höhepunkt sogar ein Brandanschlag auf ein französisches Kino. Das traurige an der Kontroverse ist, dass Martin Scorseses Film keineswegs den Christus-Mythos dekonstruiert oder persifliert, sondern viel mehr gewissenhaft konsequent zu Ende denkt. Die Verführung Christi ist ein Teil des biblischen Kanons, ebenso wie das Gefühl von Gott im Stich gelassen zu sein. Hier wird es auf audiovisuell beeindruckende Weise umgesetzt und dennoch zum klassischen Martyrium geführt. Die letzte Versuchung Christi ist keineswegs Bibelkritik sondern weitaus mehr Bibelexegese als viele andere Interpretationen des Kreuzigungsstoffes.

Das Gespenst [Herbert Achternbusch]

(Deutschland 1982)

Blasphemiestreit, die zweite: In diesem Fall weitaus eher nachvollziehbar. In Herbert Achternbuschs bayrischer Religionssatire Das Gespenst steigt Christus vom Kreuz herab und begibt sich auf eine Tour de Force durch das Bayern der 80er Jahre. Dabei wird ne Menge geflucht, ne Menge gequatscht, ne Menge herumgealbert, vor allem aber verdammt viel gegangen und gelaufen. Im Grunde genommen ist Das Gespenst ein – etwas behäbiger – Versuch, Neuen Deutschen Film mit dem Leben des Brian zu kreuzen, ohne die intellektuelle Tiefe des 70er Jahre Experimentalfilms noch die schräge Witzigkeit der Monty Pythons zu erreichen. Also nicht weiter der Rede wert… Nur wurden leider die BILD und die FDP auf das Werk aufmerksam, wodurch eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde, an deren Ende das Streichen von Filmfördergeldern, ein groß angelegter Protest von Filmschaffenden und eine absurde Sühnprozession bayrischer Katholiken stand. In Österreich ist der Film bis heute verboten.

Ein Zombie hing am Glockenseil [Lucio Fulci]

(Italien 1980)

Genug der Politik. Nun geht es um Gewaltdarstellung und eine durch und durch unpolitische Beschlagnahmung in Deutschland. Aber auch Lucio Fulcis „Paura nella città dei morti viventi“ (so der italienische Originaltitel) ist eigentlich ein Film, der der Rede nicht wert ist, lebt vor allem von seinen ausgedehnten Gewaltszenen, die laut Fulci zumindest partiell auch einen gesellschaftskritischen Hintergrund aufweisen. Die FSK und Medienwelt sah das anders, Ein Zombie hing am Glockenseil wurde für viele zum Sinnbild einer verkommenen Entwicklung des Horrorgenres, in der Gewalt verherrlicht und gefeiert wird. In der Tat ist dieser Film deutlich brutaler als seine großen amerikanischen Vorbilder und hat mitunter laute, kreischige Spitzen zu bieten, die ihn zumindest ästhetisch weitaus näher zu einem Giallo bringen, denn zu einem Zombiefilm. Aber er hat eben auch eine arg durchschnittliche Story, schreckliches Overacting und viel zu viel audiovisuelle Konfusion mit an Bord. Es sollte in den Folgejahren deutlich brutalere und gewaltverherrlichendere Filme geben, vielleicht war der am Glockenseil hängende Zombie auch ein bisschen ein Bauernopfer; seine Indizierung und Beschlagnahmung kann und sollte man kritisch sehen, seinen dadurch erlangten Kultstatus allerdings auch.

Nackt und zerfleischt – Cannibal Holocaust [Ruggero Deodato]

(Italien 1980)

Italien, die zweite; Gore-Schund, die zweite. Der Mondo-Film Cannibal Holocaust ist nicht nur deutlich brutaler als der Zombie am Glockenseil, er versucht darüber hinaus auch ziemlich offensiv seine gewalttätige Art mit Gesellschaftskritik zu rechtfertigen. Immerhin zeigt er doch, dass die Ethnologen und Filmschaffenden die wahren Monster sind, dass die Ureinwohner erst zu Kannibalen werden, wenn man sie bis aufs Blut reizt, dass unsere Zivilisation und Sensationslust das wahre Böse hervorbringt, jadi jadi jadi… Was bringt dieses hehre Anliegen, wenn der Film selbst vollkommen der Gewaltfaszination verfällt? Relativ wenig. Und dementsprechend ist Cannibal Holocaust dann auch ein ziemlich widerwärtiges und zugleich von Double Standards durchsetztes Machwerk, inklusive fröhlicher Gewaltverherrlichung und einem verqueren Exotismus, dem es nicht wirklich gelingt seine rassistische Fundierung zu verbergen. Der Film ist in Deutschland ebenso wie in vielen anderen Ländern beschlagnahmt und bis heute Teil von Diskussionen über die Grenzen der filmischen Grausamkeit.

Die „Guinea Pig“-Filmreihe [Hideshi Hino u.a.]

(Japan 1985-1990)

Gore-Schund, die Dritte… Zumindest entgehen die ersten beiden Guinea Pig Filme Devil’s Experiment (1985) und Flower of Flesh and Blood (1985) dem Vorwurf der Doppelmoral, in dem sie überhaupt nicht werten, sondern einfach nur zeigen. Legendär wurden sie dann auch tatsächlich in ihrem Grenzgang zwischen Facts und Fiction, der sie – in den 80ern als Videotapes kursierend – in den Augen von manchen Zuschauern zu echten Snuff-Filmen machte. Der berühmteste davon dürfte Charlie Sheen sein, der schockiert von dem Gesehenen sogar die Polizei einschaltete. Die Gerüchte um die beiden Machwerke entwickelten ein derart starkes Eigenleben, dass sich die Produzenten gar dazu genötigt fühlten, in einem Making Of aufzuklären, dass es den im Film gezeigten Folteropfern gut geht. Sehenswert sind die beiden ersten skandalumwobenen Guinea Pig Filme dennoch nicht, dafür sind sie zu sinnlos pure Gore und tricktechnik zu überholt, um heute noch für ein glaubhaftes Fragezeichen beim Publikum sorgen zu können. Besser sind da schon die Fortsetzungen, die die Gewalt mit Comedy, He Never Dies (1986), und Poesie, Mermaid in a Manhole (1988), aufbrechen. Letzterer ist mit seiner Kombination aus Ästhetizismus/Eskapismus und rohem Splatter ohne Zweifel der beste weil künstlerisch wertvollste Film der Reihe. Für einen Skandal, eine Polarisierung oder eine Kontroverse taugt das dann zwar nicht mehr, aber immerhin für eine Sehempfehlung von dieser Seite.

Jeder zweite verdammte Teeniefilm [Zu viele Regisseure]

(USA, die gesamten 80er Jahre)

Wie angekündigt, ein Skandal der keiner war… und dass er es nicht war, ist der eigentliche Skandal. Consent, Respekt, Achtung vor dem Körper der Anderen kannten die Teenager-Filme der Dekade nicht. Und das hat auch keinen gekümmert. Der extremste Ausflügler dieses Trends dürfte wohl der dumpfe Die Rache der Eierköpfe (1985) sein, in dem heimlich gemachte Nacktaufnahmen von Studentinnen zum Sieg beim studentischen Kräftemessen führen, und ein Nerd kostümiert die Freundin des Footballstars vergewaltigen darf (was a posteriori dadurch legitimiert wird, dass der Vergewaltiger sehr gut im Bett war). Aber auch die guten Teenagerfilme der Zeit sind nicht frei von sexistischem Irrsinn: So wird sexuelle Belästigung im Klassiker The Breakfast Club (1985) zum natürlichen Feature des rauen, aber unverstandenen Rock N Rollers, in Der Club der toten Dichter (1989) wird ein übergriffiger Kuss auf eine schlafende Schülerin zum romantischen Akt verklärt und in Das darf man nur als Erwachsener (1984) darf gleich der gesamte Sex ohne Einwilligung stattfinden. Nun könnte man sagen, es waren andere Zeiten; wir sollten unsere moralischen Vorstellungen nicht an diese ansetzen… jaja, schon klar. Aber es waren die 80er. Es gab Feminismus und gesellschaftliche Debatten über sexuelles Recht und Unrecht, es gab Kämpfe für das Recht auf körperliche Unversehrtheit und dennoch lauerte die Rape Culture im Mainstreamkino nicht einfach; sie war offensichtlich, Teil des Unterhaltungsprogramms für Jugendliche; und die Belästiger und Vergewaltiger waren eben nicht die Bösewichte, sondern die Protagonisten und Sympathieträger. Rümpft meinetwegen die Nase über diesen retrospektiven Moralismus, aber: Shame on you, 80’s Teenage Movies!

RAW NERVES: A Lacanian Thriller [Manuel Delanda]

(USA 1980)

So viele Kontroversen… und kein einziger einfach nur extremer Film.? Also dann, zum Schluss ein kurzes Wort zum Cinema of Transgression; Underground Filme aus dem urbanen Raum, in der Tradition Andy Warhols; zum einen trashy, dreckig, laut und billig, zum anderen experimentierfreudig, künstlerisch, wagemutig und verspielt. RAW NERVES soll hier nur als Beispiel stehen, ist aber in der Tat einer der sehenswertesten Filme der jungen New Yorker Avantgarde. Waren die 80er Jahre in ihrer Gesamtheit filmtechnisch alles andere als experimentell eingestellt, so besticht dieser krude Low Budget Film wie seine Geschwister durch einzigartige Erzählweisen, irgendwo zwischen Expressionismus, Eskapismus, Symbolismus und Pulp Charme: Wüst, manchmal ungelenk, bunt, überzeichnet, vor allem aber experimentell, mit Mut zum Risiko. Ein 30minütiger Farbrausch, ein wirres Kaleidoskop in einem ansonsten recht sterilen Jahrzehnt, ein dreckiger kleiner Bastard in einem ansonsten recht epischen, voluminösen Jahrzehnt. Sollte man allein schon deshalb gesehen haben, um gewahr zu werden, dass in den 80ern so viel mehr mögliches und unmögliches passiert ist, als der Blick auf den Filmkanon vermuten lässt.

Ähnliche Artikel