Die besten Thriller der 70er Jahre X

Auf zur letzten Thrillerretrospektive der 70er Jahre. Dieses Mal ohne große Vorrede, weil ich mit den Subgenres komplett durch bin und die hier aufgeführten Filme, abgesehen davon, dass sie allesamt spannend sind, nicht viele Gemeinsamkeiten haben. Im Angebot haben wir mit Die Augen der Laura Mars einen schicken, grellen Mysterythriller, der sich ordentlich beim Style-Klassiker Blowup bedient, sowie Coma, einen sehr soliden Verschwörungsthriller mit einigen wirklich intensiven Proto-Slasher-Momenten. Noch weiter in Mysteryregionen bewegt sich Ein Mann jagt sich selbst, der fast schon zu brav ist, um als Thriller durchzugehen. Dafür begeistert er mit feiner, britischer Ironie und einem herrlich aufgelegten Roger Moore. Ein bisschen Hitchcock-Suspense in Kombination mit einem nuancierten Psychodrama finden wir in Klute. Und um die Reihe mit einem der besten Thriller überhaupt abzuschließen: Hundstage von Sidney Lumet ist fast so etwas wie die Vervollkommenung des New Hollywood Gedankens, inklusive einer Menge Liebe für die Ausgestoßenen und Abgewiesenen. Thriller der 70er Jahre, Klappe die Letzte…

Die Augen der Laura Mars [Irvin Kershner]

(USA 1978)

Wir schreiben das Jahr 1978 und das Giallo Genre scheint eigentlich durchdekliniert und zu Ende erzählt. Und in den USA hat diese Horror-Subkategorie aus Italien ohnehin nichts verloren. Umso beeindruckender, was Irvin Kershner noch einmal aus dem totgerittenen Pferd herausholen sollte. Die Augen der Laura Mars nimmt sich die Tropes der südeuropäischen Gruselkunst und vermischt sie mit einem zynischen Blick auf die amerikanische Modewelt. So kombiniert er mysteriösen Grusel in einer schrillen Inszenierung mit einer Menge Style und bunter Exaltiertheit. Zwischendurch wähnt man fast einen gepimpten Blowup auf Östrogen vor sich, nur um kurz darauf von hysterischen 80’s Vibes und einem surrealen Horror-Grundton umgehauen zu werden. Eyes of Laura Mars nimmt sich Topoi des vergangenen Jahrzehnts und ist seiner Zeit gleichzeitig ein ganzes Stück voraus. Er seziert die amerikanische Glamourwelt und steht zugleich mit einem Bein tief im europäischen Horrorkino. Nicht nur damals schien diese Mischung so manchen Kritiker zu irritieren, und so ist Laura Mars ein wenig als Obskurität in die Filmgeschichte eingegangen, als Thriller der Ende der 70er Jahre halt irgendwie da war, aber nicht so richtig haften bleiben konnte. Und um dieser Wahrnehmung mal was entgegenzusetzen: Dieser Film ist eines der faszinierendsten Crossover der Dekade, ein schriller, düsterer und zugleich unterhaltsamer Film; komplett unterschätzt, damals wie heute, und weitaus mehr als ein bloßes Bewerbungsvideo Kershners für die Regie von The Empire strikes back.

Coma [Michael Crichton]

(USA 1978)

Deutlich weniger abgefahren, deutlich weniger abgehoben dafür aber umso solider ist Michael Crichtons Medizinthriller Coma, in dem eine Ärztin einem großen Komplott um komatöse Patienten und geraubte Organe auf die Spur kommt. Vor allem durch seine Perspektive hebt sich die folgende Neo-Noir-Geschichte von ihrer Konkurrenz ab: Coma besitzt eine starke Protagonistin, die nicht nur als Eye Candy dient, sondern als erbarmungslose Ermittlerin in der Tat zur Gefahr für die Mächtigen Puppenspieler im Hintergrund wird. Nicht nur dadurch, sondern auch in seinen Subplots kommt er fast schon als feministische Variante des Genres daher. Gerade in den doch sehr Penis-fixierten 70er Thrillern ein absolutes Unikum. Neben der damals wie heute leider ungewöhnlichen Perspektivwahl besticht Coma durch seinen äußerst soliden Verschwörungsplot, einen verflucht spannenden Slasherpart im Mittelteil und gewisse Science Fiction Anleihen, die in kühlen, sterilen und zugleich faszinierenden Bildern präsentiert werden. Coma mag nicht der aufregendste Film des Jahrzehnts sein, er ist aber grundsolide, wirklich spannend und durch und durch rund erzählt.

Ein Mann jagt sich selbst [Basil Dearden]

(Großbritannien 1970)

Wir machen einen großen Sidestep und kommen zu einem Thriller, wie er in den 70er Jahren sonst überhaupt nicht zu sehen ist. Das liegt in diesem Fall einfach daran, dass The Man Who Haunted Himself so nostalgisch ist, wie es nur irgendwie geht. Selbst in den 60er Jahren hätte dieser Film wahrscheinlich ein wenig aus der Zeit gefallen gewirkt, in den 50ern hätte er sich womöglich am wohlsten gefühlt, aber wahrscheinlich hätte ihm immer, in jedem Jahrzehnt, der Hauch von etwas Vergangenem angehaftet. Roger Moore spielt hier einen braven, biederen Angestellten, der nach einem Unfall mit der Existenz eines vermeintlichen Doppelgängers konfrontiert wird, die sein Leben peu à peu in einen Alptraum verwandelt. Viel Horror gibt es in diesem charmanten Streifen allerdings nicht zu erleben. Dafür ist Basil Deardens Krimi zu gelassen, zu steif und vor allem zu britisch. Manchmal etwas unbeholfen, manchmal etwas träge, manchmal etwas holprig gelingt es ihm dennoch, Dank eines äußerst spaßigen Auftritts von Roger Moore (vor seiner Bond-Zeit) sowohl spannend als auch witzig daherzukommen. Ein Mann jagt sich selbst mag nicht der modernste, aufregendste oder eigenständigste Thriller der Dekade sein, er besitzt aber einen nicht zu leugnenden Stolz, spielt hervorragend mit seinem eigenen Konservatismus und hat bis zum Ende ein charmantes Augenzwinkern parat.

Klute [Alan J. Pakula]

(USA 1971)

Alan J. Pakula hatten wir schon zweimal in dieser Retrospektive zu Gast: Bei den besten Hitchcock inspirierten Filmen mit Zeuge einer Verschwörung und mit Die Unbestechlichen bei den besten Politthrillern des Jahrzehnts. Zusammen mit Klute aus dem Jahr 1971 bilden diese Thrillermeisterwerke die Paranoia-Trilogie, die auf ganz unterschiedliche Weise mit der Angst vor dem oder den Anderen umgehen. Sind es in Parallax View die Geheimdienste, ist es in All the President’s Men die Regierung, so sind es in Klute ganz abstrakt die Reichen und Mächtigen, von denen eine bedrohliche Aura ausgeht. Wie in den beiden anderen Thrillern ist es vor allem Unsicherheit, die die gesamte Atmosphäre des Films prägt und unseren Protagonisten in jeder seiner Fragen verfolgt: Warum ist mein Freund verschwunden? Wer ist die Frau, mit der er vermeintlich Kontakt hatte? Warum behauptet sie, sich nicht an ihn zu erinnern? Wer beobachtet uns? Wer bedroht unser Leben? Gibt es überhaupt ein Entkommen aus dieser Welt? In der Beantwortung dieser Fragen verwebt Klute auf grandiose Weise Hitchcock-Motive mit klassischen Film Noir Anleihen und stellt doch die Psychogramme seiner beiden Hauptfiguren ganz ins Zentrum seiner Handlung. Dadurch wird er vielleicht zum persönlichsten, zum intimsten Thriller der 70er Jahre, zu einem ergreifenden Psychodrama über Gefangenschaft im Milieu, den Kampf gegen einen imaginären Feind und den Kampf gegen sich selbst, über Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, aber auch über mögliche Auswege aus dem kriminellen Sumpf. Klute platziert sich zwischen sozialem und psychologischen Vexierspiel, zwischen emotionalem Drama und mitreißendem Thriller und ist damit die perfekte Ergänzung zu seinen politisch hitzigen Trilogie-Geschwistern.

Hundstage [Sidney Lumet]

(USA 1975)

Ein missglückter Banküberfall an einem heißen Morgen in Brooklyn ist das Setup für Sidney Lumets faszinierendes Kammerspiel Dog Day Afternoon, das auf wahren Begebenheiten basiert. Wie es sich für ein Spätwerk des New Hollywood gehört, hat Hundstage ein großes Herz für dramaturgischen und narrativen Realismus und verzichtet dennoch nicht auf bittere, zynische Pointen und eine perfekt in die Geschichte eingewobene Botschaft. Im Zentrum stehen nicht die großen Verbrecher, nicht die kriminellen Genies, sondern die einfachen, verzweifelten Leute, die wenigstens einmal auch auf der Gewinnerseite des Lebens stehen wollen und sich zugleich mit dem Stolz des kleinen Mannes gegen eine ungerechte Obrigkeit behaupten. Über Al Pacinos grandiose Schauspielkunst wurde schon viel geschrieben, auch hier, in Hundstage scheint er immer nochmal einen draufzusetzen. Mit unfassbar viel Energie gibt er einen verbitterten aber auch kämpferischen Kleinkriminellen, der bei allem was schief geht, nie seine Menschlichkeit verliert. Unsterblich wird er in der atemberaubenden, pathetischen „Attica! Attica!“-Szene, fantastisch ist er in der Interaktion mit seinen Geiseln, zu denen er vollkommen natürlich und glaubwürdig eine starke emotionale Bindung aufbaut, weit über jedes Stockholm-Syndrom-Klischee hinaus. Und übergroß wird er in seinem Balancieren zwischen Romantik, Tragik und Heldenhaftigkeit. Die Inszenierung Lumets ist on point, unfassbar spannend und immersiv. Man spürt die Hitze, man riecht den Schweiß, man ist in der selben Anspannung gefangen wie die Protagonisten. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen verwebt Hundstage in seiner Geschichte Außenseiter- subkulturelle und gegenkulturelle Momente, ohne Spott und Machoismus. Sidney Lumets New Hollywood Thrillerdrama ist ein Monstrum von einem Film: Laut, hitzig, kampfeslustig, aber auch anlehnungsbedürftig, introspektiv und mit mehr Liebe, als von einem solchen Film erwartet werden kann.

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