Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre I

Im Grunde genommen ist Kino des Surrealismus in den 80er Jahren bereits ziemlich am Ende. Mit Luis Buñuel stirbt 1983 der wohl wegweisendste Regisseur des Genres und hinterlässt eine Lücke, die sich so schnell nicht schließen wird. Zwar wies David Lynch mit Eraserhead bereits 1977 einen Weg in die Zukunft des surrealen Films – zwischen Avantgarde und unterhaltsamem Genrekino -, in den 80ern kümmert er sich jedoch eher um „bodenständigere“ Projekte wie seinen Elefantenmenschen oder Blue Velvet. Während der neue Surrealismus noch ein wenig in Wartestellung verharrt, lassen aber immerhin die Altmeister mit interessanten Spätwerken aufhorchen: Fellini, Godard, Kluge… die Filmemacher des ersten Beitrags zum surrealen Kino der 80er lesen sich wie ein who is who vergangener Jahrzehnte. Warum sie auch in dieser Dekade begeistern können, lest Ihr hier…

Posession (Andrzej Żuławski)

(Frankreich, Deutschland 1981)

Der polnische Regisseur Andrzej Żuławski hatte sich bereits in den 70ern ans Genrekino gewagt und mit dem silbernen Planeten einen ganz eigenen, eigensinnig Beitrag zum Thema Science Fiction beigesteuert. Mit Possession versucht er sich am Horrorfilm und erschafft ein Meisterwerk das noch wegweisend sein sollte für die gesamte Entwicklung des avantgardistischen Mystery- und Horrorkinos. Cronenberg, Trier, Lynch… jeder Regisseur, der in den folgenden Jahren und Jahrzehnten einen Hybriden aus Melodram und experimentellem Mysteryhorror inszenierte, scheint in irgendeiner Form von Zulawskis mäanderndem Alptraum inspiriert zu sein. Kein Wunder, nicht nur damals, sondern auch heute gibt es kaum einen Film, der so gekonnt eine zerbrochene Beziehung mit apokalyptischer Metaphorik, surrealen Zerrmomenten und düsterem Bodyhorror kreuzt.

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Passion (Jean-Luc Godard)

(Frankreich 1982)

Altmeister Nr. 1: Dass Jean-Luc Godard (Außer Atem) das Spiel mit dem Genre des Surrealismus beherrscht, bewies er schon fleißig in den 60er Jahren mit Filmen wie Alphaville oder Week end. Aber auch in seinen nicht direkt surrealen Filmen liebt Godard es, mit Verfremdungen, symbolismen und Irritationen zu spielen, auf die auch ein Bunuel stolz wäre: In Passion konterkariert der Altmeister der Nouvelle Vague schräge Dreharbeiten zu einem Film mit dem harten Arbeiterleben in einer Fabrik, lässt dabei beide Welten ineinanderfließen, miteinander kollidieren und ineinander auflösen. Das Collagenhafte seiner Erzählung, das permanente Oszillieren zwischen Ebenen, die Asynchronitäten lassen Passion mitunter unfokussiert erscheinen (ein Vorwurf der dem späten Godard von Kritikern oft zugetragen wurde), tatsächlich schmiegen sich hier aber realistische Narration, experimentelle Collage, musikalisches Arrangement und surrealistische Metareferenz wundervoll aneinander und generieren eine Art Filmfilm, der sich perfekt in die Entwicklung Godards einbettet.

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Die Stadt der Frauen (Federico Fellini)

(Italien 1980)

Altmeister Nr. 2: Auch Federico Fellini ist kein ausgemachter Regisseur des Surrealismus, spielt aber in seinen Filmen wie dem Meisterwerk Achteinhalb immer wieder gerne mit freudianischen Metaphern, versteckt in surrealen Traumwelten. In der Stadt der Frauen widmet sich Fellini einem postfeministischen Kampf der Geschlechter, hangelt sich dabei an misogynen Vorurteilen entlang, um schließlich satirisch enorm überspitzt, tiefliegende Ängste der Männerwelt zu persiflieren. Heraus kommt ein surrealer Rausch zwischen Traum und Alptraum, zwischen Sexfantasie und Vorhölle, zwischen militanter Dystopie und bissigem Abgesang auf das konservative Geschlechterbild einer vermeintlichen Boheme. Einer der ersten und faszinierendsten männlichen Beiträge zur Frage nach der Militanz von Feminismus und Maskulinismus.

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Die Macht der Gefühle (Alexander Kluge)

(Deutschland 1983)

Altmeister Nr. 3: Ob die Collagenfilme respektive Filmcollagen Alexander Kluges nun tatsächlich eine konsequente, genresprengende Weiterführung der Episodenfilme eines Bunuels sind, ob sie den Weg des großen deutschen Regisseurs vom Kino zum Fernsehen weisen (nicht einmal fünf Jahre nach diesem Mammutwerk stand die Gründung der dctp auf dem Programm), oder ob sie – wie vom Regisseur immer gerne betont – einfach nur unmittelbare Eindrücke wiedergeben …? Nunja, vielleicht ist die Beantwortung dieser Frage gar nicht so relevant. Viel spannender ist es doch, die Bilder, Narrationen, Metaphern und dialektischen Aneinanderreihungen auf sich wirken zu lassen. Wirklich klüger ist man danach als Zuschauer nicht, aber doch um so vieles bereichert. Die Macht der Gefühle schlingert zwischen dokumentarischem inneren Monolog, Verfremdung, Zitat, Kommentar, technischer Fingerübung und Kurzfilmcollage und ist – Achtung, Floskel! – so viel mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile. Ein faszinierender Beitrag zu Zeit, Genre und Kino an und für sich. Und allein schon durch die radikale Antistruktur ein großes Werk des Surrealismus.

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Egomania – Insel ohne Hoffnung (Christoph Schlingensief)

(Deutschland 1986)

Ein Altmeister war Schlingensief gegen Ende der 80er noch lange nicht, auch wenn er bereits mit einigen radikalen Filmwerken von sich Rede gemacht hatte. Egomania ist dabei vielleicht sein schönster und zugleich verstörendster Film aus dieser Epoche. Aus einem bunten Potpuorri  aus apokalyptischer Kälte, schrillen Farben, Lautstärke und leiser Tristesse zaubert der Punk des späten neuen deutschen Films ein elegisches Drama zwischen Horror, Thriller und Romanze, ausstaffiert mit derbem Surrealismus und zahllosen narrativen Verfremdungen. Das ist ebenso dreckig wie unheimlich, ebenso brutal wie hoffnungsvoll, ebenso dystopisch wie wunderschön. Auf einer Insel ohne Hoffnung suchen sich die Liebenden und finden die Liebe… und dabei zerlegen sie en passant sämtliche filmischen Konventionen, selbst die des progressiven deutschen Kinos der Marke Neuer Deutscher Film. Das muss man auch erst einmal schaffen.

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Erstveröffentlichung: 2015