A Field in England (2013) – Oder, die bizarre Poesie der Desertation

Ist es möglich ein Epos im kleinen Rahmen erzählen? Es ist möglich und es birgt gerade in der Verknappung gar die Möglichkeit, die Grenzen des Epos durch den Bruch zu erweitern. Ben Wheatleys im historischen Setting angesiedeltes Mysterydrama A Field in England (2013) ist der Versuch eines solchen Anti-Epos. Durch seine Skalierung ins Kleinste entzieht er sich den Konventionen seiner Genreverhaftung. Es ist ein Historical Period Drama, ein Kostümfilm, dessen Wesenskern allerdings in der Reduktion der Kostümierung liegt. Es ist darüber hinaus eine merkwürdige Art von Antikriegsfilm, weniger im herkömmlichen cineastischen Sinne, dass er den Krieg anklagt, sondern viel mehr in dem er den Krieg an die Peripherie seines engen Rahmens verbannt. Die Schlacht – in diesem Fall irgendeine Schlacht zum Zeitpunkt des englischen Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert – findet nur als Geräusch statt, und auch nur als Kadrage der eigentlichen Filmhandlung. Der Krieg ist zu Beginn und am Ende zu hören, sobald die Protagonisten in die Handlung einsteigen, verlassen sie bereits das Schlachtfeld. Und als ihre Reise zu Ende ist, betreten sie es wieder, ohne dass das Publikum sie auf dem Weg aus der und zurück in die Realität begleiten darf. Denn in seinem Wesen ist A Field in England vor allem ein Film der Desertation und der Deserteure. Alle vier Protagonisten zu Beginn desertieren vor dem Kriegsgeschehen, im Laufe ihres Trips über das Feld desertieren sie vor der Wirklichkeit, der schließlich hinzukommende Fünfte im Bunde hat scheinbar vor langer Zeit vor der Vernunft desertiert und manch einer, wie der kauzige Friend desertiert gar vor dem Tod. Und während all dessen desertiert der Film selbst vor der Geschichte; sowohl vor dem historischen Rahmen, als auch vor seiner eigenen Narration.

Da ist zum einen Whitehead (Reece Shearsmith). Und Whiethead ist so etwas wie der einzige Link des Films zu seinem Publikum . Whitehead ist ein Intellektueller, einer der sowohl außerhalb seiner Zeit als auch außerhalb des Kriegsgeschehens zu stehen scheint. Und dafür verliert er zu Beginn fast den Kopf. Aber Whitehead hat – oder hatte zumindest – eine Mission. Für seinen alchemistischen und astrologischen Meister soll er den Magier O’Neill (Michael Smiley) finden, der diesem verschiedene wertvolle magische Gegenstände und Dokumente entwendet hat. Auf der Flucht vor den Grauen der Schlacht gesellen sich zu Whitehead der tumb aber freundlich wirkende Friend (Richard Glover), der heruntergekommene Veteran Jacob (Peter Ferdinando) und der ruppige Soldat Cutler (Ryan Pope), der den Deserteuren ein Bier in einem Wirtshaus verspricht, das er am Ende des Feldes ausfindig gemacht hat. Und so stapft die Gruppe kampfesmüde ein verlassenes Feld jenseits der eigentlichen Schlacht hinunter.

Am Ende des Kampfes wartet nicht der Frieden und auch nicht die Erlösung. Dass Cutler die verstoßenen Protagonisten nicht zu einem Wirtshaus führen wird, ahnt man als Zuschauer relativ früh. Spätestens wenn er eine deftige Suppe als Wegration zusammenrührt und dabei eine ordentliche Portion psychoaktive Pilze hinzugibt, ist es mit dem temporären Frieden vorbei. Cutler will sich die Männer nicht nur gefügig machen, er will sie auch zu seinem Herrn und Meister bringen, bei dem es sich, wie es der Zufall (oder das Schicksal) will, um den abtrünnigen Magier handelt, nach dem Whitehead sucht. Die restliche Handlung verschwimmt im Nebel aus Mystizismus, Okkultismus, Gewalt und Wahnsinn. A Field in England ist die Geschichte eines schlechten Trips; auf verschiedensten Ebenen. Die träge, ziellose Reise über das verlassene Feld ist ein Trip für sich, eine Reise zur menschlichen und zivilisatorischen Peripherie. Das Ergebnis des Konsums der halluzinogenen Pilze ist ein mentaler Trip, eine Reise an die Peripherie des Verstandes. Bevor er beginnt, warnt uns der Film vor „flashing images and stroboscopic sequences“. Er übertreibt nicht mit dieser Warnung. In einer beeindruckenden, mehrminütigen – scheinbar endlosen – Sequenz werden wir direkt mit den Auswirkungen der giftigen Pilze auf die Wahrnehmung der Protagonisten konfrontiert. Das Bild vexiert, es wird gespiegelt und in sich selbst zurückgeworfen. Die Kadrage des Films pulsiert, dreht und verschlingt sich selbst wie ein Kaleidoskop. Es ist ein Moment, in dem sich das Bewusstsein des Protagonisten ebenso auflöst wie die filmische Bildsprache, ein Moment in dem pures Chaos zurückbleibt. A Field in England ist aber auch ein Trip über den ästhetischen Wahnsinn hinaus, ein transzendentaler Trip, direkt zu den Pforten der Hölle. Einer unserer Protagonisten glaubt im Magier O’Neill den Teufel höchstpersönlich zu erblicken, die Grenzen von Leben und Tod werden aufgehoben, wenn längst gestorben Geglaubte zurückkehren: Als Vision, als Geist, aber auch als ganz reale Menschen; und das Graben nach dem vermeintlich auf dem Feld verborgenen Schatz gleicht einem Graben direkt hinunter in die Untiefen des Hades.

Aber was will uns der Film auf dieser Reise ins Abgründige erzählen? Die Antwort bleib Regisseur Ben Wheatley seinem Publikum schuldig. A Field in England kennt weder strukturierte Geschichte noch eindeutiges Motiv und verlässt sich stattdessen voll und ganz auf seine Dramatik und Bildsprache. Das muss nicht jedem gefallen. In seiner Reise über das Feld, im Zwiegespräch seiner Protagonisten scheint er so auch immer ein wenig auf der Suche nach seinem eigenen Inhalt zu sein. Viele Momente, Szenen und Sequenzen wirken improvisiert. Wenn Friend ein altes irisches Volkslied anstimmt, wenn Jacob mit schmerzverzerrtem Gesicht seine zahllosen körperlichen Gebrechen aushält, wenn O’Neill sich zum Hypnotiseur und satanischen Despoten aufschwingt, wirkt dies mitunter tollpatschig und sinnbefreit. Tatsächlich ist A Field in England an vielen Stellen behäbig, auch etwas ungelenk und scheinbar selbst nicht so ganz sicher, welchen Vorbildern er nacheifern will. Genau diese fehlende Perfektion macht ihn aber auch so spannend. Die epischen und zugleich beklemmenden Schwarzweiß-Aufnahmen erinnern an Ingmar Bergmans historischen Fantasyklassiker Das siebente Siegel (1957) (mit dem der Film auch so manches postmilitaristische Motiv teilt), mit seinem düsteren Vexierspiel zwischen Psychothriller, Drama und Horror ist er im Post Horror bestens gut aufgehoben, ebenso tangiert seine surreale, psychedelische Schlagseite das experimentelle Kino eines Guy Maddin. Die Dekonstruktion des Epischen, wie sie in manchen Aufnahmen entsteht könnte direkt einem Film von Béla Tarr entsprungen sein. Und doch wird man mit all diesen Referenzen dem wilden Mix von Ben Wheatley nicht gerecht.

Das mag wohl an seinem herausstechendsten Merkmal liegen: A Field in England ist nicht nur bisweilen ungelenk, er traut sich auch, ungelenk zu sein. Er traut sich Pulp, Trash, Schmonz und Wahnsinn zu sein. Wheatley ist sich nie zu schade dafür, seine Kakophonie mit einem Witz übers Kacken oder einer vulgären Schimpftirade zu unterbrechen (eine Eigenheit die er mit seinem jüngeren etwas galanteren Bruder im Geiste The Lighthouse (2019) gemein hat). Manchmal hängt auch einfach nur ein Penis ins Bild oder die vor Tod und Teufel fliehenden Charaktere stimmen überein, dass der größte Schatz, den sie auf dem Feld gefunden haben, ihre Freundschaft ist. A Field in England traut sich an manchen Stellen alberner Quatsch und purer Kitsch zu sein, nimmt sich niemals zu ernst und umgeht so auch geschickt jede Falle des artifiziellen, prätentiösen Narzissmus. Ähnlich wie in Wheatleys Kill List (2011) ist A Field in England nicht nur Filmkunst sondern auch Midnight Movie, auch ein bisschen Exploitation und Harlekinade. Vielleicht ist das seine größte und gelungenste Desertation: A Field in England ist nicht nur ein Anti-Epos sondern geradezu eine Desertation vor dem Epischen. Er entwirft durch seine mäandernde Totalenreiche Bildsprache das Versprechen von etwas Monumentalen und flieht dann davor, indem er sein Szenario auf ein Quasi-Kammerspiel zusammenbricht. Er entwirft ein gigantisches Abenteuerszenario von Schätzen, Prophezeiungen, Hölle, Tod und Teufel und verkürzt diese Motive auf das trunkene Torkeln einiger Versager neben dem Schlachtfeld. A Field in England ist ein Film der Desertation und Deserteure. Und es ist auch eine Herausforderung für den Zuschauer nicht selbst vor diesem merkwürdigen Antifilm, vor diesem Trip jenseits von Kunst und Unterhaltung zu desertieren. Aber er ist in all seiner fehlenden Perfektion viel zu gut, als dass man die Flinte ob seiner Absonderlichkeit ins Korn werfen sollte.

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