Ein Experimentalist als Actionregisseur – Free Fire (2016) von Ben Wheatley

Ben Wheatley ist ein Biest. Und er ist dafür bekannt, alles andere als mainstreamtauglich zu sein. Das liegt vor allem daran, dass er sich für gewöhnlich Genres und Sujets greift, die eigentlich viel zu groß für sein übliches Budget sind, und diese auf ganz eigensinnige Art und Weise erzählt. So zertrümmert er das Historienepos mit seinem klaustrophobischem Irrritt A Field in England (2013), verwebt einen Auftragskillerfilm mit Elementen des Post Horror in Kill List (2011) oder macht aus der Science Fiction Dystopie High-Rise (2015) ein bizarres Sittengemälde, in dem eine klinische Sterilität peu à peu apokalyptischem Wahnsinn weicht. Letzterer spielt wie die Romanvorlage in den 70ern und dieses Jahrzehnt scheint es dem Regisseur angetan zu haben. Denn auch sein jüngster Streich Free Fire (2016) spielt in der Dekade nach dem Sommer der Liebe. Dieses Mal hat sich Ben Wheatley ausgerechnet das Action- und Ganovenkino als Plateau für seine Spielereien ausgesucht, ein Genre, das nicht unbedingt dazu prädestiniert scheint, durch den experimentellen Wheatley-Fleischwolf gedreht zu werden. Aber für Überraschungen war das Biest Wheatley schon immer gut…

Boston, Ende der 70er Jahre: Die Geschäftsfrau Justine (Brie Larson) hat einen Deal zwischen den Aktivisten Chris (Cillian Murphy) und Frank (Michael Smiley) und den Waffenhändlern Vernon (Sharlto Copley) und Martin (Babou Ceesay) arrangiert. Es geht um einen ganzen Haufen automatischer Gewehre, die Chris und Frank nach England verschiffen wollen. Der Handel soll in einem verlassenen Lagerhaus über die Bühne gehen. Die Situation ist jedoch von Beginn an angespannt: Kleine Nickeligkeiten zwischen den frischen Geschäftspartnern, Paranoia bei den Handlangern, die den Transfer logistisch unterstützen, und zu allem Überfluss haben Vernon und Martin dann nicht einmal die versprochenen M16er dabei, sondern nur einen billigen Ersatz. Aber es geht um viel Geld und wichtige Waffen für den politischen Kampf. Also arrangiert man sich irgendwie und bringt das Geschäft unter Dach und Fach. Als jedoch vollkommen unerwartet zwei der Handlanger, die für den Transport der Waffen beziehungsweise des Geldes verantwortlich sind, aufgrund einer zurückliegenden unbedeutenden Kneipenschlägerei aneinandergeraten, eskaliert die Situation vollkommen. Und plötzlich finden sich alle Beteiligten in einem epischen Schusswechsel wieder. Und, wie es sich schnell herausstellt, gibt es in diesem überraschenderweise mehr als zwei Parteien.

Coole Gangster, denen ihr Auftreten wichtiger ist als ihr Überleben. Viele kleine Dummheiten, lockere Sprüche, eine Situation, die aus absurden Gründen eskaliert und ein omnipräsentes „Wer fickt hier eigentlich wen?“ Wer sich bei all diesen Ingredienzen an das Kino Guy Ritchies oder generell tarantinoeske Filme des frühen 21. Jahrhunderts erinnert fühlt, liegt goldrichtig. Eigentlich ist Ben Wheatley dafür bekannt, sein eigenes Ding durchzuziehen, nur selten mit Inszenierungsmustern anderer Regisseure zu kollidieren, hier sind die Parallelen von Dramaturgie und Stilistik einfach zu offensichtlich, als dass sie sich einfach ignorieren ließen. Ihm vorzuwerfen, dem Erfolg Guy Ritchies nachzueifern, wäre aber das Pferd von hinten aufgezäumt. Die Ähnlichkeiten ergeben sich weniger daraus, dass Ben Wheatley von diesem inspiriert wäre, als viel mehr aus der Tatsache, dass er – wie sein Landmann – stark beeinflusst ist vom Pulp-Kino der 70er Jahre. Und im Gegensatz zu Ritchie macht es Wheatley dann auch konsequent und verlegt seine gesamte Handlung in die Zeit, an die er sich ästhetisch anlehnt.

Das Ergebnis ist ein wunderbar pulpiger Bastard aus Ganovenstück, Thrillerkomödie und Action-Rambazamba, das nie versucht auch für das 21. Jahrhundert cool zu sein, sondern sehr bewusst die Coolness und Eleganz seiner Zeit auslotet. Und so ist dann auch die dominante Action weniger ein lautes Feuerwerk, wie man es aus dem heutigen Actionkino kennt, und viel mehr ein räudiges, auch gerne mit Längen arbeitendes Geschieße, in dem ständig Kugeln durch die Luft fliegen, Menschen reihenweise getroffen werden ohne zu sterben, und die Hauptherausforderung darin besteht, von einer Deckung zur nächsten zu gelangen, ohne noch mehr Blei in den Körper gepumpt zu kommen. Free Fire gelingt dabei gleich zweierlei: Zum einen ist er trotz stylischer Ausrichtung alles andere als unrealistisch: Es gibt keinen großen pathetischen Showdown (auch wenn man argumentieren könnte, dass der ganze Film ein einziger, riesiger Showdown ist), niemand kann sich seiner Haut sicher sein, Kugeln treffen oft und gerne. Gleichzeitig bedeuten aber Schusswaffentreffer eben das, was sie bedeuten, wenn es sich primär um Querschläger und Streifschüsse handelt. Sie sind nicht tödlich, tuen scheiße weh und sorgen dafür, dass man sich erst einmal um eine fiese Blutung kümmern muss. Und wenn man mal verletzt ist, ist es verflucht schwer irgendwelche großen Heldentaten zu vollbringen, und manchmal muss man sich im Gefecht auch einfach nur ausruhen. Free Fire ist in diesem Aspekt vor allem ein ruhiges Stellungsspiel, ein Kampf zwischen Amateuren, die teilweise offensichtlich zum ersten Mal in einer solchen Situation und alles andere als routiniert mit ihrer Waffe sind. Zum zweiten gelingt es Free Fire bei einer doch beachtlichen Anzahl an Beteiligten in diesem Höllenfeuer stets den Überblick zu behalten. Es wird nie zu chaotisch, zu diffus; es ist fast immer klar, wer gerade wo steht und wo hin will.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass Free Fire zäh oder gar dröge wäre. Im Gegenteil. Free Fire ist ohne Zweifel Wheatleys eingängigster Film, spielt diesbezüglich in einer ganz anderen Liga als seine bisherigen Werke: Auch wenn man ihm in manchen Kameraeinstellungen, in einigen wenigen artifiziellen Momenten die experimentelle Herkunft seines Schöpfers anmerkt, so ist Free Fire doch in erster Linie ein extrem vergnügliches, lakonisches Actionwunderwerk, das Story, Charakterzeichnung und Subtext ganz weit hinten anstellt, um ein stilsicheres und zugleich dreckiges Vergnügen zu sein. Der Schauplatz ist hervorragend gewählt und wird mit einem großen Ideenreichtum an Perspektiven und Schnitten in Szene gesetzt. Die Kostüme sind fantastisch, stilvoll, schräg, bunt und perfekt auf die Charaktere abgestimmt. Diese wiederum sind herrliche Karikaturen verschiedenster Gangsterklischees, vom eitlen – mehr auf seine Kleidung als sein Leben bedachten – Mittelsmann, über den sich viel zu wichtig nehmenden, im Kampf zur Witzfigur mutierenden Gangsterboss bis hin zum cholerischen, aggressiven Handlanger, der nicht weiter als ein paar Meter denken kann. Da man kaum eine emotionale Bindung zu diesen schrägen Vögeln aufbaut, macht es einen Heidenspaß ihnen dabei zuzusehen, wie sie einer nach dem anderen ins Gras beißen, und gegen Ende darf man zwischen all den Schüssen und Sprücheklopfereien sogar noch ein bisschen rätseln, wer denn nun der Verräter in diesem Kindergarten ist.

Klar, summa summarum ist Free Fire vor allem Style over Substance. Dabei aber verdammt stilsicher, cool und unterhaltend. Ein spaßiges, nostalgisches Actionfeuerwerk, in seiner Action überraschend realistisch und trocken, übersichtlich und gediegen, und dennoch nie langatmig oder verstaubt. Ben Wheatley ist ein Biest. Im postmodernen Unterhaltungskino für kleine und große Actionfetischisten kann er das anscheinend auch sein. Und vielleicht ist das letzten Endes die größte Überraschung dieser wunderbaren, kleinen und gemeinen Actionkomödie.

Ähnliche Artikel