Die besten Western der 80er Jahre?

Für gewöhnlich erhalten die Titel meiner Bestenlisten kein Fragezeichen. Was Western in den 80er Jahren betrifft, muss ich allerdings eine Ausnahme machen. Um das gleich als Disclaimer voraus zu schicken: Ich bin nicht der größte Westernfan. In der Zeit, in der ich groß wurde, den mittleren bis späten 80er Jahren, waren Western immer irgendwie Papa-Filme. Meistens in Schwarzweiß, praktisch immer mehrere Dekaden alt, Filme von Regisseuren und Schauspielern, die ihre beste Zeit lange hinter sich hatten. Western war in diesem Jahrzehnt immer ein historisches kein aktuelles Genre. Die Renaissance der Wildwest-Geschichten im Neo Western lag noch einige Jahre entfernt in der Zukunft und die großen Klassiker hatten ihr Zenit längst überschritten. Und dann gab es ja auch noch, ausgerechnet zum Beginn des Jahrzehnts das größte Genredisaster, das man sich vorstellen kann: Das Epos Heaven’s Gate (1980) hat nicht nur den Ruf, ein Studio fast in den Ruin getrieben und die Karriere seines Regisseurs zerstört zu haben. Darüber hinaus gilt er auch als der Todesstoß für das Genre… zumindest für eine gewisse Zeit. Was E.T. für die Videospielwelt in Atari-Zeiten, das ist Heaven’s Gate für das Westerngenre: Ein Werk so desaströs, das es – zumindest der Legende nach – das Potential hatte, eine ganze Kultur unter sich zu begraben.

Dabei gab es in den 2010er Jahren, gut 30 Jahre nach dem Flop bei Kritik und Publikum durchaus eine Bewegung zur Rehabilitierung des viel geschmähten Films. In einem 216minütigen Director’s Cut wurde der Ruf des epischen Streifens wiederhergestellt. Hier zeigte sich, wie wegweisend die Vorstellungen des Regisseurs Michael Cimino eigentlich waren, Alberto Barbera, Direktor des Filmfestivals von Venedig sprach 2012 angesichts der Aufführung des finalen Schnitts gar von einer der größten Ungerechtigkeiten der Filmgeschichte. Diese Wiederentdeckung des ambitionierten Flops lag 1980 allerdings noch in weiter Ferne, und in der Tat fassten viele Filmschaffende das Westerngenre in der Folgezeit nur noch mit der Kneifzange an. Insbesondere der Epic Western war in diesem Jahrzehnt weder bei Produktion noch Kritik noch Publikum gerne gesehen. Nach dem fantastischen wie eskapistischen Long Riders (1980), der im selben Jahr wie der Megaflop Heaven’s Gate produziert und veröffentlicht wurde, war erst einmal Schicht im Schacht. Western waren nichts mehr, in das Studios viel Geld investieren wollten, und erst Recht hatte niemand mehr Lust auf das nächste große, visuell beeindruckende Westernepos. Bis auf den hochgelobten Spätwestern Pale Rider – Der namenlose Reiter (1985) und dem im selben Jahr erschienenen wenig innovativen und durch und durch traditionellen Silverado (1985) sollte es in den 80ern keinen großen Wurf für einen opulenten, teuren Blockbusterwestern geben.

Das Genre schien mit den alten Helden gestorben zu sein. Und dennoch gab es bereits einige zaghafte Versuche auf seinem von Löchern durchsiebten Korpus neue Ideen zu entwickeln. Bronco Billy (1980) mit Clint Eastwood ist eine davon. Hier glänzte der ehemalige Spaghettiwestern-Antiheld in einer famosen Comedyrolle als abgehalfterter Wildwestshow-Star, der sich damit arrangieren muss, dass die alten Regeln des klassischen wilden Westen schon lange nicht mehr gelten. Angesichts der Genese des Western in der kommenden Dekade ist Bronco Billy damit fast so etwas wie ein prophetischer Metafilm. Ebenfalls an der Ironisierung versuchte sich die B-Western-Hommage Rustlers‘ Rhapsody (1985), die insbesondere für Kenner von 30er und 40er Jahre B-Western eine große Freude war, in Deutschland allerdings unter dem Titel Rhapsodie in Blei derart krude synchronisiert wurde, dass sich das Lexikon des deutschen Films ziemlich ungehalten über die Adaption äußerte. Den Höhepunkt der ironischen Westernkomödie stellt wohl John Landis‘ ¡Drei Amigos! (1986) dar, der weniger Western und viel mehr Actionkomödie, weniger Genrereminiszenz als viel mehr Ausnutzung der Genreästhetik zur Generierung eines typischen 80er Popcornflicks darstellt. Dank Steve Martin, Chevy Chase und Martin Short eine wirklich erstklassige Comedyroutine, aber wohl kaum etwas für echte Westernfans. Bezeichnend für die Westernflaute und den Westernüberdruss in den 80ern dürfte auch die Tatsache sein, dass selbst die Bud Spencer und Terrence Hill Klamauk-Klopper, die in den 70ern oft im Westernsetting angesiedelt waren, sich mehr und mehr auf modernere Settings verließen, um Prügel auszuteilen. Mit Eine Faust geht nach Westen (1981) gab es immerhin einen unterhaltsamen Bud Spencer Solo-Spaghettiwestern, ansonsten waren sowohl die Soloauftritte als auch die Partnerarbeiten der beiden in den 80ern in anderen Genres zu Hause als denen, in denen sie groß geworden sind: Von Südamerika über das Nachkriegsitalien bis zu Märchen aus 1001 Nacht… quasi überall, bloß nicht im Wilden Westen.

Neben der in den 80ern viel und gerne benutzten Ironisierung gab es aber auch andere Versuche, den Western nach dem Western zu erzählen. Mit Young Guns (1988) versuchte sich Christopher Cain an einer Art Brat Pack Western und das meiner Meinung nach durchaus überzeugend. Auch wenn das Feuilleton alles andere als begeistert war von diesem poppigen Antiwestern-Wurf, so ist die Teenie-Version der Billie the Kid Saga doch ein ebenso launischer wie spannender Actiontrip inklusive gut gelaunter Nachwuchsschauspieler und kontextbedingter aber passender Großmäuligkeit. Western, die eigentlich keine Western sind war auch bei anderen Filmemachern das Gebot der Stunde. Die besten Western der 80er Jahre sind entweder Filme, die das historische Westernsetup benutzen, um etwas gänzlich anderes zu erzählen, oder Filme, deren Narration zwar Western schreit, die aber in einem komplett anderen Setting stattfinden: Dazu gehören unter anderem der ScienceFiction/Western-Hybrid Outland – Planet der Verdammten (1981), Walter Hills Actiontrhiller im Westernlook Ausgelöscht (1987) oder Kathryn Bigelows Vampirdrama mit Cowboyreminiszenzen Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (1987). Diese hielten das Genre zumindest in der Erinnerung, bis es dann in den 90er Jahren mit Filmen wie Der mit dem Wolf tanzt und Erbarmungslos endlich eine Renaissance feiern durfte.

Und viel mehr gibt es wirklich nicht zum Westernkino der 80er Jahre zu sagen, dann vielleicht schon eher zu den Sehgewohnheiten der Westernfans in diesem Jahrzehnt. Da diese von der großen Kinoproduktion praktisch im Stich gelassen wurden, waren sie auf das zurückgeworfen, was das Genre in den Jahrzehnten zuvor hervorgebracht hatte. Und das wurde auch tatsächlich im Fernsehen immer und immer wieder serviert. Western als Dad-Filme, diese Wahrnehmung von mir und vieler anderer Kinder meiner Generation rührt natürlich nicht zuletzt daher, dass wir über zehn Jahre lang mit den immer selben Wiederholungen im Fernsehen traktiert wurden: Wir sahen mit unseren Müttern und Vätern High Noon zum hundertsten Mal, wir durften immer und immer wieder mit John Wayne durch die Wildnis, die Steppe und Savanne reiten, und selbst in unserem jungen Alter ahnten wir bereits, hier ein Relikt zu beobachten, kein aktuelles Filmereignis. Vielleicht war genau diese Rekapitulation des Genres in der Wiederholung notwendig, um den Hunger auf Neues, das sich mit dem Alten auseinandersetzt, zu wecken. Der Neo- und Postwestern der 90er und insbesondere 2000er Jahre. Der Westernwestern vom Schlag eines True Grit, der Hommage-Western vom Schlag eines Django Unchained und The Hateful Eight, und nicht zuletzt auch der ernste epische Western wie Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford, für sie war die Nostalgie und der Stillstand der 80er Jahre der richtige Nährboden.

Ohne die zehnte Wiederholung von Katie-Elder-Söhnen und glorreichen Sieben hätte wohl nie diese Mischung aus Faszination und gleichzeitiger Abscheu für das Genre entstehen können, die schließlich für die Geburt des Post Western beziehungsweise Western unserer Zeit verantwortlich war. Damit ist die 80er Westernflaute gar nicht so unähnlich der 90er Horrorflaute, die ebenfalls ein ruhiges Jahrzehnt vor einem Sturm einer großartigen Genrerenaissance darstellten. Denken wir die 80er Western-Dekade ganzheitlich, nicht nur von der Produktion sondern auch der Rezeption her, dann war sie wichtig, wenn nicht gar notwendig als toter Nährboden, der zehn bis zwanzig Jahre später umso beeindruckender wiederbelebt werden sollte.

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