Was muss Kino alles? – Dune (2021) von Denis Villeneuve

Ignorieren wir mal Corona. Bitte zumindest kurz, wenn auch nur für die 1000 Zeichen einer Filmrezension. Seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, befindet sich Kino in einer Rechtfertigungskrise. Woran es liegt, darüber kann man lange diskutieren: Der Videomarkt und vor allem Videoverleihmarkt, der seine Ursprünge in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends hatte und in dessen 90er Jahren so richtig zur Blüte kam. Die „große“ Raubkopie-Ära, in der Filme teilweise vor dem Kinostart schon geleaked online zu finden waren. Und zuletzt die Streamingepoche, in der gerade in den letzten Jahren immer öfter große Filme praktisch zum Kinostart von Netflix und Co. auch gleich online bereitgestellt wurden, inklusive der damit ebenfalls zusammenhängenden starken Serienkonkurrenz. Und das sind nur die externen Faktoren. Hinzu kommt die Qualitätskrise des Blockbusterfilms in den 90ern, die steigenden Ticketpreise und ein neues Selbstbewusstsein beim Publikum, eben nicht mehr für jeden Hype in die Lichtspielhäuser rennen zu wollen. Um dem vermeintlichen Kinotod entgegenzuwirken, haben die großen Produktionsstudios so manches versucht, mal mehr mal weniger erfolgreich. Aber nach wie vor kann man sich sicher sein, dass eben doch alle paar Jahre ein Film ins Kino kommt, der dessen schiere Größe (sowohl auditiv als auch visuell) rechtfertigt. Die erfolgreichsten Blockbuster waren das in den letzten Jahre eher selten (ja, ich blicke zu dir Disney!), sondern eher die etwas daneben laufenden ton- und bildgewaltigen Filme: Dann schon eher die visuellen Experimente eines Lighthouse, die realistisch poetischen Bilder eines Moonlight der rauschhafte Wahn eines Mother! oder die philosophische Pracht eines Science Fictioneers wie Gravity, Arrival oder dem Blade Runner Remake. Gerade Regisseur Denis Villeneuve, der für die letztgenannten Kinomagnete verantwortlich ist, schafft es verzauberndes, mitreißendes Kino inszenieren ohne dabei in die gefällige Popcornfalle zu tappen. Kein Wunder, dass das Feuilleton Luftsprünge machte, als es hieß, er sei für Dune (2021) verantwortlich, dessen literarische Vorlage von Frank Herbert aus dem Jahr 1965 zu den einflussreichsten Science Fiction Epen des 20. Jahrhunderts zählt. Und das immerhin in der dritten Variante nach einer David Lynch Verfilmung, einem leider gescheiterten Versuch von Alejandro Jodorowsky und einer TV-Serie zur Jahrtausendwende. Also dann, ist der Hype gerechtfertigt? Haben wir hier eine neue Kinorechtefertigung vor uns?

Der vordergründig unscheinbare Wüstenplanet Arrakis gehört zu den wichtigsten Rohstoffquellen der Galaxis. Nur auf ihm kann das sogenannte Spice abgebaut werden: Kraftstoff für die interstellare Raumfahrt, bewusstseinserweiternde Droge und Allheilmittel, dass den Menschen stärker werden lassen und sein Leben verlängern kann. 80 Jahre haben die Harkonnen, ein grausames und sadistisches Volk den Spice-Abbaut im Auftrag des Imperators Shaddam IV. den Spice-Abbau auf Arrakis überwacht. Nun sollen sie abgezogen werden und das Haus Atreides angeführt von Herzog Leto Atreides (Oscar Isaac) die imperiale Kontrolle über den Planeten übernehmen. Bei dieser Beauftragung handelt es sich jedoch um eine Falle. Schon lange fürchtet der Imperator die steigende Macht des Hauses Atreides und hofft dieses durch einen provozierten Konflikt mit dem Haus Harkonnen loszuwerden. Zur Familie der Atreides gehören auch die Konkubine des Herzogs, Lady Jessica (Rebecca Ferguson) sowie ihr gemeinsamer Sohn Paul (Timothée Chalamet). Jessica gehört zum Orden der Bene Gesserit, eine telepathisch begabte Schwesternschaft mit ganz eigenen Regeln und Riten, deren Fähigkeiten auch auf den jungen Paul übergegangen sind. Dieser hat in dunklen Alpträumen und Visionen eine Vorahnung von dem Unglück, das dem Haus Atreides auf Arrakis bevorsteht, kann aber nicht verhindern, dass seine ganze Familie zu dem unwirtlichen Planeten aufbricht. Dort werden sie mit Sandwürmern, dem einheimischen lange Zeit unterdrückten Volk der Fremen und einem gewaltigen Hinterhalt konfrontiert, der nicht nur das Schicksal der Familie sondern auch das des gesamten Planeten weitreichend verändert.

Na, habt ihr es gemerkt? Wie ich während dieser Zusammenfassung quasi auf der Tastatur gestottert habe. Und selbst wenn ich sie jetzt nochmal durchlese, kommt sie mir nicht nur unbefriedigend dünn sondern auch ziemlich tollpatschig, ja geradezu tumb vor. Die Romanreihe Dune (1965) gehört zu jenen literarischen Werken, die sich vollkommen zurecht damit brüsten, unmöglich nachzuerzählen zu sein. Und natürlich auch unmöglich zu adaptieren. Versuche gab es freilich, und davon gar nicht so wenig: Der Wüstenplanet (1984) von David Lynch wird wohl auf ewig der am zwiespältigsten rezipierte Film des surrealen Meisters bleiben. Visuell war der Film für seine Zeit beeindruckend, versuchte aber gar nicht erst das Problem mit der Komplexität der Vorlage zu lösen und kam dementsprechend vor allem für Nichtkenner des Romans extrem kryptisch und wirr daher. Die TV-Serie Dune (2000) versuchte den genau gegenläufigen Ansatz und verlor sich in reichlich banalen Dialogen, Overexplaining und dem damals omnipräsenten TV-Budgetproblem. Und dann gab es noch einen leider gescheiterten Dune-Versuch von niemand geringerem als der Avantgarde- und Surrealismus-Ikone Alejandro Jodorowsky in den späten 70er Jahren (in dem unter anderem Salvador Dali mitspielen sollte). Es fällt schwer sich vorzustellen, dass ausgerechnet Jodorowsky die Adaptionsschwierigkeiten, die dem Stoff immanent sind, hätte lesen können. Aber verdammt, hätte ich den gerne gesehen. Immerhin hat es für den Dokumentarfilm Jodorowsky’s Dune (2013) gereicht, der den komplizierten Entstehungs und Scheiterungsprozess des potentiellen Meisterwerks durchleuchtet.

Wenn Denis Villeneuve nun also im Jahr 2021 einen erneuten Versuch startet, den Stoff zu verfilmen sieht er sich mit dem selben Dilemma wie seine beiden erfolgreichen (und der weniger erfolgreiche) Vorgänger konfrontiert: Zum einen inhaltlich dem Stoff gerecht werden zu müssen und zugleich dessen mögliche visuelle Brillanz einzufangen. Ist er dabei erfolgreich? Ja… kind of… Es ist dieser Wüstenplanet-Variante auf jeden Fall anzusehen, dass ihr Regisseur sich dem Dilemma bewusst ist, und dass er versucht die besten Lösungsansätze aus beiden Adaptionen zu verbinden: Den visuellen Rausch eines David Lynchs mit der Konsumierbarkeit der Miniserie. Aber ja, natürlich scheitert er dabei. Er kann nur scheitern. Dune ist einfach mal unmöglich, weil er zu viele Ebenen hat: Da ist die Herausforderung des World Buildings, nicht nur der uns fremden Galaxie, sondern auch des den Bewohnern dieser fremden Galaxie fremde Wüstenplanet. Und hier fliegen dann Politik, Soziologie, Mythologie, Spiritualität und persönliche Beziehungen munter durcheinander. Dune ist einfach ein Koloss, und es ist unmöglich eine Adaption abzuliefern, ohne irgendwo Abstriche zu machen. Der größte Fehler Villeneuves besteht darin, dass er sich lange dagegen sträubt, diesen Kompromiss zu finden. Und so bewirft er das Publikum mit allen Themen und Motiven, die die Dune-Welt hergibt, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt, um den Film genießen zu können. Gleichzeitig bemüht er sich sichtlich darum, dies nicht zu langatmit und geschwätzig zu tun. Es soll keine forcierte Exposition geben, keine Erklärbärdialoge und kein langatmiges Tutorial… zumindest nicht offensichtlich und ermüdend, und damit dies gelingt, greift Villeneuve zu maximaler audiovisueller Härte.

Dune ist, man kann es nicht anders sagen, ein cineastisch extrem aggressiver Film. Villeneuves Antwort auf die Frage „Was muss Kino alles?“ ist „Ja“. Ein lautes, gewaltiges, episches „Ja“. Begleitet von der dröhnenden Musik Hans Zimmers fliegen wir über grüne, vitale Planeten, durch dunkle Unterwelten und über die helle, blendende Wüste. Wenn Raumschiffe abheben fühlt es sich so an, als säßen wir direkt in den Triebwerken, wenn irgendwo ein Feuer brennt, brennt es nicht nur auf der Leinwand… die Leinwand brennt. Wenn es laut wird, dann wird es richtig laut, und wenn es spirituell, transzendental wird, dann wird es so richtig hypnotisch, traumwandlerisch. Dune ist ein visuelles Fest, ein gewaltiger Sog, der schreit „Ich bin Kino!“ und das Publikum dann ordentlich in die Mangel nimmt. Und tatsächlich gelingt es ihm ganz gut in diesem Sog so mit Themen, Inhalten und Motiven auf das gemarterte Publikum zu werfen, dass etwas hängen bleibt. Nicht alles, dafür ist es wie gesagt einfach zu viel, aber doch genug, dass man sich gerne darauf einlässt, in diesen Sog hineingerissen zu werden. Natürlich verpasst man immer was, natürlich verliert man immer wieder was. Kein Wunder, bei der Masse an Namen, Beziehungen, Konflikten, mit denen man hier konfrontiert wird. Aber es reicht. Die inhaltlichen Lücken lassen sich ganz gut ausblenden, wenn man von audiovisueller Brillanz überwälzt wird.

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