Die besten Fantasyfilme und Märchen der 70er Jahre I

Willkommen in den 70er Jahren und damit auch wieder einer mitunter vollkommen anderen Art von Film als in den letzten Fantasyretrospektiven. Die 70er sind im Fantasygenre so etwas wie das letzte unschuldige Jahrzehnt. Ja, die naiven Kitschstreifen, die einfachen Märchen, die bunten Wundertüten gab es auch noch in den 80ern, aber in den 80ern gab es auch die großen neuen Blockbuster, die epischen Düsterwerke, die dunklen Dekonstruktionen des Genres. Von diesen sind die Jahre zwischen 1970 und 1979 weit entfernt. Stattdessen darf das fantastische Kino einfach nur verträumt sein… und musikalisch, wie zum Beispiel Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett, die ein wenig auch die Marry Poppins dieser Dekade ist, oder Scrooge, der nach wie vor zu den schönsten und traditionellsten Charles Dickens Verfilmungen gehört, oder auch die Roald Dahl Verfilmung Charlie und die Schokoladenfabrik, deren deutschen Variante aber unverständlicherweise viele Gesangsnummern zum Opfer fielen. Zwei weitere große Themen des Jahrzehnts sind zum einen die Verfilmungen traditioneller Märchen aus dem osteuropäischen Raum, hier vertreten mit Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, sowie ein äußerst kreativer Umgang mit den damals logischerweise noch nicht so ausgeprägten Special FX Möglichkeiten, wahrscheinlich mit am beeindruckendsten in Sindbads gefährliche Abenteuer zu sehen. Es war eine schöne Zeit, es war eine unschuldige Zeit, eine Zeit in der im fantastischen Film noch vieles anders war als heute.

Scrooge [Ronald Neame]

(Großbritannien 1970)

Albert Finney als der berühmte Geizhals Ebenezer Scrooge war und ist für mich immer noch die ideale Besetzung für die legendäre Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Aber auch unabhängig von dessen großartiger Perfomance ist der 1970er Scrooge einfach mal Nostalgie-Gold: Die Geschichte um einen kaltherzigen Schuft, der mit der Hilfe von drei guten Geistern zum Philanthropen mutiert, ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Hier wird sie als bombastisches Fantasy-Musical erzählt, zwischen naivem Märchencharme auch für die ganz jungen Zuschauer, großem Broadwayfeeling und gar nicht so ungruseligen Spukmomenten, wie Scrooges herrlich ausgedehnte Höllenfahrt mit dem Geist der zukünftigen Weihnacht. Auch davor und danach gab es noch tolle filmische Adaptionen von A Christmas Carol (1843), diese hier hat aber einen ganz besonderen liebenswerten Charme und ein unnachahmliches Gespür für die kleinen Momente und erhabene Größe zur rechten Zeit.

Wir haben in unserem Podcast in einer epischen Weihnachtsfolge alle wichtigen „A Christmas Carol“ Verfilmungen besprochen.

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Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett [Robert Stevenson]

(USA 1971)

In den 70ern steckte die Walt Disney Company in einem filmischen Niemandsland, das bis in die späten 80er Jahre und bis zur großen Disney-Renaissance anhalten sollte. Das bedeutet aber nicht, dass die große Company nicht auch in diesem Jahrzehnt versuchte, an ihr goldenes Zeitalter anzuknüpfen. Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett – Originaltitel: Bedknobs and Broomsticks – ist der wohl offensichtlichste Versuch, den Erfolg vergangener Produktionen zu wiederholen: Alles riecht hier nach Marry Poppins (1964). Eine episodische Erzählweise mit einer losen, aber relativ ernsten Ummantelung. Zauberei, die in die alltägliche Welt eintritt. Schwungvolle Musicalnummern, viel Märchenhaftes durch die Augen von Kindern betrachtet, und im Zentrum eine kurze aber Eindruck hinterlassende Verknüpfung von Realfilm und Zeichentrick. Die Klasse von Mary Poppins erreicht die tollkühne Hexe Miss Price zwar nicht ganz, aber sie ist dennoch eine ungemein charmante, manchmal erschreckend gehässige, Protagonistin, die mit ihren Zauberkräften und ihrem Übermut für ein verzauberndes, liebevolles Abenteuer sorgt.

Charlie und die Schokoladenfabrik [Mel Stuart]

(USA 1971)

Nein, ich werde hier jetzt nicht zum großen Tim Burton und Johnny Depp Bashing ausholen. Wenn es um das 2005er Remake ginge, wäre ich sogar jederzeit bereit, zur großen Verteidigungsrede auszuholen. Aber unabhängig von der Frage nach der Qualität des Remakes, sollte trotzdem in jedem Gespräch über Roald Dahl Verfilmungen zumindest einmal kurz festgehalten werden, dass es nur einen wahren Willy Wonka gibt. Und der heißt natürlich Gene Wilder. Seine Verkörperung des exzentrischen Süßwarenfabrikanten steckt so voller Spielfreude, so voller Leben, irgendwo zwischen cholerischer Schrägheit, gruseligem Mysterium und wahnwitzigem Humor. Es ist aber nicht nur Wilders Acting. Willy Wonka & the Chocolate Factory ist ein fantastischer Trip durch die titelgebende Schokoladenfabrik und alle Formen von quasi-pädagogischem Sadismus, Süßigkeiten, Süßlichkeiten und ein Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen großartiger Fantasterei und groteskem Zucker-Alptraum. Vollkommen zurecht ein Genreklassiker.

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel [Václav Vorlíček]

(ČSSR, DDR 1973)

Ach ja, der gute alte DEFA-Märchenfilm. Jeder der in den 80ern egal ob west oder ost fernsehsozialisiert wurde, dürfte die großen Klassiker kennen. Aus heutiger Sicht natürlich hoffnungslos veraltet, und damals im Grunde schon unfassbar kitschig, schmalzig und himmelschreiend naiv. Die deutsch-tschechische Koproduktion Drei Haselnüsse für Aschenbrödel gehört ohne Zweifel zu den bekanntesten und beliebtesten Filmen dieser Reihe, findet sich in ihr doch alles, was den osteuropäischen Märchenfilm der 70er Jahre auszeichnet: Ein nicht zu leugnender pittoresker Ästhetizismus, kombiniert mit einem feinen Gespür für subtile Selbstironie, der Mut über die Vorlage hinauszugehen und aus dieser neue Motive hervorzukitzeln, und dabei auch keine Angst vor Experiment, Pathos und auch ein bisschen Größenwahn. In diesem darf der Film dann sogar – Grimm-untypisch – beinahe schon feministisch agieren, gibt er seinem Aschenputtel doch deutlich mehr zu tun, als sich dies andere Verfilmungen (wie unter anderem Disney) trauen. Klar, Nostalgie spielt hier eine nicht zu unterschätzende Rolle, aber auch unabhängig davon ist Tři oříšky pro Popelku (zumindest eine Erwähnung hat der wunderschön klingende Originaltitel verdient) ein wirklich sehenswerter Märchenfilm, der hoffentlich noch viele künftige Generationen verzaubern wird.

Sindbads gefährliche Abenteuer [Gordon Hessler]

(Großbritannien, USA 1973)

In Zeiten von CGI und bombastischen Marvel-Spektakeln mögen die Stop-Motion-Effekte von Ray Harryhausen vielleicht ebenfalls etwas antiquiert wirken, aber es lässt sich nicht verleugnen, dass sie auch heute noch einen ganz besonderen Charme haben, ja vielleicht sogar besser gealtert sind als die meisten CGI-Werke der 90er oder frühen 2000er Jahre. Mancher Lästerer wird an dieser Stelle vielleicht auch anmerken, dass Sindbads gefährliche Abenteuer nicht mehr zu bieten haben als detailverliebte sowie selbstverliebte Special Effects, aber auch das tut diesem epischen Fantasyspaß Unrecht. The Golden Voyage of Sinbad lebt von seinen liebevollen Kostümen, seiner grandiosen, opulenten Musik, seinem ausstatterischen Bombast und seinem Faible für gigantomanische Abenteuer, die immer ein bisschen naiv, immer ein bisschen drüber, aber eben auch immer verflucht unterhaltsam sind.

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