Die besten Fantasyfilme und Märchen der 80er Jahre I

Die 80er waren ein Jahrzehnt der großen cineastischen Meisterwerke, aber ebenso auch ein Jahrzehnt der cineastischen Peinlichkeiten. In kaum einer anderen Dekade liegen verquaste Cheesiness und große ästhetische Reife so dich beieinander. Fast in jedem Film der Zeit findet man sie, die 80’s Ingredienzen, denen der Lauf der Zeigt nicht gut getan hat: Glitzernd, funkelnd, synthetisch albern… und retrospektiv betrachtet mitunter mehr als peinlich. Gerade das Fantasy-Genre bietet überbordernde Möglichkeiten, um all das bis zum Exzess auszuspielen, was die 80er so charmant trashig machte. Dementsprechend lautet die Frage in unserer ersten 80er Retrospektive nicht nur „Was waren die großen Meisterwerke des Fantasyfilms?“ sondern im selben Maße auch „Funktionieren diese noch in unserer Zeit?“. Und fürwahr, es gibt mehr als genug große Märchen und fantastische Filme, die man sich auch heute noch ohne Schamgefühl, mit viel Vergnügen oder gar echter Ergriffenheit geben kann… genug Meisterwerke für gleich mehrere Best-Of-Aufstellungen. In der ersten begegnen wir unorthodoxen Rotkäppchen-Interpretationen in der Zeit der Wölfe, genießen Märchen-Romantik am Tag des Falken, reisen durch die Zeit mit den Time Bandits, landen in einem alptraumhaften Paperhouse und gönnen uns größenwahnsinnige Lügenmärchen von Münchhausen persönlich.

Die Zeit der Wölfe [Neil Jordan]

(Großbritannien, 1984)

Das ganze Konzept „Märchen für Erwachsene“ ist mir eigentlich ziemlich suspekt. Nicht, weil ich nicht glaube, dass es möglich ist, klassische Märchenstoffe dunkel, allegorisch und anspruchsvoll zu erzählen… sondern eben weil ich glaube, dass genau die Dunkelheit, Reife und Parabolität grundsätzlich Charakteristika von guten Märchen sind. Von den Brüdern Grimm über Hans Christian Andersen bis zu Astrid Lindgren hatten die großen Märchen eben immer diese Komponenten, zumindest für den aufgeschlossenen, aufmerksamen und interpretationsfreudigen Rezipienten. Interpretationsfreudig ist die düstere, freudianische Rotkäppchen-Interpretation „Die Zeit der Wölfe“ ebenfalls. Hier spiegeln die Mensch/Wolf-Hybriden Ängste, Sehnsüchte und beginnende Sexualität eines jungen Mädchens wider. Erzählt in traumatischen, betörenden und vieldeutigen Bildern wird der Horror/Fantasy/Märchen-Bastard dadurch zu einem rauschhaften, intelligenten Hochgenuss, der auch heute noch zu verzaubern, beeindrucken und verängstigen vermag.

Der Tag des Falken [Richard Donner]

(USA, 1985)

Auch Richard Donners Tag des Falken nutzt die Möglichkeiten des Fantastischen, um eine ebenso dunkle wie erwachsene wie romantische Allegorie um Liebe, Sehnsucht und die Flüchtigkeit und gleichzeitige Beständigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen zu erzählen. Mann und Frau, Ritter und Geheimnisvolle, Wolf und Falke, getrennt durch einen bösen Fluch wandern gemeinsam durch die Landen des 13. Jahrhunderts. Der Tag des Falken erzählt diese schlichte Geschichte als reifes, mitunter spitzbübisch komisches Märchen, das zarte magische Poesie ebenso beherrscht wie flammende Action und spannende Fantasy-Szenarien. Manches an der Inszenierung mag Over the Top, cheesy und nicht mehr ganz zeitgemäß wirken, alles in allem ist Ladyhawke aber ein beeindruckendes opulentes Epos, dessen Dramaturgie immer zu den wesentlichen Punkten zurückfindet und dabei stets mitreißt und unterhält.

Time Bandits [Terry Gilliam]

(Großbritannien, 1981)

Time Bandits gehört vielleicht nicht zu den besten Filmen Terry Gilliams, dürfte aber eines seiner unterschätztesten Meisterwerke sein. Die Reise eines kleinen Jungen mit sechs Kleinwüchsigen durch Raum und Zeit ist eine große, große bastardische Mischung aus pythoneskem Irrsinn, parabolischer Kindheitsreflexion und epischer Fantastik. Stets gelingt es diesem Anti-Märchen von skurrilem Nonsens zu dunklem Horror, von traumatischer Dramatik zu fantastischen Träumereien und wieder zurück zu springen. Dabei bordet der Film geradezu über von skurrilen, außergewöhnlichen Ideen, von Robin Hood Reinterpretationen über Menschenfresser, Agamemnon, schiffköpfige Riesen bis hin zur groteskesten Teufel- und Gottdarstellung des fantastischen Kinos überhaupt. Falls ihr dieses irre Spektakel noch nicht gesehen habt, holt es so schnell wie möglich nach. Es warten absurder Witz, Kafkaesker Schrecken, mitreißende Fantasy und ausgesprochen tiefsinnige Allegorik… und all das auf einer unterhaltsamen, zügellosen Achterbahnfahrt, die bei jedem Schauen besser wird.

Die Abenteuer des Baron Münchhausen [Terry Gilliam]

(Großbritannien, 1988)

Ironischerweise bilden gerade zwei komplett unterschätzte Filme, Time Bandits und eben Münchhausen, eine Klammer um das große Werk Terry Gilliams in den 80ern. Mit Münchhausen hatte ich zugegebenermaßen auch immer meine Probleme. Gerade im Vergleich zu Brazil wirkt die Reinterpretation des Sagen-Stoffes ein wenig bieder, zu opulent, fast schon an Hollywood angeknüpft. Aber heh, es ist nie zu spät, die Größe eines Films zu erkennen und vor einiger Zeit hat es bei mir und beim Baron Klick gemacht. Gilliam kümmert sich in diesem Film nämlich weder um seinen noch um den Ruf der Vorlage und gebiert sich als exzentrischer Monumentalfilm-Macher. Das ist genau der Größenwahn aus dem große Meisterwerke entstehen, oder eben vollkommenes Scheitern (Don Quijote anyone?)… Münchhausen ist ersteres: Megalomanisch, überambitioniert, selbstverliebt, buntbuntbunt, hektisch, kreischend und einfach nur genial. Es sollte zwei ganze Jahrzehnte dauern, bis Gilliam dieses Mammutwerk des Größenwahns toppen sollte, mit Dr. Parnassus, ebenso genial, ebenso missverstanden, ebenso unterschätzt.

Paperhouse – Alpträume werden wahr [Bernard Rose]

(Großbritannien, 1988)

Oh ja… ich glaube dieser düstere Märchentrip in die Welt der Träume ist mir nochmal einen eigenen etwas größeren Text wert. Bis dahin nur so viel: Zwölfjähriges Mädchen malt Haus, besucht dieses in seinen Träumen und die peux à peux entstehende Welt entwickelt sich sukzessive zu einem Alptraum. Als Kind hat mir dieser Film eine höllische Angst eingejagt, als junger Erwachsener fand ich ihn cheesy und albern und mittlerweile habe ich mich erneut in ihn verliebt. Denn hinter der Mischung aus fragiler Romantik, sentimentaler, naiver Fantastik und düsterem Kinder-Horror schlummert eine tiefsinnige Parabel auf das Erwachsenwerden, ein psychologisch feinsinniger und subtextuell außerordentlich anspruchsvoller Film. Dieser funktioniert als Fantasy-Trip ebenso wie postmoderner Horrorfilm, als surreales Drama ebenso wie effektgeladener Mysterythriller. Paperhouse ist nicht weniger als eines der erinnerungswürdigsten vergessenen Meisterwerke des fantastischen Kinos unserer Zeit.

Diesen Film haben wir auch in unserem Podcast besprochen.

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The Purple Rose of Cairo [Woody Allen]

(USA, 1985)

WOODY! In der 80er Retrospektive mache ich definitiv nicht den Fehler, bis zum Schluss zu warten und dann alles bei den Tragikomödien einordnen zu müssen. No way, Woody Allen kann so viel, so viel mehr. The Purple Rose of Cairo zum Beispiel, der mit Märchen, Liebesfilm, Tragikomödie und selbstreferenzieller Dekonstruktion gleich mehrere Genres und Erzählweisen in sich vereint und abdeckt. Die Geschichte einer Kinobesucherin, die sich in fiktive Figur verliebt – die die Leinwand verlässt – und zugleich mit dessen schauspielerischen Alter Ego flirtet, ist eine wunderbare, fantastische Liebeserklärung an das klassische Hollywoodkino, funktioniert darüber hinaus aber auch als famoser, stilverliebter Fantasyfilm, der mit einem Lächeln und einer Träne sein Publikum berührt, verzaubert und auch zum Nachdenken bringt.

A chinese Ghost Story [Ching Siu-Tung]

(Hongkong, 1988)

Zum Abschluss noch ein Sprung weg vom westlichen Kino, inklusive Beweis, dass sie bereits in den 80ern auch in asiatischen Gefilden Opulenz und Epochalität draufhaben. A Chinese Ghost Story ist eine frühe Vorahnung des außerordentlichen Erfolgs asiatischer Filme gegen Mitte und Ende der 90er Jahre, ganz gleich ob Horror, Fantasy oder Wuxia. Schließlich hat dieses romantische Geister-Epos von all dem etwas: Die stilisierte, ästhetisierte Form des monumentalen Wuxia-Films, den detaillierten, mysteriösen Spuk des Asia-Horrors, die Filigranität des japanischen Animes der Marke Gibli… und den richtigen Sinn für Überschräges, Übersinnliches, Übervolles… mitunter auch Unüberschaubares. Macht nichts: Grandiose Unterhaltung an den Grenzen des Genres und trotz kleiner Altersblessuren  immer noch ein formvollendetes, gedichtetes Vergnügen.

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Erstveröffentlichung: 2012