Die besten Liebesfilme der 70er Jahre II

Wie sich herausgestellt hat, klaffen bei mir doch größere Wissenslücken auf, was Liebesfilme der 70er Jahre betrifft. Daher sei mir verziehen, wenn nach der letzten und dieser Liebesfilmretrospektive eine etwas größere Veröffentlichungslücke entstanden ist. Der Grund ist einfach: Ich musste Romanzen schauen, reichlich. Und das wird bestimmt nicht das letzte Mal sein, dass ich meinen cineastischen Kanon neu kalibrieren musste. Je weiter es in die Vergangenheit geht, umso mehr bin ich gezwungen mir Wissen anzulesen, beziehungsweise anzuschauen. Aber das ist ja auch der Sinn dieser Bestenlisten: Nicht nur für die Leser*Innen, sondern auch für mich selbst neue Filme kennenzulernen, vergessene Perlen zu entdecken, das Durchschnittliche vom Besonderen zu trennen.

Leider sind die 70er Jahre quantitativ deutlich stärker als qualitativ. Vieles Durchschnittliche, Profane und Alberne musste ich die letzten Wochen sehen. Aber ein paar Klassiker, ein paar Perlen haben sich dann doch ergeben. Diese kommen, vielleicht nicht sonderlich überraschend, vor allem von unseren Nachbarn aus Frankreich. Dorthin hat es bereits in den 60ern Romy Schneider verschlagen, der es gelang sich in gleich mehreren Filmen von ihrem Image als putzige, unschuldige Sissi freizuspielen. In den 70ern waren dies vor allem die Arbeiten mit Claude Sautet, nicht nur aber auch die beiden Liebesfilme César und Rosalie sowie Eine einfache Geschichte. Der stärkste französische Liebesfilm der 70er Jahre kommt allerdings wahrscheinlich vom Nouvelle Vague Romantiker François Truffaut, der mit Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent eine Dreiecksbeziehung als psychologisch komplexes und nichtsdestotrotz poetisches Liebesdrama inszeniert. Aber auch Deutschland war in den 70ern zur Liebe in der Lage. West wie Ost. Erstere mit dem aufregenden Neuen Deutschen Film von Rainer Werner Fassbinder Angst essen Seele auf, Zweitere mit dem ebenso kitschigen, pittoresken wie optimistischen melodramatischen Märchen Die Legende von Paul und Paula.

César und Rosalie [Claude Sautet]

(Frankreich 1972)

Gleich eine ganze Reihe erotischer, düsterer, morbider und makaberer Filme halfen Romy Schneider dabei von ihrem Ruf als süßer, royalistischer Heimatfilmfratz loszukommen. Claude Sautets Liebesdrama César und Rosalie gehört nicht unbedingt zu den ersten Filmen, die einem bei diesem Imagewechsel in den Sinn kommen. Und doch gehört er zu den stärkeren Filmen, an denen Schneider in den 70ern mitgewirkt hat. Gerade im Liebesfilmbereich gab es sie nämlich auch in viel Kitschigem, Albernem und Durchschnittlichem zu sehen. Sautets Geschichte von einer komplizierten Dreiecksbeziehung forciert keinen Schneider-Imagewandel, sondern lässt seine Protagonistin als fröhliche, lebenslustige aber auch unsichere Dame auftreten. Sie befindet sich im permanenten Zwiespalt zwischen einem unsteten Künstler und einem erfolgreichen, selbstbewussten Unternehmer. Dieser Zwiespalt wird jedoch nie als großes Melodram inszeniert, sondern viel mehr als heiterer, liebenswürdiger und zugleich makaberer Reigen, erwachsener und vor allem ziemlich verwöhnter französischer Bürger. Dabei halten sich Liebe und Spott exzellent die Waage, Sautet wird auch gerne mal frotzelnd, albern und altklug, gleichzeitig schwingt eine nicht zu leugnende Erotik und ein Hang zum Eskapismus in den wunderschönen Bildern zwischen Paris und französischer Küste mit. César und Rosalie ist ein charmanter, vielleicht etwas selbstverliebter Liebesfilm mit tollen Dialogen, großartigem Schauspiel (nicht nur von Schneider sondern auch allen anderen Beteiligten, insbesondere Yves Montand), und einer augenzwinkernder Verzückung vom Bildungs- und Besitzbürgertum Frankreichs.

Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent [François Truffaut]

(Frankreich 1971)

Dreiecksbeziehungen beherrscht auch François Truffaut, der mit Jules und Jim (1962) den wohl besten Film dieses romantischen Subgenres auf die Leinwand gezaubert hat. In Les Deux Anglaises et le Continent, der wie Jules und Jim auf einem Roman von Henri-Pierre Roché basiert, greift er das Thema auf und erzählt mit ihm die Geschichte eines französischen Dandy, um den zwei puritanische Schwestern aus Wales buhlen. Während sein anderer Dreiecksklassiker vor allem lebenslustig, urban und hedonistisch ist, kommt diese Geschichte deutlich getragener, poetischer und introspektiver daher. Truffaut nimmt sich viel Zeit zu durchleuchten, was in seinen Charakteren vorgeht, er lässt präsentiert in üppigen Bildern und ausschweifenden Gedankengängen ihr Innerstes, reflektiert ihre Gefühle in Dialogen wie Monologen und liefert so ein beeindruckendes Porträt der Liebe als solche. Man könnte Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent durchaus als so etwas wie das geschwätzige, psychologisierende weibliche Pendant zu Jules und Jim betrachten, würde damit diesem gedankenverlorenen Historical Period Meisterwerk aber nicht im geringsten gerecht werden. Seine Stärke, Eigenständigkeit und Einzigartigkeit besteht gerade darin, dass er derart reflektiert ist, dass er allem Bedeutung beimisst, dass er Geschehnisse analysiert, während sie geschehen. Dadurch erreicht er eine Dichte und Tiefe, zu der Liebesfilme, selbst aus dem intellektuellen Kino, nur selten gelangen können. Die Geschichte von Claude, Muriel und Ann ist ein ein wenig vergessener Film des Nouvelle Vague Künstlers, gehört aber zu seinen intelligentesten und dennoch und gerade deswegen emotional mitreißendsten Filmen.

Eine einfache Geschichte [Claude Sautet]

(Frankreich 1978)

Keineswegs intellektuell oder psychologisch tiefgründig ist Claude Sautets Une histoire simple, der aber im Titel schon durch und durch transparent macht, worum es ihm geht. Sautet möchte hier eine einfache Geschichte erzählen, eine Geschichte von Menschen, die in der Mitte ihres Lebens stehen und zwischen denen die Chemie neu gemischt wird. Wäre man gehässig, könnte man diese einfache Geschichte als Midlife Crisis Geplänkel übersättigter Oberschichtler bezeichnen, aber bei Gott ist das Ganze charmant, romantisch und stilsicher inszeniert. Richtige Klasse gewinnt der Film nicht zuletzt durch das herausragende Zusammenspiel von und die unfassbar großartige Chemie zwischen seinen beiden Hauptfiguren, gespielt von Romy Schneider und Bruno Cremer. Ihnen gelingt es die Profanität des Dargestellten mit Leben, mit Liebe und Leidenschaft zu füllen. Dank ihres Nuancenreichtums wird das Simple auch zum Großen, das Anekdotische zum Bedeutsamen. So umschifft Une histoire simple die Gefahren des Kitschs, wird nie zum bloßen poetischen Arthaus-Vehikel, sondern bleibt bei aller Bilder- und Dialogverliebtheit erden und vor allem ehrlich und authentisch.

Die Legende von Paul und Paula [Heiner Carow]

(DDR 1973)

Den Kitsch umschiffen… nun, das gelingt dem Lieblingsfilm der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mal so überhaupt nicht. Das DDR-Liebesdrama Die Legende von Paul und Paula ist durch und durch sentimental, melodramatisch, kitschig und märchenhaft. Aber er ist auch mehr als der große romantische Ostschlager. In ihm steckt auch der realistische Blick auf den Alltag im urbanen Ostdeutschland, so ungefiltert (und frei von politischer Gewalt), dass er fast als Zeitporträt daherkommt. In ihm steckt auch die bedingungslose Hingabe, nicht nur zwischen zwei Menschen zueinander, sondern auch die Hingabe eines jeden einzelnen Menschen zum eigenen Lebensentwurf, zur Suche nach Glück. Die Legende von Paul und Paula ist eine Kampfansage an Trostlosigkeit, Lethargie und Langeweile, ein Manifest dafür, dass es sich immer lohnt, hoffnungsvoll zu sein, romantische Abenteuer zu wagen und die Suche nach dem großen Glück nicht aufzugeben. Ja, das ist dann oft naiv, poppig, unrealistisch und märchenhaft, aber so verflucht lebensbejahend, so ungeniert romantisch, so hoffnungslos optimistisch, dass man diesen duetschen Filmklassiker und Publikumsliebling einfach nur liebhaben kann, liebhaben muss.

Angst essen Seele auf [Rainer Werner Fassbinder]

(BRD 1974)

Wie anders ist dagegen Rainer Werner Fassbinders Auseinandersetzung mit Rassismus, Hass und Vorurteilen in der Bundesrepublik der 70er Jahre: Ein realistischer, manchmal makaberer, oft trister und dramatischer Brocken von einem Film. Natürlich ist die Geschichte der Liebe zwischen dem Marokkaner Ali und der Witwe Emmi Tableau ein Gesellschaftsporträt, eine politische Kampfschrift, eine gnadenlose Sezierung der kranken bundesrepublikanischen Gesellschaft. Aber lassen wir Politik und Soziales einmal kurz außen vor, dann haben wir einen der wundervollsten Liebesfilme des Neuen Deutschen Films vor uns. Gerade weil er politisch so pointiert ist, weil er dort ansetzt, wo es in der Gesellschaft wehtut, wurde und wird ihm von der Kritik oft ein wenig Unrecht getan, indem er auf seine gesellschaftspolitische Bedeutung reduziert wird. Dabei ist die wachsende Liebe des vermeintlich ungleichen Paares so wundervoll romantisch inszeniert, ihr Kampf gegen innere und äußere Widerstände steckt so voller Herzenswärme, voller Menschlichkeit und Hoffnung. Die Chemie zwischen Brigitte Mira und El Hedi ben Salem ist exzellent, auf eine eigene verklemmte, kühle und stoische Art sprühen hier die Funken, es blitzt und glänzt und es darf sogar etwas wie schüchterne Erotik evoziert werden. Es fällt gar nicht so leicht, Angst essen Seele auf als Liebesfilm zu rezipieren, weil er eben so viel mehr ist, weil eben eine schlichte Liebesgeschichte gegen ein aufwühlendes Sozialdrama im Feuilleton nur verlieren kann, weil der Neue Deutsche Film nicht unbedingt für seine romantische Seite berühmt war; wenn man aber diese Rezeptionsebene zulässt, erlebt man hier einen der schönsten Liebesfilme made in Germany.

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