Die besten Filme 2012 – Frances Ha von Greta Gerwig und Noah Baumbach

Es gab ein – filmhistorisch betrachtet relativ kleines – Zeitfenster, in dem schwarzweiße Bilder so etwas wie ein Aushängeschild des gehobenen Independentkinos waren. Gemeint ist die Zeit der mittleren bis späten 80er bis weit in die 90er Jahre hinein. Eine Zeit, in der der Schwarzweißfilm im Mainstreamkino keine Rolle mehr spielte und entweder sehr bewusst als ästhetisches Stilmittel im Arthaus eingesetzt wurde oder eben in genannten Indie-Produktionen. Im Gegensatz zum Arthaus handelte es sich bei jenen Filmen jedoch nicht um eine ästhetische sondern meist eine budgettechnische Entscheidung. Bevor der digitale Film herausragende Kameras auch für unabhängige Produktionen erschwinglich machte, mussten die Regisseurinnen und Regisseure ohne großes Studio im Rücken gezwungenermaßen technische Abstriche machen. Und wer gute Bilder über den Low Budget Film hinaus produzieren wollte, machte diese Abstriche dann meist im Bezug auf die Farbe. Im Grunde genommen wusste man damals als Kinogänger bereits, wenn man einen Indiefilm in schwarzweiß sah, dass sich der Regisseur Gedanken gemacht hatte, wie er seine Vision mit seinem schmalen Geldbeutel am besten auf die Leinwand bringen konnte: Jim Jarmuschs Down by Law (1986), Kevin Smiths Clerks (1994) oder Christopher Nolans Following (1998) dürften zu den retrospektiv bekannteren Werken dieser Ära gehören. Wenn ein Indieflick jüngeren Datums auf dieses Stilmittel setzt, besteht schnell die Gefahr, dass dies prätentiös wirkt, versucht es doch einen aus Notwendigkeit geborenen Charakter des klassischen Indiekinos zum bewussten Stilmittel zu erklären und sich mit Einsatz dieses Stilmittels selbst bei den Ahnen einzureihen. Um das gleich vorwegzuschicken: Dies ist bei Greta Gerwigs und Noah Baumbachs gemeinsamen Projekt Frances Ha (2012) nicht der Fall, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Geschichte um die umtriebige wie phlegmatische Frances durch und durch eine Reminiszenz an das unabhängige Slackerkino der 90er Jahre darstellt, dabei aber äußerst charmant dessen Prototypen und Stereotypen auf die Generation der Millennials überträgt.

Undatable, so wird Frances (Greta Gerwig, die sich gemeinsam mit Regisseur Noah Baumbach auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet) von ihrem Freund und kurzfristigen Mitbewohner Benji immer wieder genannt. Nichts könnte näher an der Realität liegen und doch weiter von ihr entfernt sein. Das Publikum hat knappe 90 Minuten Zeit, sich in diese Frau zu verlieben, sich von ihrer Undatebarkeit und ihrem gleichzeitigen überbordernden Charme überzeugen zu lassen. Frances Halladay ist genau so unvollkommen, wie ihr abgeschnittener Nachname im Filmtitel – dessen Bewandtnis erst am Ende aufgeklärt wird – suggeriert. Ebenso unvollkommen wie sie ist auch die Narration des Films, der uns einen kurzen Einblick in ihr Leben verschafft. Frances Ha hat weder eine klare Struktur noch ein Ziel. Was wir sehen, sind Ausschnitte, lose Episoden aus dem Leben der Protagonistin, mehr schlecht als recht zusammengehalten durch Texttafeln, die auch nicht viel mehr offenbaren als den Ort, an dem Frances gerade lebt, beziehungsweise an dem sie sich gerade aufhält. Die mitunter in schneller Reihenfolge aufgerufenen Ortswechsel scheinen dabei fast ein Symbol für das rastlose und unstete Leben Frances‘ zu sein. Man wäre geneigt, dieses Leben als sinnlos zu sehen, wäre es nicht mit so viel Liebe und Warmherzigkeit gefüllt.

Da ist zum Beispiel ihre konstanteste Beziehung, zu ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin Sophie (Mickey Sumner). Sie leben eine Zeit lang zusammen und charakterisieren sich dabei selbst als altgewordenes Ehepaar, das keinen Sex hat, aber sonst durch dick und dünn geht. Sowohl ein Umzug Sophies, als auch ihr plötzlich wachsender beruflicher Erfolg und erst recht ihre Beziehung zum blassen Workaholic und Schönling Patch (Patrick Heusinger) versetzen die gemeinsame Freundschaft in eine tiefe Krise. Frances, immerhin schon 27 Jahre alt, will eigentlich mehr vom Leben: Vielleicht wirklich eine professionelle Tänzerin werden; immerhin reißt sie sich dafür in ihrer Tanzcompany eine Zeit lang den Arsch auf… bis es auch hier zu herben Rückschlägen kommt. Ein missglücktes Date verschafft ihr immerhin eine neue Wohnung, in der sie eine enge Beziehung zu „undatable“ Benji (Michael Zegen) aufbaut. Aber auch das scheint alles nicht von Dauer. Was Frances bei all ihren scheiternden Bemühungen im Weg steht, formuliert der Film nie aus: Vielleicht ist es ein wenig die erfolgsorientierte Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts, vielleicht ist es ihre provinzielle Herkunft, ihre daraus resultierende Unbedarftheit, vielleicht ist es am meisten sie selbst, mit ihrem Phlegma und dem Festhalten an ihrem hedonistischen Lebensstil.

Die Probleme, in die Frances durch dieses Setup gerät, erzählt uns der Film auf ungemein charmante, unaufgeregte Weise. Tief in seinem Herzen ist Frances Ha ein Feel Good Movie der alten 90er Jahre Indie-Schule. Frances ist dabei auch ein bisschen Manic Pixie Dreamgirl, allerdings mit dem entscheidenden Twist, dass ihr Charakter zu keinem Zeitpunkt aus der männlichen Perspektive erzählt wird. Frances Ha besitzt einen dezidiert weiblichen Blick und hat so auch alle Zeit der Welt, die tatsächliche Verfassung des Stereotyps hinter dem male gaze zu entblättern. Dazu gehören auch so manche unangenehme Fremdschäm-Momente, zum Beispiel ein verkorkstes Dinner mit Bekannten, deren Lebensentwürfe so überhaupt nicht mit dem Leben der Protagonistin kompatibel sind. Aber die meiste Zeit über versucht Frances Ha dem Publikum nicht wehzutun und ist statt unangenehm viel mehr kurzweilig, beschwingt und herzerwärmend. Dies liegt nicht zuletzt auch an seinen ästhetischen Einflüssen, die noch weiter zurückreichen als zum Indiefilm der 90er Jahre. Namentlich – und von Baumbach und Gerwig auch gerne immer wieder erwähnt – sind dies die Ikonen der Nouvelle Vague und des komödiantischen New Hollywood: Dazu gehören eine ungeheuer schnelle Erzählweise, inklusive Ton-Bild-Scheren, Jump Cuts und verschnörkelten Montagen: Oft blitzt ein wenig Truffaut auf, manchmal gar Godard, in den neurotischen bis exzentrischen Dialogen auch gerne Woody Allen.

Frances Ha ist bei der Referenzwahl allerdings nie prätentiös, versucht nie übergroße Kunst zu sein. Ebenso wenig wie er das Indie Kino der 90er bloß kopiert, kopiert er das Kino der 50er und 60er Jahre. Stattdessen nimmt er sich dessen Motivik und transferiert sie in das urbane Sein der frühen 2010er Jahre: Die Hektik des großstädtischen Lebens, die Vagheit sozialer Beziehungen, die Defizite der subjektiven Perspektive; das sind alles Momente, die das Kino der 60er und 70er Jahre auszeichneten. Die Zeitlosigkeit dieser Motive greift Frances Ha auf, bereichert sie um eine explizit weibliche Perspektive und offenbart ihre Aktualität, auch und insbesondere für die Generation der Millennials. Und das gelingt ihm, ohne dass er zu akademisch oder zu verklausuliert auftreten müsste. Ganz im Gegenteil, was wir hier erleben, ist keine intellektuelle Abhandlung, sondern Gefühlskino allererster Güte. An erster Stelle steht immer der Mensch, ganz konkret Frances, deren Hilflosigkeit und gleichzeitige Stärke das warme Epizentrum der Handlung bilden. Um dieses Epizentrum bauen sich die episodischen Geschichten auf: Mal sind sie urkomisch, mal sind sie traurig, mal sind sie lakonisch… und meistens sind sie einfach nur da. Es sind kurze Episoden (der Film selbst ist mit nicht mal 90 Minuten Laufzeit ausgesprochen kurz für die heutige Kinolandschaft), unvollständige Episoden, unvollkommene Episoden. Sie präsentieren nie ein vollständiges Bild, aber genau darin liegt ihre Stärke.

Am Ende ist Frances Ha vor allem so etwas wie eine besonders einnehmende kurze Zufallsbekanntschaft: Man redet, redet und redet, man freut sich gemeinsam, man tauscht sich aus. Man will eigentlich mehr über das Gegenüber erfahren, und merkt zugleich, dass weder Zeit noch Rahmen dafür ausreichen. Aber trotz der Kürze und Unvollständigkeit dieser Begegnung geht man aus ihr bereichert hervor: Gestärkter, lebendiger, vielleicht auch ein bisschen weiser, vor allem aber glücklicher. Frances Ha ist ein kleines Juwel, ein Glanzstück des aktuellen Independentkinos und ein Film, der beweist, dass der Zauber der klassischen unabhängigen Filmschule noch lange nicht tot ist.

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