Kurzrezensionen (2012er Recap III): Drive, Keyhole, Django Unchained, Cosmopolis
Joa… weiter gehts mit der Aufarbeitung des Kinojahres 2012: Die folgenden Reviews möchte ich dann mal unter dem Banner zusammenfassen: „Hipsters get, what hipsters want!“ Sprich, Filme, die auf irgendeine Weise diesen Hipster-Link haben, sei es, weil sie sich besonders originell geben, sei es, weil sie besonders stylish sind, sei es weil sie als abstrakte Nerd-Kunstwerke daherkommen oder sei es einfach weil sie aus der Feder eines Hipster-Lieblings stammen. Das muss per se erst einmal kein Qualitätsmerkmal sein. Ein Film kann sehr wohl wie z.B. Drive voll im Trend liegen und dennoch über seine Zeit hinaus eine cineastische Wirkkraft entwickeln, ein Film kann wie Guy Maddins Keyhole als anspruchsvoller Ritt durch Genres daherkommen und trotzdem eine leere, nichtssagende Hülle bleiben. Filme können wie Tarantinos Django-Interpretation oder David Cronenbergs Cosmopolis ordentlich Namedropping betreiben und dennoch alle Erwartungen unterbieten, das Publikum unterwältigen. Und in jedem dieser Fälle ist selbstverständlich auch immer das jeweilige Gegenteil möglich. Welcher der folgenden Filme über Hipsters Liebling hinausreicht und welcher womöglich schnell vergessen gehört, erfahrt ihr in den Rezensionen nach dem Klick.
Drive [Nicolas Winding Refn]
(USA 2011)
Da haben wir auch gleich mal den Prototyp eines Hipster-Films: Großer Regisseur, der sich in den letzten Jahren mit mehreren Meisterwerken einen Namen gemacht hat, eine schicke 80er Jahre Ästhetik gekreuzt mit einer ebenso schicken 70’s Narration, mit Ryan Gosling ein Hauptdarsteller, den man einfach nur als coole Sau bezeichnen kann und dann natürlich noch die Dramaturgie zwischen leisem Anti-Action-Drama und wüsten Gewaltausbrüchen, die sich irgendwo zwischen Arthaus und Pulp-Groschenroman verkeilen. Es wäre schon ziemlich böswillig Winding Refn hier eine Anbiederung an ein (imaginäres) cooles, intellektuell überhebliches und nach trendigem Augenschmaus dürstendes urbanes Publikum vorzuwerfen, erstaunlich ist es aber schon, wie viele der Driver-Ingredienzen den Geschmack genau jenes in Berliner, New Yorker und Londoner Bars geborenen Zuschauers matchen.
An der Stelle muss ich dann auch gleich mal ein absolut uncooles Geständnis loswerden: Ich habe so meine Probleme mit Refns Inszenierungsstrategien. Ohne Frage sind seine Filme, allen voran Valhalla Rising und Bronson, faszinierende Werke, die narrative und dramaturgische Grenzen ausloten, zugleich gehört der Däne aber mit zu den empathielosesten Regisseuren, die ich kenne. Geradezu unmenschlich könnte man sagen: Was bei Bronson perfekt passte, einfach weil es mit dem unmenschlichen, animalischen Gemüt des Protagonisten korrelierte, und was bei Valhalla Rising ebenso sehr gut zu der düsteren, apokalyptischen Stimmung passte, wird in Drive zu einem nicht zu vernachlässigenden Problem: Natürlich gibt es in der Story um den Fluchtwagenfahrer, dessen aktueller Job komplett aus dem Ruder läuft, die menschlichen und emotionalen Momente: Freundschaft, Verantwortung, Zorn, so etwas wie eine Romanze, das Hadern mit der eigenen Rolle im Leben etc…. diese bleiben aber emotional erschreckend leer, fast schon gleichgültig. Es scheint mir, als opfere Refn die Möglichkeit des mitreißenden und empathischen Erzählens dem Coolness-Faktor, als wäre die kühle Eleganz wichtiger als jedes Moment der tatsächlichen Immersion des Zuschauers.
Wer damit kein Problem hat, erlebt im Gegenzug dafür aber wirklich einen coolen, ausgesprochen coolen, verdammt coolen Bastard aus Neo-Noir, 80’s Eleganz und unterkühltem Thriller, der insbesondere in seinen Actionszenen, die niemals wirklich actionreich sind, punkten kann: Selten wurde das Prinzip „Shoot and Drive“ derart poetisch, fast schon traumwandlerisch erzählt wie in diesem einerseits cleanen, andererseits urplötzlich komplett freidrehenden Hybriden aus Drama, Action und Crime. In Refns Vision wird die Großstadt zu einer sterilen Fassade, hinter der sich in der Unterwelt dunkle Abgründe gescheiterter Existenzen auftun. Was in dieser Welt zählt, ist das Überleben um jeden Preis, das Verrichten der Arbeit, die man sich ausgesucht hat – oder besser gesagt, für die man vom Schicksal ausgesucht wurde – und das Festhalten am letzten Stückchen Menschlichkeit. So gesehen könnte man Drive beinahe als trockenen Kommentar zu seinem eigenen Style lesen, als High Gloss Actiontrip, der sich als Arthaus-Kino tarnt, das sich als Pulp-Actioneer tarnt, der eigentlich zutiefst nostalgischer Krimi ist und im tiefsten Herzen vor allem Kultfilm werden möchte. Refn ist dieser Mix aus Camouflage und Gegen-Camouflage perfekt gelungen… fast zu perfekt möchte man meinen. Und wer mit dieser spezifischen Herangehensweise, diesem unterkühlten „All for the Style“-Prinzip nicht klar kommt, der wird wenig Freude an Refns neuem Werk haben. Jepp, Drive ist auch irgendwie Meisterwerk, irgendwie verdammt rund und irgendwie verdammt perfekt geraten. Aber „Style over Substance“ bleibt er dennoch, durch und durch.
Keyhole [Guy Maddin]
(Kanada 2011)
Guy Maddin gehört ja im Grunde auch erst einmal zu den Regisseuren, für die eine Warnung ausgesprochen werden muss. Wer einen seiner letzten Filme gesehen hat, wird wissen, was ich meine. Für alle anderen: Maddin lotet die Grenzen von Realität und Traum, Gegenwart und Vergangenheit, Symbolismus und Narration derart weit aus, dass mainstreamigere Surrealisten wie David Lynch dagegen glatt wie Waisenknaben daher kommen. Dabei steht Maddin immer mit einem Bein tief im Kaleidoskop der Motivfilme der 90er Jahre: Unwirklich, natürlich in schwarz-weiß, natürlich mit hineingeworfenen Off-Kommentaren und natürlich mit einem Hauch von Trash und Pulp, der seine alles andere als leicht bekömmlichen Kunstfilme mitunter unfreiwillig komisch erscheinen lassen mag. So viel zur Vorwarnung, anhand derer schon offensichtlich werden müsste, dass sich der Inhalt seines letzten Films Keyhole nur sehr schwer zusammenfassen lässt: Es geht um Gangster, die in bester Pulp-Manier irgendeinen Mist angestellt haben. Es geht um einen Protagonisten namens Ulysses, angekommen und gefangen in einem Haus, in dem die Geister der Vergangenheit auf ihn warten. Es geht um Erinnerungen und die Suche: Nach Abschluss, nach Zukunft, nach einer Entschlüsselung all der rätselhaften Ereignisse. Es geht um Symbole: Schlüssellöcher, Griechische Mythen, Freudianische Sex-Fantasien und Alpträume? Man weiß es nie so genau. Es geht um Bilder: Elegante Noir-Gangstergeschichten, trashige Gewaltausbrüche, traumtänzelnde Metaphernregen… und das alles wird so herrlich gegen den Hollywood-Strich gebürstet erzählt, dass es eine wahre Freude ist.
Keyhole beginnt feurig, scheint beinahe einzuschlafen zwischendurch, träumt sich hinweg, reißt sich mit großer Metaphorik raus, und jeder Hauch von Narration verharrt dennoch im Fragmentarischen, Kaleidoskopischen: Eine Geschichte suchend, einen Sinn suchen, oft auch einfach sich selbst suchend. Das tangiert dann mehr als einmal Stilmittel des experimentalen Kunstfilms und gerade auf 90minütiger Länge kann das ebenso verstörend wie ermüdend wirken. Obwohl Maddin tendenziell auch eher aus der Experimental Short Ecke kommt, beweist er mit Keyhole allerdings (erneut), dass er durchaus dazu in der Lage ist, Motivik und Methodik dieser Gattung in Spielfilmlänge zu transferieren. Bei näherer Betrachtung ergeben sich in diesem Konglomerat aus Bildern dann auch Referenzen und Verweise, die als ganzes den Film zwar nicht greifbarer aber zumindest kontextualisierbar machen: Ein wenig Bergman ist bei Maddin immer präsent, durch die Freude an der eigenen Handlung kommt gerade in Keyhole noch ein guter Schuss lyncheske Klaustrophobie hinzu, gepaart wird das Ganze mit Warhol-Exzessen und Tarkowski-Surrealismus… et voilà: Der wahrscheinlich anstrengendste und zugleich faszinierendste Film der Jahre 2011/2012.
Wie der Film sich selbst sucht, muss sich auch der Zuschauer einen Weg durch Maddins fiebriges Labyrinth an Motiven, Referenzen und großartigen Bildern bahnen. Belohnt wird die dabei geforderte Geduld mit dem Gefühl, dass Film einfach mehr sein kann, als das, was man von traditioneller Hollywoodnarration kennt, dass der filmische Surrealismus mit dem Tode Luis Buñuels keinesfalls gestorben ist, sogar Platz in einem richtigen Langfilm, in einem richtigen Kinosaal finden kann, dass anspruchsvolle Arthaus-Haltung und abstrakte Narration ebenso eine faszinierende Symbiose eingehen können, wie Pulp-Dirtyness und Noir-Eleganz, wie Traum, Rausch und Erzählung, wie Angst, Beklemmung und bilderliebende Schönheit: Maddin ist es wieder einmal gelungen, etwas Besonderes, neben dieser Filmwelt Stehendes, zu zaubern. Keyhole mag anders sein, abstrakt sein, unberechenbar und verwirrend: Dieser Trip ist es aber uneingeschränkt wert, erfahren zu werden.
Django Unchained [Quentin Tarantino]
(USA 2012)Anti-
Tja… Tarantino halt. Und damit könnte man es schon fast bewenden lassen: Django Unchained ist ein klassischer Tarantino, wie er im Buche steht: Ein Hybrid aus Spaghettiwestern und Blaxploitation, den Funk und Groove des 70er Jahre Kinos einmal kurz in den Wilden Westen verpflanzt, das ganze mit coolen Dialogen aufgehübscht, viele viele viele Filmzitate, viele viele schick reingepflanzte Trivialitäten und wie immer eine kindliche Freude an der Vermengung von Talk-Movie, Comic-Gewalt und Filmgeschichte. Eklektischer Tarantino-Spaß, wie er im Buche steht. Die Historisierung seiner Motive hat Tarantino bereits in Inglorious Basterds beeindruckend gemeistert und auch Django Unchained ist wieder ein verflucht guter Anti-historistischer Trip, dem der Spagat zwischen virtueller Geschichtsschreibung und Hauruck-Remixing bestens gelingt. Auch hier geht es um nicht weniger als ein Umschreiben der Geschichte: Waren es in Inglorious Basterds die Juden, die auf grandiose Weise ihre Opferrolle verlassen und die Nazis massakrieren durften, waren es in Death Proof die Frauen, die einen psychopathischen Killer stellvertretend für männliche Gewaltfantasien ordentlich vemröbeln konnten, so sind es in Django Unchained die versklavten Schwarzen, die den weißen, vermeintlichen Herrenmenschen so ordentlich auf die Schnauze geben, dass jede „N-Word“-Debatte drumherum geradezu absurd scheint. Klar, natürlich geht es in der Revenge-Storyline auch um klassische Blaxploitation-Klischees, klar könnte man auch aus diesen verquaste Rassestereotypen herauslesen, aber Tarantino inszeniert das Ganze mit einer derart unbedarften Freude, dass es kaum möglich scheint, ihm unlautere Motive vorzuwerfen.
Schade dabei nur, dass ausgerechnet der Protagonist von so ziemlich allen anderen Darstellern an die Wand gespielt wird: Jamie Foxx bleibt als Django einfach mal blass, auftrumpfen dagegen dürfen Leonardo DiCaprio als schmieriger Mandingo-Choreograph, Samuel L. Jackson als herrlich arschiger, vorlauter und zugleich kriecherischer Haussklave und natürlich Christoph Waltz. Ja, Christoph Waltz ist einfach groß in diesem Film, überstrahlt nahezu alles. Was in Inglorious Basterds eine herausragende Bösewicht-Performance war, wird hier zum grandiosen Sympathieträger verfeinert: Süffisant, eloquent, jederzeit überlegen und dabei so verdammt cool, lässig und gnadenlos, dass man sowohl vor Figur als auch Rollenzeichnung als auch Darstellung einfach nur auf die Knie fallen möchte. Genau genommen müsste der Film dann auch eigentlich Dr. King Schultz anstatt Django heißen, schmeißt doch Waltz in der wahnsinnig gelungenen Figur des gebildeten Kopfgeldjägers die Show praktisch alleine. Dank ihm werden dann auch so manche Schwächen verschmerzbar, wie zum Beispiel die – ebenfalls etwas tarantinoeske – zu selbstverliebt fragmentierte Erzählhaltung, die kleinen Längen, der etwas konfuse zersplitterte Showdown und die gelegentliche Ermüdung, die sich einstellt, weil man das alles von Tarantino eben doch mittlerweile ziemlich oft gesehen hat. Nichtsdestotrotz, nicht nur aber vor allem auch wegen Waltz‘ hervorragendem Spiel, ein feines Stück derbes, verspieltes, augenzwinkerndes Genrekino, zwischen Gewalt, ernster Auseinandersetzung mit dem Topos und komplett überzeichnetem Comic/Spaghettiwestern-Flair. Groß, stark, unterhaltsam und nicht allzu lange im Kopf verweilend, dabei aber dennoch verflucht sehenswert. Tja, Tarantino halt…
Cosmopolis [David Cronenberg]
(Kanada 2012)
So ein bisschen habe ich ja Angst, Cronenberg könnte seinen Flow verlieren. Hat der kanadische Meisterregisseur in seinen letzten beiden großen Gewaltstudien immerhin noch die Körperlichkeit seiner frühen Filme gekonnt in eine geerdete Thrillerhandlung eingebettet, so scheint er sich in Cosmopolis fast vollständig von der Faszination am menschlichen Körper, die ihn immer so einzigartig machte, zu entfernen. Die eiskalt inszenierte Fahrt eines Kapitalisten durch Manhattan, in der die verrohte Psyche des Menschen mit der verrohten Psyche der kapitalistischen Gesellschaft analogisiert wird, scheint nie wirklich ein Cronenberg-Film zu sein, scheint sich viel zu sehr in der eigenen Symbolik zu baden, ohne jemals die pointierte Bildsprache früherer Meisterwerke wie Crash zu finden. Um der dadurch entstehenden, platten Gesellschaftskritik zu entkommen flieht Cosmopolis in einen nahezu rauschhaften, beinahe universalisierten Zynismus, der aber in seiner Sterilität derart vorhersehbar ist, dass von der geplanten bedrückenden Atmosphäre nicht mehr viel übrig bleibt. Cosmopolis inszeniert letzten Endes eben doch weder Abgründe noch Tiefgründe sondern schlicht und ergreifend das durchschnittliche Leben eines durchschnittlichen Menschen, der nur durch seinen Besitz geadelt wird.
Genau diese Komponente kann der Film aber nicht überzeugend darstellen. Geld und Reichtum bleiben metaphorisch, ebenso wie die Abgrenzung im kapitalen Mikrokosmos. Cosmopolis wird in ihrer Darstellung nicht abstrakt oder inhaltlich übergreifend sondern einfach nur egal… es ist ihm egal, wo er herkommt, wo die Reise hingeht und ihm ist auch seine eigene egale Haltung egal. Der gesamte wirtschafts- und gesellschaftliche Subtext, der die Vorlage offensichtlich auszeichnet (sorry, nicht gelesen) zerschellt an einer detaillierten und dadurch geradezu sozialromantisch pessimistischen, pessimistisch kitschigen Darstellung des Offensichtlichen. Da rettet auch kein vermeintlicher Ausbruch, kein vermeintlicher Exzess mehr das Bild einer gesellschaftskritischen Filmschöpfung, die sich bereits in ihrem Entstehen selbst überholt hat. Cosmopolis kommentiert nicht, untersucht nicht, versucht nicht zu verstehen oder wenigstens zu symbolisieren… Er bleibt einfach in seiner Darstellung des Offensichtlichen hängen. Und sorry, Mr. Cronenberg, bei allem Respekt: Das ist einfach zu wenig, das ist einfach zu flach, das ist einfach zu berechnend und berechenbar. Ein Wort noch zu Pattinson im Nachgang: Der macht seine Sache gaaaar nicht mal so schlecht, passt sich mit seiner Null-Bock-Mimik dem restlichen Film ganz gut an, ist aber gerade im letzten Viertel – wenn es ernst wird – hoffnungslos überfordert in der Darstellung einer persönlichen Krisis. Chance vertan.