Kopfschmerzen auf Zelluloid: Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019)

Es gibt Filme, die sind großartig inszeniert, großartig geschnitten, sie haben Tempo und der Regisseur erreicht genau das, was er erreichen will. Man kann sie für ihre Qualität respektieren, ihre Waghalsigkeit, ihren dramaturgischen Mut… und dennoch konstatieren, dass es eine einzige Qual ist, sie durchzustehen. Für viele Menschen sind das langsam erzählte, künstlerisch wertvolle und subjektiv unfassbar zähe Arthausfilme. Ich hatte damit nie ein Problem. Im Gegenteil, einen ruhig erzählten Film, der Längen aushält, kann ich genießen, gerade in der Langsamkeit (manche würden sagen Langatmigkeit) sehr viel Freude finden. Aber ich kann jeden verstehen, der keine Lust auf diese Art von Kino hat. Ich kann jeden verstehen, für den ein langsamer, zu langsamer Stil einfach nur ermüdend und quälend ist. Ich habe an dieser Stelle so weit ausgeholt, weil Uncut Gems / Der schwarze Diamant (2019) für mich genau in die Kategorie fällt: Ein Film, dessen Qualitäten ich erkenne und der dennoch eine einzige Qual für mich war, und zwar keine der guten Sorte. Und das liegt wahrscheinlich wiederum daran, weil er genau das Gegenteil von dem macht, was ich am Kino schätze: Er ist alles andere als langsam, alles andere als subtil. Er ist eine einzige laute, chaotische und hektische Irrfahrt, ein Test für die Nerven seines Publikums, und ich bin an diesem Test krachend gescheitert. Aber wie gesagt, ein schlechter Film ist dieses Thrillerdrama nicht, nur eben ein unerträglicher Film… zumindest für mich.

Das liegt zum einen am Protagonisten, Howard Ratner. Dieser ist weder Sympathieträger noch Identifikationsfigur: Ein selbstverliebter, schmieriger Diamant- und Schmuckhändler aus New York, seine jüdische Herkunft schamlos ausnutzend, um in der Geschäftswelt nach vorne zu kommen. Spielsüchtig, rücksichtslos wie egoistisch und vor allem laut und hektisch; ständig am Reden ohne Punkt und Komma, ständig nach dem nächsten großen Geschäft schielend, ohne zu sehen, wie er sich mehr und mehr ins Unglück reitet. Adam Sandler spielt diesen Howard Ratner nicht einfach nur, er legt alles an Leidenschaft in die Rolle, was er finden kann. Wer glaubt die Figuren in den klassischen Adam Sandler Komödien wären nervig, der hat diesen Howard noch nicht erlebt: Wie er sich versucht aus seinen Problemen zu winden, wie er sich an ihm wichtig scheinende Leute anbiedert, wie er schwindelt, betrügt und zockt und das alles mit einer enervierenden Ruhelosigkeit, geht nicht nur seinen Mitmenschen sondern auch schnell dem Publikum auf die Nerven. Dieser Howard ist kein kleiner Ganove zum verlieben, sondern ein durch und durch anstrengender, selbstgefälliger Egoist, und zudem ein Plappermaul, Hochstapler und Nervenbündel.

Das liegt zum zweiten am Inszenierungsstil des Films. Dieser ist nämlich voll und ganz auf seinen Protagonisten zugeschrieben. So als sollten wir eine Reise ins Bewusstsein dieses Howard unternehmen, folgt die Kamera ihm auf Schritt und Tritt, fängt jedes seiner Worte ein, rutscht ihm dicht auf die Pelle und beginnt dann auch schon mit einem atemberaubenden Sog direkt hinein in diese skurrile New Yorker Händler- und Hochstaplerwelt. Der neueste Coup Howards ist der Kauf eines äthiopischen Opals, der ihm im Weiterverkauf einen Millionengewinn versprechen soll. Dumm nur, dass der sportbegeisterte Howard aus einer Laune heraus den Edelstein dem Basketballspieler Kevin Garnett (der hier sich selbst spielt) ausleiht, und dieser in dem wertvollen Stein einen Glücksbringer wähnt, den er so schnell nicht wieder aus der Hand geben will. Wie Howard versucht den Stein zurückzugewinnen und sich zugleich die zahllosen Ganoven und Gläubiger vom Hals zu halten, bei denen er Schulden gesammelt hat, steht im Zentrum der Inszenierung. Und dann heißt es angeschnallt und mitgerannt. Oder besser mitgezogen werden, denn eine andere Wahl hat man nicht bei dieser gehetzten und chaotischen Achterbahnfahrt.

Uncut Gems ist laut und anarchisch. Angepeitscht von einem kakophonen, synthetischen Score, irgendwo zwischen New Wave, orchestralem Pathos, Jazz und Pop irrt die Inszenierung wie ihr Protagonist umher. Man sieht und spürt jederzeit, was der Film mit seiner Inszenierung intendiert. Er will verwirren, Details in seinem lauten Antirhythmus verschwimmen lassen, bis man sich ebenso gehetzt und paranoid fühlt wie der Protagonist: Laut und direkt und mitten in die Fresse; und das gelingt ihm auch tatsächlich. In ihrer Expressivität spiegelt die Inszenierung die Extrovertiertheit ihres Protagonisten, treibt sie an und lässt sich von ihr antreiben. Nur ist der Film eben dummerweise zu erfolgreich, wenn es um das Erreichen seiner Ziele geht. Wie sein Protagonist beginnt er zu nerven, sein Publikum zu überrumpeln und zu quälen. Nicht zuletzt weil ein emotionales Epizentrum fehlt, gelingt es dem schwarzen Diamanten nicht, sein Publikum mitzureißen, stattdessen überrennt er es viel mehr, zieht es direkt hinein in seine Katastrophenwelt. Er ist anstrengend, bis zu dem Punkt, an dem man sich einfach nur noch wünscht mit einer Kopfschmerztablette und purer Ruhe erlöst zu werden.

Den Regisseuren Josh und Benny Safdie kann man das kaum zum Vorwurf machen. Sie wissen ganz genau, was sie erreichen wollen und begehen diesen Weg dann auch konsequent. Wie gesagt, die Qualität in diesem wilden Ritt ist unschwer zu übersehen, ebensowenig wie die Qualität in Sanders‘ Schauspiel. Dieser hat auch in der Vergangenheit schon öfter bewiesen, dass er unter der richtigen Regie zu Großem im Stande ist. Und auch hier ergänzt er das filmische Chaos auf exzellente Weise. Was nutzen aber all diese Qualitäten, wenn sie zur Quälerei führen. Gerade weil Sanders so gut ist, ist sein Protagonist so unsympathisch, gerade weil die Inszenierung so konsequent ist, ist sie so enervierend und nervtötend. Uncut Gems macht einfach keinen Spaß! Geschenkt. Aber er sorgt auch nicht für Spannung, dazu ist das Non-Stop-Tempo einfach zu dominant. Er sorgt nicht für eine emotionale Involviertheit. Dafür fehlt ihm einfach der emotionale Ausgleich, das emotionale Zentrum. Und was dann bleibt ist halt nur noch ein hochqualitativer, hektischer Ritt zwischen Actiondrama und Thriller, zwischen Anti-Heist und bizarrem Pulp. Um das nochmal klar zu stellen, Uncut Gems ist kein schlechter Film, technisch ist er sogar ein ausgezeichneter Film. Man muss aber wissen, worauf man sich einlässt. Und man muss es schon wollen, in einem hektischen Crimebastard durchgeschüttelt zu werden, ohne dass es ein Ziel, einen Fokus oder eine kohärente Handlung gibt. Ich bin mir sicher, es gibt Cineasten, für die der Film etwas ist: Die, für die Guy Ritchie zu behutsam und subtil ist, die für die Quentin Tarantino zu cool daherkommt, die die von einem Film einfach nur einmal durchgeschleift werden wollen und keine Angst vor Kopfschmerzen haben… Es gibt sie bestimmt, nur ich gehöre nicht dazu.

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