A Bigger Splash (2015) – Die Erotik und die dunklen Kehrseiten der Dekadenz

Kaum einem filmischen Genre wird derart viel Unrecht angetan wie dem Erotikfilm, sowohl von produktiver als auch von rezeptiver Seite. Auf rezeptiver Seite hätten wir zum einen das Publikum, für das Erotikfilme primär Nummernrevuen für die schnelle Befriedigung nachvollziehbarer Bedürfnisse darstellen, zum zweiten hätten wir da die Filmkritik, die verächtlich auf die vermeintlichen Pseudofilmchen schaut, die für nichts anderes als die Befriedigung eben jener Bedürfnisse da seien und darüber hinaus keinen besonderen Wert haben. Aber die Produktionsseite ist natürlich nicht unschuldig an dieser Wahrnehmung, wurden doch gerade in der Hochzeit des Erotikfilms von den 70ern bis in die 90er Jahre zahllose plumpe B-Movies gedreht, die in der Tat nichts anderes als die Aneinanderreihung von Nacktheiten und Sexszenen darstellten. Es geht auch anders: Erotikfilme können beides, sowohl erotische Ästhetik als auch Inhalte transportieren. Die Physische Lust in den Mittelpunkt rücken und dennoch eine Geschichte erzählen oder sogar über einen Subtext nachdenken. Nur sind sie eben leider rar, die guten, faszinierenden, mitreißenden erotischen Filmperlen. A Bigger Splash (2015) von Luca Guadagnino ist ein solch seltenes Schmuckstück. Ein Film über Genuss und Lust, über Erotik und Sex, aber auch ein Film über das Unheil, über die Abgründe, die hinter der Dekadenz lauern.

Die Rocksängerin Marianne Lane (Tilda Swinton) hat eine Stimmbandoperation hinter sich und hat sich zur Rehabilitation ihrer ebenso wertvollen wie angeschlagenen Stimme mit ihrem Geliebten Paul (Matthias Schoenaerts) auf die Mittelmeerinsel Pantelleria in der Nähe Siziliens zurückgezogen. Die entspannte Zweisamkeit wird jäh gestört, als Mariannes Ex-Manager und Ex-Liebhaber Harry (Ralph Fiennes) auf der Insel eintrifft, im Schlepptau seine erst kürzlich in sein Leben getretene vermeintliche Tochter, die junge und aufreizende Penelope (Dakota Johnson). Trotz unzweifelhaft vorhandener Spannungen verbringen die vier unterschiedlichen Personen einige dekadente Tage in einer üppigen Villa im Landesinneren: Gemeinsam wird gefeiert, gesungen, geschlemmert, getrunken… und schließlich macht sich auch ein unverhohlenes, erotisches Knistern breit. Harry will Marianne zurückerobern oder zumindest einmal noch verführen, Penelope hat ein Auge auf Paul geworfen, und auch die vermeintliche Vater-Tochter-Konstellation ist sexuell deutlich aufgeladener, als man erwarten sollte. Und zwischen all der Lebenslust und der erotischen Spannung tritt mehr und mehr der Konflikt insbesondere zwischen Paul und Harry zutage, der sich früher oder später in einem Unglück entladen muss.

A Bigger Splash ist ein Quasi-Remake des französischen Erotikthrillers La Piscine (1969), der damals vor allem als erneute Zusammenarbeit zwischen dem ehemaligen Paar Romy Schneider und Alain Delon für Aufregung sorgte. Und in der Tat hält sich Luca Guadagninos Neuinterpretation des Stoffes eng an seine Vorlage, nicht nur was die wesentlichen narrativen Momente betrifft, sondern auch und vor allem bezüglich seiner Atmosphäre, seines Savoir Vivres. Primär ist A Bigger Splash ein Fest der Lebenslust einer High Society, die sich irgendwo zwischen Rock N Roll und gelangweilter Dekadenz bewegt. Und bei Gott gelingt es ihm gut diese Lebenslust auf die Leinwand zu bringen. Eingetaucht in wundervolle mediterrane Bilder, sonnendurchflutet und mit einer Freude an lustvollen Details lässt er seine Viererbande das Leben so richtig genießen und scheut sich auch nicht davor, uns an diesem Genuss teilhaben zu lassen. Schuld daran ist vor allem Ralph Fiennes, der die Rolle des Harry als lauten, vitalen und expressiven Lebemann anlegt. Im Grunde genommen spielt er ein Arschloch, aber dieses Arschloch ist verdammt gut darin, andere Menschen mitzureißen und an der Freude des Lebens teilhaben zu lassen. Hinzu kommt Tilda Swinton, die – durch die angeschlagene, heisere Stimme ihrer Rolle – fast gänzlich ohne Dialog auskommt, aber mit Blicken und Gesten mehr transportiert als andere Schauspielerinnen mit 500 Seiten Text könnten. Während sie und Fiennes vor allem für die Verführung deren psychologischen Unterbau sorgen, scheinen ihre Spielpartner in erster Linie für die Schauwerte gebucht. Obwohl auch Schoenaerts und Johnson einen guten Job abliefern, sind es nun mal einfach schöne Menschen, die in einer schönen Umgebung vor allem ihre Schönheit und Erotik präsentieren. Davon gibt es in A Bigger Splash dann auch reichlich zu sehen. Obwohl sich der Film mit konkreten Sexszenen sehr zurückhält, hat er doch sichtlich Freude daran, Körper, Haut, Gesicht und auch Nacktheit so in Szene zu setzen, dass sich ihre Reize nicht leugnen lassen.

Aber es ist nicht nur die klassische körperliche Erotik, die hier so verführerisch ist. Mindestens genau so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, scheint A Bigger Splash die Erotik der Dekadenz, des allgemeinen Genusses zu sein. Von Musik über Kulinarisches über Sport bis hin zu einem simplen Ruhen, alles was A Bigger Splash anfasst, wird in eine reizvolle, aufreizende Sache verwandelt. Jeder Dialog, jeder Tanz, jedes Öffnen einer Champagnerflasche sprüht nur so von Vitalität. Das kann man dann durchaus oberflächlich finden, wird hier doch gnadenlos affirmativ der Lifestyle der rich and famous people abgefeiert. Warum ist dieser heißblütige Hybrid aus Erotik, Thriller und Drama dann doch plötzlich mehr? Das liegt zum einen natürlich an der sich sachte entfaltenden unheilschwangeren Atmosphäre, die eine ziemlich klare Stoßrichtung zum Thriller vorgibt. Dass ein Unglück geschehen wird, dessen ist man sich von Beginn an sicher. Und auch dass sich der Film viel Zeit nimmt, alles drumherum zu erzählen, ändert nichts daran, dass die dunklen Vorboten stets präsent sind. Aber da gibt es auch noch ein zweites Moment in A Bigger Splash, das ihn deutlich tiefgründiger werden lässt als einen gewöhnlichen Erotikthriller. Es handelt sich dabei um seine politische, sozialkritische Ebene, die vielleicht nur latent vorhanden sein mag, aber die ganze Motivik seiner Geschichte in anderem Licht erstrahlen lässt.

A Bigger Splash spielt in der Mittelmeerregion zur Hochzeit der Flüchtlingskrise 2015. Nur hin und wieder, dafür umso schmerzhafter, werden wir daran erinnert, dass vor und neben dem dekadenten Schaulaufen dieser reichen Menschen, ein Unglück gigantischen Ausmaßes stattfindet. Menschen, die nichts haben, fliehen auf Schlauchbooten über das Wasser. Menschen ertrinken, Menschen verlieren ihre Angehörigen, Menschen begeben sich in Lebensgefahr, weil sie derart weit unten sind, dass sie alles auf sich nehmen würden, um auch nur einen Hauch von dem entspannten Leben zu erfahren, dass wir reichen Europäer alltäglich leben dürfen. Es ist ein harter Kontrast: Verzweiflung, Leid und Tod auf der einen, diese reichen, verwöhnten Menschen auf der anderen Seite des Wassers. Gelangweilt von ihrem dekadenten, üppigen Leben gestalten sich unsere Protagonisten ihr eigenes Drama, ihre eigene Tragödie. Wie belanglos scheinen die Konflikte, die Gelüste und Intrigen dieser Gesellschaft, wenn ihnen das wahre Elend, der wahre Kampf ums Überleben gegenübergestellt werden. Dadurch federt A Bigger Splash seinen Eskapismus gekonnt ab, dekonstruiert sowohl das vitalistische Schaulaufen zu Beginn als auch das Thriller-Vexierspiel in seinem Mittelteil und wird zu einem subtilen, aber dennoch eindringlichen Kommentar zu den Rändern der Gesellschaft.

Luca Guadagninos Dekadenzspiel ist ein starker Film, der seine ästhetischen Reize kennt und geschickt ausspielt, der sein Publikum umgarnt, verführt und mit reichlich Nektar und Ambriosa verwöhnt. Aber er ist auch ein Film, der zum richtigen Moment die Daumenschrauben anzieht, zuerst als betörender Thriller sein Publikum in hypnotischer Sicherheit wiegt, um schließlich und letztendlich zu einem harten Schlag gegen soziale Wirklichkeiten auszuholen: A Bigger Splash, indeed; eine gewaltige Fontäne beim Eintritt ins Wassers, die beim vorangehenden Sprung so nicht zu erwarten war.

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