His House (2020) auf Netflix – Horror als Flucht- und Asyl-Parabel

Horrorfilme sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Von der Auseinandersetzung der Deutschen mit dem erstarkenden Faschismus im Cabinet des Dr. Caligari über die Verarbeitung des japanischen Traumas der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki in den Godzilla-Filmen bis hin zur Widerspiegelung des Konservatismus der Reagan-Ära im amerikanischen Slasherfilm der 80er Jahre waren Horrorfilme immer politisch: Egal ob progressiv, konservativ oder regressiv, das unheimliche Kino eignet sich einfach bestens dafür, ohnehin schon vorhandene Ängste zu multiplizieren oder in fantastischen Schrecken zu transferieren. Auch wenn in den letzten Jahren durch den Post-Horror öfter von einer Politisierung oder zumindest Repolitisierung des Genres die Rede war, so finden sich in der Geschichte des Horrorfilms doch durch alle Epochen politische Motive, teils im Subtext, oft genug aber auch ganz direkt in der Motivik einzelner Filme. Umso erstaunlicher ist es, dass die Flucht- und Migrationsbewegungen in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre bis dato im gruseligen Film kaum verarbeitet wurden. Der Netflix-Film His House (2020) von Newcomer Remi Weekes ist ein Gruselschocker, der genau dies tut. Er rückt die Geflüchteten in das Zentrum seiner Handlung und erzählt ihre Traumata aus ihrer Perspektive; als düstere Spukgeschichte, irgendwo zwischen Horrormär und beängstigender Parabel.

Bol (Sope Dirisu) und Rial (Wunmi Mosaku) haben es geschafft. Nach einer mühsamen Flucht aus dem von kriegerischen Konflikten belasteten Südsudan, nach einer Reise mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer, bei der sie ihre Tochter Nyagak (Malaika Abigaba) verloren haben, sind sie schließlich in einer Flüchtlingsunterkunft in Großbritannien gelandet. Und sie haben tatsächlich Glück: Ihr Asylantrag wird bewilligt und ihnen wird ein kleines Reihenhaus am Stadtrand Londons zugewiesen. Vor allem Bol will beweisen, dass er und seine Frau gute Menschen sind, die es verdient haben in ihrer neuen Heimat zu bleiben. Voller Eifer stürzt er sich in sein neues Leben und versucht alles mögliche, um sich in die britische Gesellschaft zu integrieren. Es gibt allerdings etwas, was der Assimilation der beiden im Wege steht: Keine Behörde, keine politische Instanz, sondern das Haus, in das sie eingezogen sind. Geisterhafte Erscheinungen melden sich dort zu Wort, hinter der Wand scheint sich eine grauenhafte Unterwelt zu verbergen und die Existenz von Bol und Rial wird von Gewalt und Schrecken innerhalb der eigenen vier Wände bedroht. Sind sie in ein verfluchtes Gebäude gezogen? Oder sind es die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit, die auch in ihrem neuen Leben nicht von ihnen lassen können.

„Wir sind gute Menschen.“, sagt Bol immer wieder aufs Neue wie ein Mantra. Dabei geht es – wie sich im Laufe des Films herausstellt – nicht nur darum, die für die Asylanträge verantwortlichen Behörden zu überzeugen, sondern auch seine Frau und vor allem sich selbst. Bol und Rial tragen eine schwere Vergangenheit mit sich, deren Bewältigung viel Platz in der Handlung eingeräumt wird. Auch wenn es sich bei den beiden um individuelle Charaktere handelt, so scheinen sie doch auch Archetypen des Topos Flucht und Vertreibung zu sein: Die erlebten Kriegstraumata, die verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus dem Elend und Chaos, die entbehrungsreiche Flucht und schließlich die Ernüchterung bei der Ankunft in der neuen Welt… In ihrem Schicksal finden sich komprimiert viele Topoi der Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015. Lobenswerterweise rückt Regisseur Remi Weekes hier die ins Zentrum, die von den Ereignissen am stärksten ge- und betroffen wurden und die in filmischen und literarischen Verarbeitungen oft nur von außen begafft werden. His House verschreibt sich radikal der Perspektive der Geflüchteten. Es ist ihr Blick, durch den nicht nur die Flucht- und Vertreibungsereignisse thematisiert werden sondern auch der Umgang der Wohlstandsgesellschaften mit dem Phänomen. Vieles, was Bol und Rial erleben, scheint ihnen und damit auch uns, dem Publikum, fremd: Die Kälte und Ignoranz der zuständigen Behörden, die Feindseligkeit der neuen Nachbarn, die obskuren Gepflogenheiten der westlichen Welt, von der Gabelnutzung bis zu in Kneipen gesungenen Fußballhymnen, Bol und Rial sehen sich mit einer ihnen fremden Gesellschaft konfrontiert, die kein Gespür für ihre Sorgen und Wünsche hat und nicht weniger als totale Assimilation verlangt. Dies kumuliert schließlich in dem alptraumhaften Szenario, dass beide per Verordnung dazu gezwungen sind, in dem unheimlichen neuen Haus, das ihnen zugewiesen wurde, auszuharren: Sie dürfen es nicht verlassen, dürfen sich keine neue Bleibe suchen, und während ihre neuen vier Wände zum Alptraum werden, müssen sie von allen Seiten hören, wie viel Glück sie doch hatten.

Diese Hoffnungslosigkeit und Isolation fängt Weekes in düsteren, pessimistischen Bildern ein. Die Zeit scheint oft stillzustehen und sich nur zu bewegen, sobald die geisterhaften Erscheinungen ins Leben von Bol und Rial treten. Die Wechsel vom realen Alptraum Immigration und erzwungener Assimilation zum übernatürlichen Alptraum der Geister- und Dämonenwelt ist hierbei fließend. Die Angst vor dem neuen Leben mündet direkt in die Angst vor der Schatten- und Unterwelt, die sich in dem Haus ausbreitet. His House gewinnt viel Atmosphäre dadurch, dass er Motive wie Fluchttraumata, Anpassungsdruck und Desorientierung in einer unbekannten, oft feindseligen Welt direkt in traditionelle Spuk-Topoi überführt. Der übernatürliche Schrecken wirkt hier so intensiv und real, weil er nicht weit weg ist von dem realen Schrecken, mit dem die beiden Hauptfiguren täglich konfrontiert sind. Und so gibt er sich auch – ganz in gediegener Post-Horror-Tradition – erheblich Mühe, klassische Gruseltropes nicht einfach nur zu reproduzieren, sondern versucht sie neu zu denken. Dies gelingt ihm mit zwei einfachen aber äußerst effektiven Kniffen: Als erstes wäre da die inhaltliche Ausrichtung der Geisterwelt. Diese orientiert sich nicht an europäischen Mythen und Legenden sondern ist deutlich stärker dem Mystizismus des östlichen Afrikas verpflichtet. Das ist nur konsequent, wird sie doch so zum wesentlichen Teil der höchst subjektiven Perspektive des Films. Der zweite Kniff betrifft die Umsetzung des Spukterrors. Sind in klassischen Spukhausfilmen die Geister und Dämonen oft etwas Vages, Unnahbares, so werden sie hier zu einem greifbaren, omnipräsenten Schrecken. Es dauert nicht lange, bis Bol und Rial mit den sie plagenden Dämonen direkt konfrontiert werden. Es braucht keine unheimlichen Andeutungen, keine vernebelten Gruseleffekte, keine sublimen Geistererscheinungen, der Schrecken kommt sehr direkt, sehr offensiv und ist von da an ein integraler Bestandteil der gesamten Handlung. Dies zerreißt jedes Suspense-Moment: Wir Zuschauer wissen nicht mehr als Rial und Bol. Eher im Gegenteil: Die beiden scheinen von den Geschehnissen und deren Hintergründen immer ein wenig mehr zu wissen, mehr zu verstehen als wir.

Umgesetzt wird dieser direkte, konfrontative Schrecken in wahrhaft unheimlichen, mitunter aggressiven Bildern. Da es keiner vagen Vorahnungen bedarf, hat His House viel Zeit Protagonisten wie Publikum mit groteskem Horror zu tyrannisieren. Der ein oder andere Jumpscare mag ihm dabei zu viel rausrutschen, vor allem weil er diese wirklich nicht nötig hätte, auch ohne sie erschreckend genug ist, und in ihnen deutlich an Atmosphäre und Ernsthaftigkeit verliert. Ansonsten ist die Atmosphäre aber Top Notch: Vor allem die Entwicklung der Geisterattacken von isolierten, klaustrophobischen Bildern zu epischen, agoraphobischen Höllenvisionen hinterlässt Eindruck. Und die Geschichte kommt sowohl mit ihrem Horror als auch ihrem Subtext zu einem sehr runden Ende, das gerade in der letzten Kameraeinstellung nicht nur unheimlich sondern auch äußerst pointiert dramatisch ist. His House ist ein spannendes, nervenaufreibendes Post-Horror-Drama, das bravourös zwischen Text und Subtext pendelt, Sozial- und Psychodrama gekonnt mit Spuk und Grusel kreuzt und auch vor politisch und soziologisch schweren Themen keine Angst hat. Ein kleines und dennoch schwer wiegendes Meisterwerk des Post Horror Films.

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