Die besten Filme 2018 – Das koreanische Mysterydrama Burning

Die Menschen in der Kalahari-Wüste kennen zwei Arten von Hunger, erklärt die ebenso mysteriöse wie verführerische Haemi dem Protagonisten Jongsu, während die beiden sich langsam näher kommen: Den kleinen Hunger, der einfach nur den klassischen, physischen Hunger repräsentiert. Und den großen Hunger, der so etwas ist wie der Hunger nach Leben und Überleben, der Hunger nach den großen Fragen des Seins und der Existenz. Und dann schweigen die beiden wieder. Es gibt viele solcher Momente in Lee Chang-dongs neuestem Meisterwerk Burning (2018). Stop and Go Dialoge, die scheinbar ins Nichts führen, zugleich aber essentiell sind, um die Handlung, oder viel mehr die Motive dieses Mysterydramas zu entfalten. Und auch diese Entfaltung kommt oft ins Stolpern, kommt oft zu einem abrupten Stillstand, so dass der Zuschauer sich nie ganz sicher sein kann, welches Genre er bei diesem Film eigentlich vor sich hat. Burning mäandert lange zwischen den Welten, zwischen den Bildern und zwischen den Motiven. Und als Zuschauer fragt man sich dabei immer: Was ist dieser Film denn nun? Welche Geschichte will er mir erzählen?

Vielleicht ist Burning ein wenig eine verlorene Liebesgeschichte. Oder eine Liebesgeschichte zweier Verlorener. Denn das sind Yongsu (Yoo Ah-in) und Haemi (Jeon Jong-seo), um die allein sich die Handlung lange dreht. Er wäre eigentlich gerne Schriftsteller, hält sich aber mit Gelegenheitsjobs über Wasser, ohne in der Schreiberei wirklich produktiv zu sein. Sie träumt davon, das Leben komplett in sich aufzusaugen, springt dabei aber auch nur von einer Idee zur nächsten. Als Kinder kannten sie sich bereits, dass sie sich als junge Erwachsene wieder treffen, scheint Zufall zu sein. Aber es geschieht, ebenso wie ihre Annäherung, obwohl Yongsu in sich verkapselt ist wie eine Schildkröte. Und tatsächlich scheinen sie sich in ihrer scheuen, unklaren Art so etwas wie Halt zu geben in den verwinkelnden Gassen der koreanischen Stadt Paju, in der sie beide leben. Ihre Liebe ist dabei von einer seltsamen Passivität geprägt. Yongsu scheint die Fähigkeit verloren zu haben, aktiv in sein Leben einzugreifen. Stattdessen lässt er sich durch die Stadt treiben, ebenso wie er sich in die Beziehung zu Haemi treiben lässt. Obwohl sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübt, begegnet er ihr mit einem introvertierten Stoizismus, überlässt ihr jegliche Initiative in der sich anbahnenden Beziehung.

Vielleicht ist Burning ein wenig die Geschichte einer missglückten Trennung. Kurz nach ihrer Annäherung verlässt Haemi Paju und Yongsu, um sich in Afrika auf Sinnsuche zu begeben. Yongsu bleibt alleine zurück und wie schon vor der Begegnung mit der faszinierenden Haemi weiß er nichts mit sich und seiner Zeit anzufangen. Doch neben seinen Streifzügen durch Paju hat er nun eine neue Aufgabe; sich um Haemis Katze kümmern, die er allerdings nie zu Gesicht bekommt. Und so sitzt er in ihrer Wohnung, füllt den Fressnapf der Katze auf, denkt an die Frau in der Ferne und masturbiert. Haemi kommt zurück, aber sie scheint sich verändert zu haben, und sie hat jemanden mitgebracht. Vielleicht ist Burning ein wenig die Geschichte einer komplizierten Dreiecksbeziehung, die ins Verderben führen muss. Der neue Freund, den Haemi in Kenia am Flughafen kennengelernt hat ist Ben (Steven Yeun, dem westlichen Publikum aus The Walking Dead bekannt). Er war neben ihr der einzige Koreaner an der Ferne und so scheint sie sich an ihm festgehalten zu haben. Ben ist anders als Yongsu. Er ist ein Mann der Tat, jemand, der etwas im Leben erreicht hat. Er besitzt viel Geld, eine ausufernde Wohnung, viele Freunde. Aber Ben ist auch merkwürdig. Zur Empathie ist er nicht in der Lage. Er scheint psychopathische Züge zu tragen und Yongsu misstraut ihm vom ersten Augenblick an. Aber von nun an sind sie zu dritt unterwegs, ob Yongsu will oder nicht. Haemi zu sehen, bedeutet auch Ben sehen zu müssen. Und dann sind sie plötzlich wieder zu zweit, weil Haemi vom einen auf den anderen Moment wie vom Erdboden verschluckt ist. Vielleicht ist Burning ein wenig ein Mysterythriller, eine Detektivgeschichte, die Geschichte eines Verbrechens und der Hilflosigkeit des einzigen, der dieses ungeheuerliche Verbrechen ahnt.

Lee Chang-dong scheinen diese ganzen potentiellen Kategorisierungen indes nicht zu interessieren. Er inszeniert Burning als Slow Pace Drama, dessen Themen und Motive durch den Raum mäandern, das sich aber selbst nie sicher ist, was es sein will. Ja, da sind die offensichtlichen Anleihen ans Mystery- und gar an Horrorgenre. Aber Burning, das immer auf dem Sprung zum klassischen Thriller zu sein scheint, vollzieht diesen Sprung nie. Stattdessen gibt der Film sich voll und ganz dem Phlegma seines Protagonisten hin, wird selbst phlegmatisch und lethargisch. Die Ohnmacht Yongsus ist auch immer ein wenig die Ohnmacht der Narration, die sich um sich selbst dreht, scheinbar nicht vom Fleck kommt und sich mitunter einfach nur hinter ihren Motiven verkriecht. Genau auf dieser Motivebene geschieht aber eine ganze Menge: Gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, persönliche Lethargie, die Gefangenheit im eigenen Milieu und im eigenen Verstand, die Unmöglichkeit der Brutalität der Welt etwas entgegenzusetzen… Burning spielt mit diesen Momenten, lässt sie aufblitzen und ins Leere laufen und verwebt sie zugleich zu einer ganz eigenartigen, einzigartigen Tragödie. Dabei lebt er nicht nur von seiner Ruhe – die viele Zuschauer zweifelsohne als anstrengend und belastend empfinden werden, sondern auch von seinen herausragenden Bildern, seinem Spiel mit Schein und Sein, mit Dichtung und Wahrheit. Denn eigentlich braucht Burning seine Geschichte nicht, funktioniert er doch auch so herausragend als dichter Motivfilm, der sich nur selten positioniert und stattdessen geschehen lässt.

Das mag in letzter Konsequenz vielleicht ein bisschen zu mäandernd, zu unfokussiert sein, andererseits liefert er so ein herausragendes Gegenkonzept zu narrativen Schwergewichten westlicher Prägung. Burning will wehtun, Burning will in seinem Schwermut herausfordern, will nicht einfach nur fesseln sondern drücken und erdrücken. Das ist keine Geschichte für jeden, eben weil es kaum eine Geschichte ist. Und auch die Motive werden in ihrer stoischen Entblätterung so manchen Zuschauer abschrecken. Wer aber bereit ist sich auf die komplexe, sich langsam entfaltende Motivik der hier dargestellten Welt einzulassen, erlebt einen der spannendsten Thriller/Mystery/Drama-Hybriden der letzten Jahre. Der scheinbare Stoizismus, den die beiden Protagonisten und die Protagonistin ausstrahlen, wird dann durchbrochen von einer tiefen Verletztheit und Verletzlichkeit, von einer tiefen Desorientierung und Verlorenheit, die dann auch nicht nur zum symbolischen Selbstzweck verkommt, sondern mit emotionaler Stärke und Reife erzählt wird. Vielleicht ist Burning gar keine richtige Geschichte, dafür aber umso mehr.

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