…Wie im Himmel so auch auf Erden. – Rezension zu „The Tree of Life“ von Terrence Malick (2011)

Der Pathos, der Ästhetizismus und das Epische haben Einzug gehalten im internationalen Arthaus-Kino. Einen großen Anteil daran dürfte unter anderem Lars von Trier haben, der in den 00er Jahren erst sukzessive, später immer radikaler von seinem minimalistischen, naturalistischen Dogma95-Konzept abgerückt ist, zu Gunsten von großen Kamerafahrten, epischen Slow-Speed-Zeitlupen und großen Opern-Arien. Das Wunderkind des New Hollywood Terrence Malick indes war schon immer pathetisch. Egal ob in seinem elegischen 70er Jahre Klassiker Badlands (1973), in der schwelgerischen Gegenüberstellung von Krieg und Natur in Der schmale Grat (1998) oder zuletzt im metaphysischen Bilderbogen The New World (2005). Der mittlerweile fast 60jährige Regisseur kann in seiner Vita gerade mal sechs Langfilme aufweisen, die allerdings auch allesamt – jeder auf seine eigene Weise – eine Transzendentalisierung des Sujets, Mediums und Publikums versprechen. Da scheint es nur konsequent, dass er seinen neusten Streich, sein „persönliches Werk“ The Tree of Life (2011) mit einem metaphysisch, religiösen und holistischen Rahmen ausstattet, der wiederum alle Grenzen des traditionellen Erzählkinos sprengen soll. Ist er dieses Mal zu weit gegangen? Ist seine Religion/Natur-Exegese zu stilverliebt, zu metaphysisch, universalistisch? Im Gebet hoffen wir auf eine Antwort…

Terrence Malick Unser, der du bist im cineastischen Himmel…

Wir wissen, dass du großes zu leisten vermagst. Eine einfache, inhaltlich simple Hintergrundgeschichte war für dich nie ein Grund, einen simplen Film zu inszenieren. Und so nutzt du auch die Geschichte um das Aufwachsen im Texas der 50er Jahre mit großen, epischen Erzählsträngen, mit Dissoziation und Diversifikation. Gesprochen wird fast nichts in deinem intimen und gleichzeitig universellen Mammutwerk. Stattdessen sehen wir lose Episoden, Gedankensplitter und vor allem Blicke. Blicke, die tief in die Seelen der Protagonisten schauen lassen, Blicke die von Verachtung des Protagonisten Jacks für seinen Vater sprechen, bei gleichzeitiger Bewunderung, Furcht, Respekt; der Angst so zu werden wie er. Es sind im Grunde genommen einfache Momente, in denen du die ganze Tragödie aber auch Komödie der kleinbürgerlichen Existenz in den amerikanischen Vororten offenbarst: Liebe zur Mutter, Misstrauen gegenüber dem Vater, repressive und brutale Erziehung, die sich in kleinen stillen – dafür aber umso beklemmenderen – Momenten offenbart. Und schließlich auch die Entwicklung zum Selbsthass, zu der Identifikation mit dem Väterlichen, zur Distanz vom Mütterlichen… bis in das urbane Leben der Gegenwart, in dem ein resignierender Mittvierziger mit den Schatten seiner eigenen Vergangenheit kämpft.

Geheiligt werde dein Subtext…

Es geht natürlich um mehr als ein bloßes Familienporträt… auch wenn gerade die einfache Porträtierung zum stärksten Moment des Films gehört. Nein, nein, ohne Universalismus, ohne Philosophie geht nichts. Und so pfropfst du deinen Film voll mit deinen Symbolismen, deinem Subtext und deinen Gedanken: Der Vater als Verkörperung des darwinistischen Prinzips. Ein Prophet der Stärke, des Kampfes, des Survival of the Fittest… zugleich aber auch ein Verlierer in diesem Kampf. Früher wollte er einmal Musiker werden, was aus nicht geklärten Umständen scheiterte. Nun hofft er, dass seine Kinder alles erreichen, was ihm versagt blieb. Und das bedeutet sie zur Stärke, zum Kampf, zum Überleben zu erziehen. Im Gegensatz dazu die Mutter, die Vergebung, Nächstenliebe, Mitleid lehrt und in ihrer madonnehaften – fast unwirklichen – Gestalt direkt der christlichen Mythologie entsprungen scheint. Und dann natürlich Jack, der kindliche Protagonist, der wie seine beiden Brüder zwischen diesen beiden Polen aufgerieben wird. Es ist ein Kampf des Atavismus gegen die Ethik, gegen die Erlösung im Glauben. Jack kämpft gegen seinen Vater ebenso wie gegen seine Mutter, hasst ihn wegen seiner bedingungslosen darwinistischen Ethik, hasst sie wegen ihrer Schwäche. Der Kampf des kulturellen Menschen zwischen Zivilisation und urwüchsiger Gewalt wird auf dem Parkett der Leinwand ausgetragen…

Dein Wille geschehe…

…und entschieden. Ach Terrence Malick, was hättest du mit dieser Universalisierung die Möglichkeit gehabt, Raum für eigene Gedanken des Zuschauers bereit zu stellen. Und das tust du dann ja auch, fast den gesamten Film über: Das Ödipale, Nietzscheanische, das Dissoziative der menschlichen Zivilisation wird angeschnitten. Der Urknall, die Evolution und die Entwicklung der Erde – in einer viel gescholtenen, inszenatorisch atemberaubenden 20Minuten-Sequenz, die unerwartet in der ersten halben Stunde über den Zuschauer einbricht – offenbaren die ganze Banalität des filmischen Geschehens, des kurzen Augenblicks im Kontrast zum großen Ganzen, Überwältigenden. Und sie kontextualisieren das Geschehen zugleich als etwas Universelles, als eine anthropologische oder gar vitalistische Konstante, die sich immer wieder in kurzen Episoden äußert. Und der Zuschauer darf darüber sinnieren, darf die leeren Stellen des Filmes nutzen, um dann…

…ja um dann brutal mit deiner Sicht der Dinge konfrontiert zu werden: Transzendentale Überwindung. Als hätte das 20. Jahrhundert, als hätten Existenzialismus, Dekonstruktion, Nietzscheanismus und Poststrukturalismus nie existiert, springst du mitten hinein in den Diskurs des 19. Jahrhunderts und lässt die christliche Lehre gegenüber dem Nihilismus, dem Darwinismus triumphieren. Für dich gibt es nur die beiden Pole: Natürliche, atavistische Gewalt und idealistische, christliche Erlösung… und natürlich deren Verschmelzung in der Transzendentalisierung durch einen pantheistischen Erlösungsglauben. Der Dualismus zwischen Körper und Geist, Natur und Zivilisation wird auf die denkbar simpelste Weise aufgebrochen. Du rekonstruierst den prämodernen Diskurs, ohne auf die Wurzeln der Gewalt im Idealismus selbst einzugehen. Du betreibst eine Exegese der modernen Sinnsuche, als hätte deren Scheitern nie stattgefunden, als wäre die Metaphysik, die Universalisierung und Verschmelzung der Gegensätze der Ausweg schlechthin aus dem Konflikt des Dualismus. Unser gealterter Protagonist sucht nicht nur Sinn, sondern findet ihn auch. Die Tragödie des Vaters wird gebrochen durch die bedingungslose Liebe der Mutter, alles fließt zusammen, Natur und Glaube, Kampf und Zivilisation vereinen sich im pantheistischen, christlichen Schmu, der die Theodizee-Frage mit lächerlich simplem ästhetizistischen Holismus beantwortet. Das wirkt nicht nur antiquiert sondern auch erschreckend eindimensional und in der dogmatischen Konklusion, die dein zuvor so offener Film anbietet, auf ärgerliche Weise didaktisch, pädagogisch und dadurch letzten Endes sogar fast pubertierend altklug.

Und führe uns nicht in Versuchung…

Denn um uns von diesem Weg zu überzeugen, braucht es eben Pathos. Großen, gigantischen, mal apokalyptischen, mal erlösenden Pathos. Unterlegt mit klassischer Musik breitest du deine Bilderteppiche aus, zitierst aus der Bibel, suchst Erlösung in metaphysischen Visionen, in transzendentalem Kitsch. So sensibel, so großartig inszeniert die eigentliche Geschichte um Kindheit in den 50er Jahren auch ist, so bombastisch, brutal erschlagend ist die Quintessenz, die du gegen Ende daraus ziehst. Es sind gerade mal 15 Minuten am Schluss des Films, 15 Minuten mit denen du fast das gesamte zuvor so großartig entworfene Vexierspiel zerstörst. Wo ist die Nachdenklichkeit geblieben? Wo ist das Suchen? Wo ist die Skepsis? Du reißt sie allesamt ein. Wo zuvor noch, die nie ruhelose Kamera Räume zwischen epischer Beklemmung und erlösender Transzendentalität öffnete, engst du die gesamte Filmhandlung, das ganze Sujet und Thema ein, präsentierst uns nicht nur deine Antwort, sondern erschlägst uns geradezu mit dieser. Das „Was haben wir aus dem Film gelernt?“ wird zur ärgerlich eindimensionalen Suggestivfrage… und deine Intention enttarnt und zerstört sich in einem Atemzug: Der Empfänger erkennt die Absicht und wird wütend.

Denn Dein ist der Film…

…Und so soll es sein. Es ist dein Werk, und du darfst damit machen, was du willst. Aber bitte, bitte, bitte, warum zerstörst du mit deinem eigenen Sendungsbewusstsein, deinem Pathos, deinem Mystizismus, deiner religiösen Lehre derart brutal ein faszinierendes Drama? Es wäre nicht nötig gewesen, nicht nötig gewesen. Denn eigentlich ist sie doch da: Die Faszination, das Beeindruckende…

…und die Kraft, und die Herrlichkeit…

…dennoch vorhanden. Man lässt sich nur allzu gerne verführen von diesem opulenten, epischen Bilderkosmos. Man genießt die Geschichte, die immerhin den Großteil des Films einnimmt. Man genießt die originelle Erzählweise, das Vertrauen auf Bilder und Episoden, besonders das Vertrauen auf die hervorragenden Schauspieler, das Schweigen… und noch einmal die Bilder, selbst die Universalistischen… aber gegen Ende verzweifelt man doch an der offensiven, bedingungslosen religiösen Botschaft. Es geschieht so viel Großes in „The Tree of Life“, so viel Beeindruckendes, dass sich das Anschauen des Films durch und durch lohnt: Gerade dank der herausragenden Inszenierung der Haupthandlung. Aber was zur Hölle soll dieser Pathos, dieser mitunter sogar peinliche Erlösungskitsch, diese unglaublich unsensible, ungehobelte Transzendentalitätspropaganda? Es wäre auch ohne gegangen! Wirklich! Was hätten wir diesen Film lieben können. So finden wir ihn gut… und wollen ihn mehr als oft genug wegen seiner esoterischen Geschwätzigkeit, wegen seiner metaphysischen Dreistigkeit hassen. Und das hat er nicht verdient. Genau so wenig wie er verdient, was du, sein eigener Regisseur, ihm angetan hat.

…In Ewigkeit…

…Tja, so ist es halt. Nun gut. Amen.

Ähnliche Artikel

Erstveröffentlichung: 2012