Schlagwort: Experimentalfilm

Die besten Mysteryfilme der 70er Jahre

Uff… immer wenn ich über Mysteryfilme schreibe, habe ich das Gefühl meine eigene kleine Genredefinition auf eine ganze Reihe von Filmen zu drücken, die dort eigentlich gar nicht dazu gehören. Zumindest wenn ich die englische Wikipedia zum Abgleich heranziehe, trifft das auch durch und durch zu: Dort wird nämlich alles in den Mysterybereich gepackt, was mit klassischen Detektivgeschichten und Murder Mystery Puzzles zu tun hat. Genau diese beiden Variationen habe ich ja bereits in vorangehenden Retrospektiven abgehandelt.

Also an dieser Stelle noch einmal kurz und knapp auf den Punkt gebracht, was für mich in den Mystery-Bereich fällt: Ich bin ein Jugendlicher der 90er Jahre und folgerichtig wurde das Mysterygenre für mich in einem bestimmten filmischen Kontext nahezu inflationär benutzt. Seine Kinder waren Akte X und The Outer Limits. Vielleicht auf Twin Peaks. Auf jeden Fall aber The Sixth Sense, Jacob’s Ladder oder auch Flatliners. Das waren die Filme und Serien denen das Label aufgedrückt wurde und denen ich dann schließlich auch das Label aufgedrückt habe und bis heute aufdrücke. Es handelt sich dabei um Filme, die nicht unheimlich und brutal genug sind, um in den Horrorbereich zu fallen. Filme die nicht märchenhaft, fantastisch genug sind, um Fantasy zu sein, aber eben auch nicht realistisch genug, um in der Thriller-Schublade zu landen. Nicht nur, dass ihnen für diese Kategorie die intensive Spannung fehlt, oft besitzen sie auch eine übernatürliche, spirituelle Komponente, die sie von deren Realismus entfernt. Eventuell angereichert mit Science Fiction Elementen, aber eben doch nicht technologisch, außerirdisch oder futuristisch genug, um diesem Genre zugeordnet zu werden. Für den Surrealismus sind sie in ihrer Handlung zu klar und bodenständig und für das Drama zu abgehoben und transzendental.

Puh… schaut man sich das an, klingt es fast so, als wäre Mystery ein Genre der Defizite. Eine kleine fantastische Resterampe für alles, was zwischen Realismus und Surrealismus, zwischen Crime und Fantasy, Science und Fiction keinen Platz findet. Mystische, mythologische und spirituelle Filme, die sich aber nie auf ein Glaubenssystem festlegen, sondern in Fragezeichen und Chiffren operieren und mit diesen sowohl sanft gruseln als auch verzaubern und das Publikum zum Miträtseln und Mitphilosophieren einladen. Genau auf dieser Resterampe bewegen sich die folgenden – herausragenden Filme: Picknick am Valentinstag und Die letzte Flut als Peter Weirs Auseinandersetzung mit dem Spirituellen in unserer Welt. Herz aus Glas als Werner Herzogs hypnotische Reise ins deutsche Herz der Finsternis. Walkabout als mythischer Trip in die australische Wildnis; Brewster McCloud und The Stepford Wives als satirisch groteske Spielwiesen des Genres; und Die unheimliche Begegnung der dritten Art als Alien-Geschichte, die fast komplett ohne Science Fiction Momentum auskommt. Meinetwegen ist mein Mysterybegriff der Begriff für eine Resterampe; aber eine, auf der es sich herrlich wühlen lässt.

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Die besten Vampirfilme der 70er Jahre II

Und weiter geht es mit den besten Vampirfilmen der 70er Jahre. Auch dieses Mal mit eher traditionellen Variationen des Dracula-Stoffes, vertreten durch den sehr klassischen Universal-Monster-Film Dracula und Werner Herzogs Hommage an den Murnau-Klassiker Nosferatu – Phantom der Nacht. Auch dieses Mal wieder mit schwülstigen Gruselmärchen an der Schwelle zwischen Horror und Erotik, vertreten durch den heißblütigen Erotik-Horrorfilm Vampyres und den Softcore Mysterystreifen Lèvres de Sang, sowie den deutschspanischen Fiebertraum Vampyros Lesbos. Und last but not least auch dieses Mal mit einer eiskalten Dekonstruktion des Genres, vertreten durch Martin vom Zombiefilm-Virtuosen George A. Romero.

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Die besten Vampirfilme der 70er Jahre I

Na denn… ich habe mir fest vorgenommen bei den 70er Jahre Bestenlisten kleinteiliger vorzugehen als bei den vorherigen Jahrzehnten. Und so wird es im Bereich des Horrorfilms noch die ein oder andere Nische und Subkategorie geben. Der Versuchung, eine Extraliste für die besten Lesbenvampirhorrorfilme zu machen, konnte ich gerade noch widerstehen (Yes, It’s a thing), und so werden es immerhin zwei allgemeine Listen, die Dracula und seiner teuflischen Vampir-Brut gewidmet sind. Aber auch in diese haben sich die erotischen Abenteuer weiblicher Blutsauger verirrt, hier vertreten durch die Hammer-Produktion The Vampire Lovers, die ein bisschen Schund, ein bisschen nackte Haut, ein bisschen Gewalt, vor allem aber viel Gothic Horror Hammer’scher Prägung bietet, sowie das mutigere – partiell fast feministische – belgische Horrormärchen Blut an den Lippen. Deutlich traditioneller als diese Neuinterpretationen des Genres ist die Bram Stoker Verfilmung Nachts, wenn Dracula erwacht, die sich eng an die Vorlage anlehnt und mit Christopher Lee als Dracula zu den klassischsten Vampirstreifen überhaupt gehört. Ansonsten waren die Vampire der 70er Jahre ganz schön wild: Circus der Vampire (ebenfalls von Hammer) vermischt Gothic Horror mit surrealen, traumartigen Ästhetizismen. Und noch experimenteller ist dann Ganja & Hess, der den Vampirmythos mit Blaxploitation-Storytelling und einer Menge verwobener Bildsprache anreichert…

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Die besten Filme 2017: The Wild Boys von Bertrand Mandico

Also gut, reden wir über den Experimentalfilm. Ein Genre das, zumindest wenn es nach der deutschen Wikipedia geht, gar nicht existiert (dort wird der englische Artikel zum Experimentalfilm immer noch ziemlich schnodderig mit Avantgardefilm übersetzt). Experimentelle Filme gehen über das hinaus, was übliche Sehgewohnheiten betrifft, sie transzendieren das Medium, zerreißen es, und stellen so eine Herausforderung für ihr Publikum dar. Wen oder was man zum Experimentalfilm zählen könnte, darüber lässt sich vermutlich lang und breit diskutieren. Genügt es schon, eine surreale Handlung aufzubauen, wie dies zum Beispiel David Lynch tut? Oder ist dieser mit seinen düsteren Mysterythrillern doch zu konventionell, um hier einen Spot zu verdienen? Muss es gleich die komplette Zertrümmerung des Mediums sein, wie zum Beispiel in den Kurzfilmen des 80er Jahre Transgressive Movies, oder gibt es doch irgendwas dazwischen? Ist Tarkowski ein Experimentalfilmregisseur, ist Bergman einer? Was ist mit den Nouvelle Vague Autorenfilmern oder den Ikonen des Neuen Deutschen Films? Ist gleich alles experimentell, was neu und ungewohnt ist? Dann könnten ja sogar Filme wie Blairwitch Project in der Kategorie landen. Nee, irgendwie kann es das nicht sein, und vielleicht ist eine Stärke der Schublade Experimentalfilm, dass sie ebenso wie die ihr zugehörigen Filme vage und abstrakt bleibt, dass sich vieles und gar nichts in sie hineindeuten lässt. Fest steht jedenfalls, dass experimentelle Filme nur selten ein größeres Publikum erreichen, sind sie doch einfach zu anstrengend, zu konfus, zu unorthodox, um über die Nische hinaus Eindruck zu hinterlassen. Dieses Schicksal blüht wohl auch Bertrand Mandicos Langfilmdebüt The Wild Boys (2017), der so ziemlich alle Zutaten für einen abgehobenen Film zwischen Experiment und Avantgarde besitzt. Ihn in dieser Nische zu lassen, täte diesem mitreißenden Meisterwerk allerdings Unrecht…

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I’m Thinking of Ending Things (2020) – Experimenteller Egotrip, bewegende Seelenschau, surreales Meisterwerk

Just tell your story. Pretty much all memory is fiction and heavily edited. So just keep going. Es gibt ja durchaus so manche Künstler, denen man gerne mal in den Kopf steigen würde, so wie es in Spike Jonzes Being John Malkovich (1999) möglich ist. Der Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman gehört nicht dazu. Das liegt nicht daran, dass sein Inneres uninteressant wäre, ganz im Gegenteil, der Grund dafür ist viel mehr, dass wir regelmäßig einen erstaunlich transparenten Blick in seinen komplexen wie merkwürdigen Verstand erhalten… jedes Mal wenn der gute Mann einen neuen Film veröffentlicht. In Adaption (2002) machte er das noch offensichtlich, indem er sich einfach selbst in den Film hineinschrieb, der eigentlich eine Verfilmung des Romans The Orchid Thief sein sollte. In seinem überragenden Regiedebüt Synecdoche New York (2008) ließ er dann alle Hüllen fallen und generierte ein ebenso episches wie introspektives Drama über Leben und Leid des Künstlers (sich selbst?), und in Anomalisa (2015) entwarf er schließlich die Pathologie einer (seiner?) schizoiden Persönlichkeitsstörung unter der Camouflage einer surrealen Liebesgeschichte. Und auch seinen jüngsten Film – I’m Thinking of Ending Things (2020) – lässt er je nach persönlichem Empfinden zum Egotrip beziehungsweise zur eigenen, eigenartigen Seelenreise mutieren… und dass obwohl dieser zumindest zu Beginn überhaupt nicht danach aussieht.

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Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) von Alexei German – Meisterwerk mit Überwältigungsstrategie

Acht Jahre Dreharbeiten, fünf Jahre Schnitt, der Wunsch etwas Episches zu erschaffen, permanent konfrontiert mit dem Unvollständigen. Es ist schwer vorstellbar, was im russischen Regisseur Alexei German vorgegangen sein muss, während er versuchte, Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) als sehr freie Verfilmung des 60er Jahre Science Fiction Romans von Arkadi und Boris Strugazki zum Leben zu erwecken. Für German sollte es leider kein Happy End dieses schweren und langwierigen Schaffensprozess geben. Er starb vor der Vollendung des Werkes. Diese bittere Note dieses mühsamen Schaffensprozesses lässt sich nicht ignorieren, auch wenn das Kunstwerk – im Gegensatz zu seinem Künstler – doch noch ein Happy End erhalten sollte. Germans Sohn – ebenfalls Filmemacher – griff sich den Film, irgendwo im Zustand zwischen „eigentlich seit Jahren fertig“ und „überambitioniertes Fragment“, und machte einen finalen Schnitt. Fast drei Stunden ist das daraus entstandene Werk lang, und jeder einzelnen Sekunde, jedem Bild, jedem Geräusch sieht man den entbehrungsreichen Schaffensprozess an. Трудно быть богом ist ein Monstrum von einem Film. Der Titel wirkt dabei schon fast prophetisch: Denn in all seinem Größenwahn, in seiner schmutzigen Opulenz, in seinem Mäandern zwischen Experimentalfilm und Epos ist die filmische Dekonstruktion des literarischen Bastards aus Science Fiction und Mittelalterdokument vor allem eine große Demonstration eines zu Viels, eines Determinismus zum Scheitern, der gegen alle Erwartungen nur als Erfolg verbucht werden kann.

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Surrealismus lebt! – Reality (2014) von Quentin „Mr. Oizo“ Dupieux

Ein gelbes Kuscheltier namens Flat Eric sitzt in einem pittoresken Büro am Telefon und grunzt irgendwas in den Hörer. Schließlich legt er eine Platte auf und die Flat Beats legen los. Wir schreiben das Jahr 1999 und Flat Beat von Mr. Oizo ist der heißeste Scheiß. Selbst Leute, die mit Techno nichts anfangen können sympathisieren mit dieser Kunstfigur, die unter dumpfen elektronischen Klängen Verträge mit roten Kritzeleien signiert, Würstchen inhaliert als wären sie Zigarren, mit der Computertastatur im Rhythmus klackert und anscheinend in der ganzen Welt herumtelefoniert, um seine Musik zu promoten. Dass der erfolgreiche Videoclip Inspiration für zahllose nervige Musikvideos der frühen 2000er wie Crazy Frog sein würde, konnte damals ja noch niemand ahnen und ist dem Musiker und Regisseur Quentin Dupieux aka Mr. Oizo kaum vorzuwerfen. Aber dieser kurze und prägnante Videoclip verrät schon viel über den französischen Experimentalisten, der spätestens mit dem verqueren selbstreferenziellen Horrorstreifen Rubber (2010) einige Berühmtheit in der obskuren Filmecke erlangen sollte. Und was verrät es? Monsieur Dupieux will Spaß haben. Wenn unterwegs dabei noch Kunst herauskommt, umso besser. Und so viel Spaß wie bei seiner Bizarrerie Reality (2014) hatte der französische Multikünstler wahrscheinlich noch nie.

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Die besten Filme der 80er Jahre für Musikliebhaber

Ich glaube, ich habe schon in einem der letzten Artikel mit Musikliebhaberfilmen erwähnt, dass Musicals so überhaupt nicht mein Genre sind. Dementsprechend sind sie auch in dieser Retrospektive nicht besonders präsent. Müssen sie auch gar nicht: Wer Musik und gleichzeitig Filme mag, ist keineswegs auf das naheliegendste und damit auch irgendwie ödeste Genre-Crossover angewiesen: Warum nicht stattdessen großartige Slapstick-Action mit viel Coolness, viel Humor und vor allem viel Rock N Roll (Blues Brothers)? Oder überlange surreale Musikvideos (The Amazing Mr. Bickford, The Wall), gerne auch dramatisch, pathetisch und voll mit Attitüde (Purple Rain). Oder warum nicht eine der besten Mockumentarys aller Zeiten (This is Spinal Tap)? Und wenns dann doch musicaleske Unterhaltung sein soll, kann ich zumindest Forbidden Zone anbieten… das wiederum ist aber auch ein Musical wie kein Zweites und passt somit perfekt in diese Reihe schriller, verquerer und ungewöhnlicher Filme.

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Die kontroversen, extremen und polarisierenden Filme der 80er Jahre

Wie immer gilt für diese spezielle Liste: Prämiert werden nicht die besten kontroversen und polarisierenden Filme des Jahrzehnts, sondern die, die am extremsten waren, die am meisten polarisieren konnten, die am kontroversesten aufgefasst wurden und werden. Wirklich erstklassiges filmisches Material gibt es in diesem speziellen Fall, dann auch tatsächlich kaum zu finden. Abgesehen von Die letzte Versuchung Christi (der die Kontroverse auch nicht wirklich suchte, sondern dem sie viel mehr aufgezwungen wurde), sind die restlichen Vertreter im besten Fall Durchschnittsware, im schlimmsten Fall kompletter Schund, der einzig durch seinen Shock Value einen Platz in der Filmgeschichte gefunden hat. Das war bei den kontroversen Filmen der 90er und 2000er Jahre durchaus anders. Und noch eine Premiere, je weiter wir uns in die Vergangenheit bewegen aber umso folgerichtiger: Mit den Rape Culture Teeniestreifen hat es nicht nur ein Film, sondern gleich eine ganze Filmreihe (wenn nicht sogar ein ganzes Genre) hierhin geschafft, dessen kontroverse Natur vor allem durch den retrospektiven Blick entsteht; Filme, die damals nur ein mildes Lächeln ernteten, heute aber als filmische Sinnbilder für eine Kinoära stehen, in der auch Belästiger und Vergewaltiger Sympathieträger sein durften, deren Verbrechen gar verharmlost wurden oder im schlimmsten Fall zur Erheiterung des Publikums dienten. Ansonsten, auch 80er typisch, viel Zeug aus der Gore- und Splatterecke, immerhin ein genuin deutscher Blasphemiefall und ein wenig mehr der Vollständigkeit halber ein absolut sehenswertes Werk aus dem experimentellen New Yorker Untergrund.

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Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre II

Surrealismus, Nummer zwei. Man kann durchaus die Behauptung vertreten, dass nach der goldenen Ära des surrealistischen Films der Surrealismus ziemlich tot war. Genuin surreal waren schon die Filme der ersten 80er-Liste kaum, viel eher Genrehybriden, Experimentalfilme oder vom Surrealismus inspirierte Werke. Das ist auch im zweiten Artikel kaum anders. Mit Jodorowskys Santa Sangre hat sich zumindest eine unbestreitbare Ikone des surrealen Kinos hineingemogelt, wenn auch mit einem Film, der die meiste Zeit über anderen Vorbildern huldigt. Abgesehen davon gibt es Surrealismus im Gewand des Bodyhorrors (Videodrome), Surrealismus im Gewand des Mystery (Angel Heart) und Surrealismus im Gewand des fantastischen Avantgardekinos (Alice). Ist das Genre tot? Vielleicht, aber die Frucht aus diesem Schoß ist äußerst lebendig.

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Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre I

Im Grunde genommen ist Kino des Surrealismus in den 80er Jahren bereits ziemlich am Ende. Mit Luis Buñuel stirbt 1983 der wohl wegweisendste Regisseur des Genres und hinterlässt eine Lücke, die sich so schnell nicht schließen wird. Zwar wies David Lynch mit Eraserhead bereits 1977 einen Weg in die Zukunft des surrealen Films – zwischen Avantgarde und unterhaltsamem Genrekino -, in den 80ern kümmert er sich jedoch eher um „bodenständigere“ Projekte wie seinen Elefantenmenschen oder Blue Velvet. Während der neue Surrealismus noch ein wenig in Wartestellung verharrt, lassen aber immerhin die Altmeister mit interessanten Spätwerken aufhorchen: Fellini, Godard, Kluge… die Filmemacher des ersten Beitrags zum surrealen Kino der 80er lesen sich wie ein who is who vergangener Jahrzehnte. Warum sie auch in dieser Dekade begeistern können, lest Ihr hier…

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Sequenz/Verknüpfung/Anarchie – Orphea von Alexander Kluge und Khavn

Wer Alexander Kluges Œuvre in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, weiß, dass er sich schon vor längerer Zeit vom traditionellen cineastischen Erzählen entfernt hat. Unzweifelhaft beeinflusst von seinen Fernseharbeiten mit der dctp ist sein Stil schon lange fragmentarisch, zwischen Fakten und Fiktionen pendelnd und angelehnt an Sehgewohnheiten, die sich im Fernsehen der 80er Jahre entwickelt haben: Kluge liebt den Schnitt zu etwas völlig anderem, er liebt die Verknüpfung von Dokumentation und Fiktion, er liebt die Reihung und das Offenlassen. Kluges segmentierte Filme lesen sich auch immer wie eine Reihung von Cliffhangern, die aufeinander aufbauen, aber nie zu einem Abschluss kommen. Prinzip Serie als Film. Das ist auch bei Orphea (2020) der Fall. Der größte Unterschied zu seinen letzten Werken: Mehr als jemals zuvor muss sich Kluge mit seinem Regiepartner – dem philippinischen Experimentalregisseur und Künstler Khavn – und seiner Hauptdarstellerin, der Schauspielerin und Sängerin Lilith Stangenberg, auseinandersetzen. Denn diese haben ähnliche und doch ganz andere Ziele als die Ikone des neuen deutschen Films.

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Die besten Science Fiction Filme der 80er Jahre I

Horror… done, Fantasy… done… Wir bleiben dem Genre-Kino treu. Je weiter es in den Jahrzehnten zurück geht, um so heikler wird das Verfallsdatum der jeweiligen Filme, und wenn es ein Genre gibt, bei dem dies besonders zum Ausdruck kommt, dann den Science Fiction. Wie schnell wirken doch die Zukunftsvisionen und High Tech Fantasien von einst albern aus heutiger Sicht. Oft scheint es naiv, wie sich damalige Kreative unsere heutige Zeit oder eine nähere Zukunft ausgemalt haben, oft scheint es übertrieben oder einfach vollkommen an den tatsächlichen Entwicklungen der Gesellschaft und Technik vorbei. Insofern gilt auch hier immer die Frage: Halten die Filme von damals dem Urteil von heute stand? Bei den folgenden Science Fiction Filmen kann die Frage durchgehend (mit klitzekleinen Einschränkungen) mit ‚Ja‘ beantwortet werden: Zeitlose Dystopik liefern Quiet Earth, Brazil und Tetsuo, während Sie leben und Star Trek IV wunderbar als Zeitdokument funktionieren, inklusive aller Naivität und Sillyness. Und auch wenn James Camerons The Abyss gealtert sein mag, begeistert er auch heute noch als epischer Sci-Fi Blockbuster. Die besten Science Fiction Filme der 80er Jahre, Fuhre eins, nach dem Klick…

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…Wie im Himmel so auch auf Erden. – Rezension zu „The Tree of Life“ von Terrence Malick (2011)

Der Pathos, der Ästhetizismus und das Epische haben Einzug gehalten im internationalen Arthaus-Kino. Einen großen Anteil daran dürfte unter anderem Lars von Trier haben, der in den 00er Jahren erst sukzessive, später immer radikaler von seinem minimalistischen, naturalistischen Dogma95-Konzept abgerückt ist, zu Gunsten von großen Kamerafahrten, epischen Slow-Speed-Zeitlupen und großen Opern-Arien. Das Wunderkind des New Hollywood Terrence Malick indes war schon immer pathetisch. Egal ob in seinem elegischen 70er Jahre Klassiker Badlands (1973), in der schwelgerischen Gegenüberstellung von Krieg und Natur in Der schmale Grat (1998) oder zuletzt im metaphysischen Bilderbogen The New World (2005). Der mittlerweile fast 60jährige Regisseur kann in seiner Vita gerade mal sechs Langfilme aufweisen, die allerdings auch allesamt – jeder auf seine eigene Weise – eine Transzendentalisierung des Sujets, Mediums und Publikums versprechen. Da scheint es nur konsequent, dass er seinen neusten Streich, sein „persönliches Werk“ The Tree of Life (2011) mit einem metaphysisch, religiösen und holistischen Rahmen ausstattet, der wiederum alle Grenzen des traditionellen Erzählkinos sprengen soll. Ist er dieses Mal zu weit gegangen? Ist seine Religion/Natur-Exegese zu stilverliebt, zu metaphysisch, universalistisch? Im Gebet hoffen wir auf eine Antwort…

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Kurzrezensionen: Dogtooth, Beautiful, Bedingungslos

Nachdem es in der letzten Kurzerezensionssammlung das volle Blockbuster-Programm mit Harry Potter, Super 8, und Planet der Affen Prevolution gab, verlassen wir dieses Mal die vorgewärmten Kinosessel und schauen uns im Videotheken-Regal in der Arthaus- und Independent-Film-Abteilung um. Ich weiß gar nicht, ob einer von den drei hier rezensierten Filmen eine Kinoauswertung hatte. Tendenziell wohl eher nicht. Auf jeden Fall liegen sie derzeit (relativ) frisch in der Videothek meines Vertrauens und bilden ein gutes Kontrastprogramm zu lauten, mainstreamigen Blockbuster-Orgien: Dogtooth eine verstörende, surreale Parabel in der Tradition des europäischen Autorenkinos, Beautiful ein düsterer Mysterythriller, der gerne das Blue Velvet des neuen Jahrtausends wäre, und Bedingungslos, in dem Ole Bornedahl (Nightwatch) mit perfider Montagetechnik den Zuschauer in einem alptraumhaften Sog gefangen nimmt. Was können die drei filmischen Ausreißer und lohnt sich für sie der Gang zur Videothek?

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Die besten Filmdramen der 90er Jahre II

Teil zwei unserer letzten Meter bei den besten Filmen der 90er Jahre. Auch in diesem Artikel stehen die Minimalklassifizierten, die großen emotionalen Leinwanderlebnisse, die besten Dramen des Jahrzehnts im Mittelpunkt. Mit Mike Leigh ergründen wir Lügen und Geheimnisse der britischen Gesellschaft, mit Belar Tarr lassen wir uns in epischer breite die dunklen Seiten der kommunistischen Endzeit nahe bringen. Wir sagen Lebewohl, meine Konkubine, feiern liebste Jahreszeiten und wilde Tage und verlieren uns im Duft der Frauen.

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Die besten Trash-Filme der 90er Jahre II

Und weiter gehts im Kino der niedersten Niederungen, der obskuren Ideen und kostengünstigen Antipoden zum Big Business. Dieses Mal haben sich gleich ein paar qualitativ hochwertige Filmversatzstücke in unserer Trash-Schau eingefunden. Neben Christoph Schlingensiefs Trash-Blaupause United Trash – die wie alle seine Filme heftig mit Avantgarde und Hochkultur kokettiert – kümmern wir uns um das deutsche Trashurgestein Helge Schneider und seinen Anti-Western Texas, freuen uns noch einmal auf Troma-Ware bei Sgt. Kabukiman und packen mit dem Geballer von Rutger Hauer in Split Second und den Nippeln von Demi Moore in Striptease zumindest noch zwei Filme dazu, über deren Qualitäten man vorzüglich streiten kann.

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Die besten surrealen Filme und die besten Mysteryfilme der 90er Jahre

Das Mystery-Genre war in den 90ern – ebenso wie der Surrealismus seit jeher – eine filmische Gattung die eher an der Peripherie stattfand. Für ein Massenpublikum waren die Themen der Filme meist zu obskur, die Erzählhaltungen zu distanziert. Aber abseits von Hollywood gelang es dem Genre dennoch sich eine treue Fangemeinde zu erarbeiten. Insbesondere die Filme von David Lynch – der auch in den 00er Jahren überfleißig war – haben sich zu echten Kultfilmen der Szene entwickelt. Und dann gab es da natürlich noch den berühmten Mysteryboom in der zweiten Hälfte der Dekade: Angestachelt durch die TV-Erfolge von Akte X und schließlich den Höhepunkt mit dem Kassenschlager und Instantklassiker „The sixth Sense“ erlebend. Ironischerweise brachte die folgende Schwemme an Mystery-Epigonen keinen einzigen herauragenden Genrebeitrag hervor, stattdessen nicht viel mehr als ein müde Reihe an Plagiaten, die in die 00er Jahre hinüberschwappten, um das Publikum dort zu langweilen. Anyway, trotz des subkulturellen Flairs des Mystery, trotz der praktischen Nichtvorhandenheit des Surrealismus in den Kinosälen, gibt es hier auch in den 90ern so manches Entdeckenswertes. Wir haben es gesammelt…

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Die besten Dokumentarfilme der 2000er Jahre I

Bevor wir unsere 00er-Filmretrospektive endgültig dicht machen, widmen wir uns den großen nonfiktionalen Filmen des Jahrzehnts. Es gab viele spannende, interessante, mal mehr, mal weniger authentische, mal mehr, mal weniger stilisierte Dokumentarfilme in diesem Jahrzehnt. Naturbetrachtungen ebenso wie Medien- und Kulturgeschichtsstunden, Pop-Reflexionen, politisch engagierte Werke und vieles dazwischen. Die besten dieser Filmgattung passen – wie sollte es auch anders sein – nicht in einen Artikel und so gibt es in Kürze noch einen kleinen Nachschlag. Hier auf jeden Fall schonmal die erste Portion Realistisches, Wahres und Dennoch Schönes. Die besten Dokumentarfilme des Jahrzehnts, wie immer nach dem Klick.

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Kurzrezensionen (2012er Recap III): Drive, Keyhole, Django Unchained, Cosmopolis

Joa… weiter gehts mit der Aufarbeitung des Kinojahres 2012: Die folgenden Reviews möchte ich dann mal unter dem Banner zusammenfassen: „Hipsters get, what hipsters want!“ Sprich, Filme, die auf irgendeine Weise diesen Hipster-Link haben, sei es, weil sie sich besonders originell geben, sei es, weil sie besonders stylish sind, sei es weil sie als abstrakte Nerd-Kunstwerke daherkommen oder sei es einfach weil sie aus der Feder eines Hipster-Lieblings stammen. Das muss per se erst einmal kein Qualitätsmerkmal sein. Ein Film kann sehr wohl wie z.B. Drive voll im Trend liegen und dennoch über seine Zeit hinaus eine cineastische Wirkkraft entwickeln, ein Film kann wie Guy Maddins Keyhole als anspruchsvoller Ritt durch Genres daherkommen und trotzdem eine leere, nichtssagende Hülle bleiben. Filme können wie Tarantinos Django-Interpretation oder David Cronenbergs Cosmopolis ordentlich Namedropping betreiben und dennoch alle Erwartungen unterbieten, das Publikum unterwältigen. Und in jedem dieser Fälle ist selbstverständlich auch immer das jeweilige Gegenteil möglich. Welcher der folgenden Filme über Hipsters Liebling hinausreicht und welcher womöglich schnell vergessen gehört, erfahrt ihr in den Rezensionen nach dem Klick.

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Empathie und Neugierde als Konzept – Alexander Kluge zum Achtzigsten

Ich würde gerne behaupten, dass mein erster Kontakt zu Alexander Kluge im Schauen des Meisterwerks Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968) bestand, oder im Lesen des Klassikers Öffentlichkeit und Erfahrung (1972). Ich befürchte aber, dass ich wie so viele andere meiner Generation auf Kluge zum ersten mal im Fernsehen gestoßen bin. Und sei das nicht schlimm genug auch noch im Privatfernsehen, irgendwann im Nachtprogramm beim Zappen zwischen Tutti Frutti und Schulmädchen-„Reportagen“… und wahrscheinlich ebenfalls verbunden mit der Frage: “Was soll das? Ich will Stoff für meine frühpubertären Hormone, keinen Mann, der im Mönchskostüm zum fünften Evangelium befragt wird!” Der Mann im Mönchskostüm war Peter Berling, und Alexander Kluge existierte seinerzeit für mich nur als Stimme hinter der Kamera, die mit skurrilen und intelligenten Nachfragen den Historiker in seiner Rolle immer wieder ordentlich in die Bredouille brachte.

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Was sind Korsakow Filme?

Als Mediengestalter und Regisseur Florian Thalhofer im Jahre 2000 einen Film über Alkoholismus drehte  (Korsakow Syndrom), suchte er nach einer Möglichkeit, dem Sujet auch narrativ und ästhetisch gerecht zu werden. Aus diesem Antrieb entstand das so genannte Korsakow-System, eine Oberfläche für nonlineare Dokumentar- und Spielfilme. Zehn Jahre ist dies mittlerweile her und die Korsakow-Filme haben es trotz faszinierender Ideen und großartigen daraus entstandenen Dokumentationen leider nie über einen gewissen subkulturellen Bereich hinaus geschafft.

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