Kategorie: Surrealismus / Experimentelles

Everything Everywhere All At Once (2022) – Und das Kino explodiert…

Auf die Frage „Wie viel Inhalt lässt sich in einen nicht ganz fünfzehnminütigen Kurzfilm packen?“ haben die beiden Daniels – Das amerikanische Regieduo Daniel Kwan & Daniel Scheinert – einfach mit „Ja“ geantwortet und mit Interesting Ball (2014) einen der wohl irrsten, bizarrsten, überambitioniertesten und grandiosesten Shorts der Filmgeschichte abgeliefert. Den kann man sich auch auf Youtube reinziehen, und es macht durchaus Sinn dies zu tun, bevor man sich Everything Everywhere All At Once (2022) gibt, allein schon, um eine gewisse Vorstellung davon zu haben, was auf einen zukommt. Auch im zweiten Langfilm der Daniels nach Swiss Army Man (2016) geht es um ein ähnliches Thema wie in Interesting Ball: Um die Verknüpfung von Lebensrealitäten und Geschichten, um die Macht des Unvorhergesehenen, um die Macht des Schicksals: „It’s inevitable“, „Es ist unvermeidlich“, wie eine der Hauptfiguren in Interesting Ball zu unmöglichen Geschehen anmerkt. Aber es sind nicht nur die Themen und Motive, in denen sich die beiden Filme gleichen wie Geschwister: Es ist auch die Haltung, mit der die Daniels diese Motive auf die Leinwand bringen. Denn auf die Frage „Wie viele verschiedene Stimmungen kann man in einem Film unter einen Hut bringen?“ antworten die beiden auch mit Ja und machen munteres Genre- und Atmosphären-Hopping: Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt, aber auch von absurd surreal bis hin zu elegisch pathetisch. Von albern, infantil, bis monumental actionreich… von …. naja, von allem über alles eben… überall… und das gleichzeitig… all at once…

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Die besten Filme 2017: The Wild Boys von Bertrand Mandico

Also gut, reden wir über den Experimentalfilm. Ein Genre das, zumindest wenn es nach der deutschen Wikipedia geht, gar nicht existiert (dort wird der englische Artikel zum Experimentalfilm immer noch ziemlich schnodderig mit Avantgardefilm übersetzt). Experimentelle Filme gehen über das hinaus, was übliche Sehgewohnheiten betrifft, sie transzendieren das Medium, zerreißen es, und stellen so eine Herausforderung für ihr Publikum dar. Wen oder was man zum Experimentalfilm zählen könnte, darüber lässt sich vermutlich lang und breit diskutieren. Genügt es schon, eine surreale Handlung aufzubauen, wie dies zum Beispiel David Lynch tut? Oder ist dieser mit seinen düsteren Mysterythrillern doch zu konventionell, um hier einen Spot zu verdienen? Muss es gleich die komplette Zertrümmerung des Mediums sein, wie zum Beispiel in den Kurzfilmen des 80er Jahre Transgressive Movies, oder gibt es doch irgendwas dazwischen? Ist Tarkowski ein Experimentalfilmregisseur, ist Bergman einer? Was ist mit den Nouvelle Vague Autorenfilmern oder den Ikonen des Neuen Deutschen Films? Ist gleich alles experimentell, was neu und ungewohnt ist? Dann könnten ja sogar Filme wie Blairwitch Project in der Kategorie landen. Nee, irgendwie kann es das nicht sein, und vielleicht ist eine Stärke der Schublade Experimentalfilm, dass sie ebenso wie die ihr zugehörigen Filme vage und abstrakt bleibt, dass sich vieles und gar nichts in sie hineindeuten lässt. Fest steht jedenfalls, dass experimentelle Filme nur selten ein größeres Publikum erreichen, sind sie doch einfach zu anstrengend, zu konfus, zu unorthodox, um über die Nische hinaus Eindruck zu hinterlassen. Dieses Schicksal blüht wohl auch Bertrand Mandicos Langfilmdebüt The Wild Boys (2017), der so ziemlich alle Zutaten für einen abgehobenen Film zwischen Experiment und Avantgarde besitzt. Ihn in dieser Nische zu lassen, täte diesem mitreißenden Meisterwerk allerdings Unrecht…

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I’m Thinking of Ending Things (2020) – Experimenteller Egotrip, bewegende Seelenschau, surreales Meisterwerk

Just tell your story. Pretty much all memory is fiction and heavily edited. So just keep going. Es gibt ja durchaus so manche Künstler, denen man gerne mal in den Kopf steigen würde, so wie es in Spike Jonzes Being John Malkovich (1999) möglich ist. Der Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman gehört nicht dazu. Das liegt nicht daran, dass sein Inneres uninteressant wäre, ganz im Gegenteil, der Grund dafür ist viel mehr, dass wir regelmäßig einen erstaunlich transparenten Blick in seinen komplexen wie merkwürdigen Verstand erhalten… jedes Mal wenn der gute Mann einen neuen Film veröffentlicht. In Adaption (2002) machte er das noch offensichtlich, indem er sich einfach selbst in den Film hineinschrieb, der eigentlich eine Verfilmung des Romans The Orchid Thief sein sollte. In seinem überragenden Regiedebüt Synecdoche New York (2008) ließ er dann alle Hüllen fallen und generierte ein ebenso episches wie introspektives Drama über Leben und Leid des Künstlers (sich selbst?), und in Anomalisa (2015) entwarf er schließlich die Pathologie einer (seiner?) schizoiden Persönlichkeitsstörung unter der Camouflage einer surrealen Liebesgeschichte. Und auch seinen jüngsten Film – I’m Thinking of Ending Things (2020) – lässt er je nach persönlichem Empfinden zum Egotrip beziehungsweise zur eigenen, eigenartigen Seelenreise mutieren… und dass obwohl dieser zumindest zu Beginn überhaupt nicht danach aussieht.

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Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) von Alexei German – Meisterwerk mit Überwältigungsstrategie

Acht Jahre Dreharbeiten, fünf Jahre Schnitt, der Wunsch etwas Episches zu erschaffen, permanent konfrontiert mit dem Unvollständigen. Es ist schwer vorstellbar, was im russischen Regisseur Alexei German vorgegangen sein muss, während er versuchte, Es ist schwer ein Gott zu sein (2013) als sehr freie Verfilmung des 60er Jahre Science Fiction Romans von Arkadi und Boris Strugazki zum Leben zu erwecken. Für German sollte es leider kein Happy End dieses schweren und langwierigen Schaffensprozess geben. Er starb vor der Vollendung des Werkes. Diese bittere Note dieses mühsamen Schaffensprozesses lässt sich nicht ignorieren, auch wenn das Kunstwerk – im Gegensatz zu seinem Künstler – doch noch ein Happy End erhalten sollte. Germans Sohn – ebenfalls Filmemacher – griff sich den Film, irgendwo im Zustand zwischen „eigentlich seit Jahren fertig“ und „überambitioniertes Fragment“, und machte einen finalen Schnitt. Fast drei Stunden ist das daraus entstandene Werk lang, und jeder einzelnen Sekunde, jedem Bild, jedem Geräusch sieht man den entbehrungsreichen Schaffensprozess an. Трудно быть богом ist ein Monstrum von einem Film. Der Titel wirkt dabei schon fast prophetisch: Denn in all seinem Größenwahn, in seiner schmutzigen Opulenz, in seinem Mäandern zwischen Experimentalfilm und Epos ist die filmische Dekonstruktion des literarischen Bastards aus Science Fiction und Mittelalterdokument vor allem eine große Demonstration eines zu Viels, eines Determinismus zum Scheitern, der gegen alle Erwartungen nur als Erfolg verbucht werden kann.

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Surrealismus lebt! – Reality (2014) von Quentin „Mr. Oizo“ Dupieux

Ein gelbes Kuscheltier namens Flat Eric sitzt in einem pittoresken Büro am Telefon und grunzt irgendwas in den Hörer. Schließlich legt er eine Platte auf und die Flat Beats legen los. Wir schreiben das Jahr 1999 und Flat Beat von Mr. Oizo ist der heißeste Scheiß. Selbst Leute, die mit Techno nichts anfangen können sympathisieren mit dieser Kunstfigur, die unter dumpfen elektronischen Klängen Verträge mit roten Kritzeleien signiert, Würstchen inhaliert als wären sie Zigarren, mit der Computertastatur im Rhythmus klackert und anscheinend in der ganzen Welt herumtelefoniert, um seine Musik zu promoten. Dass der erfolgreiche Videoclip Inspiration für zahllose nervige Musikvideos der frühen 2000er wie Crazy Frog sein würde, konnte damals ja noch niemand ahnen und ist dem Musiker und Regisseur Quentin Dupieux aka Mr. Oizo kaum vorzuwerfen. Aber dieser kurze und prägnante Videoclip verrät schon viel über den französischen Experimentalisten, der spätestens mit dem verqueren selbstreferenziellen Horrorstreifen Rubber (2010) einige Berühmtheit in der obskuren Filmecke erlangen sollte. Und was verrät es? Monsieur Dupieux will Spaß haben. Wenn unterwegs dabei noch Kunst herauskommt, umso besser. Und so viel Spaß wie bei seiner Bizarrerie Reality (2014) hatte der französische Multikünstler wahrscheinlich noch nie.

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Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre II

Surrealismus, Nummer zwei. Man kann durchaus die Behauptung vertreten, dass nach der goldenen Ära des surrealistischen Films der Surrealismus ziemlich tot war. Genuin surreal waren schon die Filme der ersten 80er-Liste kaum, viel eher Genrehybriden, Experimentalfilme oder vom Surrealismus inspirierte Werke. Das ist auch im zweiten Artikel kaum anders. Mit Jodorowskys Santa Sangre hat sich zumindest eine unbestreitbare Ikone des surrealen Kinos hineingemogelt, wenn auch mit einem Film, der die meiste Zeit über anderen Vorbildern huldigt. Abgesehen davon gibt es Surrealismus im Gewand des Bodyhorrors (Videodrome), Surrealismus im Gewand des Mystery (Angel Heart) und Surrealismus im Gewand des fantastischen Avantgardekinos (Alice). Ist das Genre tot? Vielleicht, aber die Frucht aus diesem Schoß ist äußerst lebendig.

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Die besten surrealistischen Filme der 80er Jahre I

Im Grunde genommen ist Kino des Surrealismus in den 80er Jahren bereits ziemlich am Ende. Mit Luis Buñuel stirbt 1983 der wohl wegweisendste Regisseur des Genres und hinterlässt eine Lücke, die sich so schnell nicht schließen wird. Zwar wies David Lynch mit Eraserhead bereits 1977 einen Weg in die Zukunft des surrealen Films – zwischen Avantgarde und unterhaltsamem Genrekino -, in den 80ern kümmert er sich jedoch eher um „bodenständigere“ Projekte wie seinen Elefantenmenschen oder Blue Velvet. Während der neue Surrealismus noch ein wenig in Wartestellung verharrt, lassen aber immerhin die Altmeister mit interessanten Spätwerken aufhorchen: Fellini, Godard, Kluge… die Filmemacher des ersten Beitrags zum surrealen Kino der 80er lesen sich wie ein who is who vergangener Jahrzehnte. Warum sie auch in dieser Dekade begeistern können, lest Ihr hier…

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Sequenz/Verknüpfung/Anarchie – Orphea von Alexander Kluge und Khavn

Wer Alexander Kluges Œuvre in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, weiß, dass er sich schon vor längerer Zeit vom traditionellen cineastischen Erzählen entfernt hat. Unzweifelhaft beeinflusst von seinen Fernseharbeiten mit der dctp ist sein Stil schon lange fragmentarisch, zwischen Fakten und Fiktionen pendelnd und angelehnt an Sehgewohnheiten, die sich im Fernsehen der 80er Jahre entwickelt haben: Kluge liebt den Schnitt zu etwas völlig anderem, er liebt die Verknüpfung von Dokumentation und Fiktion, er liebt die Reihung und das Offenlassen. Kluges segmentierte Filme lesen sich auch immer wie eine Reihung von Cliffhangern, die aufeinander aufbauen, aber nie zu einem Abschluss kommen. Prinzip Serie als Film. Das ist auch bei Orphea (2020) der Fall. Der größte Unterschied zu seinen letzten Werken: Mehr als jemals zuvor muss sich Kluge mit seinem Regiepartner – dem philippinischen Experimentalregisseur und Künstler Khavn – und seiner Hauptdarstellerin, der Schauspielerin und Sängerin Lilith Stangenberg, auseinandersetzen. Denn diese haben ähnliche und doch ganz andere Ziele als die Ikone des neuen deutschen Films.

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90er vs. 00er – Battle of the Kinojahrzehnts IV: Horror, Mystery und Surreales

Nachdem das knisternde und romantische Kino sich als Stärke der 00er Jahre entpuppte und dieses sogar kurzfristig in Führung brachte, wenden wir uns an dieser Stelle den dunklen Seiten der cineastischen Jahrzehnte zu. Horror, Mystery, Surreales, fernab von dieser Welt und doch inmitten unserer Wirklichkeit beheimatet: Verzerrt, abseitig, erschreckend, absurd, beängstigend und der Realität auf grausame Weise ein Schnippchen schlagend. Die Besten der Bösartigen treffen sich hier zum Duell. Welches Jahrzehnt hat uns mehr und besser Angst gemacht? Welches hat uns besser verwirrt und zur Verzweiflung getrieben? Welches hat die stärkeren Rätsel aufgeworfen, die mächtigeren Paradoxien erschaffen? Im Angesicht der Geister, Dämonen und des Wahns wollen wir sehen, wie lange das brüchige Unentschieden (5:5) im Zweikampf der Filmjahrzehnte noch aufrecht zu halten ist.

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Die besten surrealen Filme und die besten Mysteryfilme der 90er Jahre

Das Mystery-Genre war in den 90ern – ebenso wie der Surrealismus seit jeher – eine filmische Gattung die eher an der Peripherie stattfand. Für ein Massenpublikum waren die Themen der Filme meist zu obskur, die Erzählhaltungen zu distanziert. Aber abseits von Hollywood gelang es dem Genre dennoch sich eine treue Fangemeinde zu erarbeiten. Insbesondere die Filme von David Lynch – der auch in den 00er Jahren überfleißig war – haben sich zu echten Kultfilmen der Szene entwickelt. Und dann gab es da natürlich noch den berühmten Mysteryboom in der zweiten Hälfte der Dekade: Angestachelt durch die TV-Erfolge von Akte X und schließlich den Höhepunkt mit dem Kassenschlager und Instantklassiker „The sixth Sense“ erlebend. Ironischerweise brachte die folgende Schwemme an Mystery-Epigonen keinen einzigen herauragenden Genrebeitrag hervor, stattdessen nicht viel mehr als ein müde Reihe an Plagiaten, die in die 00er Jahre hinüberschwappten, um das Publikum dort zu langweilen. Anyway, trotz des subkulturellen Flairs des Mystery, trotz der praktischen Nichtvorhandenheit des Surrealismus in den Kinosälen, gibt es hier auch in den 90ern so manches Entdeckenswertes. Wir haben es gesammelt…

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Spiritual Porn Mindfucks – Gedanken zu Gaspar Noes "Enter the Void"

Natürlich kommt man, wenn man von Gaspa Noe spricht, nicht an Irreversible vorbei… dieses zermürbende Monster von einem Film, das seine Protagonisten und Zuschauer auf eine grauenhafte Odyssee durch einen rückwärts erzählten, quälend naturalistischen Revenge-Thriller schickt, an dessen Beginn eine schwindelerregende Kamerafahrt durch die aufgepeitsche Pariser Nacht steht, dessen Zentrum von einer der unerträglichsten Szenen der Filmgeschichte eingenommen wird und dessen vermeintlich harmonisches Ende, die grausame Determiniertheit der gesamten Geschehnisse brutal auf den Punkt bringt. Gaspar Noe ist ein cineastischer Extremist, ein sadistischer Filmemacher, der die Grenzen des Erträglichen auslotet, um sie eiskalt zu überschreiten. Vollkommen zurecht hat es sein Meisterwerk Irreversible zu den extremsten Filmen der 00er Jahre geschafft. Und dann hatten wir ganze vier Jahre Verschnaufspause, trügerische Ruhe, bevor die Ikone der New French Extremity mit Enter the Void 2010 zu einem erneuten Angriff auf unsere Sehgewohnheiten bläst.

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Die besten surrealen Filme und die besten Mystery Filme der 2000er Jahre

Im Zuge des „The sixth Sense“-Erfolges 1999 erlebte das US-Mystery-Kino zu Beginn des neuen Jahrtausends eine wahre Blütezeit. Zahllose Filme schossen aus dem Boden, meistens mit sich allzu sehr ähnelnder Struktur: Seltsame, irreal erscheinende Ereignisse, eine dunkle diffuse Atmosphäre und schließlich gegen Ende ein vermeintlicher Mindfuck, der die mysteriösen Ereignisse aufklärte. Das Genrekino rieb sich mehr und mehr selbst an seinen abgedroschenen Strukturen auf und statt wirklich interessanter Variationen bekam man zu guter Letzt immer das Gleiche zu sehen (Wodurch schon bei Beginn des x-ten Mysterystreifens eigentlich nur noch die Frage im Raum stand: „Gibt es eine psychologische Erklärung oder eine durch übersinnliche, übernatürliche Phänomene?“) Gott sei Dank gab es auch erwähnenswerte Ausnahmen; und diese bewegten sich fast vollständig abseits dieser vielbetretenen Pfade: Filme die verschrobener waren, mysteriöser, merkwürdiger, diffuser und vor allem surrealer…

Und damit wäre auch schon der Link zum zweiten wesentlichen Genre gesetzt, das in diesem Artikel Erwähnung findet: Dem surrealen Kino. Weiterlesen

Virtuelle Schnitzeljagd: Rezension zu Jim Jarmuschs "The Limits of Control" (2009)

Der geheimnisvolle Fremde (Isaach De Bankolé) geht durch ein Flughafengebäude. Er trifft sich mit zwei Männern, wovon einer anscheinend der Auftraggeber ist, während der Andere die Funktion eines Dolmetschers erfüllt. Streichholzschachteln werden ausgetauscht. Der Auftraggeber hält einen Monolog über die Tatsächlichkeit und die Grenzen der Welt. Der geheimnisvolle Fremde hört kommentarlos zu. Dann verlässt er den Flughafen und beginnt eine Reise durch Spanien mit unbekanntem Ziel.

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Schlingensief-Retrospektive – „Die 120 Tage von Bottrop“ (1997)

Liebe Zuschauer!

Bitte genießen sie den folgenden Film sehr laut und mit vielen Höhen!

Wir danken für ihr Verständnis

Sodom ist die Stadt der Verruchtheit, der Perversion und Sodomie, die als göttliches Exempel schließlich in einem apokalyptischen Feuerregen untergehen sollte. Bottrop ist eine deutsche Stadt im nordwestlichen Ruhrgebiet. Bottrop hat mit diesem Film nichts zu tun. Nachdem sich Christoph Schlingensief in Terror 2000 der deutschen TV-Medienlandschaft widmete, ist sein Opfer im 1997 entstandenen „Die 120 Tage von Bottrop“ der deutsche Film. Dabei wäre es allerdings etwas vorschnell, dem Regisseur zu unterstellen, wieder mal alles zu zerfleddern und zu zerreißen, was dieses Medium hergibt. Ganz im Gegenteil: Denn obwohl Schlingenisef, wie es für ihn typisch ist, nach allen Seiten hin ausholt und dabei mehr als scharfe Munition verschießt, ist „Die 120 Tage von Bottrop“ in erster Linie eine Hommage, ein fast schon wehmütiger Film, der einer Zeit nachtrauert, in denen deutsche Regisseure wie Fassbinder und Herzog kein Risiko scheuten, um provokante Meisterwerke auf die Leinwand zu bringen.

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Bergman, Cronenberg und Lynch in Berlin – Der surreale Horror-Kultfilm Possession

Ein polnischer Regisseur dreht mit internationalen Darstellern einen englischsprachigen Film im geteilten Berlin der frühen 80er Jahre. Was in der Beschreibung bereits ambitioniert klingt, ist im Endergebnis eine höchst absurde Tour de Force, ein wahnwitziger Horrorschocker über jegliche Klassen- und Genrezuschreibungen hinaus. Andrzej Zulawski pfeift auf gängige Konventionen und liefert mit Possession eine wüste Mischung aus Ehedrama, Kammerspiel, Psychogramm, Bodyhorror und metaphysischem Surrealen Mysterythriller, die dem Zuschauer ein ums andere Mal den Boden unter den Füßen wegzieht. Dem Verleih Bildstörung ist es zu verdanken, dass der rare Kultfilm seit 2009 auch in Deutschland ungekürzt auf DVD erhältlich ist.

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Die besten Filme 2015 – The Lobster von Giorgos Lanthimos

Während im Tierreich die Fertilität üblicherweise mit dem Alter sinkt, stellen Hummer eine Ausnahme dar. Sie werden nicht nur fruchtbarer sondern auch stärker mit jedem weiteren Lebensjahr. Das liegt daran, dass sie in der Lage sind, ihre Zellen nahezu unbegrenzt zu erneuern. Wo die Zellen von anderen Tieren mit der Zeit sterben, nutzen Hummer ihre Telomerase, um permanent jung und frisch zu bleiben. Hinzu kommt, dass diese Tiere bis zu hundert Jahre alt werden können. Und dabei sowohl stark als auch sexuell aktiv bleiben. Das ist dann auch der Hauptgrund, warum sich David (Colin Farrell) dazu entscheidet, in dieses Tier verwandelt zu werden, sollte er bei seiner Partnersuche scheitern. Denn genau das ist das wesentliche Merkmal der Gesellschaft, in der David lebt: Du darfst kein Single sein, du musst einen Partner haben. Wenn du keinen Partner hast, musst du innerhalb von 45 Tagen einen finden. Wenn dir das nicht gelingt, wirst du in ein Tier deiner Wahl verwandelt. Um die Partnersuche zu erleichtern, werden alle Singles in ein Hotel am Strand verfrachtet, wo sie sich bei skurrilen Veranstaltungen bemühen, ein passendes Gegenüber zu finden. Um ihre Zeit bis zur tierischen Transformation zu verlängern, können die Hotelgäste zusätzliche Tage bei der Jagd gewinnen: Ein Tag pro gefangenem Loner (Stolze Langzeitsingles, die auf der Flucht vor der Obrigkeit in den Wäldern vor dem Hotel leben). Dem schüchternen und in sich zurückgezogenen David fällt die Partnersuche schwer und er sieht seine Zeit davon rinnen. Die letzte Hoffnung scheint in der Anbandelung mit der „Woman with no heart“ (Angeliki Papoulia) zu liegen. Eine Entscheidung, die Davids Leben radikal verändern wird…

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Die besten Filme 2015: Das bizarre Sittengemälde High-Rise von Ben Wheatley

Das Konzept der Wohnmaschine reicht fast 100 Jahre zurück. Bereits in den 1920er Jahren arbeitete der französische Architekt und Künstler Le Corbusier an den Plänen für einen Gebäudetypus, in dem vielen Menschen ein komfortables Wohnen ermöglicht werden sollte. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren schließlich die Zeit, in der das Konzept erprobt und massenhaft umgesetzt wurde. So genannte Unités d’Habitation sind Wohngebäude, in denen nicht nur viele Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen, sie sollen als große Einheiten zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit Kleinstädte in Häuserform sein: Neben Wohnungen befinden sich in ihnen Supermärkte, Cafés, Schwimmbäder… der Gestaltung sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Das in Deutschland berühmteste nach diesem Konzept entstandene Gebäude dürfte das Corbusierhaus im Westen Berlins sein, das 1957 als bundesrepublikanische Antwort auf die DDR-Plattenbauten errichtet wurde und bis zum heutigen Tag bewohnt ist. Gut zwanzig Jahre nach dem größten Hype um Le Corbusiers Gebäude, verarbeitete der experimentelle Science Fiction Autor James Graham Ballard diese utopischen Wohnvorstellungen in dem dystopischen Roman Der Block (1975). Und wenn wir noch einmal 40 Jahre draufpacken, sind wir im 21. Jahrhundert angekommen und bei der Verfilmung von Ballards Roman High-Rise (2015) durch Ben Wheatley (Kill List, A Field in England). Es ist unbestreitbar, dass Le Corbusier, der 1965 gestorben ist, Zeit seines Lebens viel Kritik einstecken musste. Und seine Architektur zwischen freier Gestaltung, Brutalismus und holistischem Größenwahn gilt schon lange als überholt. Also bleibt die Frage ob die Verfilmung eines 1975 geschriebenen Buches über ein 50er Jahre Bauphänomen uns überhaupt etwas neues über unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben erzählen kann. Wie zeitgemäß kann eine solche Geschichte überhaupt sein? Und wenn sie es nicht ist, besitzt sie einen davon unabhängigen Wert?

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Der Nachtmahr (2015) – Deutscher Genrefilm als enervierender Horrortrip

Die große Gretchenfrage des deutschen Films ist und bleibt „Wie hältst du es mit dem Genre?“. Bei allem Lob für große Filmbewegungen, vom Neuen Deutschen Film der 70er Jahre bis zur Berliner Schule des letzten Jahrzehnts, bleibt sie virulent und wird wohl auch immer virulent bleiben. Es gibt zwei Geschichten zur Beantwortung dieser Frage. Die erste geht ungefähr so: Der deutsche Film kann keine Genres. Er kann es einfach nicht. Punkt. Die besten und erfolgreichsten Filme aus Deutschland waren immer Dramen oder Komödien. Jeder Versuch, Fantasy, Horror oder Science Fiction zu erzählen, ist krachend gescheitert. Und selbst wenn mal ein guter Film dabei herausgekommen ist, war das Ergebnis doch weitaus mehr Drama als irgendetwas anderes. Dann gibt es aber auch noch eine zweite Geschichte. Sie handelt von nicht gesehenen und vergessenen Perlen, von Genre-Meisterwerken, die sich nicht vor der amerikanischen oder internationalen Konkurrenz verstecken müssen. Filme die dezidiert deutsch sind und es dennoch schaffen, Fantastisches, Ungewöhnliches, Besonderes mit fantastischen, ungewöhnlichen, besonderen Mitteln zu erzählen. Eine wesentliche Protagonistin dieser Erzählung – zumindest in den 2010ern – dürfte AKIZ‘ Mysteryhorrordrama Der Nachtmahr (2015) sein. Ihm gelingt es eine fantastische, düster morbide Geschichte zu erzählen und sich zugleich ganz tief vor der Jugendkultur der 2010er Jahre zu verbeugen.

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Die besten Filme 2016: Neon Demon von Nicolas Winding Refn

Lieber Herr Refn,
Sie wie ich haben wahrscheinlich gerade ein Deja Vu. Richtig, es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich Ihnen bereits einen Brief geschrieben. Der Anlass war damals Ihr neuester Film Only God forgives, der mir gelinde gesagt ein wenig zu sehr die Kunst über den Menschen stellte. Und als Setting für dessen Nachfolger suchen Sie sich jetzt ausgerechnet die Modeszene aus? Sie machen es einem aber auch wirklich nicht einfach. Schon wieder ein eiskaltes, unmenschliches Szenario? Und jetzt auch noch glitzernd oberflächlich? Als ob sie nicht genug an ihrer eigenen surrealistischen, symbolistischen Oberflächlichkeit zu arbeiten hätten? Und was soll dann noch zusätzlich dieses prätentiöse NWR, das als Kürzel ihres Namens diesen Film ziert? Als wollten sie ein Gemälde signieren? Geht es denn überhaupt noch selbstverliebter, artifizieller? Ja, Sie machen es einem wirklich nicht leicht, und Sie brauchen sich auch – ganz ehrlich gesagt – nicht zu wundern, wenn man mit gewissen Vorbehalten an ihren aktuellen Film herangeht. Allein dieser Titel: Neon Demon (2016), das ist mal wieder groß, gewaltig, spirituell überspitzt. Aber wissen Sie was, Sie und ihr Werk sind einfach zu faszinierend, als dass ich die Flinte einfach ins Korn werfen würde. Ich will versuchen so vorurteilsfrei wie möglich das neue NWR-Kunstwerk zu genießen. Vielleicht gibt es doch mehr zu holen als ein bloßes „Schon wieder?“.

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Only God Forgives: Ein offener Brief an Nicolas Winding Refn

Nein, lieber Herr Refn, wirkliche Freunde werden wir in diesem Leben wohl nicht mehr. Dabei will ich Ihnen nicht einmal vorwerfen, dass sie der wohl überbewertetste Regisseur unserer Tage sind. Schließlich können sie dafür nun wirklich nichts, oder? Okay, die ein oder andere ästhetizistische Hipster-Masturbation haben Sie in ihren letzten Filmen schon verbrochen, von kalkulierter Jagd nach Stimmvieh (bei der Wahl um den größten lebenden Regisseur) ist das dennoch weit entfernt. Nein, ich nehme Ihnen den Hype um sie wirklich nicht übel, im Grunde genommen mag ich Ihre Filme ja auch: Den düsteren transzendentalen Trip, Valhalla Rising, der ist wirklich großes Kino, das Slow Motion Actiondrama Drive, ja auch das hat seine Momente… und ja, auch die Pusher-Filme und Bronson sind düstere Action-Bastarde, in denen verdammt viel Kreativität steckt. Ich glaube Ihnen sofort, dass sie mit Herzblut dabei sind und ihre Filme tatsächlich – ohne jede Kalkulation – anders erzählen wollen. Aber um Gottes Willen, müssen sie dabei immer so dick auftragen? Müssen sie dabei immer so sehr den Style- und Design-Göttern huldigen, sich derart in ihren glänzenden und zugleich schmutzigen Bildern verlieren, dass sie drumherum vollkommen vergessen, irgendetwas mit Substanz zu erzählen?

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Kommt Twin Peaks Staffel 3?

Die beste Nachricht – oder besser gesagt das beste Gerücht – zum Jahresbeginn kommt aus der amerikanischen TV-Serienlandschaft. Wie ich schon vor ein paar Tagen auf Nerdcore aufgeschnappt habe, scheint eine dritte Staffel der Kultserie Twin Peaks (1990 – 1991) derzeit durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen. Auslöser der Spekulationen ist ein 4Chan-Posting, dessen Verfasser behauptet, bei einem mutmaßlichen Treffen von David Lynch und einigen NBC-Verantwortlichen anwesend gewesen zu sein. Die dritte Staffel soll laut diesem Posting in unserer Zeit angesiedelt sein, also 20 Jahre nach der Handlung der ersten und zweiten Staffel spielen. David Lynch will das Gros des alten Castes für die Serienfortsetzung zurück haben, inhaltlich soll ebenfalls alles dort anknüpfen, wo die Serie damals – so gehässig – endete. Der gute Agent Cooper ist nach wie vor in der Lodge gefangen, während eine junge Reporterin sich anmacht die Geheimnisse um Twin Peaks zu lüften. Bad Cooper sitzt zwischenzeitlich im Gefängnis für den Mord an zwei Twin Peaks Einwohnern (die arme Annie). Und beginnen soll die Serie mit einer Nachstellung der berühmten Redroom-Szene aus Staffel 1.

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