Virtuelle Schnitzeljagd: Rezension zu Jim Jarmuschs "The Limits of Control" (2009)

Der geheimnisvolle Fremde (Isaach De Bankolé) geht durch ein Flughafengebäude. Er trifft sich mit zwei Männern, wovon einer anscheinend der Auftraggeber ist, während der Andere die Funktion eines Dolmetschers erfüllt. Streichholzschachteln werden ausgetauscht. Der Auftraggeber hält einen Monolog über die Tatsächlichkeit und die Grenzen der Welt. Der geheimnisvolle Fremde hört kommentarlos zu. Dann verlässt er den Flughafen und beginnt eine Reise durch Spanien mit unbekanntem Ziel.

An dieser Stelle könnte die Inhaltsangabe von Jim Jarmuschs „The Limits of Control“ bereits aufhören. Denn was dem Zuschauer in den kommenden zwei Stunden präsentiert wird, ist in erster Linie eine Sammlung von Variationen von immer wiederkehrenden Motiven. Wir begleiten den Fremden auf seiner Reise, beobachten ihn dabei, wie er meditiert, wie er in Cafés ein und aus geht, immer wieder zwei Espressos bestellt und sich mit einer Hand voll mysteriösen Fremden oder Verbündeten trifft. Der Protagonist selbst bleibt größtenteils stumm auf dieser Reise. Außer einem „No“ auf die immer wiederkehrende Frage ob er spanisch spreche und kurzen Anweisungen an Cafébedienstete hören wir nichts von ihm. Die Menschen mit denen er sich trifft haben dafür um so mehr zu erzählen. In ihren an den Reisenden gerichteten Monologen geht es um Musik, Filme, Moleküle und das ständig variierende Motiv der Wirklichkeit, der Spiegelung von Wirklichkeit, der Virtualität und Realität.

Jim Jarmuschs Film lebt vom Prinzip der Redundanz. Streichholzschachteln wechseln den Besitzer, der Fremde liest Zettel mit geheimen Botschaften, um diese kurz darauf zu essen und mit einem der bestellten Espressos herunterzuspülen. Der Satz „Wer glaubt er sei mehr als die Anderen muss zum Friedhof gehen“ wird unzählige Male wiederholt, ebenso die wunderschönen Bilder Christopher Doyles (2046, Das Mädchen aus dem Wasser), dessen ruhige Kamera den mysteriösen Fremden über allerhand Plätze und Straßen begleitet. Es scheint verlockend, sich dem Gros der Kritiker anzuschließen und „The limits of control“ als Anti-Thriller zu beschreiben, der Motive des Genres andeutet, ohne diese auszudeklinieren. Tatsächlich gibt es in Jarmuschs Bilderbogen einige Szenen mit genrereferentiellem Wiedererkennungswert: Geheimnisvolle, mitunter mit Skurrilität maskierte Agenten, durch Bildregie und Musik geschickt aufgebaute Spannungskurven und lange Fahrten durch verwinkelte Kleinstädte, in denen die Gefahr hinter jeder Ecke zu lauern scheint. Das sind Einstellungen, die man im klassischen Agentenfilm oft gesehen hat und die durch den Verzicht auf eine karthatische Spannungsexplosion geschickt dekonstruiert werden.

Ebenso ist man geneigt sich der Kritik der Rezensentenmehrheit anzuschließen: Jarmuschs neuster Streich sei nichts anderes als eine überstilisierte, selbstverliebte, postmoderne Genredekonstruktion. Es wirkt schon ein wenig platt wenn Tilda Swinton als überzeichnete blonde Agentin von ihrer Liebe zu dialogfreien, stummen Szenen berichtet und das Geschehen natürlich kurz darauf erst einmal pausiert, um uns eben jene Sprachlosigkeit vorzuführen. Es wirkt nicht gerade originell, wenn Bill Murray als Vertreter einer obskuren Kontrollmacht von der Virtualität der Welt schwadroniert, aus der der Protagonist des Films am Ende natürlich entlassen wird. Selbstreflexives Kino ist mittlerweile ein alter Hut, das Motiv von Autoren wie Kaufmann oder Regisseuren wie Lynch ausgereizt, die Postmoderne ja doch irgendwie überwunden und mal wieder die Genialität eines Films über das Medium Film zu loben, scheint beinahe anachronistisch.

Und dennoch funktioniert das Spiel mit dem Genre und dem Medium an sich auch dieses Mal wieder hervorragend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es neben der zugegebenermaßen narzisstischen Selbstreflexion und medialen Dekonstruktion genug anderes zu entdecken gibt. Die Kameraeinstellungen sind hervorragend gelungen,  zaubern beeindruckende Panoramen einer verlassenen Welt. Die Bildregie Doyles liefert eine beachtliche Arbeit ab. Die lakonischen, spirituell angehauchten Dialoge sind – wie man es von Jarmusch gewohnt ist – erstklassig, puristisch, hermetisch und von einer ganz eigenen Sprachmelodie gekennzeichnet. Isaach De Bankolé glänzt durch ein minimalistisches Spiel, das seinem Charakter eine ungeheure Präsenz und Stärke verleiht und die famos integrierte Musik von Boris ist über jeden Zweifel erhaben.

Das wäre dann der Moment, an dem man dem Film attestieren könnte, ein flaches aber dennoch wunderschönes und unterhaltsames Stück Metakino zu sein. Jedoch macht man es sich mit dieser bequemen, postmodernen Interpretation zu einfach. Denn neben der Filmreferenz besitzt „The Limits of Control“ noch einen anderen Subtext, der ihn trotz überholter Spiel- und Stilmittel zu einem Stück zeitgemäßen Kino werden lässt. Was wir in the „Limits of control“ sehen ist nicht weniger als der Kampf des Analogen gegen das Digitale. Isaach De Bankolé selbst wirkt wie ein Relikt vergangener analoger Zeiten: Er lehnt Handys ab, genießt eine Etüde von Schubert über eine gewöhnlichen Hifi-Anlage und verlässt sich offenbar nur auf Informationen, die auf kleine, handliche Zetteln geschrieben sind. Seine Kommunikationslosigkeit ist zugleich auch das Verstummen des Analogen angesichts einer digitalisierten Welt. Wenn er auf die (in spanisch gestellte) Frage „Sprechen sie spanisch?“ mit einem knappen „No“ antwortet, wird seine ganze Verweigerungshaltung deutlich. In folgenden Gesprächen verzichtet er dann auch konsequent auf jeden Kommentar, jedes Nachhaken, jedes Rauspicken von Informationen. Er ist der stumme Zuhörer, der den verschlüsselten Monologen seiner Mitmenschen folgt, ohne diese ins Detail weiterverfolgen zu müssen. Auch das macht ihm zum Relikt. Er ist weit entfernt von der Informationsjagd einer Internetgeneration, weit entfernt von der Kommunikationshektik der Google-Ära, weit entfernt von einem digitalen Datenrausch. Stoisch begeht er seinen Weg, stoisch folgt er den Anweisungen und ebenso stoisch erfüllt er seine endgültige Aufgabe.

Dieser Weg wird mit ruhigen, die Spannung der Langsamkeit haltenden Bildern inszeniert, die nicht nur Jarmusch-typisch sind, sondern auch gerade angesichts des Themas ihre Berechtigung haben. Der Film feiert nicht zuletzt seine eigene Langsamkeit als Kontrapunkt zu der Digitalität, der sich der Protagonist bewusst entzieht. Wenn ausgerechnet der Kontrolleur, der das Ziel der Reise darstellt, aus dieser Ruhe ausbricht und einen skurrilen overacteten Wutanfall bekommt, wird dies zum raffinierten Kontrapunkt der zuvor entfalteten, ruhigen Welt. Der Mord an dem hysterischen (von Bill Murray herrlich überzeichnet dargestellten) Machthaber ist somit auch ein bitterböses Statement, ein Triumph der Ruhe, der gelassenen Virtualität des analogen Mediums über die Hektik und Hysterie des digitalen Zeitalters. Und natürlich erfreut in diesem Zusammenhang auch die ironische Spitze, dass der Vertreter dieser Welt einzig mittels seiner Vorstellungskraft in das Territorium der Digitalität eindringt. So bleibt auch dem vermeintlichen Kontrollierenden nur die Einsicht, dass die Wahrnehmung der Welt ihres Realitätsgehalts beraubt ist, dass die Virtualität längst obsiegt hat und dass die subjektive Wahrnehmung – egal ob analog oder digital – sich der medialen Kontrolle entzieht. Auch wenn „The Limits of Control“ einen Abgesang auf das filmische Medium darstellt, so verbirgt er doch nicht, dass auch diese virtuelle Realität mittlerweile ihre digitalen Pendants und Kontrahenten besitzt. Der Ausbruch in die vermeintliche Wirklichkeit, der dem Film einen runden Abschluss beschert, kann in diesem Zusammenhang auch nur als ein Schritt in die nächste Illusion gelesen werden.

Als Gleichnis auf eine neue Form des Generationenkonflikts, einer Welt, die sich an der Schwelle zu einer neuen Realitätswahrnehmung befindet, macht „The Limits of Control“ wieder den Boden gut, dem ihm einige Kritiker entrissen haben. Aber auch unabhängig von der Konstruktion weiterer Metabenen und Subtexte ist Jim Jarmuschs Film ein wunderschöner Bilderbogen, eine geschickt arrangierte Montage wiederkehrender Bilder und Motive und nicht zuletzt äußerst unterhaltsames, wenn auch mitunter sprödes, Independentkino. Teilweise vielleicht eine Art von Film, die anachronistisch, überholt oder gar abgedroschen wirken mag, nichtsdestotrotz aber weiterhin höchst lebendig ist und auch über 120 Minuten zu fesseln weiß, und sei es nur ihrer Selbst wegen.

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Erstveröffentlichung des Textes: 2010