Die besten Mysteryfilme der 70er Jahre

Uff… immer wenn ich über Mysteryfilme schreibe, habe ich das Gefühl meine eigene kleine Genredefinition auf eine ganze Reihe von Filmen zu drücken, die dort eigentlich gar nicht dazu gehören. Zumindest wenn ich die englische Wikipedia zum Abgleich heranziehe, trifft das auch durch und durch zu: Dort wird nämlich alles in den Mysterybereich gepackt, was mit klassischen Detektivgeschichten und Murder Mystery Puzzles zu tun hat. Genau diese beiden Variationen habe ich ja bereits in vorangehenden Retrospektiven abgehandelt.

Also an dieser Stelle noch einmal kurz und knapp auf den Punkt gebracht, was für mich in den Mystery-Bereich fällt: Ich bin ein Jugendlicher der 90er Jahre und folgerichtig wurde das Mysterygenre für mich in einem bestimmten filmischen Kontext nahezu inflationär benutzt. Seine Kinder waren Akte X und The Outer Limits. Vielleicht auf Twin Peaks. Auf jeden Fall aber The Sixth Sense, Jacob’s Ladder oder auch Flatliners. Das waren die Filme und Serien denen das Label aufgedrückt wurde und denen ich dann schließlich auch das Label aufgedrückt habe und bis heute aufdrücke. Es handelt sich dabei um Filme, die nicht unheimlich und brutal genug sind, um in den Horrorbereich zu fallen. Filme die nicht märchenhaft, fantastisch genug sind, um Fantasy zu sein, aber eben auch nicht realistisch genug, um in der Thriller-Schublade zu landen. Nicht nur, dass ihnen für diese Kategorie die intensive Spannung fehlt, oft besitzen sie auch eine übernatürliche, spirituelle Komponente, die sie von deren Realismus entfernt. Eventuell angereichert mit Science Fiction Elementen, aber eben doch nicht technologisch, außerirdisch oder futuristisch genug, um diesem Genre zugeordnet zu werden. Für den Surrealismus sind sie in ihrer Handlung zu klar und bodenständig und für das Drama zu abgehoben und transzendental.

Puh… schaut man sich das an, klingt es fast so, als wäre Mystery ein Genre der Defizite. Eine kleine fantastische Resterampe für alles, was zwischen Realismus und Surrealismus, zwischen Crime und Fantasy, Science und Fiction keinen Platz findet. Mystische, mythologische und spirituelle Filme, die sich aber nie auf ein Glaubenssystem festlegen, sondern in Fragezeichen und Chiffren operieren und mit diesen sowohl sanft gruseln als auch verzaubern und das Publikum zum Miträtseln und Mitphilosophieren einladen. Genau auf dieser Resterampe bewegen sich die folgenden – herausragenden Filme: Picknick am Valentinstag und Die letzte Flut als Peter Weirs Auseinandersetzung mit dem Spirituellen in unserer Welt. Herz aus Glas als Werner Herzogs hypnotische Reise ins deutsche Herz der Finsternis. Walkabout als mythischer Trip in die australische Wildnis; Brewster McCloud und The Stepford Wives als satirisch groteske Spielwiesen des Genres; und Die unheimliche Begegnung der dritten Art als Alien-Geschichte, die fast komplett ohne Science Fiction Momentum auskommt. Meinetwegen ist mein Mysterybegriff der Begriff für eine Resterampe; aber eine, auf der es sich herrlich wühlen lässt.

Brewster McCloud [Robert Altman]

(USA 1970)

Robert Altman hat in den 70er Jahren ein paar wirklich eigensinnige Filme inszeniert. Brewster McCloud, der in Deutschland unter den Titeln Nur Fliegen ist schöner oder Auch Vögel können töten firmiert – ist mit Sicherheit der schrägste und merkwürdigste davon. Es geht um eine bizarre Mordserie, einen seltsamen Eigenbrötler, es geht um einen gefallenen Engel und Vögel… Vor allem geht es um Vögel. Altman packt Ideen und Bilder, die locker für drei Filme ausreichen könnten in ein absurdes Kaleidoskop zwischen Phantom der Oper, Blow Up und Zirkusattraktion. Immer ganz nah am Experimentalfilm spielt er dabei mit Motiven des Mystery, des Thrillerdamas, des Märchens und der Bizarrerie und findet immer wieder satirische Kommentare zur Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Brewster McCloud ist ein merkwürdiger Film, der aber viel zu viel Spaß macht, um als Avantgarde-Verwirrstück abgetan zu werden. Spätestens am Ende, wenn der Film im wahrsten Sinne des Wortes die Manege freigibt und noch kurzerhand zum Meta-Film mutiert, sind alle Dämme gebrochen. Wer dabei keinen Spaß hat, der ist bei diesem Regisseur einfach an der falschen Adresse. So unterhaltsam wurden die Grenzen des Mediums in dieser Dekade sonst nirgends ausgedehnt.

Picknick am Valentinstag [Peter Weir]

(Australien 1975)

Wir schreiben das Jahr 1975, und die Zeit, in der Peter Weir mit Filmen wie Club der toten Dichter oder Truman Show große Hollywoodmärchen zaubert, liegt noch weit in der Zukunft. Mit Picnic at Hanging Rock liefert er aber schon mal ein beeindruckendes Exempel seines visuellen und dramaturgischen Könnens ab. Mit einem Budget von nicht einmal 500.000 australischen Dollar erzählt er in poetischen, verzauberten und verzaubernden Bildern vom Verschwinden mehrerer Schülerinnen aus einem elitären Mädcheninternat. Was mit ihnen geschieht lässt der Film offen, warum sich die Dinge entwickeln wie sie sich entwickeln, versteckt er unter Nebel und melodramatischen Weichzeichnern. Dennoch kippt er nie ins surreale ab, sondern bewegt als kryptische, symbolische, aber nie willkürlich wirkende Auseinandersetzung mit dem Heranwachsen und der Unterdrückung der menschlichen Natur. Picknick am Valentinstag ist Sittengemälde und abstraktes Coming of Age Drama, märchenhafte Parabel und von Mysterien durchflutete Erzählung, die mythologische Narrative ins zwanzigste Jahrhundert transferiert. Ein ebenso schöner und betörender wie irritierender Film, der in der Ästhetik des Alten etwas ganz Neues, Eigenständiges schafft.

Die letzte Flut [Peter Weir]

(Australien 1977)

Was Weir in Picnic at Hanging Rock noch vage und offen inszenierte, wird in seinem Nachfolgefilm The Last Wave deutlich konkreter, transzendentaler und spiritueller: Im Mittelpunkt stehen Mythen, Legenden und Bräuche der Aboriginies, variiert mit biblischen Motiven und gekreuzt mit einem düsteren Thrillerdrama, das sich peu à peu zu einem apokalyptischen Epos entwickelt. In vielen Momenten ist die letzte Flut nicht weit entfernt vom Picknick am Valentinstag: Ähnlich hypnotisch, ähnlich verträumt gezeichnet, ähnlich von einem vagen Symbolismus getragen. In anderen Momenten bricht er aber aus diesem schlaftrunkenen Zustand aus; und dann wird er gewaltig und gewalttätig, monumental und dunkel, während er zwischen Mysterythriller und Post Horror zum unaufhaltsamen Ende der Welt reitet. Das ist dann ebenso unheimlich und beklemmend wie faszinierend und betörend, entwickelt eine prophetische Aura und gruselige Spannung. Das Mäandern zwischen den Zuständen gelingt und erzeugt einen durch und durch eigenständigen, symbolisch gehaltvollen und visuell beeindruckenden Endzeitfilm, der ebenso fremd wie nah ist.

Walkabout [Nicolas Roeg]

(Australien 1971)

Auch in Nicolas Roegs Walkabout spielen die Mythologeme der Aboriginies eine große Rolle: Zwei Kinder fahren mit ihrem Vater ins Outback, und ohne ersichtlichen Grund, beschließt dieser plötzlich auf sie zu schießen, bevor er sich schließlich selbst tötet. Die Kinder fliehen und wandern ums Überleben kämpfend durch die australische Wildnis. Ein Aboriginie-Junge wird schließlich zu ihrem Retter und Begleiter, zu ihrem Weg- und Seelengefährten. Der Walkabout als Reise zur seelischen Erneuerung wird hier zum mysteriösen, spirituellen Trip durch ein weites, abgelegenes Land. Dabei oszilliert er sowohl ästhetisch als auch narrativ zwischen Survivaldrama, der Wirklichkeit entgleitendem Märchen und mysteriöser Reise durch eine fremde Welt. Zivilisation und romantisierte Wildheit liegen hier permanent im Zwiegespräch, beharken und umgarnen sich, und spinnen so ihre ganz eigene Erzählung vom Menschen und der Natur, vom Fremden und Nahen außerhalb und in uns selbst. Das Mysteriöse in diesem ungewöhnlichen, verträumten Mysteryfilm ist der Mensch, ist die Welt, ist der Weg auf dem beide sich voneinander entfernen und wieder zusammenfinden; eingefangen durch den natürlichsten und unschuldigsten Blick, den das Kino ermöglichen kann, die Augen junger unbedarfter Kinder.

Herz aus Glas [Werner Herzog]

(Deutschland 1976)

Und doch ist dies alles nicht gegen die Entrücktheit, die Werner Herzog in seinem bizarren, poetischen Drama Herz aus Glas auf das Publikum loslässt. Die Geschichte von einer Glashütte in einem bayerischen Dorf, dessen Einwohner verzweifelt versuchen Rubinglas herzustellen, um den Untergang ihrer Gemeinschaft zu verhindern wird von Herzog in wunderschönen, fast transzendentalen Landschaftsbildern inszeniert, die ihm permanenten Widerstreit mit kammerspielartigen Bizarrerien liegen. Der größte Trumpf der Geschichte von irren Dörflern und einem entrückten Propheten ist allerdings ihre hypnotische Aura… im wahrsten Sinne des Wortes: Der Legende nach wurden die Schauspieler vor dem Dreh ihrer Szenen hypnotisiert, und in der Tat wirken alle Figuren neben der Spur. Die improvisierten Dialoge sind abstrakt, hermetisch, die Geschichte scheint permanent um sich selbst zu kreisen, es werden weniger Punkte gesetzt als viel mehr Motive aufgeworfen, ohne dass diese je wirklich erzählt werden würden. Niemand weiß so richtig, was vor sich geht. Am allerwenigsten wie es scheint die der Welt abgewandten Figuren, die diese Szenerie bevölkern. Natürlich ist Herz aus Glas dadurch ein unfassbar spröder, auch anstrengender Film. Aber er ist zugleich auch ein durch und durch eigenständiges Kunstwerk, das Dank seiner absurden Grundstimmung, seiner Jenseitigkeit einen ganz eigenen Zauber entfaltet. Ein Film, der gemacht ist, um viele Menschen vor den Kopf zu stoßen, der keine Rücksicht auf Konventionen nimmt, der aber tief in sich ein faszinierendes Mysterium trägt, das es wert ist, entdeckt zu werden.

Die Frauen von Stepford [Bryan Forbes]

(USA 1975)

Okay, genug der spröden, hypnotischen, vagen und unkonkreten Filme. Die Frauen von Stepford spielt auch auf mehreren Hochzeiten, bleibt dabei aber immer publikumsnah und unterhaltsam. Erzählt wird von einer merkwürdigen, beklemmenden Vorstadtidylle, bevölkert von hörigen, stummen und (im gruseligsten Sinne des Wortes) braven Frauen, in der unsere Protagonistin einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur kommt. The Stepford Wives ist vieles: Bissige Satire auf den Alptraum „Amerikanische Vorstadt“, ein zünftiger Horrorfilm, eine feministische Parabel und natürlich ein gehässiger Mystery-Flick, der sehr viel Spaß daran hat, seine Protagonistin mit der Abscheulichkeit und düsteren Seite des amerikanischen Konservatismus zu konfrontieren. Bis zum Ende hält hält er seine Karten bedeckt, gibt nicht preis, ob er nun Science Fiction, Horror, Thriller oder abgehobene Fabel sein will, und dennoch gelingt es ihm über seine ganze Laufzeit mit geschickt eingeflochtener Suspense, gehässigen Horrormomenten und viel schwarzem Humor zu fesseln und mitzureißen. Er ist bisweilen dramatisch, bisweilen komisch, bisweilen traurig und manchmal auch einfach nur verstörend, immer aber im Geist seiner parabolischen, brisanten Geschichte.

Unheimliche Begegnung der dritten Art [Steven Spielberg]

(USA 1977)

Es wäre nur allzu leicht, Steven Spielbergs fantastisches Märchen von einem außerirdischen Besuch der Erde, in die Science Fiction Ecke zu packen. Immerhin geht es um UFOs, um Entführungen durch Aliens, um eine mögliche Invasion unseres Planeten durch eine fortgeschrittenere Spezies. Aber ganz so einfach ist es nicht. Close Encounters of the Third Kind verzichtet zum Großteil darauf, uns mit den Aliens, der Alientechnik, ihren Plänen und Erfindungen zu konfrontieren und stellt stattdessen einfache Menschen in den Mittelpunkt, die auf unterschiedliche Art und Weise von den Aliens beeinflusst werden. Und in der Tat inszeniert er anhand dieses Fokus‘ ein rätselhaftes Märchen, das Transzendenz und Spiritualität immer ein Stückchen mit sich trägt. Auch wenn die Ankunft der Fremden hier ein Rätsel ist, scheint sie doch nie eine Bedrohung zu sein. Zum SciFi-Horror wird die unheimliche Begegnung der dritten Art trotz ihres Titels nicht. Stattdessen pendelt sie zwischen Mysterydrama, das gerne auch mal zum großen Melodramatischen ausholt, fantastischem Opus und feinsinniger Allegorie, die Wissenschaft und Religion miteinander verbrüdert. Das erstaunlichste an Spielbergs Märchen ist allerdings, dass es trotz dieses schweren mentalen Gepäcks federleicht inszeniert ist, sich immer dem großen Blockbustergedanken verschreibt und immer genug Popcorn für das ganze Publikum dabei hat.

Ähnliche Artikel