Zwei Seelen – Rezension zum SciFi-Drama Jonathan (2018)

Es gibt wenige Tropes, die im Mystery-Kino des frühen 21. Jahrhunderts derart überholt und übernutzt wirken wie das der gespaltenen Persönlichkeit. Fernab der Realität der tatsächlichen Erkrankung der dissoziativen Identitätsstörung haben sich zahllose Filmemacher seit Ende der 90er bei diesem Sujet bedient und es viel zu oft für plumpe Plottwists oder an den Haaren herbeigezogene Narrative benutzt. Was bereits in Fight Club leidlich originell war – bei diesem Film aber Dank der Abstraktheit in der Umsetzung noch als Gesellschaftskritik gut funktioniert -, ist bei all den geheimen Fenstern, Identitäten, High Tensions und Maschinisten da draußen einfach nur noch lahm. Vor allem als Plottwist mag man diesen Schmuh heutzutage nicht mehr sehen, einfach weil man ihn schon viel zu oft gesehen hat. Da kommt es doch sehr erfrischend, wenn sich ein Film nicht daran versucht, die breitgetretenen Mysterypfade dieses Topois erneut zu durchqueren und sich sowohl von dessen Funktionalisierung als bloßes Plottwist-Vehikel als auch dem Versuch, in der realen Psychiatrie und Psychologie dieser Erkrankung zu wildern, distanziert. So geschehen im Science Fiction Drama Jonathan (2018), in dessen Zentrum zwar eine gespaltene Persönlichkeit steht, der diese aber nicht für plumpen Mystery-Hokuspokus missbraucht, und auch gar nicht erst versucht an die tatsächliche Krankheit Dissociative Identity Disorder anzuknüpfen.

Zwei Herzen schlagen ach in seiner Brust. Jonathan (überzeugend gespielt von Baby Driver Star Ansel Elgort) teilt sich seinen Körper mit seinem „Bruder“ John. Früher kam ihr gemeinsamer Körper nicht mit den zwei Seelen klar, daher hat die Ärztin Mina Nariman (Patricia Clarkson) sie mit einem Chip ausgestattet, der den beiden Individuen gleichberechtigt Raum im gemeinsamen Körper gibt: Von 7 bis 19 Uhr ist Jonathan aktiv, arbeitet halbtags in einem Architekturbüro, joggt gerne und liebt Museen. Ab 19 Uhr übernimmt die Persönlichkeit Johns den Körper: Er ist Anwaltsgehilfe, liebt es zu reisen und Dinge zu erleben und ist deutlich leidenschaftlicher und aufbrausender als sein Bruder. Damit ihr System stabil bleibt, haben die beiden sich auf strikte Regeln geeinigt: Pünktlich um 15 Uhr legt sich Jonathan ins Bett, um in seiner „Schicht“ vier Stunden Schlaf mitzunehmen. Außerdem kommunizieren sie täglich mittels Videobotschaften, die sie am Ende ihrer Schicht jeweils für den anderen aufnehmen. Als Jonathan während seiner Schichten von starker Müdigkeit geplagt wird, verdächtigt er John, die Abende und Nächte anders zu verbringen, als er vorgibt. Also setzt er einen Privatdetektiv quasi auf sich selbst an, nichtsahnend, dass er damit die Beziehung zu seinem Bruder in eine große Krise stürzen wird.

Jonathan ist ein durch und durch solides Science Fiction Drama, das angenehm unspektakulär daherkommt. Bevor überhaupt der Verdacht entstehen kann, der Film würde Exploitation mit einer unverstandenen Krankheit oder einem todgespielten Sujet betreiben, verschwendet der Film keine Zeit, zu betonen, dass es sich eben nicht um eine klassische Dissoziations-Geschichte handelt. Jonathan und John bezeichnen sich nicht nur als Brüder, sie sind es auch. Dementsprechend sind die Konflikte zwischen den beiden, die erzählt werden, nie übertrieben, nie jenseits der Realität und werden auch nie in ihrer Pathologie ausgebeutet. Jonathan will nie mehr sein, als er ist und arbeitet dabei mit wenigen Mitteln äußerst effizient. Dass er dennoch stets spannend bleibt, liegt an der Wahl der eingeschränkten Perspektive: Wir folgen konsequent der Sicht Jonathans. Dass, was wir über seinen Bruder erfahren, ist konsequent das, was Jonathan über diesen weiß. Dem Zuschauer wird dabei keine Suspense aufgedrückt, keine falsche Fährte gelegt und erst recht wird nicht mit ihm gespielt. Jonathans Nichtwissen, von dem der Film lebt, ist auch immer unser Nichtwissen, seine Neugierde ist auch immer unsere Neugierde. So gelingt es in dem Film im kleinen Vagen eine Spannung aufzubauen, für die andere Filme sonst große Mysterien auffahren müssen.

Obwohl Jonathan durch die Fokussierung auf seine Wahrnehmung zum Zentrum des Films wird, sind die Sympathien nie vollkommen auf seiner Seite. So sehr der Film seine Perspektive forciert, so sehr stellt er sie doch in Frage, wenn sich peu à peu Details aus dem Leben Johns offenbaren. Jonathan ist, so viel wird ziemlich schnell klar, besessen von der Idee, vollkommene Kontrolle über sein Leben und das Leben seines Bruders zu haben. Die Regeln, ziemlich offensichtlich von ihm in die Beziehung eingebracht, halten seinen Bruder wie in einem Gefängnis. Seine Nachforschungen wirken wie die eifersüchtige Detektivarbeit eines Besessenen. So sehr wir verstehen wollen, wie der impulsive John die Ordnung der beiden hintergeht, so sehr wünschen wir Jonathan, ein wenig mehr loszulassen, seinen Bruder so zu akzeptieren, wie dieser ist. Die Ambivalenz der beiden zentralen Figuren sorgt dann auch dafür, dass Jonathan – oder Duplicate, wie sein Alternativtitel ist – nie Gefahr läuft, zum generischen Mysterythriller zu verkommen. Ja, er ist immer wieder auf dem Sprung in dieses Genre und manchmal scheint er auch bewusst mit kleinen Finten das Publikum dorthin zu ködern. Genau in diesen Momenten jedoch weiß er immer zu überraschen, indem er nicht die plumpe Eskalation sucht, sondern zurück auf den Boden zu einem ehrlichen, realistischen Charakter- und Beziehungsdrama findet.

Das soll nicht heißen, dass die Inszenierung ohne Fehler wäre: Durch die Konzentration auf den Bruderzwist vergisst es Jonathan mitunter seine Welt lebendig zu machen. Love Interest Elena (Suki Waterhouse) bleibt leider nicht mehr als Projektionsfläche der beiden Brüder auf ihrer Suche nach Liebe und Normalität. Noch mehr bleiben die anderen Figuren Staffage, und das spannende medizinische SciFi-Szenario mit dem die Brüder im Gleichgewicht haltenden implantierten Chip ist nie mehr als ein Vehikel, um dem strukturierten Leben der beiden eine medizinische Erklärung zu geben. In anderen Bereichen ist Jonathan vor allem eins: solide. Die Kameraarbeit ist sauber, nicht überwältigend, aber doch stärker als in vielen anderen Low Budget Dramen. Der Schnitt beschränkt sich auf das Wesentliche, weiß aber gerade gegen Ende mit gezielten Black Outs für gehobene Spannung zu sorgen. Die Sets sind der sterilen Geschichte angemessen klinisch, allerdings nichts, was man nicht schon in zahllosen anderen realistischen, subtilen Science Fiction Geschichten gesehen hätte. Was wirklich heraussticht, ist das herausragende Spiel Ansel Elgorts, der ohne jegliche Übertreibung äußerst überzeugend zwei verschiedene, sehr verschiedene Charaktere verkörpert. Er beweist, dass man mit einem Gespür für Nuancen dieses Wechselspiel auch ohne große Gesten und Worte überzeugend auf die Leinwand bringen kann: Keine exzentrischen, exaltierten Bewegungen, keine radikalen Persönlichkeitswechsel, sondern einfach ein sublimes Spiel mit Blicken, mit Worten und insbesondere mit der inneren Spannung. Das trägt ohne Zweifel dazu bei, den Film realistisch und erden zu halten.

Jonathan ist ein sehenswerter Film, wenn auch kein Meisterwerk: Ein solides Drama, das sein Sujet nie ausbeutet und nie übertrieben eskalieren lässt. Gerade dieses Grundsolide sorgt für ein angenehm bescheidenes und dennoch mitreißendes SciFi/Drama-Erlebnis: Ein Film, der im Kleinen bewegt, für den aber gerade deshalb – im Kleinen – ohne Zweifel eine Sehempfehlung ausgesprochen werden kann.

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