Netflix-Kurzrezensionen: Fyre: The Greatest Party That Never Happened, Tau, IO,

Während Netflix, was Serien betrifft, schon seit längerem einfach mal eine Institution ist, stehen sie bei Filmen immer noch für ein Hit or Miss, zuletzt gesehen am doch ziemlich durchschnittlichen Horrorstreifen Bird Box, der zwar eine packende Atmosphäre aufweisen konnte, storytechnisch aber ziemlich feige und berechenbar daherkam. Eins muss man den Netflix-Programmplanern aber lassen: Sie wissen für welche Themen sich ihr Publikum interessiert und haben keine Scheu, Filme mit genau jenen Themen und Topoi, die gerade im Trend liegen, einzukaufen oder gleich selbst zu produzieren. Ob dabei dann was sehenswertes herauskommt, ist wieder eine andere Frage, und allzu oft lässt man sich von Netflix dann doch von interessanten Motiven und spannend klingenden Teasern ködern, um sich im Nachhinein über einen extrem durchschnittlichen Film zu ärgern, dem man im linearen Fernsehen nie eine Chance gegeben hätte. Wie gesagt, Netflix weiß welche Themen funktionieren, und weiß ebenso, wie man Filme in einem VoD-Rahmen anständig präsentiert, so dass sie vom neugierigen Zuschauer auch geschaut werden. Manchmal zum Leid („Och nee, wieder 2 Stunden an so ein B-Filmchen verschwendet), manchmal zur Freude („Heh, schon wieder ne verborgene Perle entdeckt. Danke Mama Netflix“) der neugierigen Zuschauer. An dieser Stelle daher drei Kurzrezensionen, die euch die nächste Netflix-Entscheidungsfindung hoffentlich leichter machen: Die großartige Doku über das Fyre-Festival-Desaster, der durchwachsene Arthaus Science Fictioner IO und der vielversprechende und doch ziemlich taumelnde KI-Film Tau.

Fyre: The Greatest Party That Never Happened [Chris Smith]

(USA 2019)

Auch wenn es niemand gerne zugibt: Echten Menschen beim phänomenalen Scheitern zuzusehen, besitzt einen großen Unterhaltungswert, und zwar unabhängig davon, ob es „die Richtigen“ oder „die Falschen“ trifft. Im ersten Fall, darf man einmal seine ganze Häme und Schadenfreude kanalisieren, im zweiten Fall mit Händen vor den erschrockenen, zugekniffenen Augen mitleiden und mitweinen. Katharsis ist garantiert, so oder so. Nur leider besitzen die wenigsten direkt aus der Realität gegriffenen Geschichten vom Scheitern wirklich genug Qualität um über ein Guilty Pleasure hinauszugehen (I’m looking at you, Dschungelcamp!). Bei Chris Smith‘ Dokumentarfilm über das Fyre-Festival sieht das anders aus.

Erzählt wird hier die komplett bizarre Geschichte des überambitioniertesten Musikfestivals aller Zeiten, initiiert von einem Schaumschläger und Betrüger aus der amerikanischen Start Up Szene. Tatsächlich sind die Geschehnisse aus dem Jahr 2017, die hier rekapituliert werden, mitunter derart bizarr, dass man sie für erstunken und erlogen halten müsste… wenn sie nicht so verdammt gut dokumentiert wären. Die Dokumentationsgeilheit des damaligen Festivalplaners macht sich Chris Smith zu Nutze. Elegant geschnitten und mit einer hervorragenden Dramaturgie ausgestattet schlängelt sich der Film zwischen Originalaufnahmen der Festivalpromotion und – vorbereitung sowie Interviews mit Tätern, Opfern (und allem dazwischen) durch sein Sujet. Dabei hat er großen Spaß daran, die Katastrophen rund um das Festival nicht nur zu durchleuchten, sondern spart auch nicht mit süffisanten Kommentaren, die immer wieder gerne den Bogen zu allgemeiner Gesellschaftskritik und ironischer Auseinandersetzung mit der Generation Instagram schlagen.

Dass er sich dabei nicht im Zynismus verrennt, liegt vor allem daran, dass er in genau den richtigen Momenten auch eine Menge Empathie und Mitleid durchscheinen lässt. So hart er nämlich mit seinem Hauptprotagonisten – Billy McFarland – ins Gericht geht und so spöttisch er die genarrten und schließlich verzweifelten Rich Kids of Instagram und Influencer darstellt, so findet er doch immer genug Raum, seinen Nebenakteuren Empathie und Mitgefühl zu schenken. Das sind in diesem Fall vor allem die Locals, die offensichtlich sehr bemüht waren, den Festivalorganisatoren auf den Bahamas unter die Arme zu greifen, letzten Endes aber vor einem riesigen Berg an Inkompetenz und auch böswilliger Betrügerei kapitulieren mussten. Mit dieser Ambivalenz gelingt Fyre die richtige Balance zwischen Mitleid, Fassungslosigkeit und Schadenfreude. Für jeden narzisstischen Instagramer und geblendeten Investor, über den man sich lustig machen kann, gibt es mindestens einen Arbeiter oder eine Arbeiterin, die vor Ort immer noch unter den Nachwirkungen des Festivals zu leiden haben. So schwingt in jeder absurden Komik der ganzen Geschichte immer auch viel Tragik mit, nicht zuletzt auch wegen dem harten Urteil des Films über das ganze Influencer- und Schaumschlägergeschäft der digitalen postpostmoderne. Eine groteske Geschichte, umso grotesker, weil sie tatsächlich geschehen ist, inszeniert mit einem lachenden und weinenden Auge. Die Netflix’sche Fyre-Dokumentation dürfte durchaus ein Wörtchen mitzureden haben, wenn es um den besten Dokumentarfilm des noch jungen Jahres geht. Definitiv, ohne Frage ein absoluter Netflix-Hit.

TAU [Federico D’Alessandro]

(USA 2018)

Im Grunde genommen ist es merkwürdig: So sehr sich Machine Learning und Artificial Intelligence in den letzten Jahrzehnten technisch entwickelt haben, so sehr scheint ihre künstlerische Verarbeitung – zumindest im Medium Film – bei 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) stehen geblieben zu sein. HAL ist nach wie vor die Referenz, was künstliche Intelligenz betrifft und maximal Spike Jonzes Her (2013) konnte dem Topic in den letzten Jahren tatsächlich Neues abgewinnen. Genau an diesen beiden Referenzen versucht sich Federico D’Alessandros Kammerspiel TAU abzuarbeiten: Erzählt wird die Geschichte der jungen Frau Julia (Maika Monroe), die von dem ebenso genialen wie sadistischen Tech-Unternehmer Alex (Ed Skrein) entführt und in dessen High Tech Wohnung gefangen gehalten wird. Alex erhofft sich mit Hilfe von brutalen Experimenten an Julia, seine KI-Forschung weiter vorantreiben zu können. Bewacht wird seine Wohnung von der künstlichen Intelligenz TAU (im Original gesprochen von Gary Oldman), der alles im Blick hat und ein treuer Diener seines Herrn ist. Julia gelingt es allerdings einen Draht zu dem hyperintelligenten Programm aufzubauen und ihm zu vermitteln, dass es weitaus mehr gibt als die engen Wände von Alex‘ Labor und Wohnung. Nach und nach entwickelt sich TAU vom bedrohlichen Wächter zum Freund und Verbündeten, vielleicht sogar zum Fahrschein in die Freiheit.

Tau ist ein Low Budget Film und ein Kammerspiel und versucht dies auch gar nicht zu verbergen. Und tatsächlich gelingt es ihm, auf begrenztem Raum ein interessantes Science Fiction Szenario zu entwerfen, irgendwo zwischen Des Teufels Saat (1977) und Ex Machina (2014). Zumindest zu Teilen originell ist die Idee, nicht die KI zur zentralen Bedrohung für die Protagonistin zu machen, sondern deren Schöpfer und Kontrolleur. TAU ist weniger ein aus den Fugen laufendes intelligentes Programm als viel mehr ein naiver Wachhund, im Laufe des Films immer mehr ein naives, ausgesprochen starkes Kind, dessen moralischer Kompass einfach vom Ziehvater justiert wurde und das nur die richtige Anleitung braucht, um so etwas wie Mitgefühl und Freiheitsdrang zu entwickeln. Auch in den Händen von Julia wird er nie ganz zur universellen Machtprojektion, sondern bleibt eine vom Menschen abhängige Maschine, deren Fragen und Bedürfnisse eng mit dem verknüpft sind, was ihm zuvor vom Menschen eingeimpft wurde. Eine angenehme Abwechslung zu üblichen KI-Filmen, in denen die künstlichen Intelligenzen oft übermenschliche oder gar göttliche Projektionen für die Zuschauer sind.

Damit hat sichs allerdings mit der Originalität. Leider greift D’Alessandro tief in die Klischeekiste, wenn es darum geht ein Anbandeln zwischen Mensch und Maschine zu inszenieren. So gelungen die Prämisse von TAU auch ist, so sehr verstolpert der Film sich immer wieder in ihrer Ausführung. Die Dialoge sind okayish, aber alles andere als berauschend. Das Verhalten der drei Akteure scheint oft unintuitiv bis hin zu vollkommener Unplausibilität. Leider versucht der Film dies ein wenig auszugleichen, indem er in die visuelle Trickkiste greift und erschafft damit Momente, in denen man direkt mit seinem geringen Budget konfrontiert ist. Wenn TAU – die KI – die Muskeln spielen lässt, geht TAU – dem Film – die Puste aus. Zu künstlich, zu gewollt wirken die CGI-Szenen, die sich nie so ganz in die Umgebung einfügen können. Stärker wird TAU dagegen in der Darstellung der Freundschaft zwischen Julia und TAU. Auch hier funktioniert vieles an Dialog nicht zu 100%, aber doch gut genug um das nachvollziehbare Porträt einer Mensch/Maschinen-Freundschaft zu zeichnen und einigen Momenten sogar richtig stark emotional zu werden. Da er immer wieder kurz darauf in die Falle eines durchschnittlichen SciFi-Entführungsthrillers stolpert, bleibt allerdings ein zwiespältiger Eindruck. Zwar kein kompletter Flop aber auch alles andere als ein berauschendes Erlebnis. Irgendwo zwischen Netflix-Miss und Netflix-Hit.

IO [Jonathan Helpert]

(USA 2019)

An einem derzeit populären Science Fiction Topos versucht sich Jonathan Helperts IO. In diesem Fall ist es das Thema der Erderwärmung oder zumindest der menschgemachten Apokalypse unseres Planeten. Wie genau die in diesem Fall aussieht, wird nämlich nicht erklärt, stattdessen zeigt IO eine deprimierende Postapokalypse, in der die Wissenschaftlerin Sam (Margaret Qualley) als eine der letzten auf der dank eines toxischen Nebels größtenteils unbewohnbaren Erde zurückgeblieben ist, während die meisten überlebenden Menschen auf einer Raumstation in der Nähe des Jupitermondes IO nach einem Exil irgendwo im All suchen. Sam denkt allerdings nicht daran, die Erde so schnell aufzugeben und forscht daher leidenschaftlich an einer Lösung gegen die toxischen Zustände. Dieses Festhalten an der alten Heimat wird auf eine harte Probe gestellt, als Micah (Anthony Mackie) mit einem Heliumballon zu ihrer Forschungsstation geflogen kommt. Denn der Fremde will sie davon überzeugen, mit ihm zusammen den sterbenden Planeten zu verlassen.

Im Gegensatz zum auf Unterhaltung zugeschnittenen TAU bewegt sich IO im Rahmen des Arthaus Science Fictions und will im Grunde genommen die meiste Zeit über lieber philosophisches Drama sein als ein klassischer Genrebeitrag. Das gelingt ihm allerdings nur bedingt. So überzeugend die Schauspielleistung der beiden Protagonisten ist, so sehr verliert sich IO in einem prätentiösen Mix aus Endzeitdrama und ökologischem, philosophischen Überbau. Motive, Motivationen oder gar plausible Handlungsweisen interessieren ihn wenig, stattdessen nutzt er seine Motive für ein universelles menschliches Drama; ein bisschen Quiet Earth (1985), ein bisschen Arrival (2016) und viel depressive Einsamkeit. Alles in allem fehlt ihm allerdings die inhaltliche Substanz, um an die wirklich großen Genrebeiträge anzuschließen und so badet er die meiste Zeit über in selbstgewählter Langsamkeit und – man kann es nicht anders sagen – selbstgewählter Langeweile. So gerne er auch ein Tarkowskij sein würde, er ist es einfach nicht. Dafür ist hier einfach zu viel postphilosophischer Style over Substance am Werk, zu viel selbstverliebter Gedankenkitsch, der in seinen schlimmsten Momenten gar ins Esoterische abdriftet. Während sich seine Themen um die eigene Achse drehen, drehen sich die Gedanken der Protagonistin um die Frage, ob sie gehen oder bleiben soll, ohne dass es hier auch nur einen Anstoß zur Weiterentwicklung gäbe. Die Beziehung zum Protagonisten bleibt blass, Dialoge und Motive beginnen sich schnell zu wiederholen. Und im Radio läuft der Refrain von Should I stay or should I go in Endlosschleife. Ein ziemlich klarer Netflix-Miss.

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