Rezension zum Netflix-Horrorfilm Bird Box

Netflix-Filme… und man weiß immer noch nicht so ganz, woran man ist. So ein klassisches Hit or Miss eben. Eine Sache sollte sich mittlerweile aber ganz unabhängig von der individuellen Qualität eines jeden einzelnen Films und unabhängig von der Borniertheit von Big Ol‘ Hollywood in den Köpfen von Kritikern und Publikum durchgesetzt haben: Netflixfilme sind keineswegs das Online-Pendant zum Direct-to-DVD Markt des frühen 21. Jahrhunderts. Auch ein Netflixfilm kann großartige Bilder, hochklassige Schauspielleistung und verdammt effektive Special Effects bieten, kann einfach wie jeder andere abendfüllende Spielfilm auch absolut nach High Budget aussehen, mitunter sogar so gut sein, dass es geradezu eine Schande ist, dass er keine (größere) Kinoauswertung erhält. Besonders auffällig ist das, wenn Netflix Filme veröffentlicht, die anderen Filmen ähneln, die kurz davor, kurz danach oder sogar zeitgleich eine klassische Kinoauswertung erhalten. So auch im Fall des 2018er Horrorfilms Bird Box, der sowohl thematisch als auch ästhetisch derart nah dran ist am 2017er Indie-Horror „A quiet place“, dass man ohne zu übertreiben von einem Zwillingspaar sprechen könnte. Und das Überraschendste daran: Die Rollen scheinen vertauscht. Bird Box ist weitaus cineastischer, mainstreamtauglicher und – ja, leider auch – glatter als sein Kinopendant.

Es ist mal wieder das Ende der Welt: In diesem Fall sind keine Außerirdischen und auch keine Zombie-Epidemie für das Eschaton verantwortlich, sondern eine Horde von unheimlichen Kreaturen Lovecraftt’schen Ausmaßes. Diese greifen zwar die Menschen nicht direkt an, ihr Anblick ist aber derart grausam und furchteinflößend, dass jeder Mensch, der sie gesehen hat, entweder dem Wahnsinn verfällt oder – in den meisten Fällen – gleich den Freitod wählt. Bird Box erzählt den Überlebenskampf von Malorie (Sandra Bullock), die sich mit zwei namenlosen Kindern – Sie selbst spricht sie nur mit „Junge“ und „Mädchen“ an – auf eine beschwerliche Reise über den Fluss zu einer vermeintlich sicheren Rettungsstelle begibt, das ganze, um dem Anblick der Kreaturen zu entgehen, mit verbundenen Augen. Parallel wird die fünf Jahre zurückliegende Vorgeschichte dieser riskanten Flucht geschildert: Der Ausbruch der Monsterepidemie, das beginnende Chaos, das erste Verschanzen der damals noch schwangeren Malory und wie sie mit anderen Überlebenden versucht, im apokalyptischen Grauen zurecht zu kommen.

In dieser – eigentlich alles andere als originellen – Struktur liegt auch eine gewisse inszenatorische Ambivalenz, die unfreiwilliger Natur ist, aber doch immense Auswirkungen auf den gesamten Film hat. So ist gerade der Einstieg mit der gegenwärtigen Notsituation ein Musterbeispiel für großartige Horror-Inszenierungskunst, die nichts erklärt, nichts erläutert und den Zuschauer stattdessen einfach gnadenlos ins Geschehen wirft und dem Schrecken aussetzt. Flankiert wird dies von einer kalten und zugleich ängstlichen Protagonistin, die von Sandra Bullock derart überzeugend gespielt wird, dass ein Blick in ihr Gesicht genügt, um den Schrecken der vergangenen fünf Jahre lebendig werden zu lassen. Dieser narrative – beklemmend antinarrative – Rahmen nimmt aber tatsächlich die geringste Spielzeit des Films in Anspruch. Die wenigen Momente, in denen der Film zu diesem klaustrophobischen Setup zurückfindet, sind deutlich geringer Bemessen als seine Hauptspielzeit, in der er doch weitaus traditioneller erzählt und inszeniert ist. Hier erwartet den Zuschauer ein sehr klassischer Gimmickhorror, irgendwo zwischen Zombiefilm und Survivalflick, dessen Prämisse vor allem an Shyamalans Desasterfilm (in jedem erdenklichen Sinne des Wortes) The Happening (2008) erinnert. Immerhin darf Bird Box dabei unter Beweis stellen, dass ein Film mit reihenweise abstrusen Selbstmorden durchaus möglich ist, ohne dass er zum albernen, peinlichen und unfreiwillig komischen Gorefest verkommt.

Die zweite Referenz ist – wie bereits erwähnt – der letztjährige Überraschungshit A Quiet Place (2017) und es ist schon erstaunlich, in wie vielen Punkten dieser apokalyptische Horrorstreifen seiner kleinen (oder großen) Schwester ähnelt. Zum einen wäre da das Hauptgimmick, das in beiden Fällen aisthetischer Natur ist. War es in „A quiet Place“ das Spiel mit der auditiven Wahrnehmung ist es in Bird Box das Spiel mit der visuellen. Wo die Protagonistinnen in A quiet Place keine Geräusche von sich geben durften, werden sie in Bird Box über einen Großteil der Spielzeit komplett ihrer Sehkraft beraubt (bzw. berauben sich freiwillig derselben) und müssen hier wie da versuchen, in dieser neuen Realität zu überleben. Ebenfalls auffällig sind die Parallelen bei den für die Handlung zentralen Personen. Sowohl Bird Box als auch A quiet Place beschwören die Kernfamilie als überlebensfähige Schicksalsgemeinschaft angesichts der Apokalypse. Dabei verzichtet Bird Box jedoch fast komplett auf den – je nach Positionierung wunderschönen oder kitschigen – Eskapismus seines Konterparts. Wo A Quiet Place den Horror immer wieder aufbrach, indem er in fast schon biedermeierischen, kuscheligen Bildern harmonische Familienalltäglichkeiten darstellte, bleibt Bird Box konsequent kalt in den ohnehin schon raren Familienszenen. Ähnlich wie die Konkurrenz fürchtet er sich gleichzeitig nicht davor, der Familie ein dysfunktionales Moment einzuschreiben: War es bei A Quiet Place eine potentielle Schuldzuschreibung (und ein damit verbundener Entzug der elterlichen Liebe) ist es bei Bird Box gleich die radikale Gesamtinfragestellung der elterlichen Zuneigung an und für sich. Aber auch hier verschenkt Bird Box Potential, weil auch die dysfunktionale Kernfamilie – trotz ihrer Wichtigkeit – nicht genug Leinwandzeit bekommt, als dass sich der Film wirklich mit ihr auseinandersetzen würde.

Stattdessen verschwendet der Film viel zu viel Leinwandzeit auf sein langweiligstes und leider auch vorhersehbarstes Setup, die unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft zu Beginn der Apokalypse. Bei deren Darstellung bedient Bird Box so dreist bei den letzten 30 Jahren Horrorfilmgeschichte, dass nichts – aber auch wirklich gar nichts – Originelles mehr zu entdecken ist: In der Darstellung des beginnenden Armageddons finden sich all die eindimensionalen Abziehbilder zusammen, die man in den letzten, vorletzten und vorvorletzten Zombiefilmen zu sehen bekam: Der egoistische Sozialdarwinist, die toughe Protagonistin, die mit einem persönlichen Verlust zu kämpfen hat, der freundliche Kompromisssucher (der natürlich früh sterben muss), die hilfsbereite naive junge Frau, der tapfere Ritter (dem „Ich werde mich für dich opfern!“ quasi auf die Stirn geschrieben steht), der zwielichtige Nachzügler, und natürlich die blassen, charakterlosen Redshirts, die von Anfang an nur dazu dienen, den Bodycount hochhalten zu können. Hier ist Black Bird leider extrem eindimensional gestrickt und verliert eine Menge an schmutziger (Die dysfunktionale Kernfamilie) und düsterer (die aussichtslose Flucht ins Unbekannte) Atmosphäre. Wo A Quiet Place durchgehend klaustrophobisch und vor allem einsam war, ist Bird Box dann eben doch zu viel Porträt, zu viel Gesellschaft, zu viel Gruppendynamik, ohne diesem Stilmittel etwas Neues oder Frisches abgewinnen zu können.

Dieser Hang zum Konservatismus zeigt sich dann besonders auch in seiner genretypischen Katharsis. War diese in A Quiet Place mit einem dicken Augenzwinkern inszeniert und mit ihrem fast schon grotesken schwarzen Humor ein wunderbar radikaler Bruch mit der vorherigen Atmosphäre, verliert sich Bird Box doch allzu sehr in Pathos und hemmungslosem Humanismuskitsch. Das ist viel zu viel des Guten, vor allem weil er zwischendurch immer wieder Hoffnung macht, doch ins Schmutzige, Hässliche kippen zu können. Ganz so viel Mut will er gegen Ende dann wohl doch nicht haben und so bleibt ein spannender, gut gespielter, hervorragend inszenierter Horrorfilm auch für Leute, die nicht so auf Horror stehen. Für Genrefreunde wahrscheinlich viel zu glatt und berechenbar und bei weitem nicht so eng, dicht und klaustrophobisch wie „A Quiet Place“, aber allemal für einen gemütlichen Filmabend zu Hause gut… und das ironischerweise gerade weil er in seiner Glätte und Bravheit wohl einer der klassischsten „blockbusterigsten“ Netflixfilme überhaupt ist.

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