Die besten Filme 2019: The Lighthouse

Should pale death, with treble dread, make the ocean caves our bed, God who hears the surges roll, deign to save the suppliant soul. Mit diesem Trinkspruch versucht der alte Seebär Thomas (Willem Dafoe) seinen neuen jungen Gehilfen (Robert Pattinson) allabendlich zum gemeinsamen Anstoßen und Trinken zu animieren. Doch dieser lehnt immer aufs neue ab. Vier Wochen sollen die beiden gemeinsam auf einem abgelegenen Eiland an der Küste Nova Scotias verbringen. Als Leuchtturmwärter sollen der Alte Haudegen und der Jungspund gemeinsam den Turm intakt halten, dafür sorgen, dass das Licht jede Nacht leuchtet und so die nahenden Schiffe davor bewahrt, Opfer der Klippen und der stürmischen See zu werden. Robert Eggers‘ neuer Film Der Leuchtturm (2019) ist wie bereits sein Vorgänger The VVitch (2016) erst in zweiter Linie ein Horrorfilm. In erster Linie ist er ein düsteres Zeitstück, das Mythen und Legenden des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu einem betörenden wie verstörenden folkloristischen Muster verwebt. Eggers ist damit nicht weniger als einer der aufregendsten und besten Filme des Jahres geglückt.

Es ist gar nicht so einfach, die Geschichte dieses einsamen, morbiden Volksmärchens zusammenzufassen. Gibt es doch wie bereits in The Vvitch wenig Geschichte, die erzählt werden könnte. Die beiden von der Außenwelt abgeschnittenen Leuchtturmwärter sind voll und ganz aufeinander angewiesen. Jedoch bereits am ersten Abend wird klar, dass ihr gerade mal vierwöchiges Zusammensein nicht konfliktfrei ablaufen wird. Thomas ist ein alter Seebär, wie er direkt aus der Feder von Herman Melville stammen könnte. Bärtig, raubeinig, gezeichnet von vielen Jahren auf hoher See, oft vulgär, herrisch und cholerisch, in manchen Momenten aber auch melancholisch und verträumt. Seinen lange Zeit namenlosen Gehilfen spricht er nur mit „Lad“ (Bursche) an, und er scheint auch nicht das geringste Vertrauen in dessen Fähigkeiten zu haben. Anstatt Nachtschichten im Leuchtturm an ihn abzugeben, lässt er ihn niedere Arbeiten verrichten, während er ihn mit übelsten Beschimpfungen quält und erniedrigt. Aber auch der junge Bursche ist nicht frei von Fehlern. Besessen davon, der beste Anwärter für diese Arbeit zu sein begegnet er seinem älteren Vorgesetzten mit Aufmüpfigkeit, Spott und Zorn. Wie der alte scheint auch der junge Mann so einige dunkle Geheimnisse mit sich herumzutragen, deren Entfaltung das Leben in der unwirtlichen Einöde nach und nach in einen Alptraum verwandeln wird.

Willem Dafoe und Robert Pattinson spielen diese beiden konfliktträchtigen Männer mit einer Inbrunst, dass es dem Publikum den Atem verschlägt. Dass Dafoe unter der Leitung einer guten Schauspielregie zu Unfassbarem in der Lage ist, dürfte bekannt sein. Aber dass Pattinson einem Charakter derart viel Substanz und Tiefe entlocken kann, ist immer noch überraschend. Auch wenn sich der Darsteller schon in vorherigen Filmen von seinem Twilight-Teenie-Image freigespielt hat, fehlte bisher doch immer der letzte Funken, um ihn in einen wahrhaft brennenden Charakterdarsteller zu verwandeln. Dieser letzte Funken wird ihm nun von Eggers eingehaucht… Und wie! Pattinson Protagonist steht oft nicht einfach nur im Fokus, er wird von der Kamera geradezu gemustert, und mehr als einmal scheint er den Blick der Kamera zu erwidern. Dabei sehen wir so viel Geschlagenheit, aber auch so viel Verschlagenheit, so viel Schmerz und Traurigkeit, aber auch so viel Eifer und Hass in seinen nur scheinbar verschlossenen Gesichtszügen. Den perfekten Kontrapunkt zu diesem undurchdringlichen, ohnmächtig wütenden Mann setzt Dafoes vulgärer, expressiver Veteran. Er ist geschwätzig, grobschlächtig und geradeheraus aggressiv. Aber er hat in seiner langen Lebenszeit auch eine ganz eigene Form von poetischer Weisheit entwickelt, die zwischen seinen Fürzen und seinem lauten, obszönen Gepolter immer wieder hervorblitzt.

Das mögen die beiden menschlichen Protagonisten sein, der eigentliche Protagonist dieser archaischen Erzählung sind aber die Gezeiten, die Insel und der Leuchtturm, die nicht nur den Rahmen für die Handlung bilden, sondern auch direkt mit den beiden verlorenen Männern interagieren, ihnen manchmal Spiegel und Kumpan, meistens aber lebensbedrohlicher Feind sind. Eggers inszeniert wie in seinem anderen Horrormeisterwerk die Natur als unheilvollen Dritten, als Antagonisten des Menschen, ein Antagonist, dem der Mensch zu keiner Sekunde gewachsen ist. Im Gegensatz zu anderen Regisseuren – zum Beispiel Bela Tarr -, die die Verlorenheit des Menschen in der und den Kampf des Menschen gegen die Natur im epischen Breitbild inszenieren, wählt Robert Eggers hier einen anderen Weg. Er rahmt seinen Film in fast quadratischen 1,9:1 Schwarzweißbildern; nicht nur eine Reminiszenz an die frühe Filmgeschichte sondern vom Look and Feel auch ganz dicht dran an der oft unfreiwillig kryptischen wie beklemmenden Schwarzweißfotografie des späten 19. Jahrhunderts. Dadurch gelingt es The Lighthouse seine Natur sowohl weit und unübersichtlich als auch eng und beklemmend wirken zu lassen. Der Rahmen sorgt für eine mitunter unangenehme Auslassung der Peripherie, deren unwirtliche Beschaffenheit jedoch stets durch das gespiegelt wird, was die Kamera einfängt: Die einzige beleuchtete Kreis in einer rabenschwarzen Nacht, der letzte enge Zufluchtspunkt vom wütenden Sturm, und immer wieder die verzweifelten, dem Wahnsinn nahen Blicke der beiden Protagonisten.

Dieser natürliche Raum, der ebenso gezeichnet wie ausgelassen wird, ist der Raum, in dem die Alpträume der beiden Protagonisten wahr werden. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen endogener und exogener Bedrohung. Der Leuchtturm ist die Geschichte zweier Männer, die gezwungen durch ihre eigene Geschichte in den Wahnsinn abdriften. Aber es ist auch die Geschichte der erbarmungslosen Natur, die ihre Opfer in den Wahnsinn treibt. In dieser Natur erwachen die monströsen Kreaturen zum Leben, die sich der Mensch selbst geschaffen hat. Bei der Entfaltung der abgründigen, mythenumwobenen Natur greift Eggers tief hinein in den Fundus klassischer Sagen und Legenden. Der Horror in The Lighthouse ist ein zutiefst eklektischer Horror. In ihm trifft Herman Melville auf Hans Christian Andersen, auf H.P. Lovecraft und Edgar Allen Poe. Seemansgarn und bizarr infantile Kindergeschichten vermählen sich mit dem Prometheusmythos, Schreckgespenstern des 19. Jahrhunderts und freudianischen Traumdeutungen. Mehr noch als im Vorgängerfilm The VVitch sehnt man sich am Ende des Films geradezu nach einer Quellensammlung, scheint es doch gerade so, als hätten Max und Robert Eggers kaum ein Wort der frenetischen Dialoge selbst geschrieben, sondern diese höchst gekonnt aus diversen historischen Quellen und alten Legenden zusammenkomponiert. Denn wo andere Regisseure des postmodernen Eklektizismus bunter, diverser und dadurch auch irgendwie transparenter wirken, verweben die Filmemacher ihre Quellen und Zitate hier zu solch einem homogenen Ganzen, dass der Sammlungscharakter vollends hinter dem bizarren Endergebnis verschwindet. The Lighthouse ist nicht zuletzt auch eine Meisterleistung in der Homogenisierung unterschiedlichster Inspirationen. Und so dürfen neben den bereits erwähnten historischen Versatzstücken auch ästhetische Referenzen des 20. Jahrhunderts in das große Gesamtgemälde miteinfließen: Bela Tarr, Andrei Tarkowski, Ingmar Bergman, Stanley Kubrick und wahrscheinlich noch ein ganzer Berg an weiteren Künstlern, die dank seiner Homogenität dem Gesamtwerk nie seine Eigenständigkeit nehmen.

Was in dieser magisch realistischen, irreal alptraumhaften Welt aus dem Inneren oder aus dem Äußeren kommt, bleibt ein Rätsel. Der Leuchtturm präsentiert sich als verstörender Post-Horror-Alptraum, bleibt aber im Gegensatz zu prototypischen Vertretern des Genres stets vage und uneindeutig. Ob nun Einbildung oder brutale Realität, die Bilder sind die gleichen, ob innerer oder äußerer Alptraum, alles verschwimmt in den radikal engen Schwarzweißbildern. Deren Bevölkerung durch Nixen, widerlichen Tentakelwesen und rachsüchtigen Vögeln bleibt daher auch in den explizitesten Bildern ambivalent und sprachlos. Wo andere Posthorrorfilme spätestens im Finale ihre dämonenhaften Wesen auserzählen, lässt The Lighthouse ihnen ihr Recht auf Ambiguität. Alles, was wir sehen könnte wahr, sein; alles was wir sehen, könnte ersponnen und erlogen sein. Alles, was in diesem Märchen an märchenhaften Ereignissen geschieht, geschieht im Licht des Zweifels, bis hin zur radikalen Infragestellung der Existenz aller Protagonisten. Aber auch in einem anderen Punkt unterscheidet sich Der Leuchtturm von anderen aktuellen Post Horror Werken: Selbst The VVitch ließ sich ohne große Verrenkung als Kommentar auf eine neue Hyperreligiosität in den Post 9/11 USA interpretieren (und war damit dennoch im Gegensatz zu seinen Genrekollegen nicht sonderlich parabolisch, soziologisch veranlagt). The Lighthouse indes verzichtet auf jegliche soziologische Grundierung und bleibt selbst als psychologische Studie äußerst unkonkret. Im Gegensatz zu Babadook oder Hereditary werden hier keine Aussagen zum familiären Zusammenleben getroffen, im Gegensatz zu Get Out oder Us liegt hier keine aktuelle politische Parabel vor, im Gegensatz zu It follows keine sexuelle Fabel und im Gegensatz zu Raw auch kein Blick auf Erwachen und Erwachsen. Im Gegensatz zu seinen Brüdern und Schwestern im Geiste kommentiert Der Leuchtturm überhaupt nicht, weder analysiert noch wertet er. Der Leuchtturm ist so etwas wie die radikal eskapistische Ausgeburt des ebenso jungen wie alten Genres. Selbst seine Metatextualität, seine Referenzen und Reminiszenzen dienen nicht zur Dekonstruktion des Geschehens, sondern tragen es. In seinem Kern ist dieser Film L’art pour l’art, ein Werk das nicht erklärt, nicht interpretiert und nicht zerredet werden will, ein Werk der wenigen Worte und ein Werk ohne doppelten Boden, dafür aber voller Referenz und bizarrer Schönheit.

Es bleibt spannend, wie Robert Eggers nächster Film – der hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt – gestaltet sein wird. The Lighthouse scheint nämlich ein wenig auch die Vervollkommenung von dem zu sein, was The VVitch als Grundstein gelegt hat. Post Horror als radikales Zeitporträt einer längst vergangenen Zeit, längst vergangener Mythen, nun gar mit einer vergangenen Ästhetik und vergangenen Techniken. Im Grunde genommen ist The Lighthouse damit die Perfektionierung dieses Prinzips, und Eggers kann gar nicht anders als bei seinem nächsten Werk etwas radikal Neues zu wagen. Dennoch hat Der Leuchtturm jedes Lob verdient, das er im letzten Jahr erhalten hat. Er ist ein radikaler, düsterer Alptraum zwischen Naturalismus und Surrealismus, zwischen Psychotrip, Seemannsgarn und mythologischem Horror. Atemberaubend gespielt von allen zwei drei Protagonisten, und ein Film, der mit Sicherheit noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

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