Die besten Filme 2016: Neon Demon von Nicolas Winding Refn

Lieber Herr Refn,
Sie wie ich haben wahrscheinlich gerade ein Deja Vu. Richtig, es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich Ihnen bereits einen Brief geschrieben. Der Anlass war damals Ihr neuester Film Only God forgives, der mir gelinde gesagt ein wenig zu sehr die Kunst über den Menschen stellte. Und als Setting für dessen Nachfolger suchen Sie sich jetzt ausgerechnet die Modeszene aus? Sie machen es einem aber auch wirklich nicht einfach. Schon wieder ein eiskaltes, unmenschliches Szenario? Und jetzt auch noch glitzernd oberflächlich? Als ob sie nicht genug an ihrer eigenen surrealistischen, symbolistischen Oberflächlichkeit zu arbeiten hätten? Und was soll dann noch zusätzlich dieses prätentiöse NWR, das als Kürzel ihres Namens diesen Film ziert? Als wollten sie ein Gemälde signieren? Geht es denn überhaupt noch selbstverliebter, artifizieller? Ja, Sie machen es einem wirklich nicht leicht, und Sie brauchen sich auch – ganz ehrlich gesagt – nicht zu wundern, wenn man mit gewissen Vorbehalten an ihren aktuellen Film herangeht. Allein dieser Titel: Neon Demon (2016), das ist mal wieder groß, gewaltig, spirituell überspitzt. Aber wissen Sie was, Sie und ihr Werk sind einfach zu faszinierend, als dass ich die Flinte einfach ins Korn werfen würde. Ich will versuchen so vorurteilsfrei wie möglich das neue NWR-Kunstwerk zu genießen. Vielleicht gibt es doch mehr zu holen als ein bloßes „Schon wieder?“.

Die Modeszene haben Sie sich also ausgesucht; genauer gesagt die Welt der jungen, hoffnungsvollen Nachwuchsmodels, die ebenso unsicher wie durchtrieben sein können, ebenso naiv wie berechnend, ebenso hoffnungsvoll wie bösartig. Und was haben Sie sich dann doch für einen faszinierenden Charakter ausgedacht, um die Zuschauer durch diese Welt zu führen. Ihre Protagonistin Jesse (Elle Fanning) besitzt nämlich all diese Eigenschaften, mal mehr mal weniger offen, und ist die gesamte Zeit des Films über für den Zuschauer undurchdringlich. Sie haben Sie nicht einfach als Anti-Heldin konzipiert, sondern als Figur bei der wir alle – sie vermutlich eingeschlossen – eigentlich nie so genau wissen, woran wir sind. Und wie fantastisch verkörpert Elle Fanning dieses mysteriöse, überzeichnete Wesen! Ja, das haben Sie ja schon öfter bewiesen, dass Sie ein Händchen für gute Rollenauswahl haben, bei dieser Entscheidung haben Sie es vielleicht sogar übertrieben. Denn Elle Fanning trägt nicht nur Ihren Film, sie hebt ihn auch in ganz und gar andere Sphären. Mal wirkt sie kindlich, unschuldig und man möchte sie am liebsten befreien aus dieser erbarmungslosen Welt, in die sie reingeschlittert ist; dann plötzlich wirkt sie kalt und berechnend, gerade so als wüsste sie genau welche Emotionen sie bei ihren Auftraggebern – und uns, dem Publikum – auslösen müsste um genau das zu erreichen, wonach sie strebt.

Dennoch versuchen Sie wieder alles, um diese Protagonistin auf dem Altar Ihrer Kunst zu opfern, selbst wenn es Ihnen in diesem Fall Dank ihrer puren Ausstrahlung nicht so ganz gelingen mag. Aber Sie bemühen sich, ohja, und wie Sie sich bemühen! Sie werfen sie in ein brutales, trostloses und zugleich wild glänzendes Setting. Eine Neon Hell fürwahr, eine Mischung aus Traum und Alptraum, wie sie auch von David Lynch stammen könnte. Realität und Fiktion verschwimmen immer in diesem Setting, es bleiben aber vor allem die Kontraste stehen: Das heruntergekommene Motel, in dem Jesse lebt, kontrastiert von den steril schicken Fotostudios, in denen sie sich herumtreibt. Die pure, unverdorben wirkende Schönheit aller Protagonistinnen im Kontrast zu den tiefen Abgründen ihrer Seelen. Der Kontrast zwischen der ästhetischen Reinheit, der alle nacheifern, und dem Schmutz, der sich hinter ihrer Produktion verbirgt: Sexuelle Ausbeutung bis hin zur Vergewaltigung, Narzissmus, Hass und Rachsucht, Nekrophilie und Kannibalismus. Die filmischen Kontraste: Hier die Geschichte, simpel, fast aufgebaut wie ein klassischer Giallo, in dem das Leben der Protagonistin von äußeren Mächten bedroht ist. Dort der Subtext, der Kampf der Protagonistin nicht verloren zu gehen, sich gegenüber den Konkurrentinnen, den Verführern und Scharlatanen zu behaupten. Und natürlich das Scheitern in einem Blutrausch, den man irgendwie erahnen kann, der dann aber doch alle narrativen und ästhetischen Grenzen sprengt. Ihr Neon Demon ist vor allem auch so brutal, so schwer zu ertragen, weil er diese Kontraste nicht auflöst, weil sein pervertiertes Yin und Yang bis zum grotesken Finale – und darüber hinaus – bestehen bleibt. Sie wollen nicht versöhnen, das haben Sie bereits mit ihren letzten Filmen bewiesen. Auch in Neon Demon wollen Sie verstören, wollen Sie nicht nur den Protagonistinnen sondern auch dem Publikum Schmerz zufügen, und natürlich scheinen Sie wieder in jeder Szene zu schreien „Das ist Kunst! Das ist Kunst!“

Diesen Schrei zu erhören fällt hier aber deutlich leichter als im artifiziellen, gescheiterten Only God Forgives. Vielleicht – und das ist nicht einmal ein Kompliment – liegt es daran, dass Ihr Blick auf die Kunst sehr gut mit dem Kunstverständnis der im Film dargestellten Welt korreliert. Hier wie dort geht es um die Suche nach einer perfekten Oberfläche, unter der das blanke Chaos toben darf, so lange es sich nicht zu sehr nach vorne drängt. So wie ihre Kunst gerne den Menschen auf der Suche nach etwas Höherem opfert, wird auch in der Welt, die sie zeichnen, der Mensch geopfert: Sei es durch Entmenschlichung, durch Objektwerdung, durch Tierwerdung oder ganz real und geerdet durch Kannibalisierung. Die Form korreliert hier mit dem Inhalt wie in keinem ihrer vorherigen Filme. Der Schauplatz von Neon Demon ist auch der Schauplatz Ihrer Kunst. Diese Kunst ist wie gehabt unmenschlich, brutal, kalt und gefühllos, sie funktioniert aber einfach perfekt im Falle von Neon Demon, weil sie die Gestalt ihrer Welt widerspiegelt und auf das Publikum transferiert.

Ja, lieber Herr Refn, dieses Mal lasse ich Sie vom Haken. Neon Demon ist in all seiner prätentiösen Kälte und Künstlichkeit ein herausragender Film, einer der besten Filme des Jahres und ihr bester Film seit Valhalla Rising (dem ihre künstlerische Brutalität ebenfalls verdammt gut zu Gesicht stand). Sehen Sie das aber nicht als Freifahrschein an. Was dieses Mal glückte, kann das nächste Mal genau so gut in die Hose gehen. Und um noch ein Post Scriptum nachzuliefern: In meinem letzten Brief an Sie, habe ich Ihnen empfohlen, Ryan Gosling mal die in die Arme zu nehmen, weil er immer so traurig durch Ihre Filme stolpert. In diesem Brief ist das nicht notwendig, stattdessen möchte ich Ihnen einen anderen gutgemeinten Ratschlag geben: Hüten Sie sich vor ihren eigenen Kreationen. Denn das, was Sie da an menschlichen Abgründen auf die Leinwand lassen, ist an purer Bösartigkeit nicht zu überbieten, verfolgt sein Publikum und könnte irgendwann auch sie einholen. In diesem Sinne…

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