Monat: August 2016

Die besten Filme 2015: Das bizarre Sittengemälde High-Rise von Ben Wheatley

Das Konzept der Wohnmaschine reicht fast 100 Jahre zurück. Bereits in den 1920er Jahren arbeitete der französische Architekt und Künstler Le Corbusier an den Plänen für einen Gebäudetypus, in dem vielen Menschen ein komfortables Wohnen ermöglicht werden sollte. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren schließlich die Zeit, in der das Konzept erprobt und massenhaft umgesetzt wurde. So genannte Unités d’Habitation sind Wohngebäude, in denen nicht nur viele Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen, sie sollen als große Einheiten zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit Kleinstädte in Häuserform sein: Neben Wohnungen befinden sich in ihnen Supermärkte, Cafés, Schwimmbäder… der Gestaltung sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Das in Deutschland berühmteste nach diesem Konzept entstandene Gebäude dürfte das Corbusierhaus im Westen Berlins sein, das 1957 als bundesrepublikanische Antwort auf die DDR-Plattenbauten errichtet wurde und bis zum heutigen Tag bewohnt ist. Gut zwanzig Jahre nach dem größten Hype um Le Corbusiers Gebäude, verarbeitete der experimentelle Science Fiction Autor James Graham Ballard diese utopischen Wohnvorstellungen in dem dystopischen Roman Der Block (1975). Und wenn wir noch einmal 40 Jahre draufpacken, sind wir im 21. Jahrhundert angekommen und bei der Verfilmung von Ballards Roman High-Rise (2015) durch Ben Wheatley (Kill List, A Field in England). Es ist unbestreitbar, dass Le Corbusier, der 1965 gestorben ist, Zeit seines Lebens viel Kritik einstecken musste. Und seine Architektur zwischen freier Gestaltung, Brutalismus und holistischem Größenwahn gilt schon lange als überholt. Also bleibt die Frage ob die Verfilmung eines 1975 geschriebenen Buches über ein 50er Jahre Bauphänomen uns überhaupt etwas neues über unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben erzählen kann. Wie zeitgemäß kann eine solche Geschichte überhaupt sein? Und wenn sie es nicht ist, besitzt sie einen davon unabhängigen Wert?

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Der Nachtmahr (2015) – Deutscher Genrefilm als enervierender Horrortrip

Die große Gretchenfrage des deutschen Films ist und bleibt „Wie hältst du es mit dem Genre?“. Bei allem Lob für große Filmbewegungen, vom Neuen Deutschen Film der 70er Jahre bis zur Berliner Schule des letzten Jahrzehnts, bleibt sie virulent und wird wohl auch immer virulent bleiben. Es gibt zwei Geschichten zur Beantwortung dieser Frage. Die erste geht ungefähr so: Der deutsche Film kann keine Genres. Er kann es einfach nicht. Punkt. Die besten und erfolgreichsten Filme aus Deutschland waren immer Dramen oder Komödien. Jeder Versuch, Fantasy, Horror oder Science Fiction zu erzählen, ist krachend gescheitert. Und selbst wenn mal ein guter Film dabei herausgekommen ist, war das Ergebnis doch weitaus mehr Drama als irgendetwas anderes. Dann gibt es aber auch noch eine zweite Geschichte. Sie handelt von nicht gesehenen und vergessenen Perlen, von Genre-Meisterwerken, die sich nicht vor der amerikanischen oder internationalen Konkurrenz verstecken müssen. Filme die dezidiert deutsch sind und es dennoch schaffen, Fantastisches, Ungewöhnliches, Besonderes mit fantastischen, ungewöhnlichen, besonderen Mitteln zu erzählen. Eine wesentliche Protagonistin dieser Erzählung – zumindest in den 2010ern – dürfte AKIZ‘ Mysteryhorrordrama Der Nachtmahr (2015) sein. Ihm gelingt es eine fantastische, düster morbide Geschichte zu erzählen und sich zugleich ganz tief vor der Jugendkultur der 2010er Jahre zu verbeugen.

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Die besten Horrofilme 2016: The Witch – Horror als folkloristische Tragödie

Das mythologische Erbe des Christentums hat dem Horrorfilm einen großen Fundus an Motiven und Schreckensbildern hinterlassen, durchaus auch problematische. Denn während weibliche Magie in anderen Genres – insbesondere dem Fantasykino – in den verschiedensten Facetten und Farben dargestellt und ausgelebt wird, beruft sich der Horrorfilm meistens auf die fiktiven Schreckensgeschichten, die in der frühen Neuzeit für ganz realen Schrecken gesorgt haben: Von Häxan (1920) über Suspiria (1977) bis zum Blair Witch Project (1999); das was der moderne Horrofilm unter Hexenzauberei versteht, ist genau das, was bereits die Hexenprozesse darunter verstanden und womit sie Gewalt und Mord legitimierten. Ohne Zweifel hat das moderne Horrorkino damit eine ganze Menge Misogynie geerbt, gehegt und gepflegt, ohne deren düsteren Ursprünge zu reflektieren. Lars von Trier hat dies in seinem Antichrist (2009) versucht und war dabei ebenso erfolgreich, wie er krachend gescheitert ist. Es ist eben auch alles andere als einfach, Horror zu evozieren und zugleich die grausame Rolle der Angst vor dem Weiblichen in der neuzeitlichen Mythologie des Christentums zu reflektieren.

An diesem Punkt setzt The Witch (2016) an, indem er einen ganz und gar radikal traditionellen Weg einschlägt: Er inszeniert Aussagen der Hexenprozesse als realen Schrecken und kontrastiert diese mit dem Horror des ganz alltäglichen puritanischen Lebens der damaligen Zeit. Und so harmonieren und kämpfen in ihm historisch akkurates Porträt, Auseinandersetzung mit der frühneuzeitlichen Fantastik und Hexenhorror miteinander, um zu einem der wohl authentischsten historischen Horrorporträts der Filmgeschichte zu gelangen.

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