Die besten Murder Mystery Filme der 70er Jahre
In der Heist-Retrospektive habe ich schon angekündigt, dass ein weiterer Crime-Nachschlag folgt, der sich wie die Heist-Filme nur schwer ins Genre Thriller packen lässt. Hier ist er: Ähnlich wie die Heist-Movies leben auch die Murder Mystery Krimis weniger von der Spannung eines klassischen Thrillers, als viel mehr vom Spaß, den das Aufdecken eines mörderischen Vexierspiels macht. Spaß ist ein wichtiger Faktor für einen gelungenen Murder Mystery Film und zwar in gleich mehrfacher Hinsicht: Zum einen macht es wie gesagt Spaß, beim Zuschauen selbst zum Rätselknacker zu werden. Nicht umsonst werden die Filme auch gerne whodunnits genannt, und im besten Fall kann das Publikum von Anfang an miträtseln, wer denn nun der oder die Schuldige am zentralen Mord sein könnte. Spaß macht es auch, weil Murder Mystery Geschichten im besten Fall in der gehobenen Gesellschaft spielen. Das ist zum einen unterhaltsam, weil es uns das gute Gefühl gibt, dass auch „die da oben“ Dreck am Stecken haben, und zum zweiten sorgt es für eine Menge Stil und visuelle Extravaganz. Wesentlich für den Spaßfaktor eines unterhaltsamen Murder Mystery Schinkens ist zu guter Letzt, dass wir nicht mit einer brutalen Mordserie konfrontiert werden, bei der jeder oder jede das nächste Opfer sein könnte. Das unterscheidet ihn sowohl vom amerikanischen Slasher als auch vom italienischen Giallo, die weniger im komödiantischen und mehr im Horrorbereich beheimatet sind. Auch Psychothriller-Komponenten fallen dadurch praktisch komplett weg. Der oder die Mörder haben meist einen nachvollziehbaren Grund für ihr Handeln, nicht Grausamkeit steht im Mittelpunkt sondern Rachsucht, Geldgier oder ähnliche „menschliche“ Motive. Zu guter Letzt braucht ein packender Murder Mystery noch einen sympathischen Ermittler oder eine sympathische Ermittlerin. Letztere ist im 70er Jahre Kino leider nicht zu finden, da Miss Marple nach einer tollen Reihe mit Margaret Rutherford in diesem Jahrzehnt eine verdiente Pause einlegte. Aber der zweitbeste Ermittler nach Agatha Christie – Hercule Poirot – kriegt in dieser Dekade gleich zwei große Auftritte spendiert: Einmal vor exotischer Kulisse in Tod auf dem Nil, einmal vor extravaganter Kulisse beim Mord im Orient-Express. Auch der Ermittler aller Ermittler kommt in diesem Jahrzehnt zum Einsatz und darf dabei Das Privatleben des Sherlock Holmes dem neugierigen Publikum. Und im aus dem Genre ausbrechenden Mord mit kleinen Fehlern sind dann tatsächlich wir, das Publikum, die Ermittelnden; und zwar sowohl vor als auch während als auch nach dem zentralen Verbrechen.
Mord im Orient-Expreß [Sidney Lumet]
(Großbritannien 1974)
Disclaimer: Ich bin alles andere als ein großer Hercule Poirot Fan. Wenn ich die Wahl zwischen ihm und Miss Marple habe, entscheide ich mich immer für die rüstige Rentnerin, deren Fälle zum besten gehören was Agatha Christie und die Murder Mystery Landschaft generell hervorgebracht haben. Auch die Verfilmung der Krimigeschichte Murder on the Orient Express aus dem Jahr 1934 wird an dieser Meinung nichts ändern. Hauptgrund ist die selten unbefriedigende Auflösung des Whodunnit-Plots, der sich vor allem für Rätselrater als große Publikumsverarsche entpuppt. Aber nun gut, Regisseur Sidney Lumet kann nichts für die Plot-Schwäche der Vorlage, und er macht aus dieser einfach mal das Beste, was man daraus machen kann. Unterstützt von einem großen Schauspielaufgebot (Ingrid Bergman, Sean Connery, Anthony Perkins, Albert Finney… um nur ein paar Personen aus dem grandiosen Cast zu nennen) inszeniert er den Mord im Orient-Express als ungemein charmantes und nostalgisches Krimistück, in dem nicht nur die Kulisse und die Kostüme glänzen. Alles ist hier stimmig, die Atmosphäre exquisit, die ironische Brechung des berühmten Ermittlers herausragend gelöst, und dennoch entwickelt sich en passant eine wirklich spannende Ermittlungsgeschichte mit Kammerspielflair. Mord im Orient-Express ist herausragende, edle und elegante Krimiunterhaltung, liebevoll gebaut, raffiniert montiert und mit einem exzellenten Poirot. Und das Ende, die Auflösung… naja… irgendwie kann man darüber ganz gut hinwegsehen, wenn man die 120 Minuten davor so perfekt unterhalten wurde.
Tod auf dem Nil [John Guillermin]
(Großbritannien 1978)
Hercule Poirot in den 70er Jahren, Nummer zwei. Eigentlich lässt sich das Verhältnis von Death on the Nile zu Murder on the Orient Express recht gut zusammenfassen mit den Worten: Bessere Vorlage, schwächere Inszenierung. Wo Sidney Lumet in seinem Zugkrimi bedächtig und mit ironischer Note vorgeht, präsentiert uns hier Regisseur John Guillermin vor schillernder ägyptischer Kulisse das volle Crime- und Pathos-Paket. Tod auf dem Nil geriert sich als epische, fast schon monumentale Detektivgeschichte und gerät dabei auch im ein oder anderen Moment zu lang und leider auch zu langatmig. Wieder gut macht er das dann wiederum mit einer wirklich exzellenten Kameraarbeit, einem tollen Blick für das orientalische Setting und sehr vielen visuellen Spielereien. Tod auf dem Nil ist weniger nostalgisch als seine Konkurrenz, melodramatischer und drängender in seinem Thrillerplot. Seine Großspurigkeit ist dabei sowohl seine größte Stärke als auch seine größte Schwäche, aber Dank des exzellenten Plots und den diversen Vexierspielen läuft er elegant über die Ziellinie. Insbesondere Peter Ustinov macht als Poirot hier eine exzellente Figur, kommt deutlich glaubwürdiger, sympathischer und menschlicher rüber als Albert Finney im Orient-Express. Der Geist der Christie-Vorlage ist gut eingefangen und wirklich detailverliebt auf die Leinwand gebracht. Die Inszenierung erreicht wegen der Längen nicht ganz den Platinstatus des 1974er Pendant, für eine Goldmedaille reicht es aber allemal.
Das Privatleben des Sherlock Holmes [Billy Wilder]
(Großbritannien 1970)
Einen großen Ermittler haben die 1970er Jahre noch zu bieten. Und auch an dieser Stelle wieder ein kleiner Disclaimer: Ich war nie der größte Sherlock Holmes Fan. Aber, was Regielegende Billy Wilder in diesem Alterswerk aus der Legende von Sir Arthur Conan Doyle strickt, ist für die engen Grenzen des Whodunnit-Genres schon etwas ganz besonderes. So als wäre nichts dabei, kreuzt Wilder hier Holmes-Nostalgie mit einem bedächtigen Erzählfluss und einer amüsanten, frivolen Geschichte, die im Laufe der Handlung vollkommen eskaliert und aus einer einfachen Mystery-Detektivgeschichte ein irres Kapriolen schlagendes Schelmenstück werden lässt. Ohne zu viel zu teasern: Hier wird nicht nur die Frage beantwortet, ob Sherlock Holmes als Samenspender taugt, daneben dürfen wir uns noch Gedanken über seine Sapiosexualität machen, gemeinsam mit ihm und Watson Gräber in Irland ausheben, dem Monster von Loch Ness hinterherjagen und in eine irre Spionagegeschichte verwickelt werden. Die Queen winkt natürlich auch vorbei, so viel Zeit muss sein. The Private Life of Sherlock Holmes pendelt ständig zwischen irrem Klamauk und traditioneller Detektivgeschichte, garniert all seine Mysterien mit deftigem Humor und hat nebenbei gehörigen Spaß daran, das gute alte Duo Sherlock Holmes und Dr. Watson ein wenig zu entzaubern und auf ungewohntes Terrain zu entführen. Vielleicht nicht der beste Film für Doyle-Fans, dafür umso mehr ein großer Spaß für alle, denen das Murder Mystery Genre manchmal zu schematisch und bieder ist.
Mord mit kleinen Fehlern [Joseph L. Mankiewicz]
(Großbritannien 1972)
Mord mit kleinen Fehlern unter dem Originaltitel Sleuth („Detektiv“) dehnt die Genregrenzen ganz schön aus, so dass sich durchaus die Frage ergibt, ob wir es hier überhaupt noch mit einem Murder Mystery Film zu tun haben. Fest steht, ähnlich wie seine Genrebrüder ist Sleuth ein Puzzle, ein Rätsel, das geknackt werden will. Allerdings im Gegensatz zu den klassischen Marples und Poirots kein Rätsel an dessen Beginn ein Verbrechen steht, sondern viel mehr während sich das Verbrechen entwickelt. Worin dieses genau besteht, darüber wird das Publikum lange, wirklich lange im Dunkeln gelassen. Und selbst wenn es sich dann schließlich vollzogen hat, und wir vermeintlich wissen, was vor unseren Augen geschieht, ist der Film mit seinen Überraschungen noch lange nicht am Ende. Da der Film in seiner ersten Hälfte zusätzlich komplett auf einen Ermittler verzichtet, wird ziemlich früh deutlich, dass wir hier die ermittelnden Personen sind und dass der Film ein kompliziertes Spielchen mit uns spielt: Ein Vexierspiel rund um falsche Annahmen, um Täuschungen, um Überraschungen; garniert mit einem für das Genre recht hohen Thrillfaktor aber auch viel schwarzem Humor und snobistischer Eleganz. Mord mit kleinen Fehlern ist ein Glanzstück des Krimigenres, ein herausragender Hybrid aus Heist-Film, Murder Mystery Geschichte, Thrillerkomödie und vergnüglichem Rätselraten. Wahrscheinlich der beste Murder Mystery Film des Jahrzehnts, obwohl und gerade weil er sich so abseits und zugleich parallel zu dem Genre bewegt.