Horrorfilme der 70er Jahre: Gore Gore Girls – …What the Hell, Herschell Gordon Lewis?

Das schöne an meiner Arbeit an denn 1970er Filmretrospektiven ist, dass ich einiges an Filmen nachholen kann, die ich aus welchen Gründen auch immer bis dato nicht gesehen habe. Es hat etwas zutiefst befriedigendes in das Œuvre einzelner Regisseure und Genres einzutauchen und diese einmal „durchzuspielen“. Tja, und dann stehe ich jetzt hier mit dem wohl am meisten gelobten Film von Herschell Gordon Lewis, The Gore Gore Girls (1972), und ich weiß beim besten Willen nicht, was ich dazu schreiben soll. Um ehrlich zu sein, noch bevor ich den Film gesehen habe, habe ich ihn bereits in die Liste der potentiellen Top-Kandidaten gepackt, bin fest davon ausgegangen, dass er es verdient bei den besten genannt zu werden, hat doch dort immerhin auch Lewis‘ Wizard of Gore (1970) einen festen Platz und gehört in der Tat zu meinen liebsten Splatterfilmen überhaupt. Also kann doch ein Film vom gleichen Regisseur zwei Jahre später nicht verkehrt sein… Oder? Oder? Sorry, egal was ich gerade schreiben will, mir fällt nur eine Frage ein: What the Hell? The Gore Gore Girls gehört wahrscheinlich zu jenen Filmen, die man entweder liebt oder hasst. Und ich kann nur sagen: Ich hasse ihn. So richtig, aus tiefstem Herzen. Dabei kaufe ich Herschell Gordon Lewis sogar ab, dass er sich mit dem Film einen Spaß erlauben wollte, dass er einfach mal schauen wollte, was im Splatter noch möglich ist. Aber Jesus Christ! Muss das auf diese Art geschehen? Es hilft ja alles nicht, jetzt habe ich ihn schon gesehen, diese 90 Minuten gibt mir keiner wieder, und wenn ich das schon durchgestanden habe, kann ich mir wenigstens den Frust von der Seele schreiben.

Um gleich mal mit der Geschichte loszulegen, die ist im Kontext des 70er Jahre Kinos ziemlicher Standard und auch für Herschell Gordon Lewis alles andere als ungewöhnlich. The Gore Gore Girls ist eine traditionelle Murder Mystery Geschichte, die durch Gewalt und nackte Haut „aufgewertet“ wird. Im Grunde genommen das Kochrezept eines jeden Giallo, eines jeden Slashers der damaligen Zeit: Der Privatdetektiv Abraham Gentry (Frank Kress) wird von der Journalistin Nancy Weston (Amy Farrell) angeheuert, den Mord an der Stripperin Suzie Cream Puff aufzuklären. Insgesamt 50.000 Dollar winken ihm, wenn er es schafft, den Mörder zu stellen und Westons Zeitung The Globe exklusiv über die Geschichte schreiben darf. Der Auftrag führt Gentry in den Stripclub, in dem das Opfer zuletzt arbeitete. Schon kurz nachdem seine Ermittlungen begonnen haben, kommt es zu weiteren Opfern. Immer sind es Stripperinnen, und immer werden sie von ihrem Killer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auf der Suche nach dem Mörder muss sich Gentry mit verruchten Tänzerinnen, einer zynischen Thekenhilfe, einem gedemütigten Gast, einem kauzigen Vietnamveteran und einer Gruppe lautstarker Feministinnen auseinandersetzen. Hinzu kommt seine Auftraggeberin, die Gentry immer offensiver eindeutige Avancen macht. Und währenddessen schlachtet der Killer munter weiter…

Zwei Schlüsselbegriffe sind es vermutlich, die nachvollziehbar machen, warum The Gore Gore Girls als Herschell Gordon Lewis stärkster Film und – zumindest in Splatterfankreisen – als Klassiker des Genre gilt: Gewalt und Ironie. Kommen wir zum ersten: Gewalt ist keine Unbekannte im Kino des berüchtigten Regisseurs. Alle seine Filme arbeiten damit. Herschell Gordon Lewis gilt nicht zu Unrecht als Urvater des Gore und Splatters, operierte er doch schon in den 60er Jahren mit blutigen und vor allem organhaltigen Special Effects, um maximale Shock Value zu erreichen. Gore Gore Girls geht aber – wie der Titel bereits verspricht – ein gutes Stück weiter. Eigentlich ist es Wahnsinn, wie viel sich Lewis hier herausnimmt, in einer Zeit, in der selbst die blutigsten und brutalsten Filme immer nur Ausschnitte ihrer Gewalteskapaden zeigten. In diesem hier hält die Kamera nicht nur voll drauf, sie lässt sich auch eine Menge Zeit zu zeigen, was zu zeigen ist. Und das ist in diesem Fall wirklich alles: Der Mörder schneidet wie in so vielen Slashern und Giallos der damaligen Zeit die Kehlen seiner Opfer durch, bleibt an diesem Punkt aber nicht stehen. Was folgt sind minutenlange Zerstörungen der Leichen: Gesichter werden zerdrückt und zermatscht, immer und immer wieder wird mit einem Messer auf die Körper eingestoßen, Augen werden herausgetrennt und wieder in den Schädel gedrückt, der nichts mehr mit dem menschlichen Antlitz gemein hat… Gore Gore Girls ist schlicht eine Pervertierung des Genres. In krassester Exploitationmanier weidet sich der Film an den hervorgezogenen Innereien, voyeuristisch blickt er auf die Destruktion der menschlichen Physiognomie und lässt wirklich erst ab, wenn die Opfer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt sind. Obwohl die Special Effects, die Lewis dabei einsetzt, teilweise lachhaft sind, obwohl die Zerstümmelungen in ihrer Übersteigerung – zumindest mit dem heutigen, geschulten Blick – etwas unfreiwillig Komisches, Albernes und gar Infantiles an sich haben, schockieren sie allein durch das Gefühl, dass hier maximal exploitativ draufgehalten wird, dass die Gewalt primär dem Selbstzweck dient (auch wenn die Handlung ihr später a posteriori eine Erklärung überstülpt).

Das zweite, die Ironie, ist ausgerechnet das, was Gore Gore Girls das Genick bricht. Herschell Gordon Lewis setzt hier voll auf Humor, allerdings nicht auf selbstkritischen, selbstironischen Humor, sondern auf eine altbackene Form von Lausbuben-Augenzwinkern, das nicht nur nach heutigen Maßstäben ziemlich sexistisch, misogyn und vor allem unlustig daherkommt. Abraham Gentry ist der Typ Supermacho und Alpha-Schwanzwedler, der seine Umgebung, primär die Frauen, stets im Griff hat. Und das lässt er auch permanent durchscheinen, spielt es mit viel Gehässigkeit und einer unnachahmlich unsympathischen Art aus. Der Protagonist dieses Films ist im Grunde ein Arschloch, wie es im Buche steht. Aber kein sympathischer, gerissener Antiheld, sondern einfach ein selbstverliebter, ungehobelter Unsympath, der – warum auch immer – mit seiner penetranten Art stets erfolgreich ist. Diesen Erfolg garantieren die weiblichen Charaktere der Geschichte, die aus dem Notizbuch eines Pick-Up-Artists zu stammen scheinen: Natürlich finden wir hier die attraktiven, frigiden Mauerblümchen, die von unserem Protagonisten – durch Arschlochverhalten – nur genug gereizt werden müssen, um (im wahrsten Sinne des Wortes) sämtliche Hüllen fallen zu lassen. Natürlich finden wir hier die verruchten Sexarbeiterinnen, die für Geld alles machen und sich von Gentry leicht um den Finger wickeln lassen. Natürlich haben wir hier die eifersüchtigen, bösartigen hässlichen Entlein und nicht zuletzt die nervigen, störenden Feministinnen.

Der ganze Humor von Gore Gore Girls ist maximal auf Machoismus, den Male Gaze und die Altherrenfantasien des Schöpfers ausgelegt. Ich bin im Grunde genommen ein totaler Fan des 70er Jahre Exploitations, auch wenn ich dessen sexistisches Moment wahrnehme. Spaß machen können sie trotzdem, unterhalten, ja sogar fesseln, und der der Zeit und dem Genre immanente Sexismus gerät dabei auch gerne zur Nebensache. In Gore Gore Girls sind es allerdings gerade nicht die klassischen Exploitationmomente, die ihn sexistisch machen. Auch hier gibt es ne Menge nackter Haut, eine süffisante Verbindung von Erotik, Sex und Gewalt… das sei ihm an dieser Stelle alles geschenkt. Was nervt, ist diese haarsträubende Geschichte, diese Blaupause der Fantasie eines kleinen Jungen. Alles ist darauf ausgelegt, den Protagonisten überlegen darzustellen. Alles ist darauf ausgelegt, die weiblichen Charaktere klein und manipulierbar zu machen. Dabei ist die ganze Geschichte unfassbar repetitiv und dreht sich bis zu der Aufklärung des Falles in ihrem bizarren Kreis: Brutaler, in die Länge gezogener Mord inklusive Verstümmelung, Nachforschung, Zeugenbefragung inklusive Chauvinismus, Striptease, in die Länge gezogener Mord inklusive Verstümmelung… wieder und wieder. Und täglich grüßt der Exploitationblödsinn.

Und damit kommen wir zum großen – vielleicht eher kleinen – „Aber“. Gore Gore Girls gehört doch irgendwie zu den 70er Jahre Exploitationstreifen, die man gesehen haben sollte. Wirklich. Wirklich? Naja, er ist in seiner verdorbenen, ungehobelten Art so ein bisschen die Quintessenz des Genres. In keinem anderen Film findet man derart konzentriert die Schwächen des Giallo-, Slasher- und Splattergenres. Und dann entwickelt sich auch ganz allmählich neben der versuchten und misslungenen Komik eine Form von unfreiwilligem Humor und Unterhaltungswert. Gore Gore Girls ist ein schlechter Film, der aber auf eine abstruse Art und Weise doch Spaß macht. Es ist die Freude am Trash, am Scheitern eines Lausbubenstreiches, die den Film am Laufen hält. Die meiste Zeit über fühlt er sich an wie der Lazy Prank eines Regisseurs, der seine besten Zeiten, die auch nicht besonders glorreich waren, lange hinter sich hat. Er fühlt sich an wie ein Werk, das sich seiner Fanbase derart sicher ist, dass es sich einfach alles erlaubt, was geht. Und dabei ist er ebenso böse wie naiv infantil unschuldig. So als würde man eine Kinderliedmelodie auf Death Metal spielen. Gore Gore Girls ist doof. Aber diese Doofheit rettet ihm den Arsch. Und irgendwie tut es auch ganz gut zu sehen, wie ein Regisseur vollkommen frei von Erwartungen einfach den Bockmist dreht, auf den er Lust hat. What the Hell Herschell Gordon Lewis? habe ich im Titel dieses Textes gefragt. Nachdem ich nochmal drüber nachgedacht habe, komme ich zu einem etwas wohlwollenderen Fazit: Whatever, Herschell Gordon Lewis…

 

Über Herschell Gordon Lewis und den Film „Wizard of Gore“ reden wir ausführlich im Podcast.

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