First Love (2019) von Takashi Miike – Zwischen Yakuzathriller und tarantinoesker Actionkomödie

Die Filme von Takashi Miike sind immer ein Hit or Miss. Und das wird wohl auf immer so bleiben. Gut hundert Filme umfasst mittlerweile die Vita des anscheinend nie müde werdenden japanischen Regisseurs. Die meisten davon sind so spitz auf ein (asiatisches) Nischenpublikum zugeschnitten, dass sie in der westlichen Hemisphäre kaum wahrgenommen wurden und werden. Und obwohl Miike immer wieder zu seinen Liebelingsgenres, dem Samuraifilm und dem Yakuzathriller, zurückkehrt, so wildert er doch daneben in allen Genres, die ihm vor die Füße fallen: Horror, Fantasy, Musical, Experimentalfilm, Superheldenkomödie, Splatter… es scheint nichts zu geben, was vor den Händen des ebenso talentierten wie speziellen Regisseurs sicher ist. Umso erfreulicher, wenn dann doch hin und wieder ein Film von ihm das Licht der Welt erblickt, der auch unseren Sehgewohnheiten entgegenkommt und mehr traditioneller Filmkunst denn experimentellem Wahn entspricht. So ist es nun auch in seinem jüngsten Werk dem Yakuzathriller First Love (2019) der Fall. Aber gewöhnlich bedeutet in Miikes Œuvre immer noch alles andere als gewöhnlich. So lässt sich First Love zwar angenehm schauen und ist nicht all over the place, man sollte sich aber dennoch auf deutlich mehr als gewöhnliche Actionthriller-Kost einstellen.

First Love folgt mehreren Menschen, deren Wege sich im nächtlichen Tokio auf schicksalshafte Weise kreuzen. Der junge Boxer Leo (Masataka Kubota), der nie gelernt hat seine sportlichen Erfolge auszukosten, wird nach einem verlorenen Kampf damit konfrontiert, dass sich ein Tumor in seinem Gehirn ausbreitet und er womöglich nicht mehr lange zu leben hat. Der Yakuzagangster Kase (Shota Sometani) plant zusammen mit dem korrupten Polizisten Ōtomo (Nao Omori) einen Heist, bei dem sie eine große Drogenlieferung des Yakuza-Zuhälters Yasu stehlen wollen. Den Verdacht wollen sie dabei auf die Prostituierte Monica (Sakurako Konishi) lenken: Diese arbeitet für Yasu und scheint als Heroinabhängige mit regelmäßigen Halluzinationen die perfekt Verdächtige für einen Heroindiebstahl zu sein. Ōtomo soll als vermeintlicher Kunde die junge Prostituierte ablenken, während Kase die Drogen stiehlt. Als Ōtomo mit Monica auf der Straße unterwegs ist, hat diese jedoch plötzlich Halluzinationen von ihrem Vater, bekommt eine Panikakttacke und flieht. Dabei läuft sie Leo in die Arme, der er es sich zur Aufgabe macht, der hilflosen und verwirrten Frau zu helfen. Er ahnt nicht, dass nicht nur Kase und Ōtomo hinter ihr her sind sondern auch die halbe Unterwelt Tokios: Yasus Freundin, das alte Yakuza-Urgestein Gondō und mehrere Killer der chinesischen Triade. Alle interessiert an den Drogen und alle in dem Irrglauben, diese bei Monica zu finden.

Und dann fährt First Love alles auf, was man aus diesem Setup rausholen kann. Wie es bei Miike so oft der Fall ist, begnügt sich dieser Yakuzathriller nicht damit, eine klassische Thrillerhandlung zu erzählen, sondern springt stattdessen viel mehr zwischen Genres und Aggregatszuständen. Mal ist er laut, wüst, gewalttätig, mal ist er ganz ruhig, zart, geradezu sensibel. Mal ist er trocken, kalt und realistisch, mal ist er grotesk, komisch und comichaft überzeichnet. Es braucht schon eine besondere Herangehensweise an das Sujet, um bei dem Ritt mit zahllosen Charakteren durch zahllose filmische Facetten nicht den Überblick zu verlieren. Miike macht das in diesem Fall ganz hervorragend. Er lässt sich viel Zeit, seinen einzelnen Charakteren Leben einzuhauchen. Im Mittelpunkt stehen selbstverständlich Leo und Monica, und deren Gefühlswelt wird auch für einen Thriller dieser Art erstaunlich viel Aufmerksamkeit gewidmet: Leo ist nicht einfach nur die Blaupause des Antihelden, sondern ein ambivalenter Charakter, der in einer tiefen Lebens- und Sinnkrise steckt. Hervorragend gespielt von Masataka Kubota pendelt er stets zwischen Nihilismus, elegantem Slackertum und schierer Überforderung angesichts seiner Konfrontation mit der kriminellen Unterwelt. Aber er wächst auch an seiner neu gefundenen Aufgabe, er wächst an seiner Fürsorglichkeit für Monica und findet in dieser neuen Lebensmut. Auch die von Sakurako Konishi gespielte Prostituierte verfällt nie in simple Stereotype: Ihre Drogenabhängigkeit wird ebenso thematisiert wie ihre traumatische Kindheit. Trotz aller Verzweiflung, die ihr innewohnt, hat sie sich ein großes Stück Hoffnung bewahrt, das sie durch die Nacht und durch den Film trägt. Wenn First Love in ruhigen, beinahe meditativen Minuten all seine Aufmerksamkeit auf dieses Paar lenkt, wird er fast zu einem emotionalen, sensiblen Psychodrama, jedoch ohne den Rest der Handlung aus den Augen zu verlieren.

Diese ist eine wirklich wahnwitzige Achterbahnfahrt durch die Welt des kriminellen Tokios. Jäger und Gejagte scheinen permanent ihre Rollen zu wechseln. Wer eben noch als kaltherziger Killer rüberkam, wird im nächsten Moment schon zum hilflosen Opfer, dem der Film alle Sympathie schenkt. Ein unbarmherziges Monster entpuppt sich in der nächsten Szene als bemitleidenswerter Clown, ein eleganter Killer verliert abrupt komplett die Fassung und wird zum brutalen Berserker. Neben einer Menge Tempo und Action hat First Love hier vor allem bizarren Humor für sich gepachtet. So brutal und spannend die Handlung oft ist, sie verliert nie den Blick für den alltäglichen Wahnsinn, für das grotesk Komische, dass sich hinter der düsteren Fassade der Yakuza verbirgt. Miike gestaltet seine Figuren nicht zuletzt auch so glaubwürdig, weil er keine Angst vor Albernheiten hat. Auch Yakuza sind eben letzten Endes vor allem Menschen. Und wie allen anderen Menschen geschehen ihnen skurrile Missgeschicke, Peinlichkeiten und Unfälle. Diese tragen einen großen Teil zum Unterhaltungsfaktor dieses für Miike-Verhältnisse angenehm zu konsumierenden Films bei: Die Gewalt wird nie so grafisch explizit, nie so unerträglich wie in seinen früheren Werken wie zum Beispiel Ichi the Killer (2001). Die kafkaesken Horrormomente werden nie zur Geduldsprobe für die Nerven, Gore und Splatter verlieren sich nie im Selbstzweck, stattdessen fädelt sich alles sehr natürlich in die Handlung ein. Diesbezüglich ist First Love auch deutlich polierter, sauberer als andere Yakuzathriller Miikes. Die Bilder sind zwar nicht auf Hochglanz getrimmt, aber spürbar erlesen ausgewählt, die Kamera verliert nie den Überblick, die Schnitte sind nie zu ruppig, alles befindet sich in einem mitreißenden Fluss, der sichtlich darum bemüht ist, dem Publikum den Weg durch die wilde Handlung zu weisen.

Aber auch wenn weniger chaotisch, weniger konfus, weniger rau, so ist First Love dennoch ein eindeutiger Miike-Film mit Miikes Handschrift. Und das bedeutet, es kann auch mal unerwartet brutal werden, es kann auch mal eine merkwürdige, vielleicht sogar abstoßende Mischung aus Gewalt und Slapstick geben, es kann auch mal vorkommen, dass man sich als Zuschauer unsicher ist, ob diese Art von Humor Absicht ist, oder ob eine Unfreiwillige Komik durchschlägt. Was das angeht, ist First Love eine typische Miike Achterbahnfahrt: Wild, unbarmherzig, ohne Rücksicht auf Genregrenzen und narrative Kohärenz: Wir springen von Thriller zu Groteske, von Mysterydrama zu Actioneer, von emotionalem Erzählkino zu buntem, überzeichneten Comictrip. Und das ist wie immer nicht für jeden so leicht hinnehmbar, das kann abschreckend wirken, vielleicht sogar abstoßend… Wenn man aber bereit ist, sich darauf einzulassen, macht es einfach mal verflucht viel Spaß. Dank der Zurücknahme von Gewalt und Bizarrem hier vielleicht sogar noch mehr als in jedem anderen Miike-Film. Auch wenn es sich um einen grotesken Yakuzathriller handelt, so ist First Love dennoch auch stark geprägt vom komödiantischen Actionthrillerkino westlicher Bauart: Quentin Tarantino, Guy Ritchie oder Martin McDonagh blitzen immer wieder durch die bunten, lauten und hysterischen Bilder. First Love ist deutlich mehr Comic als Gewaltepos, mehr Augenzwinkern als nihilistische Verzweiflung. Vielleicht sogar der unterhaltsamste, gefälligste Film Takashi Miikes und definitiv ein 2019er Film, den man nicht verpasst haben sollte.

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