Die besten Filme 2017: Dave Made a Maze (Splatter/Horror/Fantasy/Comedy-Hybrid)

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir Gedanken über die Folgen des Videothekensterbens für die „Direct to DVD“ oder „Best Performance on DVD“- oder noch allgemeiner Indie-Filmkategorie mache. Und es wird mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein. Ich glaube auch nach wie vor, dass die langfristigen Folgen dieses Prozesses noch nicht vollkommen zu überblicken sind, und dass ebenso noch nicht ausgemacht ist, ob es sich um positive oder negative Folgen (oder von beidem ein bisschen was) für diese Nische der Filmwelt handelt. Streaming ist die neue Realität, mit der sich alle „Direct to DVD“-Produzenten und darüber hinaus alle Filmproduzenten überhaupt auseinandersetzen müssen. Insbesondere, weil durch den Wegfall der Videotheken nicht einfach ein Verbreitungskanal wegfällt, sondern vor allem einer, der ganz bestimmten Gesetzen zu gehorchen schien, von denen viele Filme profitieren konnten. Manche, zum Beispiel die deren Hauptvermarktungsstrategie der „Fehlgriff“ im Videothekenregal zu sein schien (* Hust Asylum), etwas mehr, andere etwas weniger. Leid tun kann es einem vor allem um jene engagierten unabhängigen Werke, die – selbst wenn sie einen Kinorelease hatten – schon immer davon lebten, im Videothekenregal (wieder-)entdeckt zu werden und dort durch Mund-zu-Mund-Propaganda von der unbekannten Indie-Perle zum Kultfilm aufzusteigen: Filme wie Evil Dead oder Donnie Darko (wahrscheinlich einer der letzten dieser Art), die offene Videothekenbesucher brauchen, die auch mal neben die üblichen Verdächtigen greifen. Und genau ein solcher Film, dem ein Videothekenrelease mit Sicherheit extrem gut getan hätte, der nun aber in einer Streamingwelt um die Aufmerksamkeit des Publikums kämpfen muss, ist Dave made a maze (2017), der gut zwei Jahre brauchte, um überhaupt in Deutschland anzukommen.

Das waren jetzt viel einleitende Worte für einen Film, der eigentlich gar nicht viele Worte braucht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Der kleine wie feine Horror/Comedy/Fantasy-Hybrid kommt nämlich erst mal als astreiner Konzeptfilm daher: Was, wenn ein im heimischen Wohnzimmer gebautes Papplabyrinth von innen viel größer ist, als es von außen aussieht und zahllose Menschen darin verloren gehen? Bämmm! Viel mehr braucht man nicht zu wissen, um neugierig auf das Konzept und dessen Umsetzung zu sein. Der Labyrintherbauer ist in diesem Fall Dave (Nick Thune). Dessen Freundin Annie (Meera Rohit Kumbhani) kommt nach einer längeren Reise nach Hause, um erschrocken festzustellen, dass es in der Wohnung wie im Schweinestall aussieht und in der Mitte des Wohnzimmers eine gigantische Pappapparatur steht. Daves Stimme ist daraus wie aus weiter Ferne zu hören. Und auch wenn seine Beteuerungen, den Weg nicht mehr rauszufinden, absurd klingen, beschließt sich Annie schließlich – unterstützt von mehreren Freunden und einigen Schaulustigen (inklusive Kamerateam) – den Weg hinein anzutreten. Daves Labyrinth ist natürlich mit all seinen Sackgassen, all seinen Irrwegen, all seinen Unvollkommenheiten und seiner pittoreksen, handgemachten Sinnlosigkeit das typische Werk eines Millennials. Wären Generationen Symphonien, wären wir höchstwahrscheinlich die Unvollendete. Seitdem die Millennials begonnen haben produktiv zu sein, seitdem haben sie Dinge nicht zu Ende gebracht. Wir hangeln uns von Projekt zu Projekt, von Idee zu Idee, von Experiment zu Experiment. Gerne überambitioniert, auch mal mit dem Wunsch was wirklich großes, vollkommenes, etwas Welterklärendes zu schaffen, manchmal aber auch bewusst offen haltend, nicht zu Ende denkend, eben weil der Prozess das Ziel ist: Zahllose halb bespielte, irgendwann leergelassene Youtube-Kanäle, zahllose grandiose erste Serienstaffeln ohne Fortsetzung, zahllose seit 2015 brach liegende Blogs zeugen davon. Das Labyrinth, das Dave geschaffen hat, erfüllt keinen anderen Zweck, außer da zu sein. Vielleicht hat Dave gehofft, irgendwann einen Sinn darin zu finden, vielleicht dachte er, der Zweck würde ihm auf dem Weg schon noch einfallen, vielleicht wollte er es aber auch genau so von Anfang an; und jede Vervollkommenung würde den Sinn des Labyrinths zerstören.

Und seine Freundinnen und Freunde müssen sich nun in dieser Monstrosität bewegen, irgendwann selbstverständlich auch ums Überleben kämpfen. Sie sind das virtuelle, auf den kleinsten Kreis zusammenschrumpfende Publikum, das ebenso wie der Schöpfer darum bemüht ist, sich in der Schöpfung zurecht zu finden. Und in dieser lauern auch Gefahren. Ein Minotaurus treibt an dem unheimlichen Ort sein Unwesen (Was sonst, immerhin ist es ein fucking Labyrinth). Es gibt gefährliche und auch tödliche Fallen und es wird den ein oder anderen Besucher im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf kosten. Während Dave made a maze in seinem Prolog noch wie eine symbolische Bizarro Commedy daherkommt, wandelt er sich mit dem Betreten des Labyrinths zum schnieken Fantasy/Splatter/Horror-Trip. Wobei diese Bezeichnung irreführend ist. Gesplattert wird hier nämlich gar nichts: Keine Blutfontänen, keine Hautfetzen, keine gefledderten Organe. Mit dem Betreten des Labyrinths werden die Besucherinnen selbst Teil der Schöpfung. Diesen Gedanken setzt Regisseur Bill Watterson kongenial in Szene: Wo andere Horrorfilme nun ordentlich die klassische Visualität des blutigen Horrorgenres bedienen würden, greift Dave made a maze gekonnt in die Pappmaché-Trickkiste. Körper werden in Pappstreifen geschnitten, werden im wahrsten Sinne des Wortes wie Papier zerfetzt und lösen sich im bunten Konfettiregen auf. Der wunderbare handmade-Charme der Pappsets wird auch auf die handgemachten Splattereffekte übertragen: Papier und Pappe sind ihre Werkzeuge und dadurch erreichen sie eine unheimlich befriedigende Ästhetik, die so im Horrorfilm noch nicht zu sehen war.

Genau jener Handmade-Charme ist es auch, der Dave made a maze eine schlitzohrige zweite Ebene gibt. Denn auch wenn das Labyrinth die Schöpfung eines Millennials zu sein scheint, sein Schöpfer ist es nicht gerade. Mit seiner Verwahrlosung, seiner Lazyness, seiner „Ich mach ja schon“-Attitüde wirkt Dave mehr als einmal aus dem Konzept und der Zeit gefallen, ja ist mit seiner Haltung fast schon ein Musterbeispiel des der Generation X zugehörigen 90er Jahre Slackers. Und dessen Attribute kehrt der Film auch immer wieder nach vorne. Neben seinem Spott über überambitionierte, unvollendete Millennial-Projekte taucht Dave made a maze tief ein in eine Zeit, als die Dotcom-Blase noch ein gutes Stück entfernt war. An Daves Labyrinth gibt es nichts Digitales, nichts Virtuelles, und trotz seiner Detailverliebtheit ist das Labyrinth eben doch vor allem traditionelle Handwerkskunst aus Papier und Pappe; oft minimalistisch, roh und simpel. Gleichzeitig werden auch die Opfer des Labyrinthes aus ihrer 2010er Komfortzone gerissen, müssen sich zu Fuß, nur mit Cuttermessern aus dem gigantomanischen Bauwerk ihres Freundes befreien. Daves Labyrinth ist auch ein nostalgischer Flashback in die 90er Jahre, in die Slacker-Ära, als unsere Probleme noch simpel waren, wir deutlich weniger Komfort als heute besaßen, zugleich aber auch deutlich weniger Komfort benötigten. Und um damit dem Bogen zum Intro zu spannen: Ja, das ist ein Film, wie geschaffen für die Videothek der späten 90er Jahre, etwas unauffällig irgendwo zwischen From Dusk Till Dawn, Bill & Ted und Armee der Finsternis eingeordnet, vielleicht auch von einem enthusiastischen Nerd dahingestellt, um von neugierigen Filmfans entdeckt zu werden (etwas, was ein Netflix- oder Amazonalgorithmus wohl nie zu leisten vermag).

Dave made a maze ist tief in seinem Herzen ein Indie-Horrorfilm der alten 90er Schule: Mit allen Trademarks, die dazu gehören: Ein kreatives Konzept, geringes Budget, durchschnittliche Schauspielleistung, liebevoll handgemachte Sets, großartiger Horrorcharme mit ungewöhnlichen Splattereinlagen und einem knalligen, lauten, alles andere als subtilen Symbolismus. Das funktioniert alles in allem verdammt gut, macht verflucht viel Spaß und wird leider Gottes wohl in der Streaming-Scrollleiste deutlich schlechtere Karten haben als im durchstöberten Videothekenregal. Aber heh, wenn Ihr schon bis hier gelesen habt, ist das die beste Möglichkeit, seine Chancen zu verbessern: Egal ob durch Selbstsehen oder die gute alte Mund zu Mund Propaganda. Verdient hat er es allemal.

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