Why 4 Blocks sucks… a little bit

Es ist mal wieder Zeit, eine – in diesem Fall von den Deutschen – heiß geliebte Serie ein wenig zu zerreißen. 4 Blocks (seit 2017), mittlerweile drei Staffeln mächtig, ist seit seiner ersten Staffel 2017 die große Serienhoffnung der deutschen TV-Landschaft. Staffel drei des von TNT Serie produzierten Clan-Thrillerdramas befindet sich derzeit noch hinter Bezahlschranken und nach der doch etwas dahingeschludert wirkenden zweiten Staffel ist meine Motivation Geld in weitere Folgen zu investieren eher gering ausgeprägt. Tatsächlich hat ja die zweite Staffel ganz generell bei Kritik und Publikum bei weitem nicht den den Anklang gefunden wie Staffel Nummer eins, der eine Zeit lang nachgesagt wurde, das beste zu sein, was die deutsche TV-Landschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Aber auch Staffel 1 ist alles andere als flawless, und bei all der Begeisterung scheint mir die Kritik doch einige ihrer Schwächen übersehen – oder wohlmeinend ignoriert – zu haben. Auch wenn ich sehe, wo die Liebhaber der deutschen Sopranos herkommen, meiner Meinung nach war die ganze Produktion von Anfang an overhyped. Vielleicht lag es daran, dass das Feuilleton glücklich darüber war, mal andere Crime Serienkost als den überspielten Tatort zu sehen zu bekommen, vielleicht lag es daran, dass das Thema Clankriminalität für viele Deutsche der Inbegriff von unterhaltsamem Thrillerporno darstellt, vielleicht lag es auch daran, dass endlich mal wieder eher das Tätermilieu denn das Ermittlermilieu im Fokus einer Produktion stand… egal, dieser Serie wurde auf jeden Fall viel zu viel unkritische Liebe geschenkt. Und der muss hier was entgegengestellt werden. Aber ich bleibe den Konzept meiner Reihe treu: 4 Blocks rockt auch irgendwie, hat viel Gutes zu bieten und hat mich prächtig unterhalten. Warum es trotzdem – auch jenseits von Nitpicking – an dieser Serie ne Menge auszusetzen gibt, folgt jetzt.

Der halbseidene Realismus

4 Blocks beansprucht für sich brutalen Realismus, wenn es um die Darstellung krimineller Milieus geht. Aber wird dieses Vorhaben tatsächlich konsequent umgesetzt? Zugegeben, 4 Blocks gibt sich alle Mühe: Das Setting, zwischen Sonnenallee, Görlitzer Park und einigen abgelegeneren Ecken Berlins oszillierend versprüht einen naturalistischen Großstadt-Anticharme. Die Charaktere, die das kriminelle Berlin von 4 Blocks bevölkern, sind divers: Es gibt eben nicht nur verflucht mächtige Paten und verflucht gefährliche Killer, sondern die gesamte Bandbreite an Milieufiguren: Viele kleine Fische, viele Möchtegerngroße, viele Scheiternde und Gescheiterte. Aber das ist der Punkt, an dem der Realismus von 4 Blocks leider zu schnell endet. Die Atmosphäre hat an diesem Scheitern noch den geringsten Anteil, aber selbst sie ist schon problembehaftet. Denn in der Welt der Hamadys ist alles dem Verbrechen verpflichtet. Die eigene Kriminalität, die Kriminalität des Milieus und die Geschehnisse in diesem kriminellen Kosmos sind Dauerthema. Es gibt keine ruhige Minute, keine Verschnaufpause, keinen Moment, in dem etwas anderes eine Rolle spielt. Dadurch werden die mehrschichtig angelegten Charaktere eben doch ziemlich eindimensional. Der Facettenreichtum des Menschen wird sabotiert von dem Versuch so viel kriminelle Energie wie möglich darzustellen. „Gangster“ sind eben nicht nur Gangster, sondern auch real people: Mit anderen Sorgen, mit anderen Nöten und manchmal auch in komplett anderen Situationen. Das Traurige daran, 4 Blocks legt sich alles selbst aus, um genau das zu erzählen, scheitert aber dann an seinem eigenen Sensationalismus…

Der vielversprechende Start mit dem enttäuschenden Ergebnis

…Und daran hat, wie bereits gesagt, die unrealistische Atmosphäre, der Overkill an kriminellem Setting noch den geringsten Anteil. Es ist die Story, unter deren last 4 Blocks zusammenbricht. Ist der Beginn der Erzählung noch relativ vielversprechend, angenehm geerdete Soprano-Vibes versprühend, begeht 4 Blocks einen Kardinalfehler mit der Fokusverschiebung auf eine klassische, allzu klassische, ärgerlich klassische Verdeckter-Ermittler-Story. Die ist wirklich das Letzte, was die Disposition dieser Serie gebrauchen kann. Der Umsetzung sollte es doch eigentlich darum gehen, in ein Milieu einzutauchen, das Milieu von außen zu verstehen, und eben nicht verdammt nochmal, dieses durch den Filter polizeilicher Ermittlungsarbeiten zu präsentieren. Ja, der Verbrecher, der Clanchef Ali „Toni“ Hamady steht im Mittelpunkt der Handlung, aber bereits die erste Staffel entzieht sich fortwährend diesem Mittelpunkt, in dem sie begeistert seinen rechtschaffenen Gegnern über die Schulter schaut. Es gab anscheinend einst den Plan, den eingeschmuggelten Ermittler Vince in den Fokus der Geschichte zu rücken. Auch wenn davon Gott sei Dank Abstand genommen wurde, sind die Spuren dieser Idee doch noch viel zu stark im Script zu spüren. Und so zieht alles in eine Richtung, die der verlockenden Prämisse überhaupt nicht gerecht wird.

Zu viele Klischees über Minderheiten

Problem Nummer eins: Wir betrachten das hier gezeigte Milieu eben doch durch die Linse des ehrlichen (aber ruppigen) biodeutschen Antihelden. So großartig Frederick Lau hier (wie eigentlich immer) agiert, er ist und bleibt doch eine Art Ethnologe, der uns unbedarften kartoffeligen Zuschauern verständlich machen soll, was in der rauen Verbrecherwelt vor sich geht. Er soll uns Halt geben, quasi eine Art kulturelle Brücke bauen vom Tatort-Tschiller zum libanesischen Drogenbaron. Und es ist nicht einmal allein die Brille der zweiten Hauptfigur, die einen fragwürdigen Interpretationsraum öffnet, sondern die Brille der gesamten Produktion. Natürlich sehen wir hier ein Milieu, das tatsächlich existiert, jedoch nicht in dieser kompakten, von Klischees triefenden Form. In 4 Blocks kommen mitunter auf ärgerliche Weise all die plumpen Stereotypien zusammen, die sich der gute Bürger schon lange ausgemalt hat. Dabei muss man mit Sicherheit nicht so weit gehen, an dieser Stelle von Rassismus zu sprechen, aber es ist doch schon auffällig, wie komprimiert hier Vorurteile über Migranten, Flüchtlinge, libanesische Großfamilien und Muslime zu finden sind. Und eben auch ohne richtige Abfederung: Im Neuköllnschen Milieu von 4 Blocks gibt es keine bürgerlichen Existenzen, niemanden, der sich komplett an Recht und Gesetz hält, niemanden, der mit Topoi des Milieus bricht.

Zu viel Krimi zu wenig Drama

„Natürlich!“, sagt jetzt der erboste Fan. Immerhin ist das kein Ensembledrama, sondern eine Krimiserie. Und genau das ist der Knackpunkt. 4 Blocks ist viel viel viel viel zu viel Krimi, viel zu wenig Drama. Mal ehrlich, haben wir nicht genug Crime und Thrill im deutschen Fernsehen? Gibt es zwischen all den Tatorts, Berlinhunden und Rosenheimcops nicht genug Ermittelnde und Ermittelte, genug Dealer, Cops, Zuhälter und Mörder? War 4 Blocks nicht angetreten, um mal etwas neues mit dem Genre zu machen? Wenn schon nicht bei den Figuren, dann doch wenigstens bei der Story. Aber Pustekuchen. Nicht nur, dass sich bei den Charakteren die Krimiklischees aufeinander türmen, auch in der Story wird nichts ausgelassen, was man nicht schon irgendwann, irgendwo im Sex & Crime Genre gesehen hätte. Und dabei wird das menschliche Drama sträflich vernachlässigt. 4 Blocks ist eben doch zu viel Tatort und zu wenig Sopranos. Zu viel Thriller und zu wenig Charakterstück. Zu viel Krimi und zu wenig Drama.

5. Die zweite Staffel

Und dann kommt es wirklich ungelegen, wenn es in der „Fortsetzung“ einen so deutlichen Qualitätsabfall gibt. All die zuvor genannten Suck-Momente kommen in Staffel 2 noch einmal doppelt so stark, doppelt so häufig vor. Und ohne Frederick Lau, mit einer deutlich eindimensionaleren Charakterzeichnung und einer wirklich lahmen Geschichte ist der zweite Anlauf von 4 Blocks durch und durch misslungen. So ist das folgende „rockt dennoch“-Urteil mit einer klaren Einschränkung zu lesen. Die zweite Staffel rockt nicht; wirklich nicht; nicht im geringsten.

Warum 4 Blocks dennoch rockt… zumindest ein bisschen

Das Schauspiel

Fuck yeah! Wenn ich schon beim Lästern so groß aufgefahren habe, muss ich dies wohl auch beim Verteidigen tun: 4 Blocks bietet wohl mit die beste Schauspielleistung, die je im deutschen Fernsehen zu sehen war. Ganz vorne natürlich Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan, der seinem Toni eine unfassbare Präsenz und Ausstrahlung gibt. In seinem Spiel vereinen sich Macht- und Kontrollwille mit persönlicher Traurigkeit und dem permanenten Versuch, den eigenen moralischen Kompass zu rechtfertigen. Aber auch Frederick Lau spielt wie immer hervorragend, die beiden mächtigen Frauen des Hamady-Clans werden überzeugend von Maryam Zaree und Almila Bagriacik verkörpert; und selbst die beiden Rapper Veysel Gelin und Wasim Taha aka Massiv spielen deutlich stärker als man ihnen zutrauen würde. 4 Blocks ist so etwas wie der letzte Beweis, dass es auch in der deutschen TV- und Filmproduktion noch wirklich herausragendes Schauspiel geben kann; und das nicht nur als individuelle Einzelleistung, sondern getragen vom gesamten Ensemble.

Die Empathie

Dadurch werden sogar die drehbuchbedingten Klischees abgefedert oder gar komplett nivelliert. Nicht nur aber auch Dank seines exzellenten Schauspiels kann 4 Blocks mit etwas auftrumpfen, was vielen Thrillerdrama-Serien abgeht. Ehrlicher und wahrhaftiger Empathie. 4 Blocks gelingt es, jedem Charakter eine nachvollziehbare Motivation und ein authentisches Gefühlsleben mit auf den Weg zu geben. Und dort, wo das Script ins Stolpern kommt, helfen Schauspiel und Inszenierung nach. 4 Blocks ist äußerst erfolgreich darin, Verständnis, Mitgefühl und gar Mitleid mit Kriminellen zu erwecken. Und das betrifft nicht nur Sympathieträger wie Toni. Selbst so kaputte und brutale Figuren wie Tonis Bruder Abbas werden nicht nur dramaturgisch sondern auch emotional plausibel dargestellt, so weit bis man als Zuschauer glaubt zu verstehen, warum sie sind, wie sie sind.

Die Rohheit

Dieses emotionale Moment wiederum erhält in der Inszenierung den perfekten Reibungspunkt. 4 Blocks ist mitunter hard as fuck: Die Sprache, die Gewaltinszenierung, mitunter auch einfach nur Kameraführung und Schnitt. 4 Blocks ist eine physische Herausforderung für alle Beteiligten. Dass es in der Welt der Clans und kriminellen Machenschaften, der Drogendeals und Gangrivalitäten nicht zimperlich zugeht, ist klar. Überraschend ist jedoch, wie brutal und rücksichtslos auf so manche Fernsehkonventionen 4 Blocks die Zeichnung dieser Umstände gelingt: Dabei sind auch andere deutsche TV-Produktionen nicht zimperlich, wenn es um Gewaltdarstellung geht. Und realistisch oder gar naturalistisch können TV-Serien Made in Germany auch sein. Was 4 Blocks von seinen Geschwistern abhebt, ist seine radikale „Auf die Fresse“- Mentalität. In der Welt der Hamadys geschieht Gewalt plötzlich und unerwartet. Und ebenso schnell wie sie begonnen hat, ist sie auch schon wieder vorbei. Aber sie hinterlässt Spuren, ist eben nicht nur für den Effekt, für den Augenblick da, sondern wirkt darüber hinaus. Es ist nicht so, dass hier mehr Blut vergossen wird als bei den Genrekollegen, eher im Gegenteil. Und auch der Bodycount ist überschaubar. Aber wenn Blut vergossen wird, wenn Fäuste, Messer und Schusswaffen sprechen, dann tun sie das eindringlich, sowohl auf als auch außerhalb der Leinwand: Realistisch, direkt und verflucht roh und brutal.

Die Epicness

Womit wir beim letzten Punkt wären: 4 Blocks ist nicht nur eine physische Herausforderung für alle Beteiligten sondern ebenso ein physisches Erlebnis… insbesondere für das Publikum. Wenn Arno Holz naturalistische Kunst als „Natur – X“ definierte (und davon ausging, dass das X gegen 0 gehen sollte), dann gehört 4 Blocks – trotz realistischem Boden – in die Kategorie „Kunst = Natur + X“, und das X gehört in dem Fall groß geschrieben. Es kennzeichnet den Takt der Einschläge, deren Stärke und deren Breite. 4 Blocks lebt geradezu von ihnen, ergänzt und verstärkt seinen Realismus immer im richtigen Moment um verdammt laute, ballernde X, gerne auch in exponentieller Steigerung. Angetrieben von düsteren Beats, hartem Gangsterrap und hektischen urbanen Bilderwelten hetzt die Geschichte nach vorne, getrieben von kleinen und großen Katastrophen, die peu à peu in einer Tragödie von monumentalen Ausmaßen kulminieren: Das ist eben so Straße wie Shakespeare, ebenso dionysischer Chor wie Gosse, ebenso Dantes Inferno wie Berliner Kiez. 4 Blocks ist in der Tat episch, Natur + X voll auf die Fresse, und damit ausgesprochen unterhaltsam, inklusive aller ausgebreiteten Klischees, aller Verkürzungen und bekannten Tropes.

Und das rockt eben einfach. Wahrscheinlich (und auch ein wenig leider) für genau das kartoffelige Publikum, zu dem ich mich auch zähle. Für all die, die in den sicheren vier Wänden ihrer bürgerlichen Existenz ein wenig brutalen Eskapismus mit (scheinbarer) Street Credibility genießen wollen, für die Kunststudenten, die auch Haftbefehl abfeiern und sich Gedanken um die Schnittpunkte von Gangster Rap und wagnerianischer Oper machen. Das ist alles in allem genug für eine herausragende erste Staffel, kann die misslungene zweite Staffel nicht ganz retten und macht dennoch neugierig auf weitere Eskapaden. Eine authentische Serie mit einem authentischen Blick auf das hier dargestellte Milieu lässt indes weiter auf sich warten; und wohl auch eine Serie, deren Zielpublikum in genau jenem Milieu beheimatet ist oder zumindest Schnittpunkte zu diesem hat. Trotzdem waren wir Wohlbehütete der dargestellten Welt zumindest im TV-Format nie näher.

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