Breaking Bad S05e15: Granite State – The End is pending

Wenn es etwas gibt, was Breaking Bad spätestens seit Staffel 2 praktisch bis zur Perfektion beherrscht, dann ist es das Pacing; nicht nur der einzelnen Episoden sondern auch über ganze Staffeln und sogar den gesamten Serienverlauf hinweg. Es ist immer wieder erstaunlich wie gekonnt Gilligans Team mit der Dynamik seiner eigenen Dramaturgie spielt: Stop an go, Geschwindigkeitsrausch, ein komplettes sich Fallen Lassen in den narrativen Fluss… und dann wiederum eine radikale Entschleunigung, die nicht nur dazu dient, den Zuschauer durchatmen zu lassen, sondern auch gleich einen großen Reflexionsspielraum für das vorherige Geschehen eröffnet. Entschleunigung ist dann auch das Label, mit dem man am besten die 15. Episode der 5. Staffel beschreiben kann: Wer glaubt in der vorletzten Episode der Serie stünden jetzt alle Ampeln auf grün, sieht sich getäuscht: Anstatt den leichten Weg zu gehen und uns ein „six months later“ zu präsentieren, steigt „Granite State“ unmittelbar nach den tragischen Geschehnissen der letzten Folge ein, zieht die Konsequenzen von diesen dabei genüsslich in die Länge und findet trotz entschleunigter Erzählung nicht nur zu einer spannenden Dynamik sondern darf am Ende, quasi als Vorbote des Finales, auch noch einmal richtig episch und pathetisch werden. The End is pending… zumindest für eine knappe Stunde.

Anstatt von einem Zeitraffer oder gar einem direkten Cut in den Flash Forward – mit dem die finale Staffel eingeleitet wurde -, wird der Zuschauer von dem trägen Prozess des Vacuum Cleanings begrüßt. Doch, Überraschung und große Freude, anstatt mit Walter White einzusteigen, gibt es erst einmal ein Wiedersehen mit Saul Goodman. Dieser hat mittlerweile sämtliche Comic Relief Merkmale verloren: „The Fun’s over!“, wie er auch später Walt gegenüber klar machen wird. Mit seinem Gewerbe, seinen Tricksereien und seiner verschlagenen und zugleich unbedarften Geschäftstüchtigkeit hat Saul offensichtlich auch sein Charisma verloren: Keine Spiele mehr, kein hinterlistiges Buhlen, keine geistreichen Finten. Der einstige Anwalt ist auf sein bloßes existenzielles Bedürfnis, weiterzuleben, zurück geworfen. Wie er da steht, in einem zweitklassigen Anzug, die Haare durcheinander, mit ängstlichem Blick, kann man fast Mitleid mit dem zuvor fast immer so abgeklärten und unterhaltsamen Saul entwickeln. Dass der Spaß vorbei ist, hat – im Gegensatz zu ihm – Walt noch nicht begriffen. Wie ein eingesperrtes Tier geht er im Warteraum des Vacuum Cleaners auf und ab, wie Rilkes Panther wirkt er gefangen, angespannt, verloren und dennoch restkämpferisch. Aber wie beim Panther gilt auch hier: „und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Walt hat alles verloren: Sein Geld – bis auf eine Tonne, an die er sich wie einen letzten Schatz klammert -, seine Familie, seinen Ruhm… das „It’s over“ Goodmans macht ihm noch einmal schmerzhaft deutlich, wie ohnmächtig er mittlerweile ist. Selbst seine letzten Drohgebärden gegenüber dem – immer noch von Heisenberg eingeschüchterten – Anwalt ersticken in einem hilflosen Hustanfall.

Während Walt durch sein eigenes Handeln zum Gefangenen seiner selbst heraufbeschworenen Konsequenzen wird, sieht es für den armen Jesse noch düsterer aus. Nachdem die Nazi-Bande sein Bekennervideo kurzerhand aus Hanks und Maries Wohnung gestohlen hat und feixend Jesses Lebensbeichte und halber Therapiesitzung beiwohnt, scheint sein Schicksal besiegelt. Spätestens die Geschichte um den ermordeten Jungen beim großen Eisenbahn-Heist zwingt den fürsorglichen Onkel von Todd zu einer Handlung. Interessant ist dabei wie Jacks Gang charakterisiert wird: Zum einen wäre da Todd, der ganz still der Beichte des Mordes beiwohnt. Zumindest ein kleines Zucken scheint ihn zu durchziehen, als der Kreis seiner Mitkriminellen zum ersten Mal vom Mord an dem jungen Zeugen hört. Es sei noch einmal daran erinnert, dass er dieses Detail in seiner protzigen Erzählung des Raubes zuvor komplett unterschlagen hat. Und dennoch scheint es weniger das schlechte Gewissen zu sein, dass in ihm geregt wird, als er noch einmal mit der Tat auf Video konfrontiert wird. Viel mehr scheint es in seinem Kopf zu zucken, ein Abwägen der Konsequenzen, ein Reüssieren des Möglichen und primär – für ihn, der sich so sehr an Autoritäten bindet, zuvor Heisenberg nun Jack – ein Abwarten der Reaktion seiner „Kumpel“. Dann sind da die anderen, die dem Geständnis ebenfalls mit einem gerademal kleinen Zucken beiwohnen. Auch sie wägen ab, wenn auch weit impulsiver als der nach wie vor unheimliche Todd: Die Konsequenz ist für Jack ziemlich schnell klar: nicht der Mörder gehört sanktioniert, sondern der Zeuge. Ein brutaler Schnitt und wieder steht Jesse nur wenige Sekunden vor einer Hinrichtung. Dass diese nicht vollzogen wird liegt einzig am weiteren Eifer Todds: Dabei geht es nicht nur darum Lydia zu gefallen, sondern auch aus dem Schatten seines vermeintlichen Mentors herauszutreten. Ich habe schon im letzten Artikel auf die Heisenberg-Spiegelung Todds hingewiesen. Auch er ist im Grunde der Spießbürger, der Loser, abhängig von hierarchisch über ihm stehenden Platzhirschen. Auch er will mehr, will Ruhm, Erfolg… und auch er ist dadurch eine tickende Zeitbombe. Gleich zweimal darf sich der Zuschauer im folgenden Geschehen davon überzeugen: Wenn Todd Skyler seine Waffe an die Stirn hält und direkt mit dem Auslöschen der Familie droht (einzig der Respekt vor Heisenberg scheint ihn in diesem Fall von einem kaltblütigen Mord abzuhalten); und zum zweiten beim tatsächlich skrupellosen, eiskalt durchgeführten Mord an Andrea, um Jesses Fluchtversuch zu bestrafen und zugleich eine klare Botschaft an diesen zu schicken: „Du gehörst jetzt uns!“

Genau auf Jesse wollte ich auch eigentlich zu sprechen kommen: Dieser durchlebt nun wahrhaft ein Martyrium. Die Gefangennahme, die Folter, die Zwangsarbeit und das Vegetieren in einem übergroßen Käfig: Die Macher greifen bei der Inszenierung von Jesses Leiden tief in den Genre-Pool des Torture-Porns und Terrorfilms. Es ist schmutzig, es ist angespannt, es ist brutal… und vor allem scheint es aussichtslos. Hatte man in den letzten Wochen noch Hoffnung für Jesse, so scheint es für diesen Charakter nun keine Zukunft mehr zu geben. er hat mittlerweile einfach zu sehr gelitten, zu viele ihm nahestehende Menschen verloren. Er geht buchstäblich durch die Hölle, wird geradezu zum Prototypen eines unschuldigen, gequälten Opfers stilisiert. Allein durch die ästhetischen Anleihen an brutale Horrorfilme im Hostel-Stil scheint der Tod der einzige Ausweg zu sein. Ich war dann auch nicht der einzige, der kurz vor seinem Fluchtversuch einen Selbstmordversuch vermutete.

Während Jesses Gefangenschaft eine Unfreiwillige ist, geht Walter bewusst in die Isolation… und muss sich bereits Sekunden nach der Ankunft im Granite State New Hampshire damit abfinden, dass auch er nun ein Gefangener ist. Ein wenig Land, eine einsame Holzhütte und sonst nichts. Das neue Leben, dass er sich vielleicht selbst ausgemalt hatte, entpuppt sich als nichts anderes als das Warten auf den Tod. Das Brutale an dieser Erkenntnis ist, dass Walt sich nun genau in jenem Zustand befindet, den er zu Beginn der Serie um jeden Preis vermeiden wollte: Als er begann Meth zu kochen, als er damit haderte, ob er seinen Krebs überhaupt behandeln lassen sollte, war dies auch – neben der Sorge um die Zukunft seiner Familie – davon motiviert, dass es ein Schrei nach Leben war, nach einem Vita activa im kriminellen Sinne, danach, aus dem Wartezustand auszubrechen. Ironischerweise hat dieser Ausbruch nun genau zu jenem Wartezustand geführt, und zwar weitaus radikaler als es in seiner eingeschlafenen bürgerlichen Existenz jemals möglich gewesen wäre. Fast könnte man Breaking Bad hier eine Apologie des gemütlichen Spießbürgerlebens vorwerfen, führt doch ganz offensichtlich der Ausbruch aus dieser Existenz in eine weitaus krasser eingeschränkte, eingeschlafene und resignierte Lebensform. Walter hat nicht nur seine bürgerliche Existenz verloren, nicht nur seinen Status als berüchtigter Heisenberg, er hat nahezu alles verloren, was das Leben lebenswert macht. Und so muss er sich von seinem „Betreuer“ notdürftige Injektionen legen lassen, alte Zeitschriften lesen und 10.000 Dollar für ein wenig Gesellschaft, ein wenig Zwischenmenschlichkeit bezahlen.

Die Stärke dieser vorletzten Episode liegt jetzt jedoch nicht bloß darin, wie sie auf brutale Weise Entschleunigung betreibt, sondern vor allem, wie sie aus dieser entkommt. Zwei initiale Momente sind es, die das retardierende Moment der Handlung auflösen: Zum einen ist da das Telefonat Walters mit seinem Sohn: Ein großer tragischer Moment, indem es so scheint, dass das Ergebnis der letzten Folge, die Erosion der Familie sowie die Verstoßung Walts durch diese, radikalisiert wird. In der- by the way großartig gespielten – Anklage Walt Jr.’s gegenüber seinem Vater werden die Zersetzungsprozesse der Familie nicht nur einfach erneut dargestellt, darüber hinaus wird zum ersten Mal Walt direkt damit konfrontiert, dass einzig sein Arbeiten für die Familie in letzter Konsequenz ein Arbeiten gegen die Familie war: Sein Versuch, seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, hat diese komplett zerstört: Nicht der Krebs, nicht die Einwirkung von außen, nicht der „Verrat“… er allein ist der Verantwortliche. Mit seinem laut artikulierten Wunsch, der Vater solle sterben, macht Walt Jr. dies deutlich und leitet zugleich den metaphorischen Sterbeprozess Walts ein. Es gibt scheinbar nichts mehr, wofür dieser kämpfen kann, weil das, wofür er kämpfte, durch seinen Kampf zerstört wurde. Abgeschlossen wird dieser Sterbeprozess durch den zweiten großartigen Moment dieser Episode: Walt hat aufgegeben, er bestellt sich als Henkersmahlzeit einen letzten Whiskey, er macht die Behörden auf sich aufmerksam und wartet nur noch auf das Ende. Dies ist der Moment, indem er damit konfrontiert wird, dass er schon viel länger tot ist. Ausgerechnet die Schwartzs, die nicht ganz unschuldig an Walts Breaking Bad sind, halten die Grabesrede: In dieser reden sie nicht nur seinen Einfluss auf ihr Unternehmen klein, darüber hinaus erklären sie das Leben Walter Whites für rundherum gescheitert, ihn selbst für tot. Eine Epiphanie der Wut durchzuckt den Protagonisten in diesem Moment: Walter mag gescheitert sein, Walter mag schon lange tot sein, ein netter Kerl aber erfolgloser Verlierer… Heisenberg jedoch hat nach wie vor die Möglichkeit erfolgreich zu sein. Selbst wenn man (wie ich) kein besonderer Fan der Walt/Heisenberg-Dissoziation Analysen ist, muss man an dieser Stelle konstatieren, dass genau diese Dissoziation nun stark gemacht wird: Walter ist der, der für die Familie gekämpft hat. Er ist gescheitert und gestorben. Heisenberg, der der im Empire Business war, hat eine Niederlage erlebt, aber im Gegensatz zu Walt kann er nach wie vor erfolgreich aus diesem Krieg heraus gehen. Er weiß was zu tun ist, er weiß wie zu handeln ist… und Gott, Jesus Christ, ist das in diesem Fall episch inszeniert! Zum ersten Mal überhaupt hören wir den Maintheme in einer Episode, in einer grandiosen, episch ausgebreiteten Variante. Heisenberg greift ein letztes Mal zu seinem Hut, macht sich ein letztes Mal auf den Weg: Rache, Geld, Vergeltung und das Retten des eigenen Rufes als legendärer Verbrecher… das was Walt nicht mehr erreichen kann, weil die Erosion seines Selbst zu weit vortgeschritten ist; für Heisenberg ist es nach wie vor möglich. Und Hölle, wir können uns auf ein episches, großes Finale freuen!

Ähnliche Artikel