Breaking Bad S05e10: Buried – Gedanken, Spoiler, Kinderkarusselle

Ein junger Mann liegt mit apathischem Blick auf einer Schaukel, die sich unentwegt dreht: Vielleicht wie der Lauf eines Revolvers als Antizipation eines kommenden, blutigen Showdowns, vielleicht wie ein Folterrad, das symbolisiert, wie sehr dieser Mann durch das Leid gegangen ist, vielleicht als Darstellung eines Toten, der auf Erlösung hofft… vielleicht aber auch einfach als Symbol der kindlichen Unschuld, die dieser Mann nach wie vor, trotz seiner Erlebnisse, im tiefsten Herzen in sich trägt. Was auch immer das Kinderkarussell am Anfang von Buried – der zehnten Folge der fünften Staffel von Breaking Bad – bedeuten mag, eins ist sicher: Der darauf liegende Jesse ist am Ende…

Nachdem Jesse bereits in der letzten Episode Blood Money etwas unterrepräsentiert war, wird er in Buried noch stärker an den Rand gedrängt, erhält zugleich aber als narrative Klammer um die gesamte Folge eine ungemein wichtige Rolle für den Fortgang der laufenden Staffel. Als Gefallener zu Beginn und potentieller Auspacker am Ende scheint er trotz seiner so kurzen Präsenz die wesentliche Figur überhaupt zu sein, wenn es darum geht, Heisenberg seinem Ende entgegenlaufen zu lassen. Konsequenterweise verzichtet das Skript darauf, ihm auch nur ein einziges Wort in den Mund zu legen. In Buried ist Jesse stets der Schweigende, der Abwesende, die Leerstelle zwischen den Worten, die Leerstelle in der Geschichte… und damit umso mehr das entscheidende, nicht mehr voll funktionsfähig laufende, Rädchen in Heisenbergs Getriebe.

Aber auch jenseits von den Problemen mit dem abwesenden Jesse scheint für White nichts mehr wie gewünscht zu klappen. Hatte das Gespräch mit Hank in der Garage, das den Schlusspunkt von Blood Money setzte, bereits eine gewisse verbale Shootout-Note, so tauchen die Zuschauer gleich zu Beginn von Buried vollends ein in den Western-Kosmos, in dem es nur noch heißt: „Du oder Ich!“. Fast schon zu offensichtlich bedienen dann sowohl Kameraführung als auch Narration zu Beginn die klassischen Klischees des traditionellen amerikanischen Filmgenre: Hank und Walt, die sich wie zwei einsame Revolverhelden gegenüber stehen, bewaffnet mit ihrem Wissen und mit ihren Handys. Scheint in dieser Situation zu Beginn der Folge Hank noch der Überlegene zu sein, indem er schneller als Walt seine Waffe zieht, Skyler erreicht und sie sogar zu einem Treffen überredet, so wird im Folgenden dieser eigentlich ziemlich eindeutig scheinende Sieg auf extreme Weise konterkariert.

Skyler beweist nämlich – wie schon oft zuvor, leider von den meisten Fans der Serie nicht registriert – in dem anschließenden Café-Dialog mit Hank, dass sie vollkommen zu unrecht zu den am meisten gehassten Figuren in Breaking Bad gehört. Anstatt den bequemen Weg zu gehen, Walt auszuliefern und ihre eigenen Hände in Unschuld zu waschen, zeigt sie sich als alles andere als unbedarft, der Situation, den Umständen und den Konsequenzen mehr als bewusst, und dennoch alles andere als kalt, sondern emotional zutiefst in die Geschehnisse involviert. Ihr ambivalentes Verhalten zwischen Sorge um die Kinder, Schuldgefühlen, Unsicherheit ob ihrer Gefühle für Walt, und dem bloßen Drang, bloß heil aus der Sache rauszukommen, gehört zu den stärksten Momente der zehnten Episode. Wieder einmal frage ich mich: Warum ist Skyler so unbeliebt? Warum haben so viele Zuschauer Probleme mit ihr? In ihrer Ambiguität und Differenziertheit bis zur radikalen Selbstaufgabe gehört sie nach wie vor zu den tiefgründigsten der von Vince Gilligan entworfenen Figuren. Im Café stellt sie das mehr als deutlich unter Beweis: Oszilliert zwischen Schmerz, Verzweiflung und Abgeklärtheit, sprengt schließlich – den zuvor schon von Hank aufgebrochenen – privaten Rahmen, indem sie einen Anwalt fordert, und entzieht sich schließlich radikal der Situation, in der sie peu à peu Hank gegenüber an Stärke gewonnen hat. Hank derweil ist wieder der Geschlagene, der Ohnmächtige, der weiterhin nicht mit seinem Heisenberg-Fang und dem vermeintlichen Triumph – der das genaue Gegenteil eines Triumphs darstellt – umgehen kann.

Ohnehin kann man sich dem Eindruck nicht erwehren, dass diese Folgen den Frauen gehört. So wie die Männerfiguren die Ohnmächtigen (Hank), die Gehetzten (Walt) oder die Handlanger (Todd) sind, so sehr dürfen die zuvor unterrepräsentierten Frauen ihre Stärke unter Beweis stellen. Was Hank im Café mit einem Aufnahmegerät bewaffnet nicht gelungen ist, erreicht Marie innerhalb eines 5minütigen Gesprächs mit Skyler ohne Probleme. Auch hier ist wieder die Sprachlosigkeit signifikant. Skyler schweigt und erzählt in diesem Schweigen Marie alles, während diese sich von Staffel zu Staffel, von Episode zu Episode zurückhangelt, um die erschreckende Erkenntnis zu gewinnen, dass Skyler bereits vor der Glücksspiel-Lüge von Walts dunklen Machenschaften wusste. Auch im anschließenden Kampf um die Tochter sowie im Einreden auf Hank ist sie der Handlungsmotor, während der vermeintlich so selbstsichere Cop sich in Ausreden und Unsicherheiten flüchtet. Ihr „We have to get him!“ ist derart ausdrucksstark, dass selbst der Dialog von Walter und Hank aus Blood Money dagegen verblasst. Ein einfacher, kurzer Satz, in dem doch die ganze Wahrheit der festgefahrenen Situation offenbart wird.

Die dritte starke Frauenfigur ist schließlich Lydia. Und es ist schon verblüffend, inwiefern wieder einmal offensichtlich wird, wie sehr sie Walt ähnelt. Auch sie ist die Verbrecherin, die sich hinter einer bürgerlichen Fassade verbirgt, auch sie will Macht und Geld, auch sie will ein Geschäft am Laufen halten, auch sie ist skrupellos, wenn es um die Durchsetzung ihrer Bedürfnisse geht. Dabei verfolgt sie dieses Prinzip weitaus konsequenter als Heisenberg es jemals konnte. Nicht nur, dass sie sich die Hände nicht schmutzig macht, sie will gar nicht erst das Ergebnis ihres Auftragsmordes sehen. Verschreckt, nervös und mit zugehaltenen Augen stolpert sie an den Leichen vorbei, die sie von ihren Handlangern produzieren ließ. Das Aufräumen der unliebsamen Konkurrenz geschieht ebenso eiskalt wie kalkuliert und doch konsequent getrennt von ihrer tatsächlichen Lebenswelt. Sie wartet unten im vergrabenen Wohnmobil – übrigens eine feine Referenz an die Anfänge von Walts Karriere – bis das Morden vorbei ist. Den Befehl zum Losschlagen gibt sie mittels SMS. Und als es geschafft ist, will sie so schnell wie möglich zurück in „ihre“ Wirklichkeit. Im Grunde genommen ist Lydia der bessere Heisenberg: Gnadenlos aufs Geschäft bedacht und zugleich spießig bis in die Knochen, perfekt versteckt hinter der nervösen, bürgerlichen Camouflage, ebenfalls eine tickende Zeitbombe, dabei aber trotz und gerade wegen ihrer Nervosität irgendwie charmant und sogar faszinierend.

Charme hat Heisenberg indes nicht mehr viel übrig. Hysterisch vergräbt er das über die letzten Monate gesammelte Geld in der Wüste, gräbt sich geradezu die Seele aus dem Leib und kommt schließlich als geschlagener, gefallener Verbrecher nach Hause zurück. Skyler die dort auf ihn wartet und sich rührend um den erschöpften Walt kümmert, lässt den Zuschauer dann auch nochmal auf beängstigend signifikante Weise an der Wahrheit über ihre Beziehung zu Walt teilhaben: Skyler liebt nicht den erfolgreichen, mächtigen, starken Heisenberg. Skyler liebt den Loser Walt. Wenn er – im wahrsten Sinne des Wortes – am Boden liegt, fühlt sie sich mit ihm vertraut. Wenn er kurz vorm totalen Bankrott steht, hegt sie Gefühle für ihn. Wenn er fast tot ist, möchte sie ihn halten und unterstützen. Dieses Thema begleitet die Serie von Anfang an, gibt einerseits tiefe Einblicke in die Psyche der zu unrecht ungeliebten Protagonistin und konterkariert andererseits die Selbstbefreiung Walts in der Rolle Heisenbergs: Die Schwäche wird wieder zur schützenswerten Tugend, der Verlierer wird wieder zum Helden, die Niederlage evoziert wieder Emotionen abseits von Hass und Verzweiflung. Zu sehen ist in diesem Moment die warmherzigste und liebevollste Szene der gesamten Staffel und selbst Walt gewinnt plötzlich wieder Sympathiepunkte: „Please don’t let me have done all this for nothing.“ ist sowohl Beichte als auch Offenbarungseid, Anerkennung, dass er vieles falsch gemacht hat und zugleich Flehen um einen Rest Menschlichkeit. Skylers Vorschlag, erst einmal still zu bleiben, fasst derweil perfekt die letzten Geschehnisse zusammen. Schweigen als derzeit einzige Fluchtmöglichkeit angesichts des Grauens, das sich am Horizont zusammenbraut.

Schweigen…? Wird Jesse schweigen? Wieder schließt Hank eine Tür. Wie bereits in der letzten Folge könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass nun geredet wird. Jesse ist am Ende. So konsequent er auch gegenüber den Polizisten geschwiegen hat, so unwahrscheinlich ist, dass er dies aufrecht halten kann, wenn er ausgerechnet mit Hank konfrontiert wird. Die letzte Episode endete mit Schweigen und hatte zuvor doch unheimlich viel zu sagen. Buried ist nach wie vor von diesem Schweigen geprägt… und bereitet damit auf viel Gesagtes, bis dato Ungesagtes, vor. Mit Jesse und Hank im Verhörzimmer, mit Walt und Skyler in einer neuen, rekonstruierten Beziehung, mit Lydia, die den Anfang für die Fortdauer des lukrativen Geschäfts gesetzt hat. In der zehnten Episode haben wir uns immer noch im Schweigen vor dem Sturm befunden, das so markant die Dialoge der neunten Episode beendet hat. Dieses Schweigen wird sich nicht mehr lange halten lassen…

Ähnliche Artikel