Breaking Bad S05e11: Confessions – Geständnisse und Amokläufe

„What the hell happened to this country?“ fragt einer der Naziverbrecher mit denen Lydia nun zusammenarbeitet, kurz bevor er sich ein wenig Blut von den Schuhen wischt. Die Gegenfrage dazu könnte lauten: „What the hell happened to this business?“ Die unterkühlte Professionalität von Gus Fringe ist Geschichte. Die beängstigende aber zugleich auch geordnete Terrorherrschaft Heisenbergs ist vorbei. Und der erschreckende Anarchismus eines Tuco ist ja schon längere Zeit abgeschrieben… Aber all diese hässlichen, gewalttätigen und düsteren Regelungen des Geschäfts wurden von etwas viel Schrecklicherem abgelöst: Brutalem, prolligem Dilettantismus…

Seltsam losgelöst wirkt dieses Intro vom Rest der Folge S05e11, die den pathetischen Titel Confessions trägt. Den einzigen Link stellt Todd her, wenn er beinahe niedlich aufdringlich seinem großen Idol hinterher telefoniert. Dass Heisenberg für ihn nicht weniger als ein Gott ist, beweist er auch gleich darauf, wenn er seinen Kollegen von dem großartigen Heist mit dem Zug aus Dead Freight (S05e05) erzählt. Dass er dabei konsequent seinen dabei geschehenen kaltblütigen Mord an dem Kind verschweigt, ist bereits ein netter kleiner Teaser auf die Dekonstruktion, die die Episode mit ihrem eigenen Titel treibt: Ehrliche Geständnisse sind hier nicht zu erwarten, viel mehr düstere Variationen der Wahrheit, die ihre ganz eigenen Narration entwickeln.

Da ist als erstes das „Geständnis“ von Jesse (wir bleiben hier jetzt konsequent bei den Anführungszeichen): Sein Inhalt besteht darin, dass er nicht mit Hank sprechen wird. Die Botschaft, die Confession dieser Aussage: Jesse ist ausgebrannt, er ist verzweifelt, er kann nicht abschließen mit seiner Vergangenheit und zugleich hindern ihn persönliche Animositäten daran, das einzige Richtige zu tun und vor dem Gesetz auszupacken. Da ist als zweites das „Geständnis“ von Walt seinem Sohn Walt Jr. gegenüber: Der Inhalt, der Krebs ist vielleicht zurück, er will nach vorne blicken und hofft dabei auf die Unterstützung seiner Familie. Die eigentliche Botschaft, die wesentliche Confession: Er will keine Konfrontation mehr mit Hank und Marie, er will seine Familie – bestehend aus nunmehr nur noch drei Personen – nach aussen hin hermetisch abriegeln. Walt Jr. bleibt nach dieser Botschaft zu Hause, er geht nicht zu Hank und Marie, er hält zu seinem Vater. Es ist schwierig aus diesem „Geständnis“ nicht eine geschickte Manipulation des eigenen Sohnes herauszulesen. Da ist das „Geständnis“ von Todd, das nichts anderes ist als das pure Angeben mit seinen Heist-Fähigkeiten (Und die gleichzeitige Glorifizierung Heisenbergs), da ist das „Geständnis“ Goodmans, Jesse das Gift geklaut zu haben, was nichts anderes ist als ein verzweifeltes Suchen nach Ausreden, nach einer Möglichkeit den Kopf aus der Schlinge zu ziehen…

…Und dann ist da natürlich das zentrale „Geständnis“ von Walt, das er auf DVD Hank und Marie aushändigt: Nichts weiter als eine perfide Opfer/Täter-Umkehr, mit der er eine unglaublich raffinierte Narration entwickelt, die Hank komplett in die Ecke drängt und ihn vollkommen plausibel zum eigentlichen Marionettenspieler des Meth-Business werden lässt. Fast schon zu perfekt ist das Lügengespinst, dass Walt hier entwickelt: Hank, der den verzweifelten Walt ins Meth-Business drängt, der als Partner Gus Fringe hat, der von den Kochkünsten seines Schwagers profitiert… die in diesem „Geständnis“ entwickelte Geschichte ist derart glaubwürdig, pointiert und schlüssig, dass man beinahe glaubt, hier alternative Drehbuchentwürfe für die gesamte Serie vor sich zu haben.

Aber trotz der Coolness dieser Narration, ist es ein anderes Highlight, das diese Folge auszeichnet: Jesse, der als Schweigender Anfangs- und Endpunkt der letzten Episode gesetzt hat, wird nun zum Handelnden. Mehr noch, er wird zur ultimativen Konfrontation Whites mit seinen eigenen Verbrechen. Während White sich im Gespräch mit Hank und Marie – übrigens in seiner Kälte grandios aufgelockert durch fast schon traditionelle Slapstick-Interruptionen eines Comic-Relief Kellners – noch einfach aus dem Staub machen kann, während er Skyler ohne Probleme davon überzeugt, dass es keinen anderen Weg gäbe, als das drohende Geständnis-Video aufzunehmen. Während Walt scheinbar jeden mühelos manipulieren, auf seine Seite schlagen oder in seine Grenzen verweisen kann, wird er durch Jesse schlicht und ergreifend mit der nackten, grauenhaften Wahrheit seiner Taten konfrontiert. In der fantastischen Wüsten-Szene, in der die beiden – mit einem konsternierten Saul – aufeinander treffen, findet ein grandioses Wechselbad der Gefühle statt: Alles ist denkbar: Walt, der Jesse umbringt. Jesse, der sich klammheimlich aus dem Staub macht. Walt und Jesse, die gegeneinander rasen… Und nichts von alldem passiert. Stattdessen gibt es eine herzergreifende, verbale Konfrontation zwischen Jesse und Heisenberg. Mehr als verzweifelt wirkt die gleichzeitige Anklage und Bitte Jesses, endlich nicht mehr zu manipulieren, nicht mehr zu spielen, sondern genug Respekt zu haben, dunkle Wahrheiten auszusprechen. Ebenso wie Jesse verzweifelt wirkt, wirkt Walt in dieser Szene einfach nur unbeholfen, geradezu ohnmächtig angesichts der Tatsache, dass Jesse seine Kommunikationsstrategien vollends durchschaut. Der einzige Ausweg ist für ihn in diesem Moment eine Umarmung: Eine Umarmung, die nicht erwidert wird, eine Umarmung, die angesichts des vorherigen Geschehens fast schon bizarr wirkt, eine Umarmung, die angesichts des Verhältnisses der beiden zueinander nichts weniger als einen brutalen Übergriff darstellt. Jesse lässt diese Umarmung über sich ergehen, wirkt in diesem Moment geradezu wie der emotional Vergewaltigte, der Missbrauchte, sowohl körperlich als auch funktional… Kein Wunder, dass wohl viele Zuschauer in diesem Moment – den man durchaus auch als Reminiszenz an Mafia-Filme à la The Godfather werten kann – einen kaltblütigen Mord Heisenbergs an Jesse erwarteten.

Aber es kommt anders: Und damit wird Jesse zum Dreh- und Angelpunkt des zukünftigen Geschehens. Der Weckruf kommt in Form eines verloren gegangenen geklauten Pot-Päckchens. Jesse hat sich auf den Vorschlag Heisenbergs eingelassen, obwohl er dessen manipulatives Spiel durchschaut hat. Er will sich von Sauls Magier eine neue Identität, ein neues Leben geben lassen. Er spielt mit: Beinahe das komplette Spiel. Aber ein wenig Autonomie will er trotzdem wahren. So leicht man das trotzige Einstecken des Haschs als bloßen performativen MacGuffin für die Etablierung der kommenden Epiphanie halten könnte, zeigt diese Szene doch noch so viel mehr: Jesse hat sich in all seiner Abgefucktheit ein Stück Würde bewahrt: Ebenso wie er nicht bereit ist, mit seinem Nemesis Hank zu sprechen, ebenso wie er das Blutgeld aus dem Fenster wirft, ebenso wie er Whites Umarmung nicht erwidert, ebenso besteht er auch auf seine Tüte Gras. Vielleicht nur ein kleines Symbol seiner Unkompromittiertheit, aber allemal ein schlüssiger Verweis darauf, dass Jesse keineswegs – nicht mehr – die stumme Marionette ist, die Walt gerne hätte.

Natürlich wird er das Gras nicht behalten… Huey stiehlt es ihm, Jesse wird sich dessen gewahr, während er auf seinen Transport in Richtung Nirgendwo wartet… und genau in diesem Moment bricht die Hölle los. Erkenntnis und Wut mischen sich zu einem giftigen Cocktail, den als erstes Saul zu schmecken bekommt: So in die Ecke gedrängt, so ängstlich um sein Leben war der bisher im Grunde ziemlich abgeklärte Anwalt noch nie zu erleben. Kein Vergleich zu der ersten bedrohlichen Situation, der er durch Walt und Jesse in S02e08 (Better Call Saul) ausgesetzt war: Kein lustiges um sein Leben Feilschen, kein verschmitzter Ausweg, stattdessen die pure Angst um sein Leben. Saul verliert in diesem Moment jede Comichaftigkeit, wird zum hilflosen, winselnden, um sein Leben flehenden Opfer. So sehr durfte der coole Sidekick bisher noch nie menscheln. Und natürlich ist das mit vorgehaltener Waffe entlockte Geständnis nur der Beginn von Jesses Amoklauf: Amok im ursprünglichsten Sinne, als kriegerische Strategie, um jenseits von Angst um das eigene Leben, dem Gegner größtmöglichen Schaden zuzufügen…

…Und Schluss. Brutal abrupt endet die Episode Confessions: Walt mit einem – zuvor auf Eis gelegten – Revolver bewaffnet, Jesse mit Benzinkanister im Anwesen der Whites… Wie schon die beiden Episoden zuvor, bewahrte sich auch Confessions fast die gesamte Länge über ein angenehm ruhiges, bedrohliches Tempo. Kein Vergleich zu anderen Serien, die in ihren letzten Staffeln unbedingt noch alles erzählen, geradezu zum Höhepunkt hetzen müssen.  Breaking Bad weiß im Gegensatz dazu, wo Pointen zu setzen sind, wann das Tempo rausgenommen werden sollte… und wann es wieder losgehen darf. Jetzt. Jetzt werden die Daumenschrauben angezogen, die Schnitte werden schneller, der Puls höher… und wir können wiederum nur wie schon die Wochen zuvor der Dinge ausharren, die da kommen. Aber derart angespannt war dieses Ausharren in der fünften Staffel noch nie… vielleicht sogar noch nie in der gesamten Serienlaufzeit.

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