Breaking Bad s05e12: Rabid Dog – Cliffhanger-Possen und bürgerliche Trauerspiele

Es ist merkwürdig: Da lobt man Breaking Bad unentwegt für seine Originalität und Kreativität, und dann schmuggeln die Macher doch mir nichts dir nichts ein beinahe ärgerliches US-Serien-Standardmoment in eine der besten Staffeln einer der besten Serien überhaupt. Cliffhanger Interrupto könnte man das vielleicht nennen, womit Gilligans Crew die fünfte Folge der zwölften Staffel beginnen lässt, Spannungsverzögerung vielleicht auch, wenn man es gutmütiger meinte… also ganz ehrlich, ich würde so etwas eher unwürdig für diese grandiose Serie nennen. Gott sei Dank besteht eine 45minütige Episode nicht nur aus einem fehlgeschlagenen Intro, denn der Rest der Episode Rabid Dog macht diesen neben sich stehenden Start Gott sei Dank mehr als wett.

Und trotzdem steht am Anfang erst einmal die Verwunderung darüber, dass Breaking Bad doch tatsächlich einen Lost’esken Weg einschlägt und den genialen Cliffhanger der letzten Folge bereits in den ersten Sekunden abreißen lässt: Jesse zündet Walts Refugium nicht an, verschwindet einfach, wie vom Erdboden verschluckt… Das weckt zwar einerseits die Fantasie des Publikums lässt aber andererseits enttäuscht und ernüchtert zurück. Ja, ich weiß, ich bin diese Woche spät dran mit meinem Episoden-Recap, das kann ich in diesem Fall dann aber auch ganz bequem darauf schieben, dass ich zum ersten Mal (in dieser Staffel) nach dem Genuss einer Breaking Bad Episode ernüchtert zurückgeblieben bin. Das Verflixte daran ist ja, dass die Folge eigentlich abgesehen von diesem lahmen Cliffhanger-Mord ganz hervorragend funktioniert hat, wirklich fantastische Momente bieten konnte. Und würde ich das Pferd von hinten aufzäumen, bliebe als Resumee natürlich übrig: Wieder fantastisch, wieder spannend, wieder mitreißend, weiter so Breaking Bad!

Aber am Anfang steht nun einmal in erster Linie die Ernüchterung… und daran natürlich anschließend gleich die Frage, was denn die Breaking Baddies aus dieser Disposition machen. Als erstes wäre da der Rückfall Walts in klassische Ausflüchte und obskure Lügenmärchen, wie man sie bereits aus den vorangegangenen Staffeln kennt. Und das läuft mal wieder prachtvoll: Es war bereits in der Vergangenheit so, dass der Zuschauer bei den von Heisenberg entworfenen Hirngespinsten permanent zwischen konsterniert, fremdbeschämt und begeistert pendeln durfte. Es ist einfach unfassbar, wie der Protagonist seine eigenen Narrationen entwirft und sich vollkommen ignorant gegenüber den Reaktionen seiner Zuhörer immer weiter in seine Märchen hineinwirft. Das war bis dato allein wegen der Diskrepanz zwischen der ausufernden Erzähllust Whites und den ungläubigen Blicken Skylers immer ein besonderes Erlebnis. Im Falle Rabid Dog wird diese Inszenierungslust auf die Spitze getrieben: Nicht nur die Ehefrau ist es, die sich aus dem Erzähldrang Whites keinen Reim mehr machen kann, auch Walt Jr. ist nicht mehr bereit die abstrusen Rechtfertigungen seines Vaters zu schlucken. Die Quasi-Aufdeckung des Lügenbarons wird zwar abgefedert, indem Walt Jr. „nur“ eine Verschleierung des schlechter werdenden Gesundheitszustandes seines Vaters vermutet, aber die Botschaft ist dennoch eindeutig: Walts Lügengebäude stürzen zusammen. Nachdem er schon länger mehr oder weniger dazu genötigt ist, Skyler gegenüber absolute Transparenz zu zeigen, sind seine Versionen der Geschichte seit dieser Staffel auch bei Jesse in Misskredit geraten. Und natürlich bei Hank und Marie. Insofern stellte Walt Jr. im Prinzip den letzten naiven Punkt in Walts Kosmos dar, den letzten unbedarften Fixstern, um den die Narration des gutbürgerlichen Vaters kreisen durfte. Dass dieser nun partiell seine Bahn verlässt und die Geschichten Walts in Frage stellt, mag zuerst wie eine Bagatelle anmuten, symbolisert aber sehr schön, wie sehr die Fassade Heisenbergs nicht nur Risse sondern mittlerweile ganze Löcher aufweist.

Das Zusammenbrechen von Walts Camouflage transferiert Rabid Dog nun auf kongeniale Weise in das ebenfalls radikale Zusammenbrechen seiner Kontrolle. Breaking Bad überträgt diesen Kontrollverlust bereits in seine Inszenierung: In einer nonlinearen Erzählweise springt die Episode ein paar Stunden zurück und widmet sich den Ereignissen um Jesse und wie dieser von Hank aufgehalten wurde, seiner flammenden Wut flammende Tatsachen folgen zu lassen. Was bisher bei Breaking Bad primär eher Gimmick war – spontan erinnere ich mich vor allem an die Flash Forwards von Staffel 2, die bereits den Flugzeugabsturz am Ende der Staffel antizipierten -, wird nun zum Spiegelbild des Inhaltlichen. Während Walt daran verzweifelt, nicht zu wissen, wo sich Jesse befindet, ist dieser längst zum Feind übergelaufen. Beinahe fürsorglich wird er von Hank nach Hause gefahren, im warmherzigsten Moment der Episode gar liebevoll väterlich angeschnallt. Aber natürlich geschieht dies nicht aus Uneigennützigkeit: Nicht nur, dass Hank durchaus bereit ist Jesses Tod in Kauf zu nehmen, wenn er ihn dazu benutzen will, Walt zu stellen, selbst Marie scheint nur noch von ihren Rachegedanken getragen: „Is this bad for Walt?“, ebenso eine erschreckende Frage wie ein entwaffnendes Bekenntnis. Es geht schon lange nicht mehr um die Gerechtigkeit im juristischen Sinne, sondern viel mehr um eine biblische Form der Rache, um eine menschliche allzu menschliche Genugtuung. Marie will Walt drankriegen, um jeden Preis: Für das was er seiner Familie angetan hat, für das, was er Hank angetan hat, für alle Lügen und Verbrechen. Ihrem nicht oder nur rudimentär artikulierten Zorn – offensichtlich im Gespräch mit ihrem Therapeuten – folgt genauso wie im Falle Hanks der pure Aktionismus.

Aber Marie ist nicht die Einzige, die in dieser Folge eine unheimliche Wandlung durchmacht. Tatsächlich hat sich das Breaking Bad, das Abkommen vom rechten Wege, Walts mittlerweile auf alle in seine Machenschaften involvierten Protagonisten übertragen. Wer glaubt, Skyler würde nach wie vor das moralisch integre Zentrum der Familie White bilden, sieht sich in Rabid Dog eines besseren belehrt. Ihre Aufforderung an Walt, das Jesse-Problem zu handlen, ist ein unzweideutiger Aufruf zur Gewalt, zum Mord. Skyler hat sich in ihrer Versöhnung mit Walt ebenso mit dessen dunkler Seite arrangiert; mehr noch, sie übernimmt dessen Problemlösungsstrategien, wohlgemerkt, ohne überhaupt zu wissen, wie viele Menschenleben ihr Mann bereits auf dem Gewissen hat.

Diese Demontage der bürgerlichen Moralität – die bisher, trotz Involvierung in die Verbrechen von Skyler so hochgehalten wurde – bekommt angesichts der weiteren Entwicklung der Episode eine interessante Pointe: Ich habe zuvor schon darauf hingewiesen, dass Breaking Bad in seiner gesamten Struktur erstaunliche Analogien zur klassischen Tragödie aufweist: Die Strukturierung in fünf Staffeln entspricht exakt des traditionellen 5-Akt-Schemas des Trauerspiels, wie es insbesondere von Gustav Freytagim 19. Jahrhundert vertreten wurde. Auch inhaltlich können in den einzelnen Staffeln durchaus Momente der klassischen Tragödienstruktur ausgemacht werden: So entspricht die ultimative Bedrohung Whites durch Fringe gegen Ende der dritten (und im weiteren Verlauf der vierten) Staffel der Klimax und Peripetie, dem Höhe- und Wendepunkt des Trauerspiels, ebenso wie es schließlich in der erfolgreichen Übernahme des Business durch White zum retardierenden Moment kommt, in dem man vermuten könnte, der Protagonist käme jetzt doch noch mit heiler Haut – und einem ganzen Sack voll Geld – davon (*Kenner dieser Tragödientheorie werden schon bemerkt haben, dass diese nicht 100% auf Breaking Bad anzuwenden ist, da die Momente der jeweiligen Akte in der Serie etwas nach hinten verschoben sind; so findet die Peripetie hier tendenziell eher am Ende der vierten Staffel statt, wenn Heisenberg schließlich gegen Fringe triumphiert… ok. Nitpicking). Mit der Entwicklung von Rabid Dog gelangen wir nun aber tatsächlich zu einem ungemein populären Moment der Tragödie, insbesondere des bürgerlichen Trauerspiels des 18. und 19. Jahrhunderts: Das Missverständnis, das möglicherweise direkt zur Katastrophe führt:

So wie die Lessing’schen und Schiller’schen Protagonisten nicht nur durch Intrigen gegen sie in die Katastrophe befördert werden, so ist das sich anbahnende Unheil auch in der fünften Staffel von Breaking Bad nicht bloß auf Aktionen der Protagonisten zurückzuführen: Sowohl die ultimative Kriegserklärung Jesses an Heisenberg, als auch dessen daraus folgende Reaktion, Todds Nazi-Asis mit einem Mord zu beauftragen, resultieren aus einem beinahe grotesk banalen Missverständnis: Jesse hält einen – offensichtlich ziemlich netten – Familienvater für einen von Walt angeheuerten Killer. Hier vermischen sich Jesses Paranoia mit der durchaus plausiblen Annahme, dass Heisenberg jede Bösartigkeit zuzutrauen ist, um seinen Status Quo zu wahren. Und ein Unbeteiligter, eine falsch verstandene Situation, ein Irrtum sind schließlich dafür verantwortlich, dass sich die angestauten Ängste und der Hass entladen: Eine Marginalie ist verantwortlich für die Aussicht eines grausamen Finales. In dieser Situation sind weder Walt noch Jesse die groß Agitierenden, sie sind viel mehr die vom Schicksal Gehetzten, die, mit denen die sich anbahnende Tragödie spielt. Ihr glaubt, es gibt Hoffnung, auf eine einigermaßen angenehme Auflösung? Vergesst es! Wenn schon die Protagonisten Anzeichen von vernünftigem Verhalten zeigen, dann kann immer noch das Schicksal, der Zufall, der Gott der Tragödie mit dem Chaotischen, Unerwarteten das Geschehen ins Unglück laufen lassen…

…So schwach die Episode begonnen hat, so stark endet sie. Hoffentlich stehlen sich die Macher aus diesem Cliffhanger nicht so klammheimlich wie in dieser Episode. Der Fatalismus dieser letzten Szene ist in seiner Grausamkeit nur konsequent. Keine Erlösung, für keinen der Beteiligten, stattdessen der direkte Weg in Richtung Katastrophe und – ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen – Katharsis für die Zuschauer.

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