Breaking Bad S05e16: Felina – The Final Catharsis
Also dann… ich schulde – wie mir jetzt schon mehrfach zugetragen wurde – der Welt noch ein Recap der letzten Breaking Bad Episode. Und um das dann gleich vorweg zu schicken: Ja, sorry, ich habe mich echt so lange um diese Review gedrückt, da kann ich auch gleich zu Beginn des Textes den Grund dafür nennen: Die letzte Episode von Breaking Bad hat mich partiell durchaus unterwältigt. Bevor ich hier missverstanden werde: Ich halte auch Felina für ein großartiges Stück Fernsehen, für 60 Minuten, nach denen sich so ziemlich jede andere Serie die Finger lecken würde. Es war noch einmal alles drin, wofür ich Breaking Bad in den letzten Jahren so geliebt habe: Die Spannung, der schwarze Humor, das große Drama… aber etwas Entscheidendes hat dann doch gefehlt, weswegen ich das Finale „nur“ als „sehr gut“ bewerten kann: Die Düsternis, die Abgefucktheit, die so viele Episoden zuvor ausgezeichnet hat; dieses Gefühl: „Oh mein Gott, jetzt kann es echt nicht mehr böser kommen!“ und gleich daran anschließend die bittere Erkenntnis: „Oh fuck, es geht also doch noch böser!“ Mit seinem versöhnlichen und durch und durch befriedigenden Ende liefert Felina einen starken, routinierten Abschluss der Serie und schert damit zugleich, zumindest teilweise, aus der bisherigen Dramaturgie und Narration der Serie aus. Breaking Bad ist damit sauber und rund zu Ende geführt, die wahre Größe der Serie indes findet man eher in anderen Episoden.
Aber, um das Pferd nicht von hinten aufzuzäumen, ein kurzer Blick auf die wesentliche Struktur der Episode, die in gleich doppelter Hinsicht eine Spiegelung der Struktur der gesamten Serie darstellt: Im Grunde genommen werden Walter White, chronologisch sauber sortiert, drei große kathartische Momente geschenkt, die zum einen die wesentlichen Storylines seines Charakters zu Ende führen und zum zweiten auf drei unterschiedliche Genre-Aspekte der gesamten Serie referieren:
Die erste Katharsis findet in der finalen Konfrontation mit Gretchen und Elliott Schwartz statt: In dieser darf Walt – auf herrlich raffinierte Weise – mit seinem biederen, bürgerlichen und vor allem bescheidenen Dasein (vor dem Breaking Bad) abschließen: Konsequenterweise steht dieser Abschluss dann auch am Anfang von Felina, war doch gerade die Darstellung des einfachen, bürgerlichen Lebens – inklusive selbstverschuldeter Unmündigkeit erzeugt durch biedermännische Bescheidenheit – das Moment der Serie, dass den Ausbruch aus eben jener Existenz legitimierte und zugleich so vergnüglich machte. Walts Breaking Bad war insbesondere in den ersten beiden Staffeln auch immer dadurch motiviert und gerechtfertigt, dass er zuvor durch seine „Bravheit“ viel zu viel einsteckte, viel zu viel über sich ergehen ließ. Und am Anfang eben jener fatalen Bescheidenheit schien immer die Geschichte um die Schwartzes und Walts Ausstieg bei Gray Matter zu stehen. Indem er die beiden darin Involvierten nun auf grandios bösartige Weise zu seinen unfreiwilligen Komplizen macht, lässt ihn aus diesem – eigentlich hochgradig imaginären, für Walt aber sehr realen – Krieg als eindeutiger Gewinner hervorgehen. Ebenso konsequent wie die Verlagerung an den Beginn der Episode ist dann auch die Inszenierung dieser Katharsis: Sie ist deutlich angelehnt an den humorvollen, satirischen – beinahe spitzbübigen – Teil von Breaking Bad, der ebenfalls vor allem zu Beginn der Serie dominant war, peu à peu, von Staffel zu Staffel jedoch nachgelassen hat. Hier darf Walt nicht nur Böse sein, sondern auch die Zuschauer auf seiner Seite sehen. Man fühlt sich an die Momente erinnert, als der Ausbruch des Bösen in White noch cool, amüsant und befriedigendwar: Als man sich freute, wenn er das Auto eines arroganten Karrieristen in die Luft sprengte, als man noch diebisch lachte, wenn Heisenberg einem Tuco das halbe Büro unter den Füßen wegriss, als man noch begeistert war, wenn der vormalige Spießer zwei Kleinstadtkriminellen vor dem Baumarkt badass-like ein „Stay out of my territory.“ an den Kopf knallte. Zu dieser „Hell Yeah!“-Stimmung passt dann auch die Pointe, dass White eben nicht zwei Killer angeheuert hat, sondern dass Skinny Pete und Badger (Thanks for this great Cameo!) für die bedrohliche Scharfschützen Laserpointer-Attacke verantwortlich sind. Ein letztes Mal dürfen wir mit dem – nicht pychopathischen, sondern gerissenen – Heisenberg seine zu Beginn der Serie entdeckte Bösartigkeit abfeiern, während wir befriedigt festestellen, dass er final Gretchen und Elliott besiegt und damit auch das Gray Matter Trauma überwunden hat.
Katharsis Nummer zwei hat einen anderen Tonfall und gehört für mich definitiv zum besten Moment der gesamten Episode. Ich habe ja nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Breaking Bad am meisten für das Drama, für die großen und kleinen Tragödien liebe. Und genau in dieser Tradition steht dann auch die familiäre Katharsis Whites. Ein letztes Mal darf er einen – unfassbar großartig subtil inszenierten – Blick auf seinen Sohn werfen. Ein letztes Mal darf er – beispiellos intensiv inszeniert – mit Skyler reden. Ein letztes Mal darf er seine Tochter in de Arm nehmen. Das Fantastische an der Katharsis des Familienmenschen Walt ist, dass sie immer mit einem Fragezeichen versehen bleibt. Seinen Sohn, der ihm eine Folge zuvor noch den Tod an den Kopf gewünscht hat, kann er nur aus der Distanz betrachten. Die letzten großen Gefühle Whites bleiben einseitig, ohne Erwiderung. Auch im Gespräch mit seiner Frau steht zuerst die Distanz im Vordergrund, durch den enormen – tatsächlich im Vordergrund der Szene stehenden Holzpfeiler – derart brutal visualisiert, dass dem Zuschauer gar nichts übrig bleibt als festzustellen, dass sich Walt und Skyler schon seit langer Zeit in komplett verschiedenen Welten bewegen. Noch eindringlicher als diese Distanz ist schließlich der Vorgang ihres Aufbrechens bis zu dem einfach nur großen Bekenntnis von Walt („I did it for me!“), mit dem er sich einen letzten Blick auf seine Tochter verdient. Die familiäre Tragödie bleibt zwar bestehen – die Familie ist nach wie vor nicht mehr intakt, Skyler scheint eine gebrochene Frau zu sein, Walt bleibt nicht mehr als eine flüchtige Begegnung – aber doch hat es etwas Kathartisches, wenn Walt noch einmal mit den Trümmern seiner familiären Existenz konfrontiert wird und die Gelegenheit für eine abschließende Entschuldigung jenseits aller Ausflüchte und gar die Gelegenheit für einen letzten humanen Akt – die Offenbarung des Leichnams von Hank – bekommt.
Die dritte Katharsis – und das halte ich tatsächlich für den falschen Move dieser Episode – darf sowohl Felina als auch Breaking Bad abschließen. Es ist die Katharsis des Heisenberg, der zum letzten Mal seine Konkurrenten foppen und ausschalten darf, der ein letztes Mal unter Beweis stellt, dass er „The Cook“, „The King“, „The Real Badass“ ist und ihm kein anderer Großverbrecher das Wasser reichen kann. Die unterhaltsamen, action- und thrillorientierten Heisenberg-Momente haben ja – und das wird allzu leicht vergessen – immer eine gewisse Suspension of Disbelief vorausgesetzt: Das betrifft „Actionmomente“ der ersten Staffeln (Der Kampf gegen Emilio und Krazy 8, Der Bombenanschlag auf Tuco) ebenso wie die reißerischen Heists der letzten Staffeln (Der Zugraub, die Magneten-Aktion), auch wenn die kriminellen Genie-Taten Heisenbergs gerade in den letzten Staffeln immer unglaubwürdiger wurden. Trotzdem muss man als Zuschauer erst einmal schlucken, wenn White ausgerechnet der paranoiden Lydia ohne Probleme Rizin in den Tee mogelt und die Nazi-Bande mit einem selbstgebastelten, automatischen Maschinengewehr in einem furiosen – radikal knapp inszenierten – Schlussakkord außer Kraft setzt. Ich muss an dieser Stelle aber auch einfach gestehen, dass ich mir schlicht und ergreifend eher die tragische Storyline als Abschluss der Serie gewünscht hätte – sprich, die letzte Konfrontation mit der Familie -, weil diese für mich immer das spannendste Moment von Breaking Bad darstellte. Anyway, damit abgefunden, dass die Macher einen action-orientierten, sensationalistischen Schluss bevorzugten – und die Suspension of disbelief aktiviert – kann ich eigentlich nur konstatieren, dass dieses letzte Gefecht herrlich überdreht und verdammt spannend ist: Der angespannte Moment als White den Nazis gegenübersteht, die furiose Pointe mit der Autofernbedienung (Scheiß auf die Vorhersehbarkeit, die Ausführung war genial!), das stattliche Gemetzel, die Tatsache, dass auch Jesse seine Katharsis bekommt… Hell Yeah, Jesse! Nicht nur, dass er seinen Peiniger Todd töten darf, nicht nur, dass er sich von Heisenberg vollständig emanzipiert, indem er dessen Todeswunsch nicht nachkommt, darüber hinaus darf er auch tatsächlich – und wir haben es ihm alle gewünscht – den Tatort als lebender und freier Mann mit einem Jubelschrei verlassen. Klar, über den moralischen Impetus dieser Szene sollte man nicht nachdenken, wird Jesse hier doch zum eiskalten Mörder, während der Mord fast schon dreist affirmativ inszeniert ist; aber geschenkt: Breaking Bad dreht an dieser Stelle noch einmal richtig auf. Und das hat sich die Serie, das haben sich die Zuschauer und die Protagonisten nach all dem Leid, all dem Drama auch ehrlich verdient. Ein letzter großer Adrenalinrausch, ein letztes Gemetzel – ohne moralische Hinterfragung -, ein letztes „Yeah! Verdammt nochmal, Breaking Bad soll auch Spaß machen!“ bevor Walter White seinem Happy End entgegengeht.
Und das ist es dann auch, worauf die Folge hinausläuft: Das bestmögliche Happy End, nicht nur für Jesse sondern auch für Heisenberg. Er wird nicht festgenommen, muss nicht leiden, nicht fliehen… er bekommt seinen Tod geradezu geschenkt, als sanftes Entschlummern, im Labor, an dem Platz, der ihm im Verlauf der Serie zu Größe verhalf. Man könnte auch sagen, dass Heisenberg endlich zu Hause angekommen ist, suggeriert die letzte Kameraeinstellung doch gar ein Auffahren der Seele, einen friedlichen, metaphysisch reinen Tod. Mit diesem versöhnlichen, nahezu sanften – stilvoll mit „Baby Blue“ unterlegten – Abschlussbild enden dann Episode und Staffel. Ja, an vielen Stellen war mir Felina zu sauber, zu versöhnlich: Auch wenn die Distanz zwischen Walt und seiner Familie nur partiell und situativ aufgebrochen wird, auch wenn es keine Versöhnung zwischen Heisenberg und Jesse gibt, so spendierte die Episode dem Verbrecher und Kriminellen doch drei große kathartische Momente – die Abrechnung mit seinem Leben, der letzte Blick auf seine Familie, der letzte Heisenberg’sche Triumph -, in denen er wieder zu Identifikationsfigur und beinahe schon Sympathieträger und Held ohne Anti-Präfix werden durfte. Das war zutiefst befriedigend, ein würdiger Abschluss für die Serie, aber eben auch ein wenig überraschungsarm, zu brav und dadurch auch (zumindest für mich) unterwältigend. Es wäre müßig darüber zu debattieren, ob ein anderes Ende besser gewesen wäre: Denn nach all der Düsternis zuvor hat Breaking Bad auch irgendwie ein optimistisches Ende verdient. Wie oft haben wir gefiebert und gelitten in dieser Serie? Wie oft haben wir uns ein wenig Erlösung, Frieden, Optimismus gewünscht, ohne sie zu kriegen? So gesehen ist Felina auch ein perfektes Ende für einen Höllenritt von einer Serie. Ein letztes „Es wird schon alles gut!“, um die Zuschauer nicht vollends deprimiert zurückzulassen.
Bleibt zu sagen, dass die womöglich beste Serie der letzten Dekaden, die beste Drama-Serie seit Twin Peaks, einen hervorragenden Abschluss gefunden hat… und dass der Platz hier nicht mal annähernd ausreicht, um das Gesamtwerk Breaking Bad angemessen zu würdigen. Eine derart konsequent diversifizierte – und zugleich überraschend stimmige, homogene – Mischung aus Thriller, Comedy, Drama habe ich im Fernsehen noch nicht gesehen, und selbst die Filmwelt bringt solche Meisterwerke nur alle Jubeljahre hervor. Breaking Bad hat bewiesen, was Serie kann: Mehr als nur unterhalten, mehr als nur Episodenhopping betreiben… Was hier geschehen ist, war zudem nur in diesem Format möglich: Eine ausgedehnte, stimmige Erzählung, inklusive Querschläger, brutaler Interruptionen, komischer Episoden, schräger Zwischenschritte…und das ganze zusammengefasst in einem durch und durch fantastischen Crossover aus Drama, Komödie und Thriller. Jede kommende Serie wird sich wohl oder übel daran messen lassen müssen… und es könnten durchaus Jahre vergehen, bis wir wieder was annähernd so Großes zu sehen bekommen. Breaking Bad ist das beste Argument gegen jeden Nachruf auf das Fernsehen, geradezu ein Musterbeispiel für das Potenzial des Mediums und damit auch ein Wegweiser in dessen Zukunft. Gebt uns Qualität… und wir werden sie würdigen.