Kritik zu Relic – Dunkles Vermächtnis (2020): Wann wird Post-Horror zum Schema?

Post-Horror gehört ohne jeden Zweifel zu den spannendsten Genreentwicklungen der letzten Jahre. Auch auf dieser Seite wurde schon viel über das Subgenre geschrieben und über diverse Filme, die sich diesem mal mehr mal weniger gut zuordnen lassen. Aber wie bei jeder spannenden Genreentwicklung, wie bei jedem kurzfristigen Genretrend, ergibt sich irgendwann die Frage: Wann führt der Versuch dazuzugehören zum Formelhaften? Ab wann wirken Filme des gerade noch frischen Genres plötzlich schematisch? Wann hört die Originalität auf und wann beginnt das Klischee? Diese Fragen können einem unweigerlich im Kopf herumspuken (Pun intended), wenn man sich Relic – Dunkles Vermächtnis (2020) widmet. Denn dieser macht eigentlich alles, was zum Genre dazugehört: Horror als parabolische Auseinandersetzung mit dem emotionalen und psychischen Verfall. Dazu noch in einer kleinen, dysfunktionalen Familie. Garniert mit ein wenig Surrealismus; irgendwo zwischen Psychothriller und übernatürlichem Horror, langsam erzählt und mit radikaler Eskalation im Finale. Also alles so weit so gut. Bleibt die erwähnte Frage: Reicht es auch dieses Mal für gediegenen Horror, oder geht es doch eine Spur zu weit zur Konvention?

Die allein auf dem Land lebende Seniorin Edna (Robyn Nevin) verschwindet urplötzlich und kommt erst nach einigen Tagen verwirrt und ohne Erinnerung an das Geschehene nach Hause zurück. Alles deutet auf Altersdemenz oder eine schwerere psychische Erkrankung hin. Ihre Tochter Kay (Emily Mortimer) beschließt daher sich mehr um ihre Mutter zu kümmern, während sie gleichzeitig nach einem geeigneten Pflegeheim für diese sucht. Auch Ednas Enkelin Sam (Bella Heathcote) ist besorgt, will ihre Großmutter allerdings auf keinen Fall in eine Einrichtung geben. Und so kommt es, dass die drei Frauen zumindest temporär gemeinsam im alten Anwesen Ednas leben und versuchen, sich mit deren Krankheit zu arrangieren. Diese scheint allerdings mehr zu sein als nur eine übliche Demenz: Nicht nur, dass sich laut Edna eine fremde Kraft im Haus aufhalten soll, auch Kay und Sam werden immer wieder mit merkwürdigen Geschehnissen rund um das Anwesen konfrontiert. Auch Edna selbst scheint sich weit über eine normale Erkrankung hinaus zu verändern. Etwas Monströses scheint nicht nur von ihr sondern auch ihrer Umgebung Besitz ergriffen und es auf die ganze Familie abgesehen zu haben.

Also kommen wir erst einmal zum wesentlichen: Ja, Natalie Erika James‘ Regie-Langfilmdebüt ist ein Posthorrorfilm durch und durch, und zwar einer der tragischen, melodramatischen Sorte wie Hereditary (2018) oder Ich seh, Ich seh (2014).Von Anfang an macht er klar, dass er was anderes sein will als ein 08/15 Gruselschocker und zieht dies auch konsequent durch. In vielen Momenten steht weniger der Horror als viel mehr das Drama im Mittelpunkt. Gerade mit seiner österreichischen Genreschwester Ich seh, Ich seh teilt er die Grundatmosphäre eines Kammerspiels. In ruhigen unaufgeregten Bildern lässt er sich viel Zeit, um die Konstellation seines Dreiergespanns auszuloten. Edna, offensichtlich eine stolze, sehr an ihrer Autonomie hängende Seniorin tut alles, um das Leben, das sie kennt weiterführen zu können, selbst wenn ihr Alter und Krankheit im Weg stehen. Kay begegnet ihrer greisen Mutter zwar mit Respekt und Fürsorge, aber auch mit einer nicht zu leugnenden professionellen Kälte und Distanz. Im Laufe der Zeit verschwimmen dann auch die Grenzen von einem sorgenvollen Umgang und dem Versuch, über alles die Kontrolle zu wahren und die bequemsten Lösungen zu finden. Als Dritte im Bunde steht Enkelin Sam dar, die sich ihrer Großmutter emotional tief verbunden fühlt, als unsichere junge Erwachsene mit den Launen der Demenzkranken allerdings überfordert ist. In der Tat besitzt Relic nicht nur in seiner Prämisse sondern auch im Laufe seiner Handlung alle Ingredienzen für ein melodramatisches, psychologisches Diorama. Und diese nutzt er auch in einer langsamen, bedächtigen Erzählweise, die sich viel Zeit für die kleinen und großen Dramen eines solchen Zusammenlebens nimmt.

Dass er trotzdem eindeutig ein Horrorfilm ist, daran lässt Relic allerdings ebenfalls von Beginn an keinen Zweifel: Düster getragene Szenen unterlegt mit einem intensiven Horroscore, viel Dunkelheit, die sich über die gesamte Szenerie legt und es sowohl Protagonistinnen als auch Publikum mitunter ziemlich schwer macht, zu erkennen, was gerade vor sich geht; und natürlich der Einfall des Monströsen, Geisterhaften in die familiäre Welt. Auch wenn er sich die Unsicherheit wahrt, ob hier nun eine Mysterygeschichte, ein Psychodrama, ein Psychothriller oder eben doch übernatürlicher Horror erzählt wird, geizt Relic nicht mit den klassischen Genretropes, versieht diese allerdings mit genug Fragezeichen, dass eine eindeutige Auflösung nie zu nahe liegt. Erst im letzten Drittel zieht die Eskalationsspirale an und das Publikum wird mit gruseligen wie brutalen Ausrufezeichen konfrontiert. Trotzdem bleiben sowohl Gore- als auch Spukfaktor im überschaubaren Bereich. So sehr Relic mäandert, kippen tut er nie. Kreischende Jump Scares gibt es keine, und auch das harte Ende bewahrt den parabolischen Charakter der Erzählung. Im Mittelpunkt von Relic stehen auch zum bitteren Finale keine Geister, Monster und Dämonen, sondern eine schreckliche Erkrankung, die jeden treffen kann und die in einer Familie verheerenden Schaden anrichtet. Wer Erfahrungen mit Demenz, Alzheimer oder anderen Nervenleiden in der Familie gemacht hat, dem werden viele hier gezeigten Momente bekannt vorkommen. Je näher man am Thema dran ist, umso sehr dürfte man nicht nur vom Horror sondern auch von der emotionalen Verzweiflung des gezeigten Szenarios mitgerissen werden.

Aber, es lässt sich nunmal nicht leugnen, dass nichts von alledem – dem Slow Burning Horror, dem Parabolischen, dem Drama, dem Vagen, langsam Eskalierenden – sonderlich originell oder neu ist. Das Genre hat in den letzten Jahren schon mehr als einmal ähnliche Geschichten auf die exakt gleiche Weise erzählt: Midsommar, der Babadook, Hereditary, Hole in the Ground, Ich seh, Ich seh, The Witch… all diese Filme haben sich mit Familienkonsteallationen auseinandergesetzt, mit der Erosion und Destruktion von familiären Strukturen, mit Leid, das sich im engsten Kreis entwickeln kann, mit Problemen des einzelnen, die sich verheerend auf das gesamte Umfeld auswirken. Relic erzählt dies zwar grundsolide, aber er erzählt nichts Neues. Und er besitzt in seiner Erfüllung des kompletten Post Horror Pflichtprogramm eben auch etwas unübersehbar Schematisches. Er ist keineswegs der erste Film, der etwas zu streng dem Post Horror Schema folgt, aber er ist einer jener Filme, bei denen es am stärksten auffällt. Er ist einfach zu rund, zu stringent in seiner narrativen und dramaturgischen Struktur. Egal ob prophetische Alpträume, die Verknüpfung von natürlichen und übernatürlichen Ereignissen, die düstere Getragenheit und Langsamkeit… alles fügt sich zu sehr zusammen. Und so haben wir es hier in der Tat mit einem Film zu tun, der so gut gemacht ist, dass er schon wieder schlecht wird.

Sorry. Das ist natürlich viel zu viel gesagt. Relic ist trotz seiner Formalität immer noch klar ein überdurchschnittlicher Genrebeitrag. Er ist zwar nur ein durchschnittlicher Post-Horror-Flick, damit aber eben immer noch ein guter, gelungener Horrorfilm. Aber er ist eben auch der beste Beweis dafür, dass jede noch so originelle Genrevariation irgendwann ihr Limit erreicht und Gefahr läuft durch Repetition ihre Originalität zu verlieren. Vielleicht ist es, mehr als zehn Jahre nach Antichrist, doch an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was nach dem Post Horror kommen könnte. Oder zumindest, wie sich aus der Formel ausbrechen lässt, damit das Subgenre seine nach wie vor vorhandene Besonderheit nicht verliert.

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